Im Juni 2018, siebzehn Monate nach dem Beginn von Donald Trumps erster Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, kommentierte der ehemalige Außenminister und Doyen der US-Diplomatie Henry Kissinger: "Trump könnte eine jener historischen Figuren sein, die von Zeit zu Zeit auftauchen, um das Ende einer Ära zu markieren und diese zu zwingen, den alten Schein aufzugeben."
Wie mein Kollege Walter Russell Mead feststellte, erschüttert die Informationsrevolution den Westen so fundamental wie die Industrielle Revolution die Gesellschaften im 19. Jahrhundert.
Die Intensität dieses Sturms ist das Ergebnis zweier zusammenlaufender Entwicklungen. Da ist zum einen die Deindustrialisierung. Nach dem Kalten Krieg schuf der Westen ein Netz aus Institutionen und Initiativen, bekannt als Washington-Konsens, um den Liberalismus rund um den Globus voranzubringen. Während drei der vergangenen vier Jahrzehnte ist es diesem System jedoch nicht gelungen, die politische Grundherausforderung des 21. Jahrhunderts zu lösen: Wie können sich freie und offene Gesellschaften gegen Akteure schützen, die ihnen von innen heraus schaden wollen? In den 2000er Jahren bezog sich diese Fragestellung vor allem auf den internationalen Terrorismus, neuerdings wird sie auch mit der Volksrepublik China in Verbindung gebracht. Die Kritik, dass liberale Institutionen wie die Welthandelsorganisation das Erstarken einer doppelzüngigen Volksrepublik erleichtert haben, statt es zu verhindern, ist in den USA heute sehr verbreitet. Seit sie zur Supermacht aufgestiegen ist, hat die Volksrepublik die Fertigungswirtschaft Amerikas niedergerissen und sein industrielles Herzland ausgehöhlt.
Zum anderen erlebt die Welt revolutionäre Veränderungen, wie Informationen verbreitet werden. Die Demokratisierung der Informationsverbreitung durch Social-Media-Plattformen hat neuen Stimmen, und so auch den Kritikern des liberalen Systems, eine Möglichkeit gegeben, den Status quo herauszufordern. Diese Stimmen haben die traditionellen Medien aufgemischt, die ihrerseits Fehler begingen. Im Laufe der Zeit begannen viele Amerikaner, die etablierten Medien mit ideologischem Liberalismus zu verbinden. So wurde 2024 der Kommentar von JD Vance, dass man das "ganze Projekt [der liberalen Ordnung] überdenken" müsse, bei seinem Aufstieg vom Senator zum Vizepräsidenten eher für politisches Kapital als für einen Makel gehalten.
Natürlich ist es möglich, dass diese Verschiebungen überbewertet werden. Viele politische Anführer in den USA, die der Republikanischen Partei inbegriffen, betrachten die Bretton-Woods-Institutionen und die NATO weiterhin als wichtige Bestandteile der amerikanischen Machtausübung. Doch die US-Außenpolitik wird zunehmend transaktional und nationalistisch und weniger wertebasiert und multilateral. Dieser Trend hat sieben Folgen für Europa.
Folgen für Europa
Erstens sollte Europa nicht auf uneingeschränkte amerikanische Unterstützung für das Projekt der europäischen Integration zählen. In Bereichen, von denen die USA glauben, dass die EU wirtschaftliche Interessen Amerikas voranbringen oder behindern könnte, wird Washington sich engagieren. In Bereichen, in denen die gemeinsame EU-Politik unterentwickelt ist, wie in der Außen- und Sicherheitspolitik, dürfte Washington wenig Interesse an Brüssel zeigen. Ende Februar 2025 lehnte US-Außenminister Marco Rubio es ab, Kaja Kallas zu treffen, die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, nachdem diese bereits nach Washington gereist war, und schrieb die Entscheidung "Termingründen" zu. Die neue Trump-Regierung wird Europa weniger als einheitlichen Akteur betrachten, sondern mehr als ein Mosaik aus Nationalstaaten mit verschiedenen Interessen und Prioritäten, von denen viele oft miteinander konkurrieren.
Zweitens kann Europa die gemeinsam erbrachten Opfer früherer Zeiten nicht nutzen, um das transatlantische Bündnis von heute zu rechtfertigen. Es ist wahrscheinlicher, dass Präsident Trumps Wahrnehmung des transatlantischen Bündnisses von seinem Frust über Europas Trittbrettfahrertum und Handelsüberschuss gefärbt ist als von irgendwelchen Verweisen auf die Vergangenheit. Allerdings gibt es Ausnahmen: Trumps Affinität für das Vereinigte Königreich, seine Zuneigung zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron und seine Wertschätzung von Polens Verteidigungsausgaben bieten Europa Anknüpfungspunkte. Doch Trump ist entschlossen, die transatlantischen Beziehungen zugunsten der Vereinigten Staaten umzugestalten. Was zählt, ist das Hier und Jetzt – und das, wozu die europäischen Nationen bereit sind, um etwas ins Gleichgewicht zu bringen, was Trump für eine einseitige Beziehung hält.
Drittens sollte Europa von Präsident Trump nicht die Sprache der soft power erwarten. In Anbetracht seiner Vorliebe für Marketing dürfte es überraschend klingen, dass der Präsident wenig dafür übrighat. Nach seinem Verständnis der Welt werden Länder angetrieben von nationalen Interessen und nicht von einem altruistischen Pflichtgefühl gegenüber einem wertebasierten Bündnis. Innerhalb der ersten sechs Wochen seiner Amtszeit hat Trump treue Verbündete wie Kanada und Dänemark in Aufruhr gebracht und wichtige Partner wie Mexiko und die Ukraine verärgert. Ob diese Länder von seinem Verhalten irritiert oder empört sind, ist für ihn belanglos. Seiner Meinung nach wird ihr Handeln von einer nüchternen Betrachtung nationaler Interessen bestimmt.
Viertens muss sich Europa mit der Tatsache abfinden, dass es nicht länger das Primum Mobile globaler Angelegenheiten ist, das den maßgeblichen Ausschlag für entscheidende Veränderungen gibt. Präsident Trump glaubt nicht an europäischen Exzeptionalismus. In seinem Denken ist Europa bei Weitem nicht das Kernstück der amerikanischen grand strategy. Stattdessen widmet die Trump-Regierung der westlichen Hemisphäre und Ostasien mindestens genauso viel Zeit und Anstrengung wie Europa. Tatsächlich verstärkt Europas Bedeutung als Ursprung ausländischer Direktinvestitionen und starker Handelspartner lediglich die Sicht der Trump-Regierung, dass der Kontinent reich genug ist, um die meisten seiner Sicherheitsprobleme selbst zu lösen. Wie Trump Anfang März 2025 signalisierte, wird seine Regierung im Blick behalten, welche Länder ihr Ziel bei den Verteidigungsausgaben erreichen und welche weiter hinterherhinken. Das bedeutet nicht, dass die USA die NATO direkt verlassen werden, aber es stellt sich die Frage nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages, der sogenannten Beistandsklausel.
Fünftens sollte Europa erkennen, dass Präsident Trump fest entschlossen ist, als Friedensstifter in die Geschichte einzugehen. Seine Regierung lässt keine Gelegenheit aus, um über die Bedeutung von Frieden zu sprechen. Wie Trump in seiner Antrittsrede am 20. Januar 2025 sagte, möchte er, dass sein Vermächtnis definiert werde von "den Kriegen, die wir beenden, und vielleicht am wichtigsten, den Kriegen, in die wir gar nicht erst geraten".
Sechstens sollte sich Europa darauf vorbereiten, dass die USA ihre Beziehungen zu Russland wiederherstellen. In den vergangenen Jahren sahen diejenigen, die nun auf höchster Ebene der Trump-Regierung dienen, mit Entsetzen zu, wie Russland und die Volksrepublik China begannen, gemeinsam Einfluss auf die eurasische Landmasse auszuüben. "Das Einzige, was man niemals will, ist, dass Russland und China sich vereinen", sagte Trump auf seiner Wahlkampftour im November 2024. "Ich werde sie ent-einen müssen, und ich denke, dass ich das auch kann. Ich muss sie ent-einen."
Siebtens sollte die EU erkennen, dass die USA frustriert sind vom europäischen Opportunismus. Trumps Feindseligkeit gegenüber der EU leitet sich zum Teil von der Tatsache ab, dass Europa groß genug ist, um sich in ökonomischen Angelegenheiten gegenüber den USA unflexibel zu zeigen, während es in der militärischen Arena von Washington abhängig bleibt. Oftmals schließt sich der Kontinent zu einem Block zusammen oder spaltet sich aufgrund nationaler Interessen, je nachdem, was ihm in seinen Beziehungen zu den USA am besten dient. Das geht Trump auf die Nerven – während sich seine asiatischen Partner den USA gegenüber flexibler verhalten und dabei weniger moralisieren.
Was Europa tun kann
Während jeder einzelne dieser sieben Punkte in Europa für Fassungslosigkeit sorgen mag, stellen sie zusammengenommen den Kontinent vor eine neue Ära. Der Hinweis, dass jede Veränderung auch neue Möglichkeiten mit sich bringt, ist zwar abgedroschen – aber je früher Europa sein Playbook für die anstehende Ära aktualisiert, desto besser wird es ihm ergehen.
Erstens sollte Europa Wertschätzung für die US-amerikanische Unterstützung zeigen. Das heißt nicht, dass Kriecherei gefragt ist. Bisweilen findet jedoch ein sanfter Antiamerikanismus, der unter europäischen Eliten in Mode ist, seinen Weg in den X-Feed ranghoher US-Regierungsbeamten. Und in der Welt sozialer Medien können selbst Randbemerkungen oder beiläufige Kommentare leicht zu viralen Posts manipuliert werden. Einer nationalistischen und populistischen US-Regierung, die sich auf innere Angelegenheiten konzentriert und empfindlich auf Kränkungen reagiert, werden Sticheleien ranghoher Europäer gegen den Strich gehen.
Zweitens sollte Europa anbieten, sich mit den USA bei konkreten Friedensinitiativen zusammenzuschließen. Es könnte solche Angebote in Konflikten jenseits der Ukraine machen, etwa bei den laufenden Verhandlungen zwischen Aserbaidschan und Armenien. Europa sollte tun, was in seiner Macht steht, um diese Gespräche zu fördern, indem es sich mit Washington abstimmt und auf diesem Wege Einfluss auf Schlüsselbeamte zu nehmen versucht. Darüber hinaus kann Europa den Zugang, den Führungsfiguren wie die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zur Trump-Regierung gewonnen haben, nutzen, um eine transatlantische Brücke in der Ukraine-Politik zu bauen. In der ersten Amtszeit Trumps schmeichelten sich die mittel- und osteuropäischen Länder durch eine Kombination aus schneidigem Nationalismus, proamerikanischen Haltungen und erhöhten Verteidigungsausgaben bei republikanischen Anführern ein. Von Polen über Litauen bis hin zur Tschechischen Republik sind diese Länder in einer guten Position, um die US-Politik zu beeinflussen, wenn sie ihren Rat konstruktiv einbringen, auch mit Blick auf den Krieg in der Ukraine.
Drittens könnte Europa hochrangige Wirtschaftsdiplomatie mit den USA in Betracht ziehen. Da Trump die Welt durch die Augen eines Geschäftsmanns betrachtet, sind es vor allem ausländische Direktinvestitionen, die das Weiße Haus beeindrucken – und hochrangigen Europäern begehrte Zeit im Terminkalender des Präsidenten sichern können. Im Gegenzug können solche Ankündigungen Europa helfen, die Beziehungen zu den USA zu verbessern und eine Dynamik in Gang zu setzen, die sich längerfristig auszahlen könnte.
Viertens sollte Europa das Wirtschaftswachstum gegenüber sozialen Ausgaben priorisieren. Europa riskiert, in kritischen Technologien, die die Zukunft der globalen Ordnung bestimmen werden – von künstlicher Intelligenz bis zu Quantencomputern –, weiter hinter die USA (und China) zurückzufallen. Statt diese Technologien durch den Binnenmarkt zu regulieren, sollte Europa eine Politik verfolgen, die es dem Kontinent erlaubt, hier voranzugehen. Ohne Innovation wird Europa in der Bedeutungslosigkeit versinken. Um den Respekt und die Aufmerksamkeit der USA zu gewinnen, müssen die Länder Europas ihre wirtschaftliche Leistung steigern.
Fünftens müssen die Länder Europas ihre Defizite bei der Verteidigung angehen. Es liegt nahe, dass Europa selbstständiger und weniger abhängig von den Vereinigten Staaten werden möchte. Gleichzeitig ist Europa nicht in der Lage, die amerikanische Rüstungsindustrie auf absehbare Zeit zu ersetzen. Im Segment der Artillerieraketen produziert zum Beispiel kein europäisches Land außer der Türkei Mehrfachraketenwerfersysteme. Europa verfügt zudem über keinen Ersatz für amerikanische Luft- und Raketenabwehrsysteme. Noch schlechter ist es um die europäischen Verteidigungsfähigkeiten mit Blick auf die Kriegführung der nächsten Generation bestellt, sei es in Weltraumtechnologien oder bei Überwachung und Aufklärung. Wenn Europa die Rüstungsindustrie der USA in diesen Bereichen unterstützt, erhält es nicht nur Beifall aus dem Weißen Haus, sondern hilft sich selbst.
Sechstens: Während die USA versuchen, einen Keil zwischen Russland und die Volksrepublik China zu treiben, sollte Europa sich darauf vorbereiten, einer Charmeoffensive aus Beijing zu widerstehen. Heute gibt es drei ökonomische Zentren auf der Welt: Nordamerika, Europa und Ostasien. Kissingers triangular diplomacy lehrt uns, dass man in solch einer Welt besser zu zweit ist als allein. Europäische Beamte sollten ihren amerikanischen Amtskollegen verdeutlichen, dass die Volksrepublik versuchen wird, jeden Riss in den transatlantischen Beziehungen auszunutzen, um Europa im sino-amerikanischen Wettbewerb zu neutralisieren. Beijing wird Europa anbieten, Einfluss auf Moskau auszuüben, sofern im Gegenzug chinesisches Fehlverhalten geduldet wird. Wenn Europa Washington bei diesem Thema klug einbezieht, kann es amerikanischen Entscheidungsträgern die weitergehenden strategischen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine und der Unterstützung seitens der NATO verdeutlichen. Die USA sollten Europa an ihrer Seite haben wollen.
Siebtens hat Europa die Gelegenheit, in die Lücke zu stoßen, die durch Amerikas Reduzierung von Auslandshilfen in Europa und im globalen Süden verursacht wurde. Während der ersten Wochen im Amt hat die Trump-Regierung ihre Entwicklungsprogramme drastisch gekürzt und die entsprechenden Institutionen auf den Kopf gestellt. Dies könnte Europa wirtschaftliche Möglichkeiten bieten. Außerdem könnte europäische Unterstützung in Grenzstaaten wie der Republik Moldau dort anknüpfen, wo die US-Hilfe zurückgefahren wird, und seine Unterstützung als eine Alternative zu dem schädlichen Einfluss von Beijing und Moskau sowie als Zeichen transatlantischer Lastenteilung präsentieren.
Achtens sollte Europa möglicherweise proaktive Empfehlungen in Betracht ziehen, um Entscheidungen der Trump-Regierung zuvorzukommen, US-Truppen aus Europa abzuziehen. Es liegt nahe, dass die USA im Rahmen einer umfassenden strategischen Neubewertung die konventionellen Truppen auf dem Kontinent reduzieren werden. Gleichzeitig hat Washington nur wenig über seine Vereinbarungen zur nuklearen Teilhabe verlautbaren lassen. Um die Abschreckung zu verstärken, könnten europäische Staaten versuchen, die Trump-Regierung dazu zu bewegen, einen Truppenabzug mit einer Aktualisierung der nuklearen Teilhabe der NATO zu verknüpfen, mit einem besonderen Augenmerk auf Mittel- und Osteuropa. Es ist durchaus denkbar, dass Polen eine Stationierung von US-Atomwaffen auf seinem Gebiet begrüßen würde.
Neuntens sollte Europa von Japan lernen. In den 1970er Jahren sah Japan dabei zu, wie die USA ihre Unterstützung von der Republik China (Taiwan) hin zur Volksrepublik China verlagerten. Während Europa am Ende des Kalten Krieges den Sieg der liberalen Demokratie feierte, erkannte Asien, dass die US-Außenpolitik nicht moral- sondern interessengeleitet ist. Dies brachte Tokyo dazu, eine gezielt pragmatische Herangehensweise gegenüber Washington zu entwickeln. Noch vor Präsident Trumps zweiter Amtseinführung versuchte Japan mit der neugewählten Regierung über konkrete Ideen für die Zusammenarbeit zu sprechen, ehe Premierminister Shigeru Ishiba im Februar 2025 das Weiße Haus besuchte. Während der zweiten Amtszeit Trumps sollten sich die Anführer Europas ein Beispiel an Shinzō Abe und Shigeru Ishiba nehmen statt an Angela Merkel und Olaf Scholz.
Zum Handeln gezwungen
Die zweite Trump-Regierung erschüttert Europa in seinen Grundfesten. Doch das transatlantische Bündnis kann überleben. Mit einer proaktiven Herangehensweise hat Europa die Chance, seine Länder von US-Protektoraten zu vollwertigen Partnern zu machen. Im Mittelpunkt dieser Bemühungen sollte der Krieg in der Ukraine stehen.
Russlands Überfall auf die Ukraine hat die drängendste Krise verursacht, der Europa gegenübersteht. Ob es Putin gelingt, die Ukraine zu unterwerfen, sei es durch direkte militärische Eroberung oder durch hybride Mittel, wird davon abhängen, inwieweit Europa darauf vorbereitet ist, Kyjiw zu unterstützen. Indem er auf Gespräche drängt, zwingt Trump Europa dazu, sich seinen Schwächen zu stellen, ehe Russland eine militärische Konfrontation mit einem NATO-Mitgliedstaat vom Zaun bricht.
Zu viele westliche Anführer haben sich hinter hoffnungsvollen Worten über eine zukünftige NATO-Mitgliedschaft der Ukraine versteckt. Dies schürte Erwartungen in Kyjiw, selbst als die USA und Deutschland sich in der Ablehnung solch eines Schrittes einig waren. Nun ist der Moment gekommen, in dem Europa harten Entscheidungen gegenübersteht, ob es willens und fähig ist, bei der Verteidigung der Ukraine die Führung zu übernehmen. Ein guter erster Schritt für die Großmächte Europas bestünde darin, auf die Beschlagnahmung eingefrorener russischer Vermögenswerte zu drängen, die fast vollständig unter europäische Gerichtsbarkeiten fallen.
Als nächstes sollte Europa seine politische Struktur einer kritischen Prüfung unterziehen. Aktuell wird die NATO von den USA dominiert, während Europa von einem mühsamen konsensorientierten Prozess der Entscheidungsfindung gebremst wird. Indem er Europa der Macht Russlands ausgesetzt hat, ohne das amerikanische Engagement auf dem Kontinent ganz zu beenden, hat Trump Europa zum Handeln gezwungen. Aber die USA haben sich nicht so weit zurückgezogen, dass die historischen Rivalitäten des Kontinents in einen offenen Konflikt münden. Dies gibt den Führungsmächten Europas die Gelegenheit, eine "Koalition der Willigen" zu bilden, die Abschreckung losgelöst von Washington schaffen kann. Nichts davon legt nahe, dass Europa das transatlantische Bündnis aufgeben sollte, das für seine Sicherheit unentbehrlich bleibt. Doch es sollte kreativ darüber nachdenken, wie es die kontinentale Verteidigung stärkt. Solch ein Vorhaben wäre Kissinger würdig – und der neuen Ära, in die wir nun eingetreten sind.
Aus dem Englischen von Maximilian Murmann, München.