Themen Mediathek Shop Lernen Veranstaltungen kurz&knapp Die bpb Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen Mehr Artikel im

Widerstand und Wiederkehr | Philippinen | bpb.de

Philippinen Editorial Imperiale Nachbeben. Die Philippinen in der Welt, 1565–1946 Bagong Kasaysayan und die dialogische Praxis. Postkoloniale Geschichte aus philippinischer Perspektive „Schulter an Schulter“ gegen China? Die Allianz zwischen den Philippinen und den USA im Indopazifik Widerstand und Wiederkehr. Autoritäre Tendenzen und der Kampf um demokratische Räume auf den Philippinen 50 Jahre staatlich geförderte Arbeitsmigration auf den Philippinen Philippinische Pflegekräfte im Fokus Gewalt als vermeintliche Lösung. Dutertes Drogenkrieg auf den Philippinen Karte

Widerstand und Wiederkehr Autoritäre Tendenzen und der Kampf um demokratische Räume auf den Philippinen

Carmen Wintergerst Aurel Croissant

/ 13 Minuten zu lesen

Seit ihrer Unabhängigkeit sind die Philippinen durch das zyklische Wechselspiel zwischen der Öffnung demokratischer Räume und autoritären Rückschlägen geprägt. Institutionelle Dysfunktionen und autoritäre Praktiken verhindern eine nachhaltige demokratische Konsolidierung.

Die politische Entwicklung der Philippinen ist seit ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1946 durch das zyklische Wechselspiel zwischen der Ausweitung demokratischer Räume und autoritären Rückschlägen geprägt. Statt kontinuierlicher Konsolidierung pendeln die demokratischen Institutionen in einem Spannungsfeld zwischen zwei konkurrierenden Auffassungen demokratischer Rechenschaft: einer partizipativen, die die vertikale Rechenschaftspflicht der Regierung gegenüber dem Volk betont, und einer institutionellen, die die horizontale Kontrolle zur Begrenzung exekutiver Macht priorisiert. Die Folge war ein ständiges Schwanken zwischen populistischen Herrschaftsformen, die sich durch direkte Volksnähe auszeichnen, und oligarchischen Strukturen, in denen politische Macht von einer kleinen Elite dominiert wird.

Die Verfassungsordnung des Inselstaates ist geprägt von einer übermächtigen Exekutive, einem zentralisierten, aber schwachen Staat sowie der dominierenden Rolle politischer Dynastien – allesamt Relikte der kolonialen Vergangenheit. Demokratische Reformen nach dem Ende der Marcos-Diktatur 1986 führten bislang nicht zu nachhaltiger rechtsstaatlicher Konsolidierung: Wahlen gelten zwar als einziges legitimes Verfahren der Machtübertragung, sind jedoch eingebettet in klientelistische Netzwerke, dynastische Strukturen und ein fragmentiertes Parteiensystem. Ein demokratischer Machtwechsel geht daher nicht zwangsläufig mit umfassender politischer Rechenschaftslegung oder einer strukturellen Erneuerung des politischen Systems einher.

Die Präsidentschaft Rodrigo Dutertes (2016–2022) verdeutlicht, wie populistische Rhetorik, extreme Gewalt und unablässige Angriffe auf unabhängige Institutionen die demokratische Substanz eines politischen Systems schwächen können. Die Wahl des Diktatorensohns Ferdinand Marcos Jr. zum Präsidenten im Jahr 2022 schürte Hoffnungen auf eine politische Stabilisierung, doch deuten die Entwicklungen seitdem eher darauf hin, dass die instabile Balance aus demokratischem Anspruch und autoritärer Versuchung weiterhin besteht.

Im Folgenden analysieren wir, warum es auf den Philippinen trotz starker demokratischer Kräfte immer wieder zu autokratischen Rückschritten kommt, ohne dass das Land jedoch vollständig in die Autokratie abrutscht. Im Fokus stehen die historischen Fundamente präsidentieller Macht, die Verflechtung von Eliteninteressen, Gewalt und Klientelismus im Wahlprozess sowie deren Auswirkungen auf Institutionen und Gesellschaft unter Duterte. Abschließend wird erörtert, ob unter Marcos Jr. ein demokratischer Aufschwung zu erwarten ist.

Ursprünge der philippinischen Demokratie

Die Anfänge der philippinischen Demokratie gehen zurück auf den antikolonialen Befreiungskampf gegen die jahrhundertelange spanische Kolonialherrschaft. Mit der Philippinischen Revolution 1896 wurde nicht nur die Befreiung von kolonialer Unterdrückung angestrebt, sondern auch die Errichtung eines unabhängigen, republikanischen Staates. Auf die Proklamation der Unabhängigkeit durch Emilio Aguinaldo im Jahr 1898 folgten die Ausarbeitung der sogenannten Malolos-Verfassung sowie die Ausrufung der Ersten Philippinischen Republik.

Der Versuch, ein demokratisches Staatswesen zu etablieren, kollidierte jedoch unmittelbar mit den imperialen Interessen der Vereinigten Staaten, die nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg (1898) die Herrschaft über die Philippinen übernahmen. Die daraus resultierende Konfrontation endete mit der Unterwerfung der jungen Republik im Philippinisch-Amerikanischen Krieg (1899–1902). Diese Episode illustriert die „kontradiktorische Dynamik des Imperialismus“, in der die Philippinen zum Schauplatz konkurrierender kolonialer Machtprojekte avancierten, deren Nachwirkungen die politische Entwicklung bis heute prägen.

Die amerikanische Kolonialmacht führte ein begrenztes System der Selbstverwaltung ein, das auch einige demokratische Elemente wie Wahlen und legislative Institutionen zuließ. Die Einführung des Commonwealth-Status 1935 leitete eine Phase zunehmender Autonomie ein, ehe die formelle Unabhängigkeit 1946 erreicht wurde. Die Dominanz traditioneller Eliten und lokaler Machtzirkel blieb hiervon weitgehend unberührt. Spätestens gegen Ende der zweiten Amtszeit Ferdinand Marcos’, der seit 1965 im Amt war und 1969 wiedergewählt wurde, untergruben autoritäre Herrschaftsmethoden mehr und mehr die vorhandenen demokratischen Institutionen. Mit der Verhängung des Kriegsrechts 1972 zentralisierte Marcos die staatliche Kontrolle – ein autoritärer Reflex, tief verwurzelt in kolonialen Regierungspraktiken. Gleichzeitig formierte sich zivilgesellschaftlicher Widerstand, der 1986 schließlich in der sogenannten People Power Revolution gipfelte, die Marcos stürzte. Die Verfassung von 1987 markiert formal die Wiederherstellung demokratischer Institutionen, doch zeigte sich schnell, dass etablierte politische Familien den Regimewechsel dazu nutzten, ihre Dominanz über Politik und Staat abzusichern. Die philippinische Demokratie bleibt somit eine „Elitendemokratie“, in der zwar regelmäßig Wahlen stattfinden, tatsächliche politische Macht jedoch in den Händen einer kleinen Elite konzentriert ist.

Trotz wiederholter autoritärer Rückschläge, zuletzt unter Rodrigo Duterte, ist das demokratische Moment in der philippinischen Gesellschaft nie vollständig erloschen. Der beständige Widerstand gegen koloniale und autokratische Herrschaft verweist auf eine widerstandsfähige demokratische Kultur, die sich nicht allein auf importierte Institutionen stützt, sondern in sozialen Kämpfen und aktiver gesellschaftlicher Partizipation verwurzelt ist. Die philippinische Demokratie ist somit das Ergebnis eines konfliktreichen historischen Prozesses, der von antikolonialen Bewegungen, imperialer Repression und zivilgesellschaftlicher Mobilisierung geprägt ist.

Demokratische Entwicklung zwischen Regression und Resilienz

Seit der People Power Revolution ist die politische Entwicklung der Philippinen geprägt von einem beständigen Wechselspiel zwischen Phasen demokratischer Regression und Resilienz. Dieses Oszillieren beruht auf dem Zusammenspiel struktureller und institutioneller Faktoren, die tief in der Gesellschaft und Politik des Landes verankert sind.

Demokratische Regression zeigt sich immer wieder in der schrittweisen Schwächung zentraler demokratischer Institutionen und Normen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die zunehmende Konzentration exekutiver Macht beim Staatspräsidenten, die durch die Schwäche horizontaler Kontrolle und ein zersplittertes Parteiensystem begünstigt wird. Gleichzeitig stabilisieren klientelistische Netzwerke und dynastische Machtstrukturen die oligarchische Elite, die den Zugang zu politischen Ämtern dominiert. Autoritäre Akteure wie Duterte mobilisieren gesellschaftliche Unterstützung und setzen auf eine Politik der Schwächung der gesellschaftlichen und rechtsstaatlichen Kontrollen, beispielsweise durch Einschränkungen der Pressefreiheit oder Angriffe auf Gerichte und andere „Watchdog“-Institutionen. Dies führt zu einer Aushöhlung demokratisch-freiheitlicher Prozesse, wobei die formalen demokratischen Strukturen bestehen bleiben.

Demgegenüber zeigt sich demokratische Resilienz in der Mobilisierung zivilgesellschaftlicher Gruppen, richterlichem Widerstand sowie der Beharrungskraft unabhängiger Institutionen. Zivilgesellschaftliche Akteure fungieren dabei als wichtige Gegengewichte zu autoritären Exzessen, aber auch internationale Akteure und Normen spielen eine Rolle. Dennoch bleibt diese Widerstandskraft fragmentiert und wird durch bestehende Machtstrukturen eingeschränkt. So entsteht das charakteristische Auf und Ab zwischen autoritären Tendenzen und demokratischem Widerstand.

Vor diesem Hintergrund lässt sich die politische Entwicklung der Philippinen seit dem Ende der Marcos-Diktatur in drei klar abgrenzbare Phasen unterteilen, die durch jeweils unterschiedliche Ausprägungen von demokratischer Regression und Resilienz gekennzeichnet sind (Abbildung 1). Autoritäre Tendenzen und demokratischer Widerstand überlagern sich im Zeitverlauf, wodurch das politische System beständig zwischen beiden Polen oszilliert.

Phase 1: Demokratischer Neuanfang (1986–1998)

Die unmittelbare Post-Marcos-Ära war geprägt von dem Versuch, die geschwächten demokratischen Institutionen wiederaufzubauen. Die Verfassung von 1987 etablierte zentrale rechtliche und politische Grundlagen wie Gewaltenteilung, Freiheitsrechte und Kontrollmechanismen gegenüber der Exekutive. Getragen wurde der demokratische Neuanfang von zivilgesellschaftlicher Mobilisierung und einem breiten gesellschaftlichen Konsens. Gleichzeitig blieb die Machtstruktur jedoch von politischen Dynastien und klientelistischen Netzwerken geprägt, was die Verankerung rechtsstaatlicher Strukturen erschwerte und die demokratische Öffnung fragil erschienen ließ. Informelle Machtstrukturen und der Einfluss politischer Familien behindern bis heute eine unabhängige und stabile politische Ordnung.

Phase 2: Demokratische Erosion (1998–2009)

Unter Präsident Joseph Estrada (1998–2001) und vor allem unter seiner Nachfolgerin Gloria Macapagal-Arroyo (2001–2009) verschärften sich die Autokratisierungstendenzen der jungen Demokratie deutlich. Korruptionsskandale, Amtsenthebungsverfahren und eine ausufernde Exekutivdominanz prägten diese Phase. Formaldemokratische Strukturen wurden zunehmend zur Machtsicherung instrumentalisiert, Kongress und Justiz geschwächt und Wahlen manipuliert. Die enge Verflechtung politischer Eliten mit wirtschaftlichen Interessen blockierte Reformen und zersplitterte die politische Landschaft. Dennoch blieben oppositionelle Gruppen und Teile der Zivilgesellschaft aktiv, wenn auch in einem durch Klientelismus und institutionelle Schwäche geprägten Rahmen.

Phase 3: Autoritäre Zuspitzung (2010–2022)

Unter der Präsidentschaft Dutertes schließlich spitzten sich die autokratischen Tendenzen zu. Sein „Krieg gegen die Drogen“ setzte auf extreme Gewalt. Grundrechte wurden massiv eingeschränkt, was eine systematische Erosion demokratischer Substanz bedeutete. Gleichzeitig wusste Duterte die Mechanismen populistischer Inszenierung zu nutzen, um breite gesellschaftliche Zustimmung für seine Politik zu mobilisieren und Kritik an der staatlich lizensierten Gewalt als elitär oder staatsfeindlich zu delegitimieren. Gewaltenteilung und Medienfreiheit wurden in seiner Regierungszeit systematisch geschwächt, Oppositionelle verfolgt. Dennoch blieb auch in dieser Zeit die Demokratie dank aktiver Zivilgesellschaft, unabhängiger Gerichte und lokaler Oppositionsbewegungen zumindest teilweise widerstandsfähig – was deutlich macht, dass demokratische Resilienz nicht mit der Abwesenheit autoritärer Rückschläge gleichzusetzen ist, sondern ein anhaltender, oft konfliktbeladener Prozess ist.

Der Machtantritt von Ferdinand „Bongbong“ Marcos Jr. im Jahr 2022 brachte dann zwar einen Wandel im politischen Stil, doch ein grundlegender demokratischer Neuanfang blieb aus. Einzelne autoritäre Praktiken wurden abgeschafft oder zumindest abgeschwächt, doch zentrale strukturelle Kontinuitäten – wie etwa die Schwächung unabhängiger Institutionen oder die politische Machtverflechtung dynastischer Familien – bestehen fort.

Strukturelle Erklärungsfaktoren

Diese Entwicklung unterstreicht, dass der politische Kurs der Philippinen weniger von kurzfristigen Führungswechseln als von langfristigen strukturellen Bedingungen geprägt ist. Der instabile Verlauf zwischen demokratischem Fortschritt und autoritären Rückschlägen lässt sich insbesondere durch drei zentrale Faktoren erklären:

Erstens verleiht die philippinische Verfassung dem Präsidenten umfassende Befugnisse, wodurch eine starke Konzentration exekutiver Macht entsteht, die es der Exekutive ermöglicht, politische Entscheidungen im Alleingang durchzusetzen und parlamentarische oder gerichtliche Kontrollmechanismen zu umgehen. Gleichzeitig fehlt es an einer robusten, kohärenten und leistungsfähigen Verwaltung, insbesondere auf lokaler Ebene. Die administrative Schwäche führt zu einem institutionellen Vakuum, das autoritäre Durchgriffe fördert und nachhaltige Governance erschwert.

Zweitens werden die Philippinen nicht ohne Grund als „dynastische Demokratie“ bezeichnet, da der demokratische Wettbewerb, wie beschrieben, durch die Dominanz politischer Dynastien und klientelistischer Netzwerke stark eingeschränkt ist. Seit Jahrzehnten reproduzieren sich diese politischen Eliten im Kongress und in lokalen Ämtern, was die politische Vielfalt und die gesellschaftliche Repräsentation erheblich mindert (Abbildung 2). Dadurch entsteht ein Legitimitätsparadoxon: Wahlen suggerieren demokratische Teilhabe, reproduzieren in der Praxis jedoch bestehende Machtverhältnisse und kaschieren bestehende Machtasymmetrien. Der ausbleibende Elitenwandel blockiert politische Innovationen und Erneuerung, institutionelle Trägheit verfestigt sich, und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Wirksamkeit demokratischer Prozesse wird geschwächt.

Die Kontinuität auf der Ebene politischer Eliten und ihrer familiären Netzwerke zeigt sich nicht nur in der Besetzung politischer (Wahl-)Ämter, sondern auch in der Reproduktion autoritärer Herrschaftslogiken. Diese werden durch institutionalisierte politische Gewalt, insbesondere auch im Umfeld von Wahlen, stabilisiert. Eine Kultur der Straflosigkeit sowie die Proliferation privater bewaffneter Gruppen begünstigen diese Gewalt, insbesondere im Ringen um lokale Machtpositionen. Die große Bedeutung bewaffneter Privatmilizen untergräbt das staatliche Gewaltmonopol und ermöglicht eine selektive Durchsetzung politischer Ansprüche, insbesondere auf lokaler Ebene. Das vorhandene Gewaltpotenzial wird dadurch strukturell verfestigt und perpetuiert.

Drittens sind die philippinischen Parteien institutionell schwach. Sie sind kaum gesellschaftlich verankert, und meist fehlt ihnen ein programmatischer Kern. Häufig fungieren sie lediglich als lose zusammengefügte Vehikel personengebundener Machtkonzentration, statt kohärente politische Alternativen zu entwickeln. Dem steht allerdings eine robuste Zivilgesellschaft gegenüber, die eine vergleichsweise hohe Mobilisierungskraft besitzt. NGOs, Studierendenbewegungen, unabhängige Medien sowie in Teilen die katholische Kirche ziehen moralische Autorität aus dem Umstand, in der Vergangenheit immer wieder die demokratischen Werte verteidigt zu haben. Allerdings sind die zivilgesellschaftlichen Gruppierungen politisch und ideologisch heterogen. Teilweise sind sie gespalten, teils auch durch staatliche Einflussnahme oder Kooptierung geschwächt. Das begrenzt sowohl ihre Ressourcen als auch ihre Kapazitäten, sich geschlossen und wirkungsvoll gegen autoritäre Tendenzen zu wehren.

Ausblick

Mit dem Amtsantritt von Ferdinand Marcos Jr. im Juni 2022 wurde rhetorisch ein Bruch mit der Duterte-Ära vollzogen. Statt martialischer Sprache dominieren seitdem technokratischer Stil, Modernisierungsversprechen und eine außenpolitische Rückkehr zur strategischen Balance. Doch diese scheinbare Normalisierung darf nicht über die Persistenz grundlegender institutioneller Dysfunktionen, autoritärer Praktiken und intra-elitärer Konflikte hinwegtäuschen.

So bleiben exekutive Machtkonzentration bei gleichzeitiger Verwaltungsschwäche, klientelistisch verzerrte Wahlen sowie das ideologisch entkernte Parteiensystem auch unter Marcos Jr. bestehen. Reformen zur Stärkung demokratischer Rechenschaftsmechanismen sind bislang weitgehend ausgeblieben. Die Marcos-Regierung setzt punktuell auf technokratische Maßnahmen, etwa im Bereich der Digitalisierung staatlicher Dienstleistungen, jedoch bleiben zentrale Institutionen anfällig für politische Einflussnahme. So wurde etwa Anfang 2024 aus dem Präsidentenlager ein Vorstoß zur Änderung der wirtschaftspolitischen Normen der Verfassung unternommen – offiziell, um ausländische Direktinvestitionen zu erleichtern. Die Initiative stieß jedoch auf breite Ablehnung: Nicht nur zivilgesellschaftliche Organisationen, sondern auch Wirtschaftsexpertinnen und -experten warnten vor einem Verlust an politischer Transparenz und demokratischer Kontrolle. Der Vorschlag scheiterte letztlich an Widerständen im Senat, wachsendem öffentlichen Druck und parteitaktischen Bedenken, hat aber gleichwohl Befürchtungen genährt, Verfassungsänderungen könnten zukünftig dazu dienen, auch andere politische Bestimmungen, etwa Amtszeitbeschränkungen, aufzuweichen.

Autoritäre Praktiken sind weiter präsent, wenn auch mitunter in subtilerer Form. So wird der 2020 verabschiedete Anti-Terrorism Act unter Marcos Jr. dazu genutzt, insbesondere linke Organisationen und indigene Aktivistinnen und Aktivisten durch sogenannte Red-tagging-Kampagnen unter Druck zu setzen. Der Umgang mit regierungskritischen Journalistinnen und Journalisten und alternativen Medienplattformen offenbart eine selektive Nutzung strafrechtlicher Mittel, hinzu kommt die Verbreitung von Desinformationen über staatlich unterstützte Online-Netzwerke, die den öffentlichen Diskurs verzerren und kritische Gegenstimmen zu delegitimieren versuchen.

Schließlich prägen Konflikte innerhalb der Elite und fragile Elitenallianzen zunehmend die Politik. Ein Beispiel hierfür ist der offene Bruch zwischen Marcos Jr. und seiner Vizepräsidentin Sara Duterte, der mit Budgetkürzungen und parlamentarischen Untersuchungen begann und in wechselseitigen Morddrohungen endete. Die eskalierende Auseinandersetzung gipfelte in mehreren Amtsenthebungsverfahren gegen Duterte, begleitet von Vorwürfen politisch motivierter Verfolgung und einer polarisierten politischen Debatte. Diese Dynamik offenbart nicht nur persönliche Rivalitäten, sondern auch den strukturellen Mangel an institutioneller Kooperationsfähigkeit im philippinischen Präsidialsystem.

Gleichzeitig setzt Marcos Jr. in zentralen Politikfeldern auf sichtbare Modernisierungsprojekte. Das Infrastrukturprogramm „Build Better More“ soll wirtschaftliche Entwicklung stimulieren, bleibt jedoch zentralistisch gesteuert und intransparent. Auch im Bereich der digitalen Verwaltung und der Sozialpolitik gibt es technokratische Initiativen, doch fehlt es an effektiven Kontrollinstanzen und gesellschaftlicher Teilhabe bei der Ausgestaltung. Reformvorhaben im Bildungs- oder Gesundheitssektor greifen strukturell zu kurz, da sie die Machtasymmetrien zwischen Exekutive, Legislative und Gesellschaft nicht adressieren.

Insgesamt lässt sich die Regierungspraxis von Präsident Marcos Jr. bislang als autoritäre Stabilisierung durch politische Routine beschreiben. Sie beruhigt kurzfristig, löst aber keine der zugrundeliegenden Spannungen. Demokratische Öffnung bleibt möglich, jedoch wird sie nicht durch bloße Reformversprechen realisiert werden können, sondern nur durch den nachhaltigen Umbau jener Strukturen, die die demokratischen Regressionen bislang begünstigt haben. Ob die philippinische Demokratie diesen Schritt vollzieht, hängt weniger vom Willen Einzelner als von der Fähigkeit gesellschaftlicher Kräfte ab, institutionellen Reformdruck aufzubauen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Dan Slater, Democratic Careening, in: World Politics 4/2013, S. 729–763.

  2. Vgl. Aurel Croissant, Die Politischen Systeme Südostasiens. Eine Einführung, Wiesbaden 20222, S. 431–490.

  3. Vgl. Patricio N. Abinales/Donna J. Amoroso, State and Society in the Philippines, Lanham 2005.

  4. Vicente L. Rafael, Colonial Contractions: The Making of the Modern Philippines, 1565–1946, in: David Ludden (Hrsg.), The Oxford Research Encyclopedia of Asian History, 25.6.2018, Externer Link: https://doi.org/10.1093/acrefore/9780190277727.013.268, (eigene Übersetzung).

  5. Mit dem Commonwealth-Status gingen eine eigene Verfassung und eine gewählte Präsidialregierung einher, außen- und militärpolitische Belange blieben aber beispielsweise unter der Prärogative der Vereinigten Staaten.

  6. Vgl. Maria Ela L. Atienza, Local Governments and Devolution in the Philippines, in: Noel M. Morada/Teresa S. Encarnacion Tadem (Hrsg.), Philippine Politics and Governance: An Introduction, Diliman 2006, S. 415–441; Rodelio Cruz Manacsa/Alexander C. Tan, Manufacturing Parties: Re-examining the Transient Nature of Philippine Political Parties, in: Party Politics 6/2005, S. 748–765.

  7. Vgl. Julio C. Teehankee, Beyond Nostalgia: The Marcos Political Comeback in the Philippines, London School of Economics and Political Science, Southeast Asia Working Paper 7/2023.

  8. Vgl. Mark R. Thompson, The Anti-Marcos Struggle: Personalistic Rule and Democratic Transition in the Philippines, New Haven 1995.

  9. Vgl. Croissant (Anm. 2).

  10. Vgl. Teresa Encarnacion Tadem/Eduardo Tadem, Political Dynasties in the Philippines: Persistent Patterns, Perennial Problems, in: South East Asia Research 3/2016, S. 328–340.

  11. Vgl. Thompson (Anm. 8); Ronald U. Mendoza et al., Interrogating the Links Between Dynasties and Development in the Philippines, in: Asian Journal of Comparative Politics 3/2023, S. 765–786.

  12. Vgl. Marco Garrido, The Ground for the Illiberal Turn in the Philippines, in: Democratization 4/2021, S. 673–691; Aries A. Arugay, Mobilizing for Accountability: Contentious Politics in the Anti-Estrada Campaign, in: Philippine Sociological Review 52/2004, S. 75–96; Aries A. Arugay/Dan Slater, Polarization Without Poles: Machiavellian Conflicts and the Philippines’ Lost Decade of Democracy, 2000–2010, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science 1/2018, S. 122–136.

  13. Vgl. Sol Iglesias, Human Rights Violations and Democratic Backsliding in the Philippines under Duterte, in: Human Rights in the Global South 2/2024, S. 169–188; Aries A. Arugay/Jean Encinas-Franco (Hrsg.), Games, Changes, and Fears: The Philippines from Duterte to Marcos, Singapore 2024.

  14. Vgl. Aries A. Arugay/Justin Keith A. Baquisal, Bowed, Bent, & Broken: Duterte’s Assaults on Civil Society in the Philippines, in: Journal of Current Southeast Asian Affairs 3/2023, S. 328–349; Arugay/Encinas-Franco (Anm. 13).

  15. Vgl. Susan Rose-Ackerman/Diane A. Desierto/Natalia Volosin, Hyper-Presidentialism: Separation of Powers Without Checks and Balances in Argentina and the Philippines, in: Berkeley Journal of International Law 1/2011, S. 246–333.

  16. Vgl. Julio C. Teehankee, Weak State, Strong Presidents: Situating the Duterte Presidency in Philippine Political Time, in: Journal of Developing Societies 3/2016, S. 293–321; Serdar Yilmaz/Varsha Venugopal, Local Government Discretion and Accountability in Philippines, in: Journal of International Development 2/2013, S. 227–250.

  17. Vgl. Richard Javad Heydarian, The Philippines’ Dynastic Democracy, in: Journal of Democracy 3/2025, S. 146–155.

  18. Siehe hierzu auch den Beitrag von Peter Kreuzer in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  19. Vgl. Imelda Deinla et al., Introducing the Philippine Electoral Violence (PEV) Data Set: Uncovering Trends, Targets, and Perpetrators of Election-Related Violence During the 2013–2019 Elections, in: Asian Politics and Policy 2/2023, S. 249–273.

  20. Vgl. Julio C. Teehankee, The Philippines, in: Takashi Inoguchi/Jean Blondel (Hrsg.), Political Parties and Democracy. Contemporary Western Europe and Asia, New York 2012, S. 187–205.

  21. Vgl. Jasmin Lorch, Elite Capture, Civil Society and Democratic Backsliding in Bangladesh, Thailand and the Philippines, in: Democratization 1/2021, S. 81–102.

  22. Vgl. Alexander C. Tan, The Philippines in 2023: Politics, Economy, and Foreign Affairs under Marcos Jr., in: Asian Survey 2/2024, S. 299–307.

  23. Vgl. Miguel Enrico G. Ayson/Lara Gianina S. Reyes, Repositioning Marcosian Politics: Assessing Ferdinand Marcos Jr.‘s First Year of Presidency, in: UP Los Baños Journal 3/2023, S. 96–125.

  24. Vgl. Aries A. Arugay/Jean Encinas-Franco, The Philippines in 2024. Dueling Dynasties, Disruptive Threats, in: Asian Survey 2/2025, S. 297–307.

  25. Vgl. Philippines: Activists Remain at Risk of Red-Tagging, Disappearances and Fabricated Terrorism Charges, Civicus, 6.1.2025, Externer Link: https://monitor.civicus.org/explore/philippines-activists-remain-at-risk-of-red-tagging-disappearances-and-fabricated-terrorism-charges.

  26. Vgl. Danilo Araña Arao, Persecution of the Press is the New Normal in Bongbong’s Philippines, 20.11.2024, Externer Link: https://eastasiaforum.org/2024/11/20/persecution-of-the-press-is-the-new-normal-in-bongbongs-philippines.

  27. Vgl. Alexander C. Tan, The Philippines in 2023: Politics, Economy, and Foreign Affairs under Marcos Jr., in: Asian Survey 2/2024, S. 299–307.

  28. Vgl. Jason Gutierrez, Marcos vs Duterte Feud Enters Critical Phase in Philippines, 19.6.2025, Externer Link: https://asiatimes.com/2025/06/marcos-vs-duterte-feud-enters-critical-phase-in-philippines; Arugay/Encinas-Franco (Anm. 24).

  29. Vgl. Ayson/Reyes (Anm. 23), S. 140.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Carmen Wintergerst, Aurel Croissant für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE und der Autoren/-innen teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

ist promovierte Politikwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg.

ist Professor für Politikwissenschaft am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg.