Themen Mediathek Shop Lernen Veranstaltungen kurz&knapp Die bpb Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen Mehr Artikel im

Grönlands geopolitische Bedeutung | Grönland | bpb.de

Grönland Editorial Brüche und Kontinuitäten. Grönland von der Wikingerzeit bis zur Gegenwart Das Interesse der USA an Grönland Klimawandel in Grönland. Gesellschaftliche Wahrnehmungen vor Ort Grönlands geopolitische Bedeutung Grönländische Literatur und Medien Grönlands langsame Dekolonialisierung von Dänemark Karten

Grönlands geopolitische Bedeutung

Michael Paul

/ 17 Minuten zu lesen

Grönland gewinnt wirtschaftlich, geopolitisch und militärisch an Bedeutung. Was genau macht die Insel so interessant für Großmächte wie die USA und China? Und welche politischen Handlungsoptionen bieten sich der EU, Dänemark und nicht zuletzt Grönland selbst?

Viele Herausforderungen in der Arktis sind von globaler Bedeutung und Reichweite. Besonders deutlich wird das am Beispiel des Klimawandels: Der grönländische Eisschild, der immer schneller an Masse verliert, ist der größte einzelne Verursacher des steigenden Meeresspiegels. In der Klimaforschung wird davon ausgegangen, dass das Schmelzen des Festlandeises ab einem bestimmten Ausmaß an einen Kipppunkt im globalen Klimasystem gelangt, also irreversibel wird. Das Abschmelzen des Inlandeises hat seit 2020 eine neue Dynamik gewonnen und hat langfristig erhebliche Folgen für den globalen Anstieg des Meeresspiegels, das Leben in den Küstenregionen und das Klima in Europa. Hier werden multilaterale Lösungen für die drängenden Probleme benötigt, die von der anthropogenen Erderwärmung verursacht werden.

Statt diese Herausforderungen gemeinsam zu lösen, marschieren jedoch viele Staaten zurück in eine Welt, die an das 19. Jahrhundert und die rücksichtlose nationale Machtpolitik der damaligen Großmächte erinnert. Hinzu kommen die Risiken, die aus den Spannungen zwischen China und den USA erwachsen. Wir befinden uns in einer veritablen Polykrise, in der mehrere unterschiedliche und sich überschneidende innerstaatliche wie internationale Krisen und Konflikte auf das globale Ordnungssystem einwirken, das nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde. Dies hat auch Einfluss auf die Arktis: Sie gewinnt geopolitisch, wirtschaftlich und militärisch weiter an Bedeutung und damit – was ein Blick auf die Karte erklärt – auch Grönland.

Strategische Lage: Schifffahrt und Sicherheit

Bevölkerung und Wirtschaft in der Arktis sind auf die Schifffahrt angewiesen: Häufig gibt es keine Alternativen, um sich zu begegnen, Handel zu treiben, sich mit Lebensmitteln und Gebrauchsgütern zu versorgen oder Rohstoffe und Produkte zu transportieren. Das schmelzende Meereis eröffnet künftig eine kürzere Route für den globalen Handel zwischen Asien und Europa, mit der sich Zeit und Kosten sparen lassen. Schon 2009 sagte der chinesische Logistikexperte Li Zhenfu von der Dalian Maritime University, dass derjenige, der in Zukunft die arktische Seeroute kontrolliere, Zugriff zu einer wichtigen Passage für die Weltwirtschaft und für strategische Interessen haben werde. Er bezog sich dabei auf die kürzere Route zwischen Ostasien und Europa wie auch auf die reichen Ressourcen an Öl, Gas und Mineralien, die durch veränderte klimatische Bedingungen nutzbar gemacht werden können.

(© Meereisportal)

In der russischen Arktis verschwindet das Eis schneller als im Westen; dortige Routen können daher schon heute häufiger befahren werden. Die Nördliche Seeroute als Teil der Nordostpassage war in den vergangenen Jahren häufig noch Anfang November passierbar (Abbildung 1). Allerdings wird bislang nur ein kleiner Teil des Welthandels über arktische Seewege abgewickelt. Grundsätzlich sind diese Routen für den Transport von Fracht mit flexiblen Lieferzeiten wie Eisenerz, Kohle, Erdöl und Gas geeignet, aber weniger für Containerschiffe, die ihre Ladung pünktlich zustellen müssen. Außerdem ist die Schifffahrt nicht vor Überraschungen sicher: Im November 2021 mussten mehrere russische Eisbrecher eingreifen, um 20 Schiffe zu befreien, die in der Nördlichen Seeroute im Eis feststeckten, das sich in diesem Jahr auf der Route schon im Oktober auszudehnen begonnen hatte. Erstmals seit 2009 waren im Februar 2022 weder die Nördliche Seeroute entlang der Arktischen Zone der Russischen Föderation noch die Nordwestpassage entlang der grönländisch-kanadischen Küste offen für den Schiffsverkehr.

(© Meereisportal)

Geografisch hat Grönland eine raumbeherrschende Rolle im Arktischen Ozean: Es liegt zwischen der Nordwestpassage und der Transpolaren Route, die als kürzeste Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik quer durch den Ozean über den Nordpol führt. Allerdings werden diese Routen erst ab den 2030er Jahren in größerem Umfang kommerziell nutzbar sein, und auch dann wird die Schifffahrt noch häufig auf die Begleitung von Eisbrechern angewiesen sein. Denn selbst unter den Bedingungen einer „eisfreien“ Arktis, in der im Sommer weniger als eine Million Quadratkilometer von Meereis bedeckt sind, wird das Eis nicht unaufhaltsam und in Gänze verschwinden. Im Winter wird sich weiter Eis bilden, weil die Temperaturen noch immer deutlich unter den Gefrierpunkt fallen. Im Sommer werden nach wie vor Eisschollen die Schifffahrt behindern. Das nimmt dem Rückgang des Sommereises (Abbildungen 2 und 3) nichts von seiner Dramatik, relativiert aber die Annahme, in einer „eisfreien“ Arktis werde die Nutzung von Ressourcen einfacher und die Schifffahrt leichter. Vielmehr können Erwärmungseffekte sogar die Bedingungen erschweren – durch heftigere Winde, höhere Wellen, stärkere Eisdrift und mehr Nebel.

(© Meereisportal)

Je mehr arktische Seewege und damit Räume und Ressourcen zugänglich werden, desto stärker tritt internationales Konfliktpotenzial zutage. Grönland ist ein wichtiger Teil der maritimen Engstellen im arktisch-nordatlantischen Raum: Zwischen Grönland, Island und dem Vereinigten Königreich (UK) befindet sich die sogenannte GIUK-Lücke sowie zwischen Grönland, Spitzbergen, Bäreninsel und Nordkap die sogenannte Bärenlücke oder GIN (Grönland, Island, Norwegen/Nordkap). Diese Engstellen haben in operativen Planungen der NATO eine wichtige Rolle zur Kontrolle russischer Aktivitäten und werden seit Beginn der groß angelegten russischen Invasion der Ukraine 2022 wieder rund um das Jahr beobachtet. Angriffsunterseeboote der russischen Nordflotte üben regelmäßig einen Durchbruch der GIUK-Lücke, um im Falle eines Krieges mit der NATO die transatlantischen Nachschubrouten zwischen Nordamerika und Europa zu unterbrechen.

Schatzkammer Grönland?

Grönland verfügt über große bestätigte und vermutete Vorkommen der verschiedensten Mineralien, Erze und Kohlenwasserstoffe, darunter Metalle der Seltenen Erden (SE), Uran, Zink, Eisenerz, Molybdän, Grafit sowie Kohle, Erdöl und Erdgas. Der Abbau von Rohstoffen mineralischen und fossilen Ursprungs könnte den Ausfall der dänischen Zahlungen nach einer möglichen Unabhängigkeit Grönlands kompensieren. Die grönländische Regierung unterstützt daher schon seit 2009 die Exploration von Rohstoffen und Investitionen in die Rohstoffförderung. Aber selbst mit einer stark nachgefragten Ressource sind Bergbauprojekte auf der Insel eine finanzielle und ökologische Gratwanderung, wie das Beispiel der SE-Metalle zeigt.

Zwei der weltweit größten Lagerstätten von SE-Metallen liegen in der unvergletscherten Region an der Südspitze Grönlands. Die Kringlerne-Lagerstätte unweit der Stadt Narsaq soll eine Jahresproduktion von 3000 Tonnen SE-Metallen ermöglichen, was 60 Prozent des Jahresbedarfs in Europa entspräche – SE werden etwa für Elektrogeräte, moderne Waffensysteme oder den Bau von Windrädern benötigt. Dieses Vorkommen wird übertroffen von dem in der Nähe liegenden Rohstoffstandort Kvanefjeld (Grönländisch: Kuannersuit), der als die fünftgrößte bekannte Lagerstätte für leichte SE wie Lanthan, Cer, Praseodym und Neodym gilt. Beide Lagerstätten sind ganzjährig mit Schiffen erreichbar, was den geplanten Abtransport erleichtern wird – aktuell werden an beiden Orten noch keine SE gefördert.

Das australische Bergbauunternehmen Greenland Minerals A/S (GMAS), zu dessen Anteilseignern der chinesische „SE-Gigant“ Shenghe Resources zählt, hatte die Investitionskosten für Kvanefjeld als sein Flaggschiffprojekt auf 1,36 Milliarden US-Dollar geschätzt. Das Projekt sollte in der Bauphase 1171 Menschen beschäftigen und im Betrieb 787 Arbeitsplätze sichern. Eine Kooperationsvereinbarung, die Shenghe 2019 mit der China National Nuclear Corporation traf, war jedoch Anlass für die damalige grönländische Oppositionspartei Inuit Ataqatigiit, kritisch nach dem Inhalt dieser Übereinkunft und den Folgen des Tagebaus für die Umwelt zu fragen. Die Abbaugenehmigung scheiterte an Umweltschutzprüfungen, und das innenpolitisch strittige Projekt führte dazu, dass der amtierende Premierminister Kim Kielsen im November 2020 nicht nur den Parteivorsitz verlor, sondern seine Partei Siumut in den Wahlen 2021 auch die Mehrheit einbüßte. Die Führung der neuen Regierungspartei Inuit Ataqatigiit bekräftigte die Ablehnung des Kvanefjeld-Projekts, woran sich bis heute nichts geändert hat. Das Bergbauunternehmen reichte 2023 eine Klage ein, um entweder eine Abbaugenehmigung oder aber Entschädigungen in Milliardenhöhe zu erstreiten – die Entscheidung steht noch aus.

China als polare Großmacht

Staats- und Parteichef Xi Jinping erklärte 2014 Chinas Ambition als „polare Großmacht“, nachdem es im Jahr zuvor den Beobachterstatus beim Arktischen Rat erhalten hatte – einem zwischenstaatlichen Forum, das der Kooperation und Koordination zwischen Arktisstaaten, indigenen Völkern und anderen Akteuren dient und sich vorrangig mit nachhaltiger Entwicklung und Umweltschutz in der Arktis befasst. Damals hatten Vertreter der chinesischen Polarpolitik erstmals öffentlich erklärt, das Ziel, eine polare Großmacht zu werden, bilde eine Schlüsselkomponente der maritimen Strategie Pekings. Dieser Anspruch zeigt das neue Selbstbewusstsein der Volksrepublik und ihre globale Reichweite. China hat vielfältige, darunter strategische Interessen in Arktis und Antarktis. Im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI), mit der China seinen globalen Einfluss ausweiten will, gilt das Nordpolarmeer – nach dem Landkorridor durch Zentralasien und dem indopazifischen Seeweg bis in das europäische Mittelmeer – als dritter wichtiger Korridor der neuen Seidenstraßen. Der Aufstieg Chinas erfordert aus Sicht Pekings eine Absicherung der maritimen Peripherie und im Weiteren die Entwicklung hin zu einer hybriden Land-Seemacht.

Ein gutes Beispiel für das komplizierte dänisch-grönländische Verhältnis zu China und Chinas BRI ist ein Infrastrukturprojekt: Bis 2024 konnten Großraumflugzeuge nur auf dem Flughafen Kangerlussuaq im Südwesten der Insel landen. Statt dort die Pisten zu erneuern, sollten die Start- und Landebahnen für die Hauptstadt Nuuk und für die Küstenstadt Ilulissat verlängert werden.

Als wichtiges Infrastrukturvorhaben fällt der Ausbau von Flughäfen in die Kompetenz der Regierung in Nuuk. Kraft des seit 2009 geltenden erweiterten Autonomiestatuts kann sie die meisten Aspekte des politischen und wirtschaftlichen Lebens selbst regeln und hatte den Ausbau als integrales Element der nationalen Entwicklung und der Hauptstadtplanung erkannt. Da aber die sicherheitspolitischen Kompetenzen weitgehend in Dänemark verblieben sind, konnte Kopenhagen das Bauvorhaben als sicherheitsrelevantes Problem einstufen und im Sinne Washingtons in den Vergabeprozess eingreifen. Die Sorge galt der China Communications Construction Company, die auf der Shortlist für Partner bei Bau und Finanzierung der Flughafenprojekte der grönländischen Flughafengesellschaft Kalaallit Airports stand. Das chinesische Unternehmen ist zu 70 Prozent in Staatsbesitz und in das Seidenstraßen-Projekt involviert. Außerdem unterhält es in Hongkong militärische Liegenschaften der chinesischen Streitkräfte. Es bestand daher die Befürchtung, dass Chinas Beteiligung die dänische Verteidigungszusammenarbeit mit den USA gefährden könnte. Der damalige dänische Regierungschef Lars Løkke Rasmussen reiste daher im September 2018 persönlich nach Nuuk, um ein Finanzpaket zu präsentieren, das dem Ausbau der Flughäfen dienen sollte. Rasmussen konnte damit zwei Probleme gleichzeitig lösen: Nuuk die nötigen Mittel für die genannten Vorhaben verschaffen und Washington die Befürchtung nehmen, dass durch chinesische Investitionen eine Abhängigkeit entstehen könnte. Allein die radikale Unabhängigkeitspartei Naleraq verließ aus Protest die Regierung und interpretierte den Vorgang als neokoloniale Einmischung. Das sollte indes nicht der letzte Akt US-amerikanischer Einmischung sein.

Nordamerikanische Interessen

Die strategisch wichtige Lage und natürliche Ressourcen begründeten die mehrmals in Regierungskreisen der USA diskutierte Idee, Grönland zu erwerben. Die erste Erwähnung datiert aus dem Jahr 1832, als US-Präsident Andrew Jackson einen solchen Kauf in seiner Regierung thematisierte. Nach dem Erwerb Louisianas von Frankreich 1803 und Floridas von Spanien 1819 war dies keine ungewöhnliche Absicht. Die von US-Präsident Donald Trump im August 2019 geäußerte Idee, Grönland in einer Art Immobilienhandel („a large real estate deal“) zu kaufen, war also nicht neu, aber für einen Bündnispartner im 21. Jahrhundert ungewöhnlich. Die dänische Premierministerin Mette Frederiksen wies das Ansinnen als „absurd“ zurück, und das grönländische Außenministerium erklärte in einem Tweet: „We’re open for business, not for sale“. Noch vor Weihnachten 2024 wiederholte Trump als wiedergewählter US-Präsident seinen Wunsch nach einem Erwerb Grönlands und erklärte den Besitz und die Kontrolle des Landes nun aus Gründen nationaler Sicherheit zur „absoluten Notwendigkeit“. Aber worin liegt diese begründet?

Während des Zweiten Weltkriegs wurde im Grönlandtraktat von 1941 erstmals ein Vertrag geschlossen, der den USA Zugang zur Insel verschaffte, um diese für die Zwischenlandung auf dem Flug nach Europa zu nutzen sowie Militärbasen und Wetterstationen zu errichten. Im Gegenzug sollten die USA während der Kriegsjahre, in denen Dänemark vom nationalsozialistischen Deutschland besetzt war, den Status quo gewährleisten. Problematisch aus dänischer Perspektive war Artikel X des Grönlandtraktats, weil er den USA ein Vetorecht für mögliche Änderungen des Vertrags zusicherte und offenblieb, wann die Amerikaner Grönland wieder verlassen würden. In einem modifizierten Abkommen erhielt Washington 1951 exklusive Rechte zur Nutzung der Stützpunkte in Grönland, darunter der Thule Air Base im Nordwesten der Insel. Die US-Präsenz besteht dort bis heute, der Stützpunkt wurde aber im April 2023 in Pituffik Space Base umbenannt.

Als nördlichster Stützpunkt außerhalb der USA befindet sich auf der Pituffik Space Base eine der weltweit drei operativen Bodenstationen der neuen Teilstreitkraft US Space Force, die hier mit einem kleinen Team von 120 US-amerikanischen und kanadischen Militärpersonen (sowie rund 700 zivil Angestellten aus Dänemark, Grönland und den USA) Aufgaben der Weltraumüberwachung und Raketenfrühwarnung wahrnimmt. Sie liefert zivile Navigations- und Wetterdienste und unterstützt auch militärische Einsätze. Die Route über den Nordpol ist die navigatorisch kürzeste Flugstrecke vom westlichen militärischen Distrikt Russlands zur Ostküste der USA; dies gilt auch für ballistische Raketen, weshalb auf der Pituffik Space Base auch Radaranlagen zur Frühwarnung unterhalten werden. Allerdings können jene zwar ballistische Raketen und auch langsame Spionageballons erfassen, aber nicht hyperschnelle Marschflugkörper. 2020 konstatierte ein Team internationaler Arktisexperten, Grönland sei „ein unkontrolliertes Gebiet, dem sich Flugzeuge und Marschflugkörper in Richtung des nordamerikanischen Kontinents unbemerkt nähern können.“ Wegen möglicher neuer Abschusspunkte für Raketen aus der Luft oder vom Meer aus und Routen entlang der Ostküste Grönlands müsste der Überwachungsbereich erweitert und in die nordamerikanische Luftverteidigung integriert werden. Neue Aufklärungsanlagen müssten auch in Grönland stationiert werden, weil hyperschallschnelle Waffensysteme bessere und frühere Aufklärung erfordern. Die Insel ist somit für die Sicherheit der USA und Kanadas aktuell wie zukünftig von zentraler Bedeutung.

Dreiecksbeziehung: Grönland, Dänemark und die USA

Die grönländische Dreiecksbeziehung mit dem Königreich Dänemark und den USA ist durch außenpolitische Einflussfaktoren bestimmt, die durch die Lage und das Engagement der USA im Kontext der strategischen Konkurrenz mit China und Russland geprägt sind. Zugleich verändert der innenpolitische Druck durch das grönländische Unabhängigkeitsstreben das Verhältnis Dänemarks zu Grönland in einem Maße, das die dänische Souveränität „zwiespältig“ erscheinen lässt. Sicherheitspolitisch wird dies in der Frage deutlich, ob Dänemark angesichts der Verschlechterung der politischen und militärischen Lage in der Arktis imstande ist, die Souveränität der Reichsgemeinschaft – bestehend aus Dänemark, Grönland und den Färöern – zu schützen.

Im Juni 2009 unterzeichneten acht Parteien im dänischen Folketing ein Abkommen, in dem erstmals die geostrategische Bedeutung Grönlands anerkannt und infolgedessen ein Arktiskommando eingerichtet wurde. Die international als Joint Arctic Command (JACO) bezeichnete Einheit mit Stützpunkten in Nuuk und dem färöischen Tórshavn soll seit November 2012 alle Aktivitäten dänischer Teilstreitkräfte (Marine, Luftwaffe, Spezialkräfte und Heer) im Nordatlantik koordinieren und ist organisatorisch gleichrangig mit den anderen Teilstreitkräften. Schwerpunkte sind Grönland und die Färöer-Inseln mit den umliegenden Gewässern. Die Hauptaufgaben des JACO sind die einer Marine und Küstenwache: Im Fall Grönlands gilt es, die Souveränität zu wahren und – unter relativ unwahrscheinlichen Umständen – auch militärisch zu verteidigen, ebenso wie Fischerboote zu inspizieren oder Such- und Rettungseinsätze sowie Patiententransporte durchzuführen. Dazu verfügen dänische Einsatzkräfte über ein Flugzeug vom Typ Challenger, vier Helikopter und bis zu fünf Schiffe sowie die legendäre SIRIUS-Schlittenpatrouille, um die größte Insel der Welt mit einer 44000 Kilometer langen Küstenlinie zu überwachen. Dänemark nutzt dafür auch die zivilen Dienste der European Maritime Safety Agency (EMSA). Mithilfe dieser Einsatzmittel sollen die Souveränität der Reichsgemeinschaft gesichert und maritime sowie soziale Dienste geleistet werden. Weitere Gelder für Luft- und Seeraumüberwachung sind im Arctic Capacity Package eingeplant, das im Februar 2021 in Abwesenheit einer grönländischen Vertretung präsentiert wurde, und für weitere Sicherheitsmaßnahmen, die im Gefolge der Drohungen von US-Präsident Trump eingeleitet wurden.

Grönland gehört seit dem Beitritt des Königreichs 1949 zum NATO-Bündnisgebiet. Bis zu einer möglichen vollen Unabhängigkeit ist daher die Wahrung der grönländischen Souveränität Aufgabe der Reichsgemeinschaft und damit der dänischen Streitkräfte. Aufgrund verstärkter russischer Aktivitäten in der Arktis haben einige Staaten ihre Unterstützung für die nordischen NATO-Verbündeten demonstrativ erhöht. Im August 2020 übten dänische und französische Kriegsschiffe mit einem Schiff der US-Küstenwache vor der Westküste Grönlands. Einen Monat später nahm Dänemark erstmals gemeinsam mit den USA, Großbritannien und Norwegen an großangelegten Manövern in der Barentssee teil. Außerdem trat zum Oktober 2020 eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Allied Maritime Command der NATO in Northwood und dem JACO in Kraft. Sie umfasst monatliche Koordinationstreffen, den Austausch von Daten und die Teilnahme an Übungen.

Dänemark hat mit dem Arctic Capacity Package 2021 eine erste Antwort auf die aktuellen Fragen rund um Sicherheit in der Arktis gegeben. Im Dezember 2024 kündigte Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen massive Investitionen an – als Ironie des Schicksals kurz nach Trumps erneuter Ankündigung, Grönland kontrollieren zu wollen. Das neue, etwa 1,5 Milliarden US-Dollar teure Paket umfasst zwei weitere eisgängige Schiffe der Thetis-Klasse, zwei Langstreckendrohnen und zusätzliche Mittel für das Arktiskommando. Man könne das riesige Territorium nicht alleine überwachen, sondern werde mit den USA zusammenarbeiten, sagte Poulsen.

Grönlands Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Grönland bemüht sich um mehr Unabhängigkeit von Dänemark und nutzt dazu die internationale Politik. Das Motto lautet „Independence through International Affairs“. In diesem Sinne hat die Regierung in Nuuk schon 2011 argumentiert, dass das Interesse an der Arktis und Grönland in konkrete Chancen für die grönländische Bevölkerung und ihre Entwicklung als Nation umgesetzt werden soll.

Ein erstes umfassendes, auf die Jahre 2024 bis 2033 angelegtes Dokument der grönländischen Regierung zur Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik wurde im Februar 2024 publiziert und als „Arktisstrategie“ bezeichnet. Außenministerin Vivian Motzfeldt, die im Vorwort als Ministerin für Staatlichkeit und auswärtige Angelegenheiten verantwortlich zeichnet, betont darin die Forderung nach einer inklusiven Außenpolitik („Nichts über uns ohne uns“), die natürlich nicht nur für die Arktis, sondern auch für die nordische Zusammenarbeit gilt. Im Arktischen Rat will Grönland daher die Delegation aller drei Reichsteile – Dänemark, Färöer, Grönland – anführen und die Leitung im Vorsitz des Königreichs für den Zeitraum 2025 bis 2027 übernehmen. Die Rolle des Rates soll durch eine „langfristige Teilhabe der gesamten arktischen Region“ – Russland eingeschlossen – gesichert werden, und das Mandat soll weiterhin Fragen harter Sicherheit ausschließen. Darüber hinaus möchte Nuuk mit den nordamerikanischen Nachbarn zusammenarbeiten: Großes Potenzial habe ein „Arctic North American Forum“, in dem Entscheidungsträger und Regierungsmitglieder aus Alaska, Kanada und Grönland Ideen austauschen und konkrete Projekte anstoßen könnten. In dem betreffenden Kapitel wird hervorgehoben, dass „alle Akteure in der Region“ – also auch Russland – beteiligt sein sollen, wenn es sich um Themen handelt, die besonders relevant für die Arktis sind.

In Fragen nationaler Sicherheit und Verteidigung soll laut der Arktisstrategie „kein Rüstungswettlauf“ in der Arktis stattfinden. In der Einleitung wird der „Wunsch nach Frieden und geringer Spannung“ deutlich gemacht und später die Idee eines Zentrums für Friedensforschung vorgebracht. Darin äußert sich das „Peaceful Inuit“-Narrativ, demgemäß militärische Angelegenheiten meist ein von außen importiertes Problem darstellten. Grönland will eine Verwaltungseinheit für die Pituffik Space Base einrichten, um grönländischen Entscheidungsträgern bessere Beteiligungsmöglichkeiten zu geben, und es soll „ein angemessenes Gleichgewicht zwischen militärischer Verteidigung, Überwachung und zivilen Fähigkeiten, ganz zu schweigen von der Infrastruktur mit doppeltem Verwendungszweck“, hergestellt werden. Das betrifft auch Such- und Rettungseinsätze, für die bisher das Militär in Gestalt des Arktiskommandos JACO zuständig war und die in ein ziviles Modell transformiert werden sollen. Ähnlich wie im Falle der SIRIUS-Schlittenpatrouille, bei der Grönland einen „Mangel an Teilhabe“ beklagt, werden Dänemark und das JACO auch bei Such- und Rettungseinsätzen sowie der Überwachung des GIUK-Raumes dem grönländischen Wunsch nach einem höheren Maß an Mitverantwortung – und damit an Fähigkeiten zur Wahrung der Souveränität als künftig möglicherweise unabhängiger Staat – entsprechen müssen. All diese Vorhaben kosten viel Geld, das Grönland nicht hat, was ein grundlegendes Problem der Arktisstrategie ist.

Dänische Experten äußerten sich dennoch wohlwollend über das Dokument angesichts ihrer Einschätzung, dass Grönland sich in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik lange erratisch verhalten habe. Die Strategie verspreche mehr Kontinuität, zumal sie von einer breiten Mehrheit (mit Ausnahme der Naleraq) unterstützt worden sei. Es sei „ein Schritt in die richtige Richtung“, allerdings sei der „Bär im Raum“ – Russland – auf 26 Seiten nur viermal erwähnt worden, dagegen fünfundvierzigmal in Dänemarks 15 Seiten umfassenden Strategiedokument. Aus dieser Beobachtung folgern die Autoren, dass Grönland die Signale, die es an Russland sendet, sorgfältig abwägt. Der Umgang mit Russland bleibt eine heikle Frage, die zu Unstimmigkeiten mit Mitgliedern im Arktischen Rat führen kann. Schließlich bezieht sich Russlands neoimperiale Außen- und Sicherheitspolitik auch auf die Arktis, die in Moskau als strategische Priorität und nationale Ressourcenbasis im 21. Jahrhundert gilt.

Der grönländische Diplomat Kenneth Høegh wurde im April 2025 zum neuen arktischen Botschafter des Königreichs Dänemark ernannt. Er wird nun mit einem kleinen Team in Nuuk die Geschäfte des Arktischen Rates als Vorsitzender der Senior Arctic Officials führen. Høegh leitete zuvor die grönländische Vertretung in Washington und hat deshalb Erfahrung mit schwierigen Herausforderungen. Die Zukunft des Landes bestimmen Grönländerinnen und Grönländer.

ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Sein Buch "Greenland‘s Arctic Paths to Independence" erscheint diesen Herbst bei Palgrave Macmillan.