Die politische Entwicklung der Philippinen ist seit ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1946 durch das zyklische Wechselspiel zwischen der Ausweitung demokratischer Räume und autoritären Rückschlägen geprägt. Statt kontinuierlicher Konsolidierung pendeln die demokratischen Institutionen in einem Spannungsfeld zwischen zwei konkurrierenden Auffassungen demokratischer Rechenschaft: einer partizipativen, die die vertikale Rechenschaftspflicht der Regierung gegenüber dem Volk betont, und einer institutionellen, die die horizontale Kontrolle zur Begrenzung exekutiver Macht priorisiert. Die Folge war ein ständiges Schwanken zwischen populistischen Herrschaftsformen, die sich durch direkte Volksnähe auszeichnen, und oligarchischen Strukturen, in denen politische Macht von einer kleinen Elite dominiert wird.
Die Verfassungsordnung des Inselstaates ist geprägt von einer übermächtigen Exekutive, einem zentralisierten, aber schwachen Staat sowie der dominierenden Rolle politischer Dynastien – allesamt Relikte der kolonialen Vergangenheit.
Die Präsidentschaft Rodrigo Dutertes (2016–2022) verdeutlicht, wie populistische Rhetorik, extreme Gewalt und unablässige Angriffe auf unabhängige Institutionen die demokratische Substanz eines politischen Systems schwächen können. Die Wahl des Diktatorensohns Ferdinand Marcos Jr. zum Präsidenten im Jahr 2022 schürte Hoffnungen auf eine politische Stabilisierung, doch deuten die Entwicklungen seitdem eher darauf hin, dass die instabile Balance aus demokratischem Anspruch und autoritärer Versuchung weiterhin besteht.
Im Folgenden analysieren wir, warum es auf den Philippinen trotz starker demokratischer Kräfte immer wieder zu autokratischen Rückschritten kommt, ohne dass das Land jedoch vollständig in die Autokratie abrutscht. Im Fokus stehen die historischen Fundamente präsidentieller Macht, die Verflechtung von Eliteninteressen, Gewalt und Klientelismus im Wahlprozess sowie deren Auswirkungen auf Institutionen und Gesellschaft unter Duterte. Abschließend wird erörtert, ob unter Marcos Jr. ein demokratischer Aufschwung zu erwarten ist.
Ursprünge der philippinischen Demokratie
Die Anfänge der philippinischen Demokratie gehen zurück auf den antikolonialen Befreiungskampf gegen die jahrhundertelange spanische Kolonialherrschaft. Mit der Philippinischen Revolution 1896 wurde nicht nur die Befreiung von kolonialer Unterdrückung angestrebt, sondern auch die Errichtung eines unabhängigen, republikanischen Staates. Auf die Proklamation der Unabhängigkeit durch Emilio Aguinaldo im Jahr 1898 folgten die Ausarbeitung der sogenannten Malolos-Verfassung sowie die Ausrufung der Ersten Philippinischen Republik.
Der Versuch, ein demokratisches Staatswesen zu etablieren, kollidierte jedoch unmittelbar mit den imperialen Interessen der Vereinigten Staaten, die nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg (1898) die Herrschaft über die Philippinen übernahmen. Die daraus resultierende Konfrontation endete mit der Unterwerfung der jungen Republik im Philippinisch-Amerikanischen Krieg (1899–1902). Diese Episode illustriert die „kontradiktorische Dynamik des Imperialismus“, in der die Philippinen zum Schauplatz konkurrierender kolonialer Machtprojekte avancierten, deren Nachwirkungen die politische Entwicklung bis heute prägen.
Die amerikanische Kolonialmacht führte ein begrenztes System der Selbstverwaltung ein, das auch einige demokratische Elemente wie Wahlen und legislative Institutionen zuließ. Die Einführung des Commonwealth-Status 1935 leitete eine Phase zunehmender Autonomie ein,
Trotz wiederholter autoritärer Rückschläge, zuletzt unter Rodrigo Duterte, ist das demokratische Moment in der philippinischen Gesellschaft nie vollständig erloschen. Der beständige Widerstand gegen koloniale und autokratische Herrschaft verweist auf eine widerstandsfähige demokratische Kultur, die sich nicht allein auf importierte Institutionen stützt, sondern in sozialen Kämpfen und aktiver gesellschaftlicher Partizipation verwurzelt ist. Die philippinische Demokratie ist somit das Ergebnis eines konfliktreichen historischen Prozesses, der von antikolonialen Bewegungen, imperialer Repression und zivilgesellschaftlicher Mobilisierung geprägt ist.
Demokratische Entwicklung zwischen Regression und Resilienz
Seit der People Power Revolution ist die politische Entwicklung der Philippinen geprägt von einem beständigen Wechselspiel zwischen Phasen demokratischer Regression und Resilienz. Dieses Oszillieren beruht auf dem Zusammenspiel struktureller und institutioneller Faktoren, die tief in der Gesellschaft und Politik des Landes verankert sind.
Demokratische Regression zeigt sich immer wieder in der schrittweisen Schwächung zentraler demokratischer Institutionen und Normen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die zunehmende Konzentration exekutiver Macht beim Staatspräsidenten, die durch die Schwäche horizontaler Kontrolle und ein zersplittertes Parteiensystem begünstigt wird. Gleichzeitig stabilisieren klientelistische Netzwerke und dynastische Machtstrukturen die oligarchische Elite, die den Zugang zu politischen Ämtern dominiert.
Demgegenüber zeigt sich demokratische Resilienz in der Mobilisierung zivilgesellschaftlicher Gruppen, richterlichem Widerstand sowie der Beharrungskraft unabhängiger Institutionen. Zivilgesellschaftliche Akteure fungieren dabei als wichtige Gegengewichte zu autoritären Exzessen, aber auch internationale Akteure und Normen spielen eine Rolle. Dennoch bleibt diese Widerstandskraft fragmentiert und wird durch bestehende Machtstrukturen eingeschränkt. So entsteht das charakteristische Auf und Ab zwischen autoritären Tendenzen und demokratischem Widerstand.
Vor diesem Hintergrund lässt sich die politische Entwicklung der Philippinen seit dem Ende der Marcos-Diktatur in drei klar abgrenzbare Phasen unterteilen, die durch jeweils unterschiedliche Ausprägungen von demokratischer Regression und Resilienz gekennzeichnet sind (Abbildung 1). Autoritäre Tendenzen und demokratischer Widerstand überlagern sich im Zeitverlauf, wodurch das politische System beständig zwischen beiden Polen oszilliert.
Phase 1: Demokratischer Neuanfang (1986–1998)
Die unmittelbare Post-Marcos-Ära war geprägt von dem Versuch, die geschwächten demokratischen Institutionen wiederaufzubauen. Die Verfassung von 1987 etablierte zentrale rechtliche und politische Grundlagen wie Gewaltenteilung, Freiheitsrechte und Kontrollmechanismen gegenüber der Exekutive. Getragen wurde der demokratische Neuanfang von zivilgesellschaftlicher Mobilisierung und einem breiten gesellschaftlichen Konsens. Gleichzeitig blieb die Machtstruktur jedoch von politischen Dynastien und klientelistischen Netzwerken geprägt, was die Verankerung rechtsstaatlicher Strukturen erschwerte und die demokratische Öffnung fragil erschienen ließ.
Phase 2: Demokratische Erosion (1998–2009)
Unter Präsident Joseph Estrada (1998–2001) und vor allem unter seiner Nachfolgerin Gloria Macapagal-Arroyo (2001–2009) verschärften sich die Autokratisierungstendenzen der jungen Demokratie deutlich. Korruptionsskandale, Amtsenthebungsverfahren und eine ausufernde Exekutivdominanz prägten diese Phase. Formaldemokratische Strukturen wurden zunehmend zur Machtsicherung instrumentalisiert, Kongress und Justiz geschwächt und Wahlen manipuliert. Die enge Verflechtung politischer Eliten mit wirtschaftlichen Interessen blockierte Reformen und zersplitterte die politische Landschaft. Dennoch blieben oppositionelle Gruppen und Teile der Zivilgesellschaft aktiv, wenn auch in einem durch Klientelismus und institutionelle Schwäche geprägten Rahmen.
Phase 3: Autoritäre Zuspitzung (2010–2022)
Unter der Präsidentschaft Dutertes schließlich spitzten sich die autokratischen Tendenzen zu. Sein „Krieg gegen die Drogen“ setzte auf extreme Gewalt. Grundrechte wurden massiv eingeschränkt, was eine systematische Erosion demokratischer Substanz bedeutete. Gleichzeitig wusste Duterte die Mechanismen populistischer Inszenierung zu nutzen, um breite gesellschaftliche Zustimmung für seine Politik zu mobilisieren und Kritik an der staatlich lizensierten Gewalt als elitär oder staatsfeindlich zu delegitimieren. Gewaltenteilung und Medienfreiheit wurden in seiner Regierungszeit systematisch geschwächt, Oppositionelle verfolgt.
Der Machtantritt von Ferdinand „Bongbong“ Marcos Jr. im Jahr 2022 brachte dann zwar einen Wandel im politischen Stil, doch ein grundlegender demokratischer Neuanfang blieb aus. Einzelne autoritäre Praktiken wurden abgeschafft oder zumindest abgeschwächt, doch zentrale strukturelle Kontinuitäten – wie etwa die Schwächung unabhängiger Institutionen oder die politische Machtverflechtung dynastischer Familien – bestehen fort.
Strukturelle Erklärungsfaktoren
Diese Entwicklung unterstreicht, dass der politische Kurs der Philippinen weniger von kurzfristigen Führungswechseln als von langfristigen strukturellen Bedingungen geprägt ist. Der instabile Verlauf zwischen demokratischem Fortschritt und autoritären Rückschlägen lässt sich insbesondere durch drei zentrale Faktoren erklären:
Erstens verleiht die philippinische Verfassung dem Präsidenten umfassende Befugnisse, wodurch eine starke Konzentration exekutiver Macht entsteht, die es der Exekutive ermöglicht, politische Entscheidungen im Alleingang durchzusetzen und parlamentarische oder gerichtliche Kontrollmechanismen zu umgehen.
Zweitens werden die Philippinen nicht ohne Grund als „dynastische Demokratie“ bezeichnet, da der demokratische Wettbewerb, wie beschrieben, durch die Dominanz politischer Dynastien und klientelistischer Netzwerke stark eingeschränkt ist.
Die Kontinuität auf der Ebene politischer Eliten und ihrer familiären Netzwerke zeigt sich nicht nur in der Besetzung politischer (Wahl-)Ämter, sondern auch in der Reproduktion autoritärer Herrschaftslogiken. Diese werden durch institutionalisierte politische Gewalt, insbesondere auch im Umfeld von Wahlen, stabilisiert.
Drittens sind die philippinischen Parteien institutionell schwach. Sie sind kaum gesellschaftlich verankert, und meist fehlt ihnen ein programmatischer Kern. Häufig fungieren sie lediglich als lose zusammengefügte Vehikel personengebundener Machtkonzentration, statt kohärente politische Alternativen zu entwickeln.
Ausblick
Mit dem Amtsantritt von Ferdinand Marcos Jr. im Juni 2022 wurde rhetorisch ein Bruch mit der Duterte-Ära vollzogen. Statt martialischer Sprache dominieren seitdem technokratischer Stil, Modernisierungsversprechen und eine außenpolitische Rückkehr zur strategischen Balance.
So bleiben exekutive Machtkonzentration bei gleichzeitiger Verwaltungsschwäche, klientelistisch verzerrte Wahlen sowie das ideologisch entkernte Parteiensystem auch unter Marcos Jr. bestehen. Reformen zur Stärkung demokratischer Rechenschaftsmechanismen sind bislang weitgehend ausgeblieben. Die Marcos-Regierung setzt punktuell auf technokratische Maßnahmen, etwa im Bereich der Digitalisierung staatlicher Dienstleistungen, jedoch bleiben zentrale Institutionen anfällig für politische Einflussnahme.
Autoritäre Praktiken sind weiter präsent, wenn auch mitunter in subtilerer Form. So wird der 2020 verabschiedete Anti-Terrorism Act unter Marcos Jr. dazu genutzt, insbesondere linke Organisationen und indigene Aktivistinnen und Aktivisten durch sogenannte Red-tagging-Kampagnen unter Druck zu setzen.
Schließlich prägen Konflikte innerhalb der Elite und fragile Elitenallianzen zunehmend die Politik. Ein Beispiel hierfür ist der offene Bruch zwischen Marcos Jr. und seiner Vizepräsidentin Sara Duterte, der mit Budgetkürzungen und parlamentarischen Untersuchungen begann und in wechselseitigen Morddrohungen endete. Die eskalierende Auseinandersetzung gipfelte in mehreren Amtsenthebungsverfahren gegen Duterte, begleitet von Vorwürfen politisch motivierter Verfolgung und einer polarisierten politischen Debatte.
Gleichzeitig setzt Marcos Jr. in zentralen Politikfeldern auf sichtbare Modernisierungsprojekte. Das Infrastrukturprogramm „Build Better More“ soll wirtschaftliche Entwicklung stimulieren, bleibt jedoch zentralistisch gesteuert und intransparent.
Insgesamt lässt sich die Regierungspraxis von Präsident Marcos Jr. bislang als autoritäre Stabilisierung durch politische Routine beschreiben. Sie beruhigt kurzfristig, löst aber keine der zugrundeliegenden Spannungen. Demokratische Öffnung bleibt möglich, jedoch wird sie nicht durch bloße Reformversprechen realisiert werden können, sondern nur durch den nachhaltigen Umbau jener Strukturen, die die demokratischen Regressionen bislang begünstigt haben. Ob die philippinische Demokratie diesen Schritt vollzieht, hängt weniger vom Willen Einzelner als von der Fähigkeit gesellschaftlicher Kräfte ab, institutionellen Reformdruck aufzubauen.