Die politischen Erfolge Donald Trumps und seiner "Make America Great Again"-Bewegung (MAGA) werfen viele Fragen auf. Eine davon bezieht sich auf das Bild von Amerika, um das es den MAGA-Anhängern eigentlich geht. Wie verstehen sie die eigene Nation? Wie ordnet sich ihr offenkundiger Nationalismus in die Geschichte nationaler Selbstverständigungsdiskurse ein?
Als die USA sich am 4. Juli 1776 vom britischen Weltreich unabhängig erklärten, waren sie noch kein Nationalstaat, sondern verstanden sich als lose Konföderation souveräner Einzelstaaten, die identitätspolitisch je auf ihre eigene Geschichte als Kolonie zurückblickten. Erst mit der noch heute gültigen Verfassung von 1787 begannen sich die dreizehn Gründerstaaten zunächst zu einer Union und dann, spätestens seit dem Bürgerkrieg (1861–1865), zu einem Nationalstaat weiterzuentwickeln. Die regierungsamtliche Rede von den USA als "Nation" tauchte wohl erstmalig im zeitlichen Umfeld der Präsidentschaft des Demokraten Andrew Jackson (1829–1837) auf, der den Begriff aber nur ausnahmsweise verwendete. Noch zu Beginn des Bürgerkrieges sprach man im Norden von der "Union". Erst Abraham Lincoln (1861–1865), der republikanische Unionspräsident der Bürgerkriegszeit, verwendete ab 1863 konsequent "Nation", wenn er von den USA sprach.
Obwohl Nation als Konzept also eine vergleichsweise späte Erscheinung in der politischen Semantik der USA war, stellte sich bereits seit dem Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) permanent die Frage nach der Identität der jungen Republik.
Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts bildeten sich vielfältig miteinander verflochtene Semantiken nationaler Selbstvergewisserung heraus, die es rechtfertigen, vom US-amerikanischen Nationalismus im Plural zu sprechen. Allerdings sollte man diese Vielfalt nicht überbetonen. In den USA einigte man sich früh auf bestimmte Basismythen, die sich nahezu alle Amerikaner gegenseitig erzählten und die etwa durch das seit den 1830er Jahren präsente öffentliche Schulsystem, die Medienöffentlichkeiten sowie die Armee und andere staatliche Institutionen immer wieder aufgegriffen wurden und dadurch an universeller Verbindlichkeit gewannen.
Staat vs. Nation
Beginnen wir mit der Basismythologie des nationalen Selbstverständnisses der USA, die ihren historischen Ort in der Revolution und der Gründungsphase der Republik zugewiesen bekam. Bereits im Verlauf der Revolution war der Kampf gegen die vorgeblichen Anmaßungen des imperialen Westminsterparlaments zum Befreiungskrieg von der britischen Krone umdefiniert worden. In der Folge wurde auch das Verhältnis von individueller Freiheit, Volkssouveränität und Heiligkeit des Privateigentums (life, liberty, property) nochmals enger gedacht. Jede Form von Staatlichkeit und staatlicher Intervention war nunmehr an diesen vorgelagerten, nationalidentitär unumgänglichen Prinzipien auszurichten. Die erste Loyalität gilt entsprechend der Nation und nicht dem Staat oder gar der Regierung.
Um dieses fundamentale Verständnis der Revolution herum lagerten sich sakralisierende Mythen und eine ritualisierte Symbolik. Die Gründerväter um George Washington, Thomas Jefferson, Benjamin Franklin und James Madison wurden allmählich ihrer Individualität entkleidet und zu säkularen Heiligengestalten, die mit zivilreligiösen Ritualen, etwa der Feier des 4. Juli, umgeben und in einer sakralen Bildsprache dargestellt wurden. Bei Bedarf konnten diesem Pantheon neue Heilige zugefügt werden, beispielsweise Andrew Jackson, der "Retter der Union" im Bürgerkrieg, Abraham Lincoln oder später Theodore und dann Franklin D. Roosevelt sowie John F. Kennedy. Sie alle wurden mit dem Nimbus besonderer Weisheit, fast schon übernatürlicher Begabung und intensiver Liebe zur Nation umgeben. Gemeinsam mit den Gründervätern wurde auch die Verfassung in den Rang eines heiligen Textes erhoben, über dessen Interpretation das ebenfalls sakralisierte Oberste Bundesgericht zu befinden hatte. Im Vergleich dazu galt der Kongress, also die Legislative, als ebenso politisch banal wie die jeweils regierenden Administrationen der Exekutive.
Die Mythen um die Gründerväter, die Verfassung und den Supreme Court wurden auch, aber nicht primär über staatliche Institutionen (etwa die Schule) propagiert, ebenso ein Geschichtsbild, in dem die USA immer aufseiten der freiheitsliebenden Guten und Bedrängten im Kampf gegen das Urübel von Despotie, Tyrannei und wirtschaftlicher Unfreiheit standen. Der Historiker Detlef Junker hat dies einmal als die "manichäische Falle" bezeichnet, in der im Kern eine amerikanische Idealität gegen die als böse begriffene Realität der jeweils Anderen stand, was Kompromisse unmöglich machte und den Expansionismus im Namen der Freiheit und des Privateigentums zusätzlich befeuerte.
Manifest Destiny und Frontier
Der exzeptionalistische Expansionismus, der auf den Demokraten Jefferson zurückging, fand in zweierlei Hinsicht einen populärkulturellen Ausdruck: einerseits in den seit den 1830er Jahren aufkommenden Diskussionen um das manifest destiny (deutsch etwa "offenkundiges Schicksal"),
Beide Ansätze waren eng miteinander verwoben und basierten überdies auf gemeinsamen medialen Narrativen. So entstand die Idee, die amerikanische Nation sei berufen, zumindest den nordamerikanischen Kontinent zivilisatorisch zu durchdringen und zu beherrschen. Im Umkreis der Young-America-Bewegung, die der Demokratischen Partei verpflichtet war und ihren Expansionismus teilte, forderte der Publizist John L. O’Sullivan 1836 nicht allein die Annexion von Texas, sondern prägte im Vorfeld des Krieges mit Mexiko 1845 überdies das Konzept des manifest destiny. Erst nach dem Bürgerkrieg fand der populärkulturelle Expansionismus seine politische Heimat im Lager der bürgerlich-urbanen Republikaner, als sich der postkolonial-republikanische Unionspatriotismus zu einem imperialen und chauvinistischen Nationalismus europäischer Prägung wandelte. William Henry Seward, der Außenminister Lincolns und Andrew Johnsons, folgte einem regelrechten Masterplan, der sogar die Ziele des manifest destiny deutlich überschritt, wenn er neben dem Westen die Annexion Kanadas, Grönlands, Alaskas, der karibischen Inseln und Kubas ins Auge fasste. Nach dem Krieg mit Spanien 1898 rückte ganz Lateinamerika in den Fokus hegemonialer Bestrebungen, und mit Puerto Rico, Guam, Hawaii und den Philippinen annektierten die USA erstmalig Überseegebiete und avancierten zur Kolonialmacht.
Der Übergang vom Unionspatriotismus zum Nationalismus fand seinen weiteren Niederschlag in der von Frederick Jackson Turner propagierten Idee, nationale Identität entstehe nicht in den von Europa durchdrungenen urbanen Zentren an der Ostküste, sondern in der Auseinandersetzung kämpferischer Individuen an der Grenze zur Wildnis, der frontier. Diese Grenze wanderte beständig westwärts, und mit ihr wanderten Zivilisation und Fortschritt. Die nationalidentitäre Funktion dieser Erzählung lag darin, dass ihr zufolge der andauernde Kampf mit der Wildnis einen harten, individualistischen Menschenschlag amerikanischer Prägung hervorbrachte. Auf diese Weise konnten auch Migranten integriert werden, die weder Protestanten noch Angelsachsen waren. Umgekehrt drohte sich die Herstellung nationaler Homogenität erheblich zu erschweren, wenn die frontier nicht mehr bestehen würde. So blieb nur der nicht ausgesprochene Schluss, die USA müssten sich gewissermaßen neue Grenzen im steten Fluss suchen. Noch im Intro der TV-Serie "Star Trek" aus den 1960er Jahren hieß es deswegen konsequent: "Space, the final frontier!"
Weder O’Sullivan noch Turner hatten Gewalt gegen Indianer oder Mexikaner in den Mittelpunkt ihrer theoretischen Konzepte gestellt. Faktisch und kulturell rückte sie jedoch bald ins Zentrum beider Ansätze. Im Falle des manifest destiny ergab sich das aus der Sache selbst, bei der Erzählung der frontier durch die Verbindung mit älteren populärkulturellen Mythen. Schon in den 1780er Jahren war der Trapper Daniel Boone durch eine romanhafte Biografie als "Indianerkämpfer" überhöht worden, später folgte die Figur des fiktiven Helden Leatherstocking in James Fenimore Coopers gleichnamiger Romanserie. Boone und Lederstrumpf fanden alsbald Gesellschaft in den Revolverhelden der Rancher- und Minenkriege (1865–1920) und den Kämpfern des Westens. Buffalo Bill Cody, Pat Garrett, Wyatt Earp, Billy the Kid und zahllose andere Helden gelangten so zu oft posthumer Popularität. Ihnen allen war ihr ambivalentes Verhältnis zu Zivilisation, Fortschritt und Nationalstaatlichkeit gemeinsam. Sie lebten als ungebundene Einzelgänger jenseits der Staatlichkeit und setzten eine Zivilisation durch, in der sie tragischerweise keinen Ort fanden. Durch Buffalo Bill Cody und seine Wildwest-Show, die selbst in Europa große Erfolge erzielte, wurde der "Wilde Westen" zum international akzeptierten Nationalmythos und ersetzte gewissermaßen Turners reale Grenze durch eine fiktive. Die USA wurden mithin als Nation staatsferner Individualisten charakterisiert, die aus eigener Kraft ihre Ziele erreichten.
Ähnlich popularisierte der Groschenromanautor Horatio Alger den Mythos from rags to riches, dem gleichfalls eine nationalintegrative, zivilisierende Funktion gegenüber Migranten zukam. Sozialer Aufstieg war, so die Botschaft, in einer kapitalistischen Demokratie einzig eigener harter Arbeit und Leistung geschuldet. Vom Staat war, anders als im Weltbild vieler Europäer, nichts zu erwarten. Die Nation, nicht der Staat schuf demnach die Rahmenbedingungen individuellen Sozialaufstiegs. Und wer scheiterte, war selbst schuld.
Gewalt und Whiteness
Die Gewalt der Nationalmythologien blieb nicht auf den Raum der Fiktion beschränkt, ganz im Gegenteil. Mit ihnen verband sich eine Form kriegerischer Männlichkeit, die deutlich belegt, wie intensiv Nationalismus und Debatten um Genderrollen miteinander verbunden sind.
Im Umfeld des Ersten Weltkrieges erreichte der amerikanische Nationalismus im Sinne eines exklusiven, weißen und protestantischen Nationsbegriffs einen Höhepunkt. Dem Konzept der whiteness kam dabei eine systemstabilisierende und identitätsstiftende Funktion zu, die fast wichtiger war als die des Protestantismus:
Die Variante des ethnisch homogenisierenden und völkisch-essentialistischen Nationalismus wurde durch zwei weitere Momente intensiviert: Zum einen kam 1895 Bewegung in die außenpolitische US-Interessenpolitik. Unter dem Stichwort des Anglosaxonism sowie angesichts des politischen und ökonomischen Drucks, der vom gerade gegründeten Deutschen Reich ausging, schlossen sich die USA und Großbritannien militärisch und diplomatisch nach Jahrzehnten bitterer Feindschaft enger zusammen. Dabei spielte die Zugehörigkeit zur als substantielle Einheit verstandenen angelsächsischen, teutonischen oder arischen "Rasse" eine entscheidende Rolle. Zum anderen gewann, auf der Basis der darwinistischen Evolutionslehre sowie des Sozialdarwinismus in der Soziologie, die Eugenik an Einfluss. Das 1910 eingerichtete Eugenics Record Office strebte programmatisch eine "Endlösung" der "Rassenfrage" durch eugenische Zwangsmaßnahmen wie etwa erzwungene Sterilisierungen an. Während evangelikale und fundamentalistische Protestanten dem Darwinismus und der Evolutionslehre skeptisch gegenüberstanden, zeigten sie gegenüber dieser Form des Rassismus aus Gründen nationaler Selbstvergewisserung keinerlei Bedenken.
Inklusiver Nationalismus
Tatsächlich war der essentialistisch-rassistische Nationalismus aber nur eine unter vielen Formen des homogenisierenden, assimilatorischen Nationalismus, der bis weit in liberale und linke Kreise reichte. Daneben bildete sich ab den 1880er Jahren eine alternative Weise heraus, die nationale Mythologie der USA zu interpretieren, nämlich eher inklusiv und universalistisch. Gerade die Migrationswellen der 1840er und 1870er bis 1910er Jahre hatten sowohl bei progressiven Intellektuellen, aber auch bei Arbeitgebern zur Einsicht geführt, die amerikanische Nation verdanke ihre Prosperität und Stärke der Integration, nicht der Exklusion.
Unter dem Schlagwort des melting pot wurde diese inklusive Form assimilatorisch, im Sinne einer Totalanpassung der Neuankömmlinge an die Vorgaben der weißen, angelsächsischen und protestantischen Gesellschaft gedeutet.
Die Diskussionen um nationale Identität und Nationalismus wurden ab dem Ersten Weltkrieg von zwei gegensätzlichen Positionen beherrscht – vom Wilsonian Internationalism einerseits und dem sogenannten Isolationismus andererseits. Woodrow Wilson war nicht nur der "Erfinder" des Slogans America First, sondern obendrein ein hartnäckiger Rassist. Aber außenpolitisch lehnte er den rassebasierten Imperialismus Theodore Roosevelts (Präsident 1901–1909) und anderer Anglosaxonists rundweg ab. Nach seinen Vorstellungen sollte die amerikanische Nation dazu beitragen, eine neue Weltordnung jenseits von mächtigen Reichen und Geheimdiplomatie einzurichten. Ihm schwebte ein System kollektiver Sicherheit auf der Grundlage selbstbestimmter Nationalstaaten vor, ökonomisch abgesichert durch die Freiheit der Meere und Freihandel. Institutionell plante er den Völkerbund als Instrument des Systems kollektiver Sicherheit, scheiterte aber an den Mehrheitsverhältnissen im Kongress. Unter seinem demokratischen Nachfolger Franklin D. Roosevelt (1933–1945) wurde dieser außenpolitische liberale Internationalismus dann in Gestalt der UN neu gedacht und immer enger mit universalistischen, inklusiven nationalidentitären Diskursen verknüpft.
Die mit dem New Deal verbundene Ordnung wiederum war eine neue Variante des liberalen, inklusiven Nationalismus, indem sie den Staat enger mit der Nation verkoppelte, als es bis dahin der Fall gewesen war.
Außenpolitisch mündete dies in einen weiterhin dem dualistischen Schema der "manichäischen Falle" verpflichteten interventionistischen Liberalismus – das heißt in einen Nationalismus, der sich im Kampf für die weltweite Akzeptanz individueller Freiheit und privatwirtschaftlicher Wirtschaftsweise zu militärischen Interventionen verpflichtet fühlte, wobei geostrategische Interessen durchweg mit liberalen Werthaltungen verknüpft waren. Innenpolitisch hingegen verband sich dieser Interventionismus mit Partizipationsforderungen ethnischer und anderer Minderheiten. Nachdem die Gleichberechtigung der Frauen mit der Einführung des Frauenwahlrechts 1920 einen massiven Schub erfahren hatte, erhoben nun auch Schwarze, Latinos und ab den 1960er Jahren zunehmend auch Minderheiten mit alternativen sexuellen Orientierungen Anspruch auf Teilhabe. Unter der Präsidentschaft von Lyndon B. Johnson (1963–1969) erreichten der liberale Messianismus nach außen und die sozialpolitische Interventionsstaatlichkeit nach innen mit dem Vietnamkrieg und den Reformen der Great Society ihren Höhepunkt.
Die Alternativen zum liberalen Pluralismus waren jedoch nie ganz verschwunden. In den 1920er Jahren hatten sich gerade bei den Republikanern die Anhänger des homogenisierenden und weiterhin staatskritischen Nationalismus zeitweise auf ganzer Front durchgesetzt.
Neue alte Nationalismen
Mit dem Außendruck durch den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg verlor der exklusive, isolationistische Nationalismus an Attraktivität. Der imperialistische Nationalismus der 1890er Jahre hatte diese wegen seiner hohen Kosten an Geld und Menschenleben bereits vor 1917 eingebüßt, weswegen in den 1960er Jahren der liberale, inklusive Nationalismus weithin alternativlos schien. Dann aber kamen die großen soziokulturellen Umbrüche der 1960er Jahre, die man gerne als Jugendrevolte interpretiert. Im Grunde aber handelte es sich um eine Art Verbundbewegung, in der sich der Protest gegen den Vietnamkrieg mit den Aufbrüchen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, der Frauenbewegung, der Homosexuellenbewegung und der Umweltbewegung verband. Dabei wurden auf den radikalen Flügeln all dieser Gruppen die universalistischen Wertegrundlagen des liberal-inklusiven Nationalismus zunehmend durch partikularidentitäre Ideen geleugnet. Erstmals in der Geschichte der USA wurden die fundamentalen Mythen und damit das gesamte nationale Selbstverständnis der USA als globale Erlösernation infrage gestellt. Nation und Nationalismus erschienen als aggressive Relikte einer durch und durch schuldbeladenen Vergangenheit.
Der konservative republikanische Präsident Ronald Reagan (1981–1989) versuchte, diesen Prozessen Rechnung zu tragen und revitalisierte in der Spätphase des Kalten Krieges die amerikanischen Nationalmythen, vor allem insofern sie sich auf Formen militärischer, individualistischer Männlichkeit beriefen. Zudem verknüpften er und sein Nachfolger George W. Bush (2001–2009) die Ideale des weißen, christlichen Nationalismus des 19. Jahrhunderts mit neoliberaler Staatskritik und dem liberalen Interventionismus der New Deal Order zu einer wirksamen, aber nicht sonderlich konsequenten Handlungseinheit. Teile der Demokraten, allen voran die Präsidenten Bill Clinton (1993–2001) und Barack Obama (2009–2017) folgten diesen Leitlinien, freilich mit stärkerer Betonung internationalistischer Momente. Solange dieser neue, neoliberale Mischnationalismus unter den Vorzeichen der Globalisierung ökonomische Erfolge zeitigte, funktionierte er auch – nicht zuletzt, weil mit dem islamistischen Terrorismus eine neue Form von Außendruck entstanden war, die aber im Vergleich zur Bedrohungssituation durch den Sowjetkommunismus allenfalls blass blieb.
Zuerst mit der Dotcom-Krise um 2000 und dann mit der Weltfinanzkrise ab 2008 offenbarten sich jedoch die Sollbruchstellen dieser einzig auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichteten Variante des neoliberalen Nationalismus. Von links (Occupy Wall Street) und rechts (Tea Party Movement) kam es zu scharfer Kritik an den Paradigmata der neoliberalen Globalisierung und ihrer sozialen Folgen für die USA. Besonders bei den Republikanern, die nach Reagan nicht mehr in der Lage waren, den radikalen libertären und nationalistischen Flügel ihrer Partei unter Kontrolle zu halten, gärte es. Die konservativen Parteieliten verloren ab den 1990er Jahren schrittweise die Kontrolle, indem sie versuchten, Nationalismus und Internationalismus gleichzeitig zu bedienen. Gleichzeitig büßten die Demokraten die Gefolgschaft der weißen Arbeiterschaft ein. Sie wandten sich einem überkommen geglaubten Nationalismus zu, der sich zur Dominanz von Christentum, traditionellen Geschlechterrollen und weißen Mittelklassewerten bekannte. Obendrein wuchs die Kluft zwischen Arm und Reich in einem Maße wie seit den 1880er und 1890er Jahren nicht mehr, was die Abstiegsängste ausgerechnet in den weißen Mittelklassen intensivierte und sie politisch radikalisierte.
Wie immer kam es dabei zu einer Neuaktivierung der etablierten nationalmythischen Traditionslinien. Der Staat wurde mehr als je zuvor als das Problem, nicht als die Lösung verstanden. Die Hoffnungen der neuen alten Nationalisten richteten sich mehr denn je auf die Macht der individuellen Freiheit. Genau diese Variante des Nationalismus vermochte und vermag Donald Trump als charismatische und medial erfahrene Führungsfigur zu bedienen, während sich die bis 2010 hegemonialen Formen des amerikanischen Nationalismus gegenwärtig in einer tiefen, womöglich existenziellen Krise befinden. Es mutet indes äußerst paradox an, dass ausgerechnet Trump als Führer dieses staatsfeindlichen, exklusiven und neoisolationistischen Nationalismus sich in seiner zweiten Amtszeit ausgerechnet der Semantik des Hochimperialismus zuwendet und sich über Executive Orders eine Machtfülle sichert, die Legislative und Judikative praktisch aushebelt. Im Grunde entkernt er sämtliche Varianten von Nationalismus und nationaler Identität, an die er rhetorisch appelliert.
Auch wenn MAGA-Gefolgsleute heute in der Regierung versuchen, die alten nationalidentitären Mythen gegenüber historischer Kritik jedweder Art zu immunisieren – die Inhalte der exklusiven, weißen und christlichen, partiell isolationistischen Tradition haben keinerlei Bedeutung mehr, und die Versuche des Verteidigungsministeriums, die kollektive Erinnerung an verdiente schwarze, weibliche oder indianische Veteranen auszulöschen, haben keinerlei Bezug zum konservativen Nationalismus früherer Zeiten. In der Trump-Regierung ist der Signifikant "Nationalismus" leer geworden, obwohl zunehmend der Staat, also die Bundesexekutive, den Anspruch erhebt, die Nation zu definieren. Das aber ist im Kern unamerikanisch.