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Bagong Kasaysayan und die dialogische Praxis | Philippinen | bpb.de

Philippinen Editorial Imperiale Nachbeben. Die Philippinen in der Welt, 1565–1946 Bagong Kasaysayan und die dialogische Praxis. Postkoloniale Geschichte aus philippinischer Perspektive „Schulter an Schulter“ gegen China? Die Allianz zwischen den Philippinen und den USA im Indopazifik Widerstand und Wiederkehr. Autoritäre Tendenzen und der Kampf um demokratische Räume auf den Philippinen 50 Jahre staatlich geförderte Arbeitsmigration auf den Philippinen Philippinische Pflegekräfte im Fokus Gewalt als vermeintliche Lösung. Dutertes Drogenkrieg auf den Philippinen Karte

Bagong Kasaysayan und die dialogische Praxis Postkoloniale Geschichte aus philippinischer Perspektive

Elsa Clavé

/ 15 Minuten zu lesen

Die Aufarbeitung der dreifachen Kolonisierung der Philippinen ist ein fortwährender Prozess. In den 1980er Jahren entstand eine Bewegung zur Geschichtsschreibung in der Landessprache Filipino. Sie setzt auf Dialog, Partizipation und Inklusion.

Die Geschichte eines Landes niederzuschreiben, ist an sich schon komplex. Noch schwieriger jedoch wird die Aufgabe, wenn die historischen Quellen für die Zeit vor dem 16. Jahrhundert rar sind und die anschließenden Zeugnisse überwiegend von Außenstehenden verfasst wurden. Wie kann man die Vergangenheit des eigenen Landes und der eigenen Gemeinschaft rekonstruieren, wenn die verfügbaren Quellen von Personen verfasst wurden, die diese Gemeinschaften entweder nicht verstanden oder grundlegend falsch interpretierten, und die ihre Beobachtungen in Sprachen formulierten, die gar nicht dafür angelegt waren, die lokalen sozialen und kulturellen Gegebenheiten zu beschreiben?

Philippinische Historiker:innen haben sich diesen Herausforderungen gestellt. Zu den von ihnen verwendeten methodischen Ansätzen gehört etwa der Gedanke, die koloniale Perspektive zu überwinden, indem sie „Risse im Pergamentvorhang“ der spanischen Aufzeichnungen identifizieren, koloniale Archive gegen den Strich lesen und alternative Quellen wie Literatur und frühe sprachliche Aufzeichnungen einbeziehen. Allerdings haben bisher nur wenige Historiker:innen Materialien aus lokalen Gemeinschaften – etwa Artefakte, Epen und andere mündliche Überlieferungen – genutzt. Daher gibt es nur wenige historiografische Studien, die sich auf diese nicht-traditionellen Quellen stützen. Lange Zeit war diese Art von Materialien auf die Anthropologie und Archäologie beschränkt. Das änderte sich erst mit der historiografischen Bewegung Bagong Kasaysayan (BAKAS), die lokale Materialien und Überreste als bedeutende Spuren der Vergangenheit erkannte und sich dafür einsetzt, sie mit konventionellen Quellen auf eine Stufe zu stellen und für historische Untersuchungen zu nutzen.

BAKAS ist eine in den vergangenen Jahrzehnten auf den Philippinen entstandene Initiative, die dazu anregen will, sich mit dem auseinanderzusetzen, was die Bayan ausmacht. Der Begriff „Bayan“ steht dabei für die Gemeinschaft oder Gruppe von Menschen, deren Vergangenheit und Gegenwart sie als Filipinos definiert. BAKAS umfasst jedoch nicht nur eine historiografische Bewegung, sondern auch eine 1985 gegründete Forschungsgruppe zur Geschichte des Landes, Bahay-Saliksikan ng Kasaysayan, und einen nationalen Verband von Lehrenden, hauptsächlich für Geschichte, der sich Bagong Kasaysayan, Inc. (2002/2004) nennt. Zusammengenommen vermitteln alle drei – die Bewegung, die Forschungsgruppe und der Verband – eine Vorstellung von der gewaltigen Aufgabe, die Geschichte eines Landes zu entkolonialisieren, das dreimal kolonialisiert wurde und in dem die vorkoloniale Geschichte und die frühe Kolonialgeschichte nur wenige Spuren hinterlassen haben.

Da die Bewegung in erster Linie darauf ausgerichtet war, unter den Filipinos und für die Filipinos einen Diskurs über die eigene Vergangenheit zu fördern, hat sie den Begriff „postkolonial“ sowie die wichtigsten Gedanken und Ansätze des Postkolonialismus ignoriert. Mit anderen Worten: Die postkolonialen Diskurse der Bagong-Kasaysayan-Bewegung verliefen parallel – ohne große Berührungspunkte – zum globalen postkolonialen Diskurs. Während andere Länder nach Gemeinsamkeiten in ihren Erfahrungen suchten, Solidarität und einen intellektuellen Austausch anstrebten, entschied sich BAKAS dafür, einen Raum für den Austausch zwischen Menschen derselben Sprache – vor allem auf Filipino, der standardisierten Form von Tagalog, das neben Englisch die Amtssprache der Philippinen ist – zu schaffen, um einen als notwendig erachteten erkenntnistheoretischen Wandel zu ermöglichen. Erst danach wollte man die Diskussion weiter öffnen.

Die wörtliche Bedeutung von BAKAS lautet „neue Geschichte“, offensichtlich ein Bezug zur in den 1950er bis 1970er Jahren entstandenen französischen historiografischen Bewegung La Nouvelle Histoire, die den Schwerpunkt auf Mentalitätsgeschichte legte. Sie teilt mit ihr den Ansatz, die bisherigen Darstellungen durch Erkenntnisse aus der Archäologie oder religiösen Anthropologie zu ergänzen, um die historische Forschung voranzutreiben. Zeus Salazar, der Gründer von BAKAS, schloss sein Anthropologiestudium 1968 in Paris mit einer Dissertation über die frühen Religionen des philippinischen Archipels ab, man kann also davon ausgehen, dass die Nouvelle Histoire damals bei seiner intellektuellen Entwicklung (genau wie bei der Wahl des Namens BAKAS) eine wesentliche Rolle spielte.

Es wäre jedoch irreführend, BAKAS lediglich als Ergänzung zur Nouvelle Histoire auf philippinischem Boden zu sehen. Tatsächlich unterscheidet sich sowohl der Kontext – die Fragen und Debatten, die die Historiografie auf den Philippinen und in Europa beleben – als auch das Programm. BAKAS ist der Versuch, die traditionellen Verbindungen der Filipinos zur Vergangenheit zu verstehen, um die noch vorhandenen Spuren im richtigen kulturellen Kontext zu lesen und mithilfe dieser Quellen die Geschichte der Menschen des Archipels neu zu schreiben. BAKAS hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, die Geschichtsschreibung auf Filipino zu stärken, weil Filipino als lokale Sprache die eigenen kulturellen Werte verkörpert und sich in erster Linie an Filipinos richtet. „Bakás“ bedeutet auf Filipino „Spur“ oder „Beweis“. Eins der Hauptanliegen von BAKAS besteht darin, zu zeigen, dass die Menschen von den Philippinen ein anderes Verhältnis zur Vergangenheit hatten als die Menschen in Europa. Um dieses Verhältnis zu verstehen, muss man sich mit den Sprachen und Begriffen des Archipels vertraut machen, die verwendet wurden, bevor sie von westlichen Vorstellungen verdrängt wurden und sich andere Denkweisen – insbesondere in Bezug auf die Vergangenheit – durchsetzten.

Man darf jedoch nicht denken, dass es auf den Philippinen überhaupt keine eigene Geschichtsschreibung gegeben hätte, bevor Salazar sein Konzept entwickelte und die ersten Schriften dazu veröffentlichte. In intellektuellen Kreisen und an den Universitäten kursierten bereits ähnliche Vorstellungen. Vor allem zwei Entwicklungen ebneten den Weg für die Entstehung von BAKAS: zum einen die Bewegung zur Indigenisierung der Sozialwissenschaften, die in den 1970er Jahren zunehmend an Bedeutung gewann, und zum anderen der vom Sozialpsychologen Virgilio Enriquez vertretene Ansatz „Sikolohiyang Pilipino“.

Sikolohiyang Pilipino und Pilipinolohíya

Mit Sikolohiyang Pilipino wurden zum ersten Mal postkoloniale Vorstellungen im Zusammenhang mit den Philippinen diskutiert. Die Bewegung, die als Kritik an der amerikanischen Psychologie und ihren universalistischen Ansprüchen begann, entwickelte sich schnell weiter und vertrat bald den viel breiter angelegten Ansatz, den kolonialen Diskurs zu demontieren und eine neue diskursive Ordnung außerhalb der westlichen Normativität zu schaffen. Sie konzentrierte sich zunächst auf die kolonialisierte Mentalität der Filipinos und versuchte, ein Bewusstsein für das von ihr formulierte Problem zu schaffen, dass man das Denken der Menschen von den Bildern und Erzählungen befreien müsse, die von den Kolonialmächten über die Filipinos konstruiert worden seien. Im Laufe der Zeit schlossen sich der Bewegung Wissenschaftler:innen und Akademiker:innen aus verschiedenen Disziplinen an, die alle dieselbe Grundidee vertraten: Sie wollten einen Diskurs auf Filipino führen – einer der Sprachen des Archipels und damit Trägerin der Kultur –, in dem die Filipinos aktive Subjekte der Selbstreflexion anstatt Studienobjekte einer „überlegenen“ anderen Kultur waren, und zwar sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart.

Zeus Salazar war einer der intellektuellen Vorreiter der Bewegung in den 1970er Jahren, der seine Vorstellung der Sikolohiyang Pilipino im Rahmen von Regionalstudien mit Fokus auf die Philippinen umsetzte. Zusammen mit Prospero R. Covar von der Fakultät für Anthropologie an der Universität der Philippinen definierte Zeus Salazar die Pilipinolohiya als „Studium der Welt der Filipinos, des Filipino-Seins und seiner verschiedenen Ausprägungen“, während Covar auf die Notwendigkeit hinwies, in den Studien „die Begriffe und Denkweisen der Kultur zu verwenden“. Auch wenn das manchmal so gesehen wird, war der Übergang von der Philippinologie zur Pilipinolohiya nicht nur eine Frage des Nationalgefühls oder der Bezeichnungen innerhalb akademischer Fachbereiche, sondern der Aufruf zu einer kognitiven Revolution, weg von den Regionalstudien, die die Philippinen von außen und meist im Kontext politischer Dominanz betrachteten, und hin zu einer Untersuchung von innen heraus, um die Komplexität einer Gesellschaft in ihren eigenen Begriffen und unter Verwendung einer lokalen Sprache zu erfassen. Sikolohiyang Pilipino öffnete den Blick für ein zentrales Problem in der philippinischen Wissenschaft und Gesellschaft: die Dominanz westlicher Denkweisen über die lokalen Haltungen. Aus verschiedenen Gründen kam man jedoch nicht über den kritischen Diskurs hinaus, obwohl Zeus Salazar und einige andere in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren eigentlich weitergehen und eine eigene Disziplin etablieren wollten.

Pantayong Pananaw: Neue epistemologische Positionen

Nach zwanzig Jahren philippinischer Experimente und Debatten über die Notwendigkeit, einen eigenen philippinischen Diskurs zu entwickeln, formulierte Zeus Salazar auf Grundlage seiner wegweisenden historischen Arbeiten seit den 1960er Jahren die Pantayong Pananaw, die neben den Gründen für eine neue epistemologische Position im akademischen Denken auch die Mittel und Wege nennt, diese Position zu erreichen. Mit der Pantayong Pananaw („Von-uns-für-uns-Perspektive“) wollte Salazar einen, wie es die Kulturwissenschaftlerin Lily Mendoza formuliert, „geschlossenen Kreis der Interaktion“ schaffen, die „Beseitigung des Ethnozentrismus in der philippinischen Gesellschaft“, um Ereignisse und Elemente aus einer inneren Perspektive zu betrachten, die bestand, bevor die europäischen Mächte ihre Vorstellung von Zeit und Raum über das von ihnen geschaffene Bildungssystem durchsetzten. Da die Möglichkeit, die Diskussion für Nicht-Filipinos zu öffnen, keine Erwähnung fand, wurde Pantayong Pananaw oft als ultranationalistische oder nativistische Bewegung missverstanden, die alles ablehnt, was nicht Filipino ist. Das mag aus den älteren Texten so herauszulesen sein, dabei sollte man jedoch nicht den Kontext vergessen, in dem Pantayong Pananaw entstand: das Scheitern der Sikolohiyang Pilipino und die starke Opposition akademischer Kreise gegen die Pilipinolohiya. Die Abschottung der Bewegung sollte daher – im Kontext einer intellektuellen Auseinandersetzung – als reine Schutzmaßnahme verstanden werden, um die Bildung einer von der eigenen Kultur geprägten Wahrnehmung zu gewährleisten. Dies geschah immer unter der Voraussetzung, dass sich der Kreis – die diskursive Sphäre – zu einem späteren Zeitpunkt öffnen und ein Dialog auf Augenhöhe mit Teilnehmer:innen von außen, meist aus dem Westen, stattfinden konnte, die über fundierte dominante historiografische Traditionen und hegemoniale Kulturen verfügten.

Das Konzept der Pantayong Pananaw wurde zunächst in den Hörsälen der Fakultät für Geschichte an der Universität der Philippinen getestet und in den 1970er und 1980er Jahren in Vorlesungen und Seminaren gefestigt, bevor die daraus entstandene Synthese schließlich in einem Aufsatz mit dem Titel „Ang Pantayong Pananaw Bilang Diskursong Pangkabihasnan“ („Pantayong Pananaw als zivilisatorischer Diskurs“) der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Aufgrund des ursprünglichen Ziels – der Entstehung und Förderung eines nationalen Diskurses in den Sozialwissenschaften – war Pantayong Pananaw in Universitätskreisen verankert, wo das Konzept jedoch nach und nach an Boden verlor. Der Hauptgrund dafür war, dass Pantayong Pananaw im Bemühen um eine „Demokratisierung“ der Wissenschaft den Zugang zu den Sozialwissenschaften eigentlich erleichtern sollte. Paradoxerweise waren und sind die Theorie und Schriften jedoch aufgrund ihres konzeptionellen Niveaus selbst für die meisten Historiker:innen, die die Sprache fließend beherrschen, viel zu kompliziert, um sie in Filipino zu lesen. Andererseits hat BAKAS dank des indigenen Ansatzes, der Werte, auf die sich die Initiative konzentriert, und ihrer Zielsetzung („von uns für uns“) die richtigen Voraussetzungen dafür geschaffen, mit einer größeren Öffentlichkeit zu kommunizieren. Der Dialog mit der Basis ist fester Bestandteil der Bewegung und garantiert ihre Weiterentwicklung. Tatsächlich ist talastasan – definiert als die dialogische Praxis innerhalb der Sozialwissenschaften, aber auch zwischen Sozialwissenschaftler:innen und Laien – ein Kernkonzept der Pantayong Pananaw. Der Mensch bildet stets den Mittelpunkt, und der historische Diskurs wird in erster Linie von und für die Menschen geführt, die er auch betrifft.

Von der Universität nach draußen

Die Anfangsphase, die von intensiven Debatten in Universitätskreisen und einer Polarisierung zwischen Befürworter:innen und Kritiker:innen der Pantayong Pananaw begleitet wurde, war geprägt von den ersten Veröffentlichungen der BAKAS. Mehrere historische Studien, die von der Perspektive der Pantayong Pananaw inspiriert waren, trugen seit Mitte der 1980er Jahre zur Weiterentwicklung der Definition von Bagong Kasaysayan bei. Die Texte, die nicht nur auf den Philippinen, sondern auch an der Universität zu Köln entstanden (und damit nicht in Filipino verfasst waren), unterschieden sich von den meisten anderen jener Zeit. Die Autor:innen waren von dem Wunsch getrieben, ihre Erkenntnisse einer Leserschaft zu vermitteln, die weit über die akademischen Kreise hinausging. Spätere Werke von Nancy Kimuell-Gabriel, Atoy M. Navarro und Portia Reyes wurden in Form von Monografien, Online-Publikationen oder Büchern verbreitet, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen.

Im Bereich Veröffentlichungen ist BAKAS weiterhin aktiv und baut ihre Präsenz in akademischen Kreisen, aber auch in außeruniversitären Bereichen weiter aus, vor allem an Schulen und in Museen, den Orten der dialogischen Praxis par excellence. Gleichzeitig setzt BAKAS zunehmend Schwerpunkte in den Bildungsplänen, von der Grundschule bis zur Highschool. 2010 veröffentlichten die BAKAS-Vertreter:innen Sharon M. Maminta, Atoy M. Navarro, Lars Raymund C. Ubaldo und Zeus Salazar ein Lehrbuch für die Highschool mit dem Titel „Asya: Kasaysayan at Kabihasnan“ („Asien: Geschichte und Zivilisation“), das eine ganz neue Perspektive auf die Geschichte Asiens und der Philippinen bietet. Getreu dem Ziel, den Diskurs auf alle Filipinos auszuweiten, organisierte die Gruppe auch zwei jährliche Seminar-Workshops (2018–2019), die sich speziell mit der schulischen Bildung und der Frage befassten, wie junge Lernende für die Geschichte und Kultur ihres Heimatlandes begeistert werden können.

Durch ihren Umgang mit der Geschichte hat BAKAS in vielerlei Hinsicht die vor allem im Westen üblichen traditionellen Trennlinien zwischen der akademischen und der angewandten Geschichtswissenschaft (Public History) aufgeweicht. Zwar sind Kooperationen zwischen den Vertreter:innen der Public History und der klassischen akademischen Geschichtswissenschaft durchaus üblich, allerdings unterscheiden sie sich in ihren Absichten: Während die einen Probleme der „realen Welt“ angehen wollen, geht es den anderen vor allem um Gelehrsamkeit; während die einen praktisch orientiert sind, tummeln sich die anderen stärker im Bereich des reinen Wissens und der Theorie. Bei BAKAS sind beide untrennbar miteinander verbunden. Die BAKAS-Vertreter:innen nutzen die intellektuelle Position der Pantayong Pananaw, um mit dem „inneren“ Kreis ins Gespräch zu kommen, der alle Filipino-Sprechenden umfasst, die sich beteiligen möchten. Damit bestimmen die Gedanken und Handlungen des inneren Kreises die Ausrichtung der Bewegung. Das erklärt, warum BAKAS bereits einige Kurskorrekturen vorgenommen hat und das vermutlich auch weiterhin tun wird. Doch bei BAKAS geht es nicht nur um den Dialog, es gibt auch einen wichtigen theoretischen Part, der in den Bereich der reinen Geschichtswissenschaft fällt. Beide arbeiten Hand in Hand: Die Theorie erklärt das Bedürfnis nach Dialog und Auseinandersetzung. Diese Verbindung von Theorie und Praxis ist nicht ohne Komplexität und Widersprüche, dennoch bleibt sie ein grundlegendes Prinzip der Bewegung, das die Präsenz von BAKAS sowohl an Universitäten als auch außerhalb erklärt.

Nationalismus und philippinische Geschichte

BAKAS vertritt eine Form der Public History, die von der Überzeugung getragen ist, dass das Verständnis der Vergangenheit und der Stolz auf die lokale Kultur die Grundlage für die Stärkung der philippinischen Identität bilden. Diese Haltung geht zurück auf die philippinische Nationalbewegung, etwa die Propaganda-Bewegung (1872–1892), die erste Organisation, die sich für eine Vertretung der Filipinos im spanischen Parlament einsetzte. Zu ihren Mitgliedern zählten junge Intellektuelle, die der Ansicht waren, dass es genauso wichtig sei, über frühere Religionen, Sprachen und die Geschichte im Allgemeinen Bescheid zu wissen wie über die aktuelle politische Situation. BAKAS sieht ihre intellektuellen Wurzeln hauptsächlich in der Philippinischen Revolution von 1896, vor allem bei den nichtakademischen, „volkstümlichen“ Historikern, wie B. Jose P. Santos, und Arbeitern der 1930er Jahre, wie Jacinto Manahan.

Zeus Salazar entwickelte ein Modell, das es ermöglicht, die soziale und kulturelle Geschichte der Philippinen zu rekonstruieren und zu verstehen. Dies ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Geschichtsschreibung des Landes, sondern auch ein typisches Beispiel für postkoloniales Denken. Das Modell ist allerdings nicht frei von Kritik, wobei genau diese Eigenschaft womöglich einen wichtigen Beitrag leistet, um die Diskussion im „inneren Kreis“ anzuregen. Andererseits birgt das dialogische Modell, das Pantayong Pananaw und BAKAS so besonders macht, auch Probleme. Tatsächlich ist es keine leichte Aufgabe, sich auf verschiedenen Ebenen mit dem „Pantayo“ auseinanderzusetzen, und es ist nicht klar, ob BAKAS dies bereits gelungen ist. Auf Universitätsebene reicht die Gemeinschaft der BAKAS-Praktikizierenden zwar aus, um von einem gewissen Erfolg zu sprechen, dennoch bleibt ihr Einfluss marginal. Außerhalb der akademischen Kreise ist die Wirkung schwer zu beurteilen. Man kann jedoch festhalten, dass die konzentrierten Bemühungen von BAKAS in Hinblick auf die Lehrpläne an Schulen in den vergangenen Jahren ein klares Zeichen setzen für die anhaltende Fokussierung auf die Menschen, genauer gesagt auf die philippinische Gemeinschaft (bayan), die nach wie vor die einzige Öffentlichkeit und gleichzeitig der einzige Akteur von Bedeutung für die Bewegung ist.

Geschichte und Identität

In seinen Texten unterscheidet Zeus Salazar zwischen „Geschichte“ – der westlichen Art, sich an die Vergangenheit zu erinnern und sich mit ihr auseinanderzusetzen –, die eine erlernte Praxis an Institutionen und eine akademische Tätigkeit ist, und „kasaysayan“, dem zeitgenössischen Filipino-Wort für Geschichte. Der Begriff bezieht sich traditionell auf eine lebendige Praxis des Erzählens über die Vergangenheit – in Form von Geschichten, Chroniken; alles, was für die Gruppe wichtig genug ist, um sich daran zu erinnern – und kann mit „die Vergangenheit, die zählt“ übersetzt werden: das, woran man sich wegen seiner Bedeutung für die Gemeinschaft erinnert. BAKAS bildet die Schnittstelle zwischen beidem: Sie zielt darauf ab, die Geschichte der Philippinen unter Verwendung einer klaren Methodik im modernen und akademischen Sinn neu zu schreiben. Diese Methodik wurde unter Berücksichtigung von kasaysayan, den Quellen, aber auch der inklusiven Praxis, die Geschichte zur gemeinsamen Sache aller Filipinos zu machen, entwickelt und formuliert.

BAKAS vereint die Geschichtswissenschaft, die in der Erklärung darüber enthalten ist, wie die philippinische Geschichtsschreibung aussehen sollte, mit der Überzeugung, dass Geschichte mit dem Leben der Menschen zu tun hat – nicht als Erinnerung an die Vergangenheit, sondern als lebendige Gegenwart, die von einer Gemeinschaft geteilt, geschaffen und genutzt wird, damit diese Gemeinschaft versteht, woher sie kommt und welchen Weg sie zurückgelegt hat, bis sie dorthin gelangte, wo sie jetzt ist. In diesem Sinne sind Geschichte und Geschichtsschreibung in erster Linie von der Suche nach einem Bewusstsein für die philippinische Identität innerhalb der Gemeinschaften motiviert, und diese Identität ist weniger definiert und vorgefertigt, als wenn sie durch die Pantayong Pananaw konstruiert wird.

Aus dem Englischen von Heike Schlatterer, Pforzheim

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die von William Henry Scott geprägte Bezeichnung beschreibt die Schwierigkeiten (den Vorhang), die soziokulturelle Realität der philippinischen Bevölkerung in den spanischen Quellen zu erkennen, verweist aber auch auf Möglichkeiten (die Risse), sie zu überwinden.

  2. Vgl. Rommel A. Curaming, Postcolonial Studies and Pantayong Pananaw in Philippine Historiography, in: Kritika Kultura 27/2016, S. 63–91.

  3. Die Nouvelle Histoire, deren Name auf die französischen Historiker Jacques Le Goff und Pierre Nora zurückgeht, kann als Weiterentwicklung der in Frankreich konzipierten Kulturgeschichte definiert werden, die sich jedoch auf den Bereich der Ideen und Vorstellungen konzentriert.

  4. Vgl. Zeus Salazar, Le concept AC+ anitu dans le monde austronésien: vers l’étude comparative des religions ethniques austronésiennes, Dissertation, Sorbonne Université, Paris 1968.

  5. Vor BAKAS wurden nur wenige Werke (vor allem aus der Zeit der Philippinischen Revolution) in Filipino verfasst.

  6. Eine ausführliche Darstellung zu Sikolohiyang Pilipino und ihrer Entstehung bietet Virgilio Enriquez, Indigenous Psychology and National Consciousness, Tokyo 1989; ders., From Colonial to Liberation Psychology, Quezon City 1992; A. Timothy Church/Marcia S. Katigbak, Indigenization of Psychology in the Philippines, in: International Journal of Psychology 3/2002, S. 129–148.

  7. Vgl. S. Lily L. Mendoza, Theoretical Advances in the Discourse of Indigenization, in: Atoy M. Navarro/Flordeliza Lagbao-Bolante (Hrsg.), Mga Babasahin Sa Agham Panlipunang Pilipino: Sikolohiyang Pilipino, Pilipinolohiya, at Pantayong Pananaw, Quezon City 2007, S. 257–316.

  8. Zeus A. Salazar, Konklusyon: Bagong Historiograpiya: Kapilipinuhan at Kamalayang Malayo, in: ders., The Malayan Connection: Ang Pilipinas sa Dunia Melayu, Quezon City 1998, S. 327 (Übersetzt aus dem Filipino durch die Autorin, Anm. d. Red.).

  9. Prospero R. Covar, Pilipinohiya, in: Violeta V. Bautista/Rogelia Pe-Pua (Hrsg.), Pilipinohiya: Kasaysayan, Pilosopiya at Pananaliksik, Manila 1991, S. 37, zit. nach Mendoza (Anm. 7), S. 251.

  10. Dazu ausführlicher Mendoza (Anm. 7), S. 248ff.

  11. „Pantayong“ setzt sich zusammen aus dem Wortstamm tayo („wir eingeschlossen“) und der Vorsilbe „pan“.

  12. Mendoza (Anm. 7), S. 286.

  13. Vgl. Portia L. Reyes, Fighting Over a Nation: Theorizing a Filipino Historiography, in: Postcolonial Studies 3/2008, S. 241–258.

  14. Seit 2012 gibt BAKAS „Saliksik“ (Forschung) heraus, ein jährlich erscheinendes E-Journal mit Peer-Review, das frei zugänglich ist. Das Journal verfügt über einen internationalen wissenschaftlichen Beirat, was für seine Offenheit gegenüber Nicht-Filipinos steht. Siehe Externer Link: https://ejournals.ph/issue.php?id=1484#view.

  15. Zeus A. Salazar, Ang Pantayong Pananaw bilang Diskursong Pangkabihasnan, in: Bautista/Pe-Pua (Anm. 9), S. 46–72; vgl. ders./Ramon Guillermo, The Pantayo Perspective as a Discourse Towards Kabihasnan, in: Southeast Asian Journal of Social Science 1/2000, S. 123–152; ders., Ang Pantayong Pananaw Bilang Diskursong Pangkabihasnan, in: Atoy M. Navarro/Mary Jane Rodriguez/Vicente Villain (Hrsg.), Pantayong Pananaw: Ugat at Kabuluhan, Pambungad sa Pag-Aaral ng Bagong Kasaysayan, Quezon City 2000, S. 79–125.

  16. Vgl. Nilo S. Ocampo, Katutubo, Muslim, Kristiyano: Palawan, 1621–1901, Köln 1985; Consolacion Alaras, Pamathalaan: Ang Pagbubukas sa Tipan ng Mahal na Ina, Köln 1988; Jaime Veneracion, Kasaysayan ng Bulakan, Köln 1986.

  17. Public History wird in Theorie und Praxis als eine besondere Herangehensweise an Geschichte betrachtet: als Geschichte, die für die Menschen gemacht ist, außerhalb des akademischen Bereichs, als Möglichkeit, auf lebendige und kreative Weise ein Bewusstsein für die Vergangenheit zu vermitteln, und sich damit von der Geschichte abzugrenzen, wie sie mitunter im Schulunterricht oder an Universitäten gelehrt wird.

  18. Vgl. Ramon Guillermo, Exposition, Critique, and New Directions for Pantayong Pananaw, in: Kyoto Review of Southeast Asia 3/2003, S. 1–20.

  19. Seit Zeus Salazars Pensionierung wurden die BAKAS-Praktizierenden am Historischen Institut der Universität der Philippinen etwas an den Rand gedrängt, weshalb einige an andere Einrichtungen in Manila wechselten.

  20. Vgl. Arthur M. Navarro, Bagong Kasaysayan sa Wikang Filipino: Kalikasan, kaparaanan at pagsasakasaysayan, in: Philippine Social Sciences Review 1–4/1998, S. 103–120.

  21. Vgl. Rommel A. Curaming, On the Viability of Indigenous Methodologies: Implications for Southeast Asian Studies, in: Suvannabhumi 1/2016, S. 56–76.

  22. Zur aktuellen konstruktiven Kritik siehe Lisandro E. Claudio, Postcolonial Fissures and the Contingent Nation: An Antinationalist Critique of Philippine Historiography, in: Philippine Studies: Historical and Ethnographic Viewpoints 1/2013, S. 45–75.

  23. Der Wortstamm lautet saysay („Relevanz“, „Bedeutung“), der auch von salaysay kommt („Erzählung“, „Geschichte“).

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ist Professorin für Austronesistik am Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Geistes- und Kulturgeschichte von Indonesien, Malaysia und den Philippinen.