Der Indopazifik ist zu einer geopolitischen Hauptarena des 21. Jahrhunderts geworden. Im Folgenden wird der Indopazifik weniger als geografisch definierte Region denn als geopolitisches Konzept im Kontext des strategischen Wettstreits zwischen den Vereinigten Staaten und China verstanden.
In der Öffentlichkeit wird die Militärallianz mit den USA gerne als unzerbrechlich dargestellt. Seit 1945 kämpften Washington und Manila stets „Schulter an Schulter“ – so stellte es jüngst US-Verteidigungsminister Pete Hegseth dar.
„Little brown brothers“
Die Philippinen liegen geografisch in einer Schlüsselposition zwischen Südostasien, China, Japan, Korea, Taiwan und dem Pazifik. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben US-Strategen – allen voran Admiral Alfred Thayer Mahan – die Bedeutung der Inselgruppe für die Machtprojektion der USA in die Region. Dies war vor allem durch die Nähe zu China bedingt, damals „offener“ Markt für verschiedene Kolonialmächte, und durch den Zugang zu sowie die mögliche Kontrolle von Schifffahrtsrouten zwischen dem Südchinesischen Meer und dem Westpazifik. Nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 übernahmen die Vereinigten Staaten die Kontrolle über die Philippinen von Spanien. Die philippinischen Unabhängigkeitsbestrebungen wurden auch von den USA blutig niedergeschlagen – obwohl philippinische Revolutionäre an der Seite der USA gegen Spanien gekämpft hatten. Die Folge war der Philippinisch-Amerikanische Krieg (1899–1902), ein brutaler Konflikt mit schätzungsweise 200.000 zivilen Todesopfern. Die Beziehungen zwischen den USA und den Philippinen während der Kolonialzeit (1898–1946) waren geprägt von einem asymmetrischen Machtverhältnis, paternalistischem Rassismus und einer ambivalenten Mischung aus Unterdrückung und „Zivilisierungsmission“. Ein zentraler Ausdruck dieser Haltung war die Beschreibung der philippinischen Bevölkerung als „little brown brothers“, die „noch nicht reif“ für die Selbstregierung seien und einer schrittweisen „zivilisatorischen Entwicklung“ unter Anleitung der USA bedürften. Vor allem aber wurden die Philippinen wirtschaftlich ausgebeutet durch die Ausrichtung der philippinischen Wirtschaft als Rohstofflieferant und Absatzmarkt für US-Produkte. Während amerikanische Unternehmen und eine kleine philippinische Elite mit engen Beziehungen zur Kolonialmacht davon profitierten, verblieb der Großteil der Bevölkerung in Armut.
Zudem spielten die Philippinen eine zentrale Rolle als strategischer Stützpunkt für die Kolonialpolitik der USA im Pazifik und in Ostasien.
Infolge der Niederschlagung der Marcos-Diktatur durch die People Power Revolution von 1986 und der Machtübernahme demokratischer Kräfte in Manila wurden die US-philippinischen Beziehungen auf den Prüfstein gestellt. Rufe nach einer unabhängigeren Außenpolitik wurden laut: 1991 lehnte das philippinische Parlament mehrheitlich ein Abkommen zur Verlängerung des US-Stützpunktnutzungsrechts ab. Im Folgejahr wurden daher die US-Militärstützpunkte geschlossen und die dort stationierten US-Streitkräfte abgezogen.
Großmächterivalität im Indopazifik
Auch heute sind die Philippinen ein zentrales strategisches Drehkreuz für die US-Machtprojektion in Ostasien. Erklärter Widersacher ist jedoch nicht mehr Japan, mit dem die USA ähnlich wie mit den Philippinen eine Militärallianz unterhalten, sondern die VR China. Letztere stellt mittlerweile offensiv die Hegemonie der USA in Asien infrage. Die USA hatten es mittels eines „modernen Tributsystems“ über Jahrzehnte hinweg vermocht, an der Spitze der regionalen Ordnung Asiens zu stehen.
Die Hegemonie der USA in Asien bröckelt jedoch seit Jahren zusehends. Dies wird einerseits von den USA selbst verursacht: im Innern durch Polarisierung und Unterhöhlung demokratischer Normen; nach außen durch wirtschaftlichen Nationalismus, durch das Infragestellen der eigenen Zuverlässigkeit gegenüber Partnern und Alliierten, etwa durch Androhung von US-Truppenreduzierungen, durch schwindendes Engagement in internationalen Institutionen sowie durch die im Vergleich zu China geringe regionale wirtschaftliche Kooperationsbereitschaft.
Als Reaktion darauf hat Washington die Erhaltung der eigenen Hegemonie zum zentralen strategischen Ziel erklärt. Washingtons „Free and Open Indo-Pacific“ (FOIP) wird als Gegenentwurf zu einer von China dominierten Neuordnung der Region gesehen. Im Rahmen des FOIP-Konzeptes spielen die Philippinen eine wichtige Rolle – vor allem durch die geografische Lage des Archipels zwischen Südchinesischem Meer, durch das aktuell rund ein Drittel des globalen Seehandels transportiert wird, und dem Westpazifik sowie durch seine Nähe zu Taiwan. Insbesondere die Kontrolle der Straße von Luzon zwischen Taiwan und dem Norden des Archipels spielt hierbei eine wichtige Rolle.
Neben geografischen Faktoren befinden sich die Philippinen auch aufgrund einer Reihe von verteidigungspolitischen Erwägungen im Zentrum der sino-amerikanischen Rivalität um die Vorherrschaft im indopazifischen Raum. Zunächst wäre Manila wegen des seit 1951 bestehenden Verteidigungsbündnisses mit den USA im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Peking und Washington – etwa um Taiwan – möglicherweise direkt in diese involviert. Und bei einer Eskalation des Konfliktes zwischen der VR China und den Philippinen im Südchinesischen Meer würde es höchstwahrscheinlich zu einer Involvierung der USA kommen. Tatsächlich erklärten unterschiedliche US-Administrationen, dass jedweder bewaffnete Angriff auf die philippinischen Streitkräfte, Schiffe oder Flugzeuge die Beistandsverpflichtungen der USA auslösen würde. Auf den Philippinen befinden sich zudem nach wie vor Militärbasen, die für die amerikanische Gegenmachtbildung von hoher strategischer Bedeutung sind.
Aus Sicht vieler Filipinos stellt der Konflikt im Südchinesischen Meer zwischen Peking und Manila derzeit die größte Bedrohung für die Sicherheit der Philippinen dar. China erhebt basierend auf historischen Karten völkerrechtlich nicht gedeckte Ansprüche auf rund 90 Prozent des Südchinesischen Meeres – darunter sind unter anderem philippinische Hoheitsgewässer sowie Ausschließliche Wirtschaftszonen. Die Philippinen beriefen sich in der Folge auf das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) und wandten sich 2013 an den Ständigen Schiedshof in Den Haag zur rechtlichen Klärung der Ansprüche Chinas im Südchinesischen Meer. Den Haag erklärte die Ansprüche Chinas 2016 zwar für nichtig, China erkannte jedoch das Urteil nicht an und setzte seine expansive Politik fort. Zusammenstöße zwischen chinesischer Marine, Küstenwache und Fischerbooten auf der einen, und philippinischer Marine, Küstenwache und Fischerbooten auf der anderen Seite finden seit 2016 nahezu regelmäßig statt. Dabei wurden durch den Einsatz von Wasserkanonen und Lasern oder auch das gezielte Rammen von Booten immer wieder Filipinos (schwer) verletzt. Um gegen den übermächtigen Gegenspieler Peking militärisch zu bestehen, erscheint vielen Filipinos angesichts der geringen eigenen militärischen Kapazitäten die Unterstützung der USA unabdingbar.
Der Ruf der USA als verlässlicher Partner beziehungsweise Alliierter ist jedoch auch auf den Philippinen angekratzt: In Manila erinnern sich viele an die De-facto-Besatzung des Scarborough-Riffs 2012 durch China, bei der die Unterstützung der USA ausblieb. Nachdem die Philippinen Anfang 2012 chinesische Wilderer festgenommen hatten, tauchte die chinesische Küstenwache an dem Riff auf und beanspruchten die Kontrolle über das Riff, welches nur 124 Seemeilen von der philippinischen Hauptinsel Luzon entfernt ist und somit klar innerhalb der philippinischen Ausschließlichen Wirtschaftszone liegt. In der Folge standen sich philippinische und chinesische Schiffe wochenlang gegenüber. Im Juni desselben Jahres vermittelte die Obama-Regierung eine Vereinbarung über den Rückzug der Schiffe beider Seiten, der jedoch nur Manila nachkam. Seitdem kontrolliert Peking das Riff. Trotz Wortbruchs Pekings beschloss die damalige US-Regierung, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.
Dutertes „Pivot to China“
Auf diese komplexe strategische Gemengelage, die sowohl von kontinuierlichen Auseinandersetzungen mit China im Südchinesischen Meer als auch einer hohen militärischen Abhängigkeit von den USA bei gleichzeitiger Sorge um die Zuverlässigkeit amerikanischer Bündnistreue geprägt ist, haben die Philippinen in der vergangenen Dekade keineswegs gleichförmig reagiert. Unterschiedliche Regierungen zogen durchaus andersgeartete Schlussfolgerungen für die Ausrichtung der philippinischen Außen- und Sicherheitspolitik hinsichtlich der Beziehungen zu den USA. Zwar dominieren in vielen Teilen des politischen Establishments, und insbesondere unter den philippinischen Streitkräften, seit Jahrzehnten Befürworter einer engen Anbindung an die USA, aber es gibt durchaus signifikante Teile der Bevölkerung und der Eliten, die eine von den USA unabhängigere Außen- und Sicherheitspolitik, und damit verbunden eine stärkere „Äquidistanz“ zwischen den beiden Großmächten USA und China, fordern.
Darüber hinaus stattet das präsidiale Regierungssystem der Philippinen den Präsidenten beziehungsweise die Präsidentin mit extensiven Machtbefugnissen aus. Wenngleich die einzelnen philippinischen Präsidenten selbstverständlich durch eine Reihe von Faktoren – etwa die wirtschaftliche Lage des Landes – in ihrem Handeln beschränkt werden und nicht quasi-absolut agieren können, haben philippinische Präsidenten und Präsidentinnen die Beziehungen zu den USA gleichwohl analog zu ihren unterschiedlichen Überzeugungen auf jeweils sehr unterschiedliche Art und Weise ausgestaltet. Dies erklärt, warum politische Machtwechsel auf den Philippinen oft zu merklichen Veränderungen in den US-philippinischen Beziehungen führten.
So auch unter der Amtszeit des Präsidenten Rodrigo Duterte (2016–2022): Internationale Bekanntheit erlange Duterte vor allem durch seinen „Krieg gegen die Drogen“, in dessen Kontext schätzungsweise über 10.000 Menschen Opfer von illegalen Hinrichtungen wurden. Weit weniger im Blick der internationalen Öffentlichkeit waren die Veränderungen in der philippinischen Außenpolitik unter Duterte, der sich fest entschlossen zeigte, die traditionell westlich orientierte Außenpolitik neu auszurichten und zu gestalten. Als Gründe für die Neujustierung der Beziehungen zu den USA führte Duterte sowohl Gräueltaten der USA während der kolonialen Ära als auch die übermäßige wirtschaftliche und sicherheitspolitische Abhängigkeit von Washington an. Vor allem letztere stellten eine ernste Gefahr für die philippinische Souveränität dar. Der damalige Außenminister Perfecto Yasay Jr. forderte die Filipinos etwa auf, sich von den „unsichtbaren Ketten“ zu befreien, die sie als „kleine braune Brüder“ der Amerikaner trügen.
Gleichzeitig vollzog Duterte außenpolitisch eine Annäherung an China. Das Urteil des Ständigen Schiedshofs in Den Haag von 2016, welches zugunsten der Philippinen ausgefallen war, bezeichnete er als ein „Stück Papier“, das zugunsten engerer wirtschaftlicher Beziehungen mit China „in den Hintergrund treten“ müsse. Er betonte wiederholt die militärische Überlegenheit Chinas in den Streitigkeiten im Südchinesischen Meer und mahnte eine friedliche Konfliktbeilegung zwischen Manila und Peking ohne „Einmischung der USA“ an. Duterte erhoffte sich von China im Gegenzug Kredite, Infrastrukturinvestitionen und Handelsvorteile sowie eine Entspannungspolitik im Südchinesischen Meer.
Wiederannäherung unter Marcos Jr.
Zum Ende seiner Amtszeit erklärte Duterte jedoch seinen „Pivot to China“ selbst für gescheitert – denn unter seiner Präsidentschaft stand Manila trotz zahlreicher Anbiederungen und Zugeständnisse an China in Bezug auf den Konflikt im Südchinesischen Meer letztlich mit (fast) leeren Händen da. Eine Entspannungspolitik hatte nicht eingesetzt, die Auseinandersetzungen mit China waren unvermindert weitergegangen und auch die erhofften Kredite und Investitionen aus China nicht in erhoffter Höhe erfolgt. Dass Duterte China weit entgegengekommen war, hatte Peking zu keinen nennenswerten Konzessionen gegenüber Manila veranlasst.
Zu einer (erneuten) Wende in den Beziehungen zu den USA, vor allem im Sinne einer Revitalisierung der Militärallianz, kam es aber erst unter der seit 2022 amtierenden Regierung von Ferdinand Marcos Jr. Dieser hatte bereits während des Wahlkampfs immer wieder betont, wie wichtig und von beiderseitigem Vorteil enge Beziehungen mit den USA seien. Anders als sein Vorgänger bekannte sich Marcos Jr. klar zum militärischen Beistandspakt mit den USA. Der damalige US-Präsident Joe Biden äußerte zeitgleich, dass auch auf der anderen Seite des Pazifiks der Wunsch bestehe, zu einer „Normalität“ der Beziehungen zurückzukehren, und sprach sich für eine Stärkung der bilateralen Partnerschaft aus.
Verteidigungspolitisches Kernstück der Revitalisierung der Allianz sind die im Mai 2023 veröffentlichten neuen bilateralen Verteidigungsrichtlinien.
Seit November 2023 fahren zudem Schiffe der amerikanischen und der philippinischen Marine gemeinsam Patrouillen. Dazu beobachten Aufklärungsflugzeuge der USA das Geschehen, wenn der Außenposten am Second Thomas Shoal, einem Riff auf den Spratly Inseln, 105 Seemeilen westlich der Philippinen, mit Nachschub versorgt wird. Washington hat zudem zugesagt, weitere Militärhilfe in Form von Transportflugzeugen, Radaranlagen, Drohnen und weiteren Systemen zur Küstenverteidigung zur Verfügung stellen.
Fazit
Die philippinisch-amerikanische Allianz erscheint derzeit stark wie nie. „Schulter an Schulter“, so zumindest die offizielle Rhetorik, stehe man einem revisionistischen, aggressiv auftretenden China gegenüber. Doch dieser Eindruck darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Allianz seit den 1990er Jahren durchaus von Widersprüchen und Inkonsistenzen gekennzeichnet ist. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt in innenpolitischen Veränderungen auf den Philippinen selbst – allen voran Wechseln im Präsidentenamt. Imaginiert man die Außenpolitik der Philippinen als ein Pendel, dann schwingt dieses nach jeder Präsidentschaftswahl neu aus. Mal in Richtung der USA, mal in Richtung Chinas. Der angeführte Vergleich zwischen den Beziehungen zu den USA unter der Präsidentschaft Dutertes und der Marcos Juniors illustriert diese Inkonsistenzen und Widersprüche. Eine Wahl Sara Dutertes, der Tochter Rodrigo Dutertes, zur Präsidentin 2028 könnte die Beziehungen zu den USA erneut stark verändern.
Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass auch andere Faktoren auf die Entwicklungen der Allianz Einfluss nehmen: Das Auftreten Chinas gegenüber Manila beispielsweise, aber auch innenpolitische Veränderungen in den USA wirken sich auf das Verhältnis der beiden Länder aus. Die Wiederwahl Donald Trumps hat neue Dynamiken hervorgebracht. Die militärische Kooperation besteht bislang fort – insbesondere, weil Trump China weiterhin als geopolitischen Rivalen betrachtet. Gleichwohl sind Fragen nach Lastenteilung (auch durch die Verhängung von Zöllen und der Streichung von Entwicklungshilfen), die Forderung nach höheren Rüstungsausgaben Manilas wie auch die ungewisse Zukunft sino-amerikanischer Beziehungen stärker in den Vordergrund gerückt. Sowohl stärkere Lastenteilung und erhöhte Militärausgaben als auch die Unberechenbarkeit Trumps stellen die Beziehungen vor neue Herausforderungen, deren Auswirkungen derzeit kaum abschätzbar sind.