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New Work zwischen Entgrenzung und Empowerment | bpb.de

New Work zwischen Entgrenzung und Empowerment

Hans-Jürgen Urban

/ 14 Minuten zu lesen

Die digitalisierte sowie orts- und zeitflexible Arbeit trägt Rationalisierungs- und Humanisierungspotenziale in sich. Soll die Humanisierung der Arbeit ausgeschöpft werden, müssen neue Rechte der abhängigen Arbeit und arbeitspolitische Gestaltungskonzepte ineinandergreifen.

Der Begriff "New Work" ist in aller Munde. Dabei ist New Work kein exakt definierter Terminus technicus. Vielmehr kann er in der aktuellen Debatte als Chiffre für alles verstanden werden, was neu an der Arbeit der Zukunft sein oder vermutet wird, und zugleich für das, was neu sein soll. Somit findet New Work als analytischer, prognostischer und zugleich als normativer Begriff Anwendung.

Begriffshistorisch geht der Terminus "New Work" auf den Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurück. Er stellte ihn in das Zentrum seiner Anthropologie und Sozialtheorie. In dieser formulierte Bergmann das Zielbild einer befreiten (Erwerbs-)Arbeit, in der die Menschen nur das verrichten, "was sie wirklich, wirklich wollen." Das Ziel der Neuen Arbeit bestehe nicht darin, "die Menschen von der Arbeit zu befreien, sondern die Arbeit so zu transformieren, damit sie freie, selbstbestimmte, menschliche Wesen hervorbringt." Die Konzepte von New Work in den gegenwärtigen arbeitswissenschaftlichen und politischen Debatten haben sich zumeist vom sozialutopischen Gehalt der bergmannschen Ideen entfernt. Das Institut für angewandte Arbeitswissenschaft begreift New Work als einen "Sammelbegriff für Konzepte und Maßnahmen zur Gestaltung zukunftsfähiger, wertschöpfender und sinnstiftender Arbeit sowie deren Bedingungen und Umgebungen." Die Fraunhofer-Gesellschaft definiert New Work als eine "erwerbsorientierte Arbeit mit einer Arbeitsweise, die durch ein hohes Maß an Virtualisierung von Arbeitsmitteln, Vernetzung von Personen, Flexibilisierung von Arbeitsorten, -zeiten und -inhalten gekennzeichnet ist." Und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände fordert unter dem Stichwort "New Work" die Verkürzung der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten zwischen Ende und Beginn der Arbeit, die Verschiebung der Höchstarbeitszeit auf die wöchentliche statt auf die tägliche Arbeitszeit sowie die Option, die Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit auf die Beschäftigten delegieren zu können.

In den folgenden Ausführungen ist unter New Work oder Neuer Arbeit eine Erwerbsarbeit zu verstehen, die auf der Grundlage digitalisierter Arbeits- und Kommunikationsmittel an Orts- und Zeitflexibilität gewinnt und die sich oftmals in einer neuen, freilich interessenpolitisch umkämpften Arbeitskultur entwickelt. Dabei richtet sich der Blick aus der Interessenperspektive der abhängig Arbeitenden auf Möglichkeiten und Gefahren der Neuen Arbeit, um Elemente einer arbeitskraftzentrierten Gestaltungspolitik zu skizzieren. Im Vordergrund steht das Modell des Homeoffice als eine dominante Form digitalisierter und mobiler Arbeit. Homeoffice kann in der Sozialform der abhängigen Beschäftigung innerhalb der Arbeits- und Sozialverfassung, aber auch als soloselbstständige Arbeit im Rahmen von Click- und Crowdworking in der Plattformökonomie organisiert sein.

Verwilderung der Arbeitsbeziehungen

Die folgenden Überlegungen beruhen auf der Diagnose, dass sich die Umbrüche in der Arbeit im Kontext der allgemeinen Veränderungsdynamiken des Gegenwartskapitalismus vollziehen. Vielfach diagnostizierte Restrukturierungs-, Digitalisierungs- und De-Lokalisierungsprozesse werden als Facetten des Übergangs vom nationalen Wohlfahrtsstaatskapitalismus zum globalen Finanzmarktkapitalismus gefasst. In der so eingeleiteten neuen Periode der Erwerbsarbeit bringen Digitalisierung und De-Lokalisierung soziale Arbeitskonflikte hervor, die sich außerhalb der Arbeits- und Sozialverfassung und ihren arbeits- und sozialrechtlichen Standards vollziehen; oder sie bewegen sich innerhalb der Arbeitsbeziehungen, unterlaufen aber etablierte Regeln zu Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten.

Diese Entwicklung ist soziologisch als Verwilderung der Arbeitsbeziehungen beschrieben worden. Die Verwilderungsthese besagt, dass nicht die Technik, sondern machtbasierte Transformationskonflikte über die Entwicklungsrichtung von Arbeit und Arbeitsbeziehungen im kapitalistischen Formationswechsel entscheiden und dass diese Konflikte durch ökonomische und technologische Dynamiken sowie gesellschaftliche Kräfteverhältnisse geprägt werden. Dabei erzeugt die finanzmarktkapitalistische Restrukturierung mit ihrem Rentabilitäts- und Produktivitätsdruck ein ungünstiges Milieu für die Entfaltung der Humanisierungspotenziale, die der Digitalisierung der Arbeit durchaus innewohnen, etwa in Form von geringeren Arbeitsbelastungen und gesundheitlichen Verschleißerscheinungen oder von Qualifikationszuwächsen und Autonomiespielräumen.

Die Verwilderungsanalyse richtet den Blick zum einen auf Beschäftigungsverhältnisse, die sich außerhalb der Institutionen der Arbeitsbeziehungen etablieren (externe Verwilderung). Typische Beispiele hierfür sind Click- und Crowdworking, die sich in der Sozialform der Soloselbstständigkeit in der digitalen Plattformökonomie entwickeln. Plattformarbeit kann als standardisierte Routinearbeit (zum Beispiel Textproduktion oder Datenauswertung bei Umfragen) oder als kreative Arbeit im Designbereich sowie beispielsweise als innovative IT-Arbeit geleistet werden. Die Auslagerung von Aufgaben durch Crowdsourcing und/oder die Überführung von Beschäftigten in den Status der Selbstständigkeit bedeutet die Verschiebung der Arbeits- und Sozialverfassung in andere Rechtsräume. Erhebliche Verschlechterungen wesentlicher Sozialstandards sind häufig die Folge.

Die Verwilderungsanalyse erfasst aber auch soziale Konflikte, die sich innerhalb der institutionellen Arbeits- und Sozialverfassung und damit in Arbeitsverhältnissen mit einem gewissen arbeits-, tarif- und sozialrechtlichen Schutz abspielen (interne Verwilderung). Von besonderer Bedeutung sind hier Konflikte um die Regulierung von Leistungsbedingungen, den Schutz der psychischen Gesundheit und die Arbeitszeit. Gerade in diesen Bereichen prallen die Folgen verschärfter Produktivitätsvorgaben auf die gestiegenen Ansprüche der Beschäftigten nach Leistungsgerechtigkeit und sozialer Anerkennung. Mit dem Einsatz digitaler Arbeitsmittel verstärken sich, zum Teil differenziert nach Qualifikation und Arbeitssituation, die Belastungsfaktoren wie Arbeitsintensität, Zeitdruck und Anforderungsprofile. Digitaler oder technikbedingter Stress nehmen vor allem durch intensivierte und häufig gestörte Arbeit zu – dies umso mehr, je länger und flexibler die Arbeitszeiten sind.

Neue Regeln für die neue Arbeitswelt

Es ist also davon auszugehen, dass die Verwilderung der Arbeitsbeziehungen die Aktivierung der humanisierungspolitischen Potenziale erschwert. Zugleich sind neue Gefahren für die Gesundheit und Lebensqualität der orts- und zeitflexibel Arbeitenden offensichtlich. Dabei spielt offenbar die Existenz oder das Fehlen von Schutz- und Partizipationsrechten der Betroffenen eine wichtige Rolle. "Nach aktuellem Forschungsstand ist (…) festzuhalten, dass Arbeit von zuhause ohne konkrete betriebliche Vereinbarungen mit durchschnittlich höheren Anforderungen und einem größeren Risiko der negativen Beanspruchungsfolgen einhergeht." Mit Blick auf die Arbeit im Homeoffice lassen sich einige Konfliktachsen und -inhalte benennen, die für eine arbeitskraftzentrierte Regulierung von New Work wichtig sind.

Orts- und Zeitsouveränität

Ein wesentliches Regulierungsziel sollte die Sicherung einer möglichst weitreichenden Orts- und Zeitsouveränität der Beschäftigten sein. Arbeitswissenschaftliche Forschungen zeigen, dass nicht das Homeoffice an sich, sondern vor allem die Entscheidungsbefugnis der Beschäftigten über Einsatz und Dauer des Homeoffice die Arbeitszufriedenheit erhöht. Sie zeigen zugleich, dass sich unfreiwillige Arbeit von zu Hause negativ auf die Beschäftigten auswirkt, da viele Beschäftigte nicht über die räumlichen Voraussetzungen, etwa ein geeignetes Arbeitszimmer, verfügen. Es zeigt sich, dass Selbstbestimmungsrechte für die Qualität von New Work von großer Bedeutung sind. Sie müssen etwa Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Häufigkeit und Dauer von Homeoffice-Arbeit umfassen, einschließlich des Rechts auf eine frei gewählte Rückkehr in den Betrieb. Sie können durch Ziehungsrechte abgesichert werden, die den Beschäftigten das Recht einräumen, den Arbeitsort innerhalb des Arbeitsverhältnisses möglichst flexibel und anlassbezogen sowie nach eigenen Bedürfnissen zu wählen. Da Kollisionen mit Ansprüchen der Arbeitgeber, aber auch anderer Beschäftigter absehbar sind, sollten Ziehungsrechte in kollektive Vereinbarungen wie Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge eingebunden werden. Diese sollten in Mitbestimmungsverfahren unter Beteiligung von Beschäftigten, Betriebs- und Personalräten sowie Gewerkschaften vereinbart werden.

Aber nicht nur der externe Arbeitsplatz, sondern auch die verbleibende Arbeit im Betrieb bedarf arbeitspolitischer Aufmerksamkeit. Nicht selten korrespondiert Homeoffice mit einer weitreichenden Neuorganisation der betrieblichen Büro- und Wissensarbeit. Begriffe wie Modern Workspaces oder -places, Desksharing und hybride Teams stehen für Konzepte des Raummanagements, in denen Arbeitsabläufe neu strukturiert und feste Arbeitsplätze abgeschafft werden. Diese Konzepte zielen darauf ab, neue Motivations- und Produktivitätspotenziale bei den Beschäftigten zu aktivieren, aber auch Miet- und Arbeitsmittelkosten zu senken. Für die Beschäftigten beginnt der Arbeitstag nicht selten mit der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz im Betrieb. Arbeitsplatzsuche unter Zeitdruck, unzureichende ergonomische Ausstattung, Lärmbelastung in Großräumen und Störungen beim konzentrierten Arbeiten werden zu Gesundheitsrisiken mobiler Büroarbeit im Betrieb. Problemgerechte Raum- und Arbeitsorganisationskonzepte müssen diesen Risiken entgegenwirken.

Soziale Mindeststandards

Die Sicherung sozialer Mindeststandards ist insbesondere bei der Soloselbstständigkeit auf und mit Onlineplattformen ein zentrales Regulierungsfeld. Dabei geht es um Rechte auf Entlohnung für geleistete Arbeit. Und zwar auch dann, wenn das Arbeitsangebot nicht oder nicht in vollem Umfang angenommen wird. Da diese Arbeit in der Regel auf der Basis von Werk- und Dienstverträgen geleistet wird, greifen arbeits- und sozialrechtliche Regelungen, die etwa Gegenstand des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes sind, kaum. Auch deshalb sind die Kontakte zwischen Crowdworkern und Gewerkschaften bislang eher lose. Dennoch sind Aktivitäten der Annäherung zu beobachten. Zu diesen gehört etwa die Internetplattform Externer Link: http://www.faircrowdwork.org der IG Metall, auf der sich digitale Arbeiter:innen vernetzen und umfassende Beratung in sozialen Fragen erhalten können. Ziel dieses Kommunikations- und Kooperationsangebots ist es nicht zuletzt, der im Bereich Crowdwork weit verbreiteten sozialen Isolation entgegenzuwirken.

Zur sozialen Absicherung selbstständiger Plattformarbeit könnte der Ausbau der Sozialversicherungssysteme zu Erwerbstätigenversicherungen mit Versicherungsschutz für alle Erwerbstätigen beitragen. Denkbar wären auch die Schaffung eines eigenen Rechtsraumes und der Aufbau einer neuen Institution. Diskussionswürdig sind Vorschläge zur Ergänzung der Sozialversicherungssysteme durch ein Modell der "Digitalen Sozialen Sicherheit" (DSS). Es sieht vor, "direkt in die Plattformen einen digitalen Mechanismus zu implementieren, der mit jeder Beendigung eines Jobs einen bestimmten Prozentsatz des vereinbarten Entgelts auf das DSS-Konto des Plattformarbeiters überweist." Dabei geht es um ein digitales System persönlicher Konten, auf denen sich die Beiträge aus allen Plattformaufträgen ansammeln könnten.

Schutz vor Entgrenzung

Zahlreiche Studien belegen bei orts- und zeitflexibler Arbeit einen starken Trend zur Entgrenzung der Arbeitszeit, zur Vermischung von Arbeits- und Lebenszeit und den damit verbundenen gesundheitlichen Belastungen. Zwar werden etwa die bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, der Wegfall von Pendelzeiten sowie größere Spielräume bei der selbstbestimmten Planung und Gestaltung der Arbeit als Vorteile der Arbeit von zu Hause geschätzt. Gleichzeitig werden im Homeoffice aber auch häufiger als sonst übergriffige Erreichbarkeitserwartungen von Vorgesetzten beklagt, und die Probleme, in der arbeitsfreien Zeit abzuschalten, nehmen zu. Von besonderer Bedeutung wären hier Vereinbarungen über Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit, das Recht des Arbeitgebers auf Erreichbarkeit sowie spiegelbildlich das Recht des Arbeitnehmers auf Nichterreichbarkeit. Dass dies nur auf der Grundlage einer entsprechenden Dokumentation der Arbeitszeiten möglich ist, sollte selbstverständlich sein.

Darüber hinaus zeigen Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis, dass Homeoffice mitunter nicht die Alternative zur Arbeit im Betrieb ist, sondern eine Form der Mehrarbeit nach Ende der regulären Arbeitszeit, um das anfallende Arbeitsvolumen bewältigen zu können. Auch hier ist darauf hinzuweisen, dass mögliche Gefährdungen durch orts- und zeitflexibles Arbeiten in die vom Arbeitgeber durchzuführende Gefährdungsbeurteilung (§5 ArbSchG) einzubeziehen sind. Dazu gehören physische und psychische Belastungsfaktoren ebenso wie Fragen der Arbeitszeit, der Arbeitsorganisation und der sozialen Beziehungen. Empirische Studien zur Verbreitung von Gesundheitsgefährdungen zeigen hier eklatante Defizite in den Betrieben. Ein Zustand, der weder juristisch noch arbeitspolitisch akzeptabel ist.

Arbeitspolitische Flankierung

Die skizzierten Maßnahmen können dazu beitragen, das institutionelle Setting der Arbeitsbeziehungen auf die Potenziale und Risiken der Neuen Arbeit anzupassen. Eine gelingende Rechtssetzung allein garantiert aber noch nicht ihre Wirksamkeit. Arbeits- und Sozialrechte bedürfen auch arbeitsorganisatorischer und arbeitskultureller Flankierungen, wenn ihre Wahrnehmung nicht an der Realität kapitalistischer Rentabilitäts- und Produktivitätszwänge scheitern soll.

Reale Arbeitsautonomie

Die arbeitssoziologische Forschung verweist seit geraumer Zeit auf mitunter subtile, arbeitsorganisatorische oder unternehmenskulturelle Mechanismen der Verhaltensbeeinflussung der Beschäftigten. Mit Begriffen wie "indirekte Steuerung", "interessierte Selbstgefährdung" oder "kontrollierte Autonomie" werden Methoden der Personalführung erfasst, die durch die Gestaltung der Rahmenbedingungen der Arbeit Einfluss auf die Wertorientierungen und Verhaltensweisen der Beschäftigten nehmen. Nicht die Anweisung der Vorgesetzten, sondern der an die Beschäftigten weitergegebene Markt- und Kundendruck erzwingt überlange oder überintensive Arbeitsleistungen. Oder die Beschäftigten werden über Unternehmenskulturen beziehungsweise Corporate Identity in Normmuster eingebunden, in denen ihre arbeitsinhaltlichen Ansprüche unternehmenskompatibel kanalisiert werden und Leistungsbereitschaft ohne Gegenleistung als Teil des betrieblichen Arbeitsethos erwartet wird. Erzwungen beziehungsweise erwartet wird ein extraproduktives Arbeitsverhalten, das die Arbeitsleistung über die arbeitsvertragliche Verpflichtung hinaus möglichst auf Dauer stellt.

Auch in der neuen Arbeitswelt werden Unternehmen, die einem harten Marktwettbewerb ausgesetzt sind, dazu neigen, partizipative Elemente zur Kostensenkung oder Produktivitätssteigerung zu instrumentalisieren. Dabei werden etwa teilautonome Organisationsmodelle den Beschäftigten zusätzliche Aufgaben bei der Planung und Organisation von Arbeitsabläufen abverlangen, die für die Unternehmen entsprechende Planungs- und Organisationskosten senken, für die Beschäftigten aber mit zusätzlichen und unbezahlten Anstrengungen verbunden sind. Auch Maßnahmen zur Abflachung von Hierarchien und zur Eröffnung zusätzlicher Handlungsspielräume für Individuen und Teams in neuen agilen Arbeitsformen können neue Selbstbestimmungsräume eröffnen, sie können aber auch schnell auf Kosten- und Produktivitätsziele ausgerichtet und damit in ihren emanzipatorischen Potenzialen beschnitten werden. Es wird deutlich, dass die Realisierung von Selbstorganisation und Partizipation nicht allein durch positives Recht gesichert werden kann. Sie beruhen auf Voraussetzungen, die nur durch eine entsprechende Arbeitspolitik und revitalisierte Konzepte einer "Demokratisierung von Arbeit" gesichert werden können.

Sinnstiftende Arbeitskulturen

Dies gilt auch für die arbeitskraftzentrierte Sinnstiftung in der Arbeit. Neben hoher Orts- und Zeitflexibilität, agilen und projektbasierten Organisationsformen, veränderten Führungsstrukturen durch Enthierarchisierung und partizipativen Entscheidungsmechanismen spielen "Wertebasierung und Sinnstiftung durch Arbeit" eine zentrale Rolle im New-Work-Konzept. Empirische Befunde zeigen jedoch, dass viele Unternehmen zwar auf orts- und zeitflexible Arbeit setzen, das Spannungsverhältnis zwischen stabilen Hierarchien und mehr Selbstorganisation aber vielfach keineswegs im Sinne der Beschäftigten auflösen. Von einer "dauerhaften Kraftanstrengung" etwa in Richtung eines "coachenden, lateralen und unterstützenden Führungsverständnisses" ist häufig wenig zu spüren. Es spricht einiges dafür, dass dem Ziel einer wertebasierten und sinnstiftenden Arbeit in der New-Work-Philosophie mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als in der unternehmerischen Praxis. Ohne einen nachhaltigen unternehmenskulturellen Paradigmenwechsel, der Räume für eine sinnstiftende Identifikation der Beschäftigten mit ihrer Arbeit eröffnet und stabilisiert, wird dieser Anspruch von New Work jedoch ins Leere laufen.

Ressourcenbasiertes Empowerment

Die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers, Gesundheitsgefährdungen auch bei mobiler Arbeit zu ermitteln, zu beurteilen und zu minimieren, steht außer Frage. Doch schon die Fragen, welche Ausstattungsstandards (bei Bildschirmen, Tastaturen oder etwa Headsets) einzuhalten sind, wie deren Umsetzung in der Privatwohnung überprüft wird und wer die Kosten trägt, erweisen sich häufig als Konfliktpunkte. Insbesondere die Überwachung der einschlägigen Arbeitsschutzvorschriften am Arbeitsplatz wird strukturell erschwert, wenn der Arbeitsort im Rahmen multilokaler Arbeit ständig wechselt. Eine zentrale Anforderung besteht darin, auf die "Unsichtbarkeiten" des Arbeitsschutzes bei orts- und zeitflexibler Arbeit zu reagieren. Die betrieblichen Akteure, die für gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen verantwortlich sind, verlieren die Arbeitsplätze der Heimarbeiter aus dem Blick, und für diese sind die Maßnahmen des Arbeitsschutzes nicht präsent, weil sie ihnen für ihre Arbeitssituation und ihre Arbeitsbedürfnisse nicht angemessen erscheinen.

Dieser arbeitsschutzpolitischen Sprachlosigkeit müssen die Arbeitsschutzakteure entgegentreten. Aufgrund des Fehlens entsprechender Kontrollmechanismen im Homeoffice sind nicht zuletzt die Beschäftigten selbst gefordert, drohende Schutzlücken zu vermeiden. Sie müssen zum Beispiel mithilfe arbeitswissenschaftlich abgesicherter Checklisten auf die Einhaltung von Arbeitszeit- und Ergonomiestandards achten und sind damit als Kontrolleure ihrer eigenen Arbeitsbedingungen gefordert. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation und Selbstbeobachtung, kurz: Empowerment, wird zur Schlüsselressource. Allerdings unterscheiden sich arbeitskraftzentrierte Empowermentstrategien von rein psychologischen Ansätzen, die in Managementkonzepten häufig vorherrschen. Zum einen kann der Aufbau arbeitsbezogener Gesundheitskompetenz nur dann einen wirksamen Beitrag leisten, wenn er in "betriebliche Arbeitsbündnisse von Beschäftigten, Experten und Interessenvertretungen" eingebunden ist, die das Zusammenspiel aus "wechselnden Arbeitssituationen, gesundheitlichen Wirkungen und Handlungswissen bezüglich der eigenen Arbeitstätigkeit analysieren und zielgenau Gestaltungsoptionen in der betrieblichen Organisationsentwicklung verankern." Zum anderen ist er mit der Bereitstellung von zeitlichen und materiellen Ressourcen verbunden. Während psychologisches Empowerment am individuellen Erleben und Empfinden der Betroffenen ansetzt und durch positive Wahrnehmungen in der Arbeit die Leistungsbereitschaft und Unternehmenstreue stärken will, zielt ressourcenbasiertes Empowerment auf die Stärkung der Voraussetzungen für eine selbstbestimmte und kollektive Praxis und besteht auf der arbeitgeberseitigen Bereitstellung materieller Ressourcen und belastbarer Partizipations- und Mitbestimmungsrechte.

Ausblick

Vieles spricht dafür, dass Konflikte um reale Orts- und Zeitautonomie, gegen entgrenzte Arbeitszeiten und Leistungsanforderungen sowie um ressourcenbasiertes Empowerment Schlüsselkonflikte in der New-Work-Welt sein werden. Bei alledem werden die arbeitsinhaltlichen Ansprüche und sozialen Sinnbezüge, die gerade hochqualifizierte Beschäftigte in der Arbeit realisiert sehen wollen, mitschwingen. Dabei müssen soziale Rechte mit arbeitsorganisatorischen Gelingensbedingungen einhergehen. Letztlich geht es darum, das Versprechen einer gesundheitsförderlichen, selbstbestimmten und sinnerfüllten Arbeit, die der Idee von New Work entspringt, in die reale Arbeitswelt zu übertragen und gegen starke Rationalisierungs- und Ökonomisierungstendenzen durchzusetzen. Konflikte um New Work öffnen ein Politikfeld, das für betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretungen Möglichkeiten und Fallstricke enthält. Gerade solidarische Gestaltungskonzepte müssen sich der Spaltungsdynamik bewusst sein, die einer Konzentration auf hochqualifizierte Wissensarbeit in den Unternehmen oder den Branchen der Digital- und Kreativwirtschaft innewohnt. Eine solche arbeitspolitische Engführung übersieht, dass die digitale Neuorganisation von Arbeit alle Bereiche der Arbeitsorganisation verändert. Auch in der unmittelbaren Produktion oder bei gering qualifizierter Arbeit steigen die Schutzbedürfnisse und Anforderungen an Gute Arbeit. Auch diese Bereiche müssen als arbeitspolitische Gestaltungsfelder bearbeitet werden.

Zugleich eröffnet die Gestaltung von New Work den Interessenvertretungen einen Zugang zu den oft hochqualifizierten Belegschaftsteilen, die den Gewerkschaften traditionell eher distanziert gegenüberstehen. Die neuen digitalen Kommunikationswege ermöglichen schnelle und kostengünstige Formen der wechselseitigen Information und Kooperation. Und je stärker die Konflikte um die Regeln der Neuen Arbeit als partizipative Prozesse organisiert werden, desto eher entstehen belastbare Vertrauensbeziehungen, die die Grundlage für gemeinsames politisches Handeln bilden können. Die Hoffnung, dass der Kampf um Neue Arbeit einen Beitrag zur Revitalisierung der Gewerkschaften leisten kann, ist durchaus berechtigt. Eine Garantie dafür gibt es allerdings nicht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. etwa Frithjof Bergmann, Neue Arbeit, neue Kultur, Freiburg/Br. 2008.

  2. Ebd., S. 121 ff.

  3. Ebd., S. 12.

  4. Institut für angewandte Arbeitswissenschaft, Was ist New Work … und was nicht, 24.4.2023, Externer Link: http://www.arbeitswissenschaft.net/fileadmin/Downloads/Angebote_und_Produkte/Zahlen_Daten_Fakten/ifaa_Zahlen_Daten_Fakten_New_Work.pdf.

  5. Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (Fraunhofer IAO), New Work. Best Practices und Zukunftsmodelle, Stuttgart 2019, S. 5.

  6. Vgl. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, New Work. Zeit für eine neue Arbeitszeit, 2020, Externer Link: https://arbeitgeber.de/wp-content/uploads/2020/11/bda-publikation_new_work.pdf.

  7. Vgl. Hans-Jürgen Urban, Gute Arbeit in der Transformation. Über eingreifende Politik im digitalisierten Kapitalismus, Hamburg 2019.

  8. Vgl. ders., Digitalisierung und die Verwilderung der Arbeitsbeziehungen, in: Janis Ewen et al. (Hrsg.), Sozialpartnerschaft im digitalen Kapitalismus – Hat der institutionalisierte Klassenkompromiss eine Zukunft?, Weinheim 2022, S. 82–101.

  9. Vgl. Nils Backhaus/Anita Tisch/Beate Beermann, Telearbeit, Homeoffice und Mobiles Arbeiten: Chancen, Herausforderungen und Gestaltungsaspekte aus Sicht des Arbeitsschutzes, Dortmund 2021, S. 6.

  10. Vgl. Hans-Jürgen Urban, Heilsversprechen Homeoffice. Zu den Schattenseiten eines arbeitspolitischen Shootingstars, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2021, S. 103–113.

  11. Vgl. Cathrin Becker et al., Homeoffice in Corona-Zeiten – Sind Ausmaß und/oder Flexibilität wichtig für Arbeitszufriedenheit, soziale Unterstützung, Commitment und Arbeitsunterbrechungen?, in: Gruppe, Interaktion, Organisation: Zeitschrift für angewandte Organisationspsychologie 2/2022, S. 173–187.

  12. Vgl. Backhaus/Tisch/Beermann (Anm. 7), S. 7.

  13. Vgl. Ulrich Mückenberger, Ziehungsrechte. Ein zeitpolitischer Weg zur "Freiheit in der Arbeit"?, in: WSI-Mitteilungen 4/2007, S. 195–201.

  14. Vgl. IG Metall, Modern Workspaces. Handlungshilfe für die betriebliche Interessenvertretung, Frankfurt/M. 2022.

  15. Vgl. Wolfgang Däubler, Digitalisierung und Arbeitsrecht. Künstliche Intelligenz – Homeoffice – Arbeit 4.0, Frankfurt/M. 2022, S. 490 ff.

  16. Enzo Weber, Digitale Soziale Sicherung: Potenzial für die Plattformarbeit, in: Wirtschaftsdienst 13/2020, S. 37–40, hier S. 38.

  17. Vgl. Backhaus/Tisch/Beermann (Anm. 7).

  18. Vgl. ebd., S. 4 ff.

  19. Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit – Berichtsjahr 2019, Dortmund u.a. 2020, S. 20.

  20. Vgl. Dieter Sauer, Die organisatorische Revolution. Umbrüche in der Arbeitswelt. Ursachen, Auswirkungen und Arbeitspolitische Antworten, Hamburg 2013.

  21. Vgl. Andreas Krause et al., Interessierte Selbstgefährdung – von der direkten zur indirekten Steuerung, in: Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin 3/2015, S. 164–170.

  22. Vgl. Peter Vieth, Kontrollierte Autonomie. Neue Herausforderungen für die Arbeitspsychologie, Heidelberg 1995.

  23. Vgl. Christoph Schmitz/Hans-Jürgen Urban, Demokratisierung der Arbeit. Eine vergessene Dimension der Arbeitspolitik?, Frankfurt/M. 2021.

  24. Vgl. Fraunhofer IAO (Anm. 5), S. 4 f.

  25. Vgl. ebd., S. 7 und S. 5.

  26. Vgl. Arno Georg/Kerstin Guhlemann, Arbeitsschutz und individuelle Gesundheitskompetenz. Perspektiven der Prävention von Arbeitsintensivierung in der "Arbeit 4.0", in: WSI-Mitteilungen 1/2020, S. 63–70, hier S. 68.

  27. Vgl. Jana Lorra/Hanna Möltner, New Work: Die Effekte von Leader-Member Exchange auf psychologisches Empowerment, extraproduktives Verhalten und Fluktuationsabsicht der Mitarbeitenden, in: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft 3/2021, S. 322–336.

  28. Georg/Guhlemann (Anm. 28), S. 68.

  29. Vgl. ebd.

  30. Vgl. Lena Hipp/Martin Krzywdzinski, Remote Work: New Fields and Challenges for Labor Activism, in: Work and Occupations 3/2023, S. 445–451.

Lizenz

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ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und Honorarprofessor für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
E-Mail Link: hans-juergen.urban@igmetall.de