Auch wenn Deutschland erst seit wenigen Jahren wieder Arbeits- und Fachkräfte aus den Philippinen anwirbt, ist Arbeitsmigration von den Philippinen kein neues Phänomen. Seit mehr als 50 Jahren entsendet der philippinische Staat Arbeitskräfte auf den globalen Arbeitsmarkt.
1974 wurde mit dem Labor Code des damaligen Präsidenten Ferdinand Marcos der Grundstein für eine staatlich geförderte Arbeitsmigration geschaffen. Marcos verfolgte eine exportorientierte Industrialisierungsstrategie – mit dem „Export“
Temporäre Arbeitsmigration als staatliche Politik
Seit dem Beginn der staatlich geförderten Arbeitsmigration stieg die Zahl der Arbeitsmigrant*innen rasant an und überstieg 2006 erstmalig die Millionenmarke. Zwischen 2006 und 2019 verließen jährlich circa ein bis zwei Millionen Filipinos das Land, um im Ausland zu arbeiten. Ein signifikanter Rückgang war 2020 als Effekt der Covid-19-Pandemie zu verzeichnen; in diesem Jahr gab es nur noch rund 550.000 Neuanstellungen von Filipinos im Ausland. Etwa zwei Millionen Filipinos mussten zudem auf die Philippinen zurückkehren, was die Regierung vor zahlreiche Herausforderungen – wie den Verlust von Arbeitsplätzen oder Integrationsprobleme von rückkehrenden Migrant*innen – stellte.
Diese Zahlen beziehen sich auf Personen, die das Land für eine Neu- oder Wiedereinstellung verlassen; die tatsächliche Anzahl an Filipinos, die im Ausland leben, ist deutlich höher. Etwa 10,8 Millionen Filipinos leben im Ausland, darunter viele mit dauerhaftem Aufenthaltsstatus oder der Staatsbürgerschaft des Aufnahmelands.
Während in den 1970er Jahren etwa 70 Prozent der Arbeitskräfte männlich waren, drehte sich in den 1990er Jahren das Verhältnis hin zu einer Feminisierung der Migration um: Etwa 70 Prozent aller Arbeitskräfte waren nun weiblich und 30 Prozent männlich. Heute ist das Verhältnis relativ ausgeglichen; 2023 waren 55 Prozent aller Personen, die eine Arbeitsstelle im Ausland angetreten haben, weiblich.
Die Regierung prägte den Begriff der Overseas Filipino Workers (OFWs), der inzwischen Teil der Alltagssprache geworden ist. Er bezieht sich auf temporäre Kontraktarbeit im Ausland, bei der Arbeitnehmer*innen in der Regel für zwei Jahre angestellt sind. Viele Kontraktarbeiter*innen verlängern ihre Verträge mehrmals und sind so häufig über viele Jahre hinweg im Ausland tätig.
Arbeitsmigration ist auf den Philippinen stark institutionalisiert. Um die Arbeit mehrerer staatlicher Einrichtungen wie der Philippine Overseas Employment Administration (POEA) – verantwortlich für die Rekrutierung – oder des National Reintegration Center for OFWs (NRCO) für rückkehrende Migrant*innen besser zu bündeln, wurde 2023 mit dem Department of Migrant Workers (DMW) eine neue Behörde geschaffen. Auch die Overseas Workers Welfare Administration (OWWA) fungiert als eine dem DMW angeschlossene Behörde. Durch die Gründung des DMW erhofft sich die Regierung eine Steigerung der Effizienz; gleichzeitig weisen Kritiker*innen darauf hin, dass durch die Schaffung der Behörde die Institutionalisierung der Entsendung von Arbeitskräften weiter voranschreitet. Der Aufgabenbereich des DMW unterscheidet sich von der Commission on Filipinos Overseas (CFO), deren Auftrag in der Betreuung von permanenten Migrant*innen und der philippinischen Diaspora liegt.
Die aktuelle Regierung unter Ferdinand Marcos Jr. – dem Sohn des Präsidenten, der 1974 das Entsendeprogramm initiierte – schloss 2024 53 bilaterale Arbeitsabkommen (Bilateral Labor Agreements) ab, etwa mit Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Kroatien, Japan, aber auch mit Deutschland als Schlüsselpartner zur Einstellung von Pflegepersonal im Rahmen der Global Skills Partnership. Die Vereinbarungen umfassen ethische Standards für Rekrutierungsprozesse, den Schutz der Arbeiter*innen sowie faire Arbeitsbedingungen.
In den vergangenen Jahren haben sich die Philippinen zu einem wichtigen Akteur auf globaler Ebene im Diskurs über die Steuerung von Migration und den Nexus zwischen Migration und Entwicklung entwickelt.
Der Schutz der Migrant*innen hat dabei nicht an Aktualität verloren. Viele philippinische Arbeitnehmer*innen sind nach wie vor ernsthaften Bedrohungen ausgesetzt – unter anderem Evakuierungen vor Kriegen, Vergewaltigungen oder Menschenhandel. Fehlende Auszahlung des Lohns oder ein zu geringer Lohn sowie schlechte Bedingungen der Unterbringung und unzumutbare Arbeitsbedingungen sind weitere Missstände. Außerdem sind illegale Rekrutierungen ein anhaltendes Problem: Zwischen 2018 und 2022 hat das Philippines’ Office of the Court Administrator in 2300 Fällen Anklage wegen illegaler Anwerbung erhoben. Zwischen 2020 und 2022 haben philippinische Botschaften in verschiedenen Golfstaaten wie auch in Malaysia und Hongkong fast 51000 in Not geratene Migrant*innen unterstützt, die Mehrzahl davon Frauen.
Auf den Philippinen gibt es eine lebendige Zivilgesellschaft, die für die Rechte von Arbeitsmigrant*innen eintritt. Beispielsweise hat die NGO Atikha es sich zur Aufgabe gemacht, rückkehrende Migrant*innen in ihrer Reintegration zu unterstützen, während sich das Center for Migrant Advocacy (CMA) für die Rechte von Migrant*innen auf politischer Ebene einsetzt. Die linksgerichtete NGO Migrante International setzt sich gegen illegale Rekrutierung und schlechte Arbeitsbedingungen ein. Auch im Ausland sind NGOs und kirchliche Organisationen aktiv, die sich für die Rechte philippinischer Arbeitsmigrant*innen einsetzen. In Hong Kong beispielsweise ist eine Vielzahl von NGOs aktiv, die sich auch mit anderen Migrant*innenorganisationen regional und international vernetzen.
Filipinos auf dem globalen Arbeitsmarkt
Auch wenn philippinische Migrant*innen in mehr als 200 Ländern leben, konzentriert sich die Anwerbung von Arbeitskräften auf bestimmte Regionen. Die wichtigsten Zielregionen von Arbeitsmigrant*innen sind dabei seit den 1970er Jahren stabil geblieben (Tabelle). Das Golfmigrationssystem ist seit Beginn der staatlichen Förderung der Arbeitsmigration charakterisiert durch ein Rotationsprinzip und das Prinzip der zirkulären Kontraktarbeit. Das intra-asiatische Migrationssystem umfasst Zielländer in Ost- und Südostasien. Hier ist besonders seit den 1990er Jahren ein Anstieg von weiblichen Arbeitskräften in Privathaushalten zu verzeichnen. Migration in die USA, nach Kanada oder Australien unterscheidet sich von den vorher genannten Migrationssystemen, da in diese Länder häufig dauerhafte Migration möglich ist.
Der Anteil von Filipinos in Europa ist, verglichen mit anderen Weltregionen, mit etwa neun Prozent deutlich kleiner. In der Vergangenheit wurden Filipinos insbesondere in Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien im Haushalts- oder Gesundheitssektor angestellt. Deutschland rekrutierte bis zum Anwerbestopp 1974 philippinische Pflegekräfte, von denen die Mehrzahl Frauen waren. Wegen des Aufnahmestopps ausländischer Arbeitskräfte war in den darauffolgenden Jahrzehnten Migration aus den Philippinen nach Deutschland fast nur noch über den Familiennachzug möglich. Erst der Fachkräftemangel veranlasste die deutsche Regierung, erneut philippinische Fachkräfte im Pflegebereich anzuwerben, und eröffnete neue legale Migrationswege.
Seit 2013 gibt es in Deutschland das Triple-Win-Programm, über das philippinische Pflegekräfte in Deutschland angestellt werden können. Bis 2023 kamen über dieses Programm etwa 6000 Pflegekräfte aus den Philippinen und fünf weiteren Ländern nach Deutschland. Deutschland und die Philippinen schlossen 2019 die erste Global Skills Partnership (GSP) für Pflegekräfte ab; in einer GSP zahlt das Zielland für die Ausbildung der Pflegekräfte in deren Herkunftsland. Einige der Krankenpflegeschüler*innen werden nach Deutschland entsandt, während andere auf den Philippinen bleiben. Aktuell arbeiten über das Programm bereits 44 Personen hierzulande, etwa hundert Personen planen die Migration nach Deutschland.
Auch die Sektoren, in denen philippinische Migrant*innen weltweit angestellt werden, sind über die Jahre konstant geblieben. Etwa ein Viertel aller Seeleute kommen von den Philippinen; dazu zählen Personen, die in nautischen Berufen arbeiten ebenso wie Servicekräfte an Bord von Kreuzfahrtschiffen. Eine geringere Anzahl an Filipinos ist im Bau- oder Ingenieurwesen, der Öl- und Gasindustrie oder der Informationstechnologie als Fachkräfte beschäftigt.
Ebenso sind viele Filipinos als Pflegekräfte angestellt. 2021 waren etwa die Hälfte der insgesamt 620000 examinierten Pflegekräfte im Ausland beschäftigt,
Der größte Anteil aller Arbeitsmigrant*innen, überwiegend Frauen, arbeitet in privaten Haushalten. 2024 waren fast 54 Prozent aller Neuanstellungen Reinigungskräfte, Haushaltshilfen und Haushälter*innen,
Rücküberweisungen
Die monetären Rücküberweisungen philippinischer Arbeitsmigrant*innen sind eine wichtige Stütze der philippinischen Wirtschaft und federn sie gegen externe Krisen ab. Während sie zwischen 1981 und 1990 nur etwa 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betrugen, stiegen sie 2012 auf 11,7 Prozent des BIP. Im Jahr 2024 erreichten die Rücküberweisungen die Rekordsumme von 38,4 Milliarden Dollar und entsprechen damit 8,3 Prozent des BIP (Abbildung 2).
Dass Rücküberweisungen das Rückgrat der philippinischen Wirtschaft bilden, lässt sich insbesondere in Krisenjahren wie zur Zeit der Asienkrise 1997 oder der globalen Finanzkrise 2008/09 beobachten. Im Gegensatz zu Indonesien und Thailand, die von der Finanzkrise in Asien stark betroffen waren, federten die Rücküberweisungen der Arbeitsmigrant*innen einen wirtschaftlichen Abschwung auf den Philippinen ab. Während der globalen Finanzkrise zeigte sich der gleiche gegenzyklische Effekt: Obwohl in den VAE und anderen Ländern Migrant*innen nicht weiter beschäftigt werden konnten, wuchsen die Rücküberweisungen in den Krisenjahren sogar um 4 Prozent an.
Auch wenn Arbeitsmigrant*innen aus allen Regionen der Philippinen kommen, stammt ein Großteil aus der Nähe von Manila auf der Insel Luzon – etwa aus der mehrere Provinzen (Cavite, Laguna, Batangas, Rizal und Quezon) umfassenden Region CALABARZON. Dies erklärt sich mit deren hoher Bevölkerungsdichte, aber auch mit den Netzwerken von Migrant*innen in diesen Regionen. Entsprechend fließen auch hohe Summen an Rücküberweisungen in diese Regionen, die dann wiederum stärker als andere Provinzen davon profitieren.
Rücküberweisungen sind nicht nur eine Stütze der philippinischen Wirtschaft, sondern in ihnen zeigen sich familiäre Verpflichtungen, Verwandtschaftsbeziehungen, Pflichten der Kinder und Verantwortlichkeiten der Eltern. Eine kulturelle Manifestation familiärer Beziehungen und Verwandtschaftsbeziehungen symbolisiert sich im Verschicken von sogenannten Balikbayan-Boxen: Kartons gefüllt mit Geschenken wie Kleidung, Spielsachen, Kosmetika oder elektronischen Gütern aus dem Zielland, die Migrant*innen an die Daheimgebliebenen schicken.
Migration als Alltagskultur
Durch die über 50 Jahre andauernde hohe Arbeitsmigration ist auf den Philippinen eine Migrationskultur entstanden – Migration ist Teil des Alltagslebens und wird sehr positiv gesehen. Eine erfolgreiche Arbeitsmigration bringt in der Regel nicht nur individuelle Vorteile, sondern birgt auch Vorteile für Familie und Verwandte. Migrant*innen unterstützen die Bildung ihrer Kinder, Nichten oder Neffen. Bildung wird als wichtige Voraussetzung für soziale Mobilität angesehen und Migration zugleich als eine Investition in die Zukunft betrachtet.
Ein Symbol für Erfolg und Wohlstand durch Migration sind einige Dörfer in den Provinzen Batangas und Laguna, bekannt als „italienische Dörfer“, in denen eine Mehrzahl der Bewohner*innen in Italien arbeitet. Große Villen sind in gedämpftem Rosa oder Gelb gestrichen, mit Bögen, Steinmetzarbeiten, Gitterwerken und römisch inspirierten Säulen verziert und künden vom Wohlstand ihrer Besitzer*innen.
Durch die Entsendung von Arbeitskräften, den Rücküberweisungen und der finanziellen Unterstützung der Familien ist eine neue Mittelklasse entstanden. Erfolgreiche Migration führt zu sozialem Aufstieg und verspricht einen Lebensstatus. Gleichzeitig ist diese Mittelklasse durch ihren volatilen Status geprägt: Fallen Einkünfte durch Rücküberweisungen weg, können diese Familien leicht wieder den hart erarbeiteten Status verlieren. Als Folge sind viele Familien gezwungen, eine erneute Migration auf sich zu nehmen, um die finanzielle Stabilität und den neuen sozialen Status aufrechtzuerhalten.
Transnationale Familien, Sorgearbeit und Geschlecht
Das Modell der zirkulären Kontraktarbeit ermöglicht keine Migration der gesamten Kernfamilie. Stattdessen ist das Modell so ausgerichtet, dass in der Regel ein Familienmitglied im Ausland arbeitet, während die Kinder und die anderen Familienmitglieder auf den Philippinen zurückbleiben. 2018 etwa hatten 12 Prozent aller philippinischen Haushalte ein Familienmitglied, das als Arbeitsmigrant*in im Ausland lebt.
Auch etablierte Geschlechterstrukturen werden durch Migration neu verhandelt. Viele Arbeitsmigrant*innen sind Mütter, die ohne ihre Kinder migrieren. Traditionell sind auf den Philippinen die Mütter für die Sorgearbeit und die Väter für das Familieneinkommen zuständig. Diese etablierte Arbeitsteilung wird nun herausgefordert. Studien weisen darauf hin, dass es in der Regel die weiblichen Familienmitglieder sind, zum Bespiel die älteren Töchter, die Tante oder die Oma, die die Rolle der Mutter einnehmen, die nun das Familieneinkommen erwirtschaftet.
Fazit
Arbeitsmigration hat sich auf den Philippinen verstetigt; sie ist nicht nur zu einem unverzichtbaren wirtschaftlichen Rückgrat geworden, sondern ebenfalls Teil der Alltagskultur. Während die Entsendung von Arbeitskräften seit 50 Jahren propagiert wird und die Philippinen als Vorbild für Migrationssteuerung gelten, weisen Kritiker*innen darauf hin, dass zugunsten von Arbeitsmigration die Entwicklung von Industrie und Landwirtschaft auf den Philippinen vernachlässigt wurde.
Pro Tag verlassen etwa 6850 Personen die Philippinen, um im Ausland eine Arbeitsstelle aufzunehmen. Gemessen an diesen Zahlen relativiert sich die Anzahl von rund 3000 bis 4000 Filipinos, die über das Triple-Win-Programm und die GSP seit über zehn Jahren nach Deutschland gekommen sind – und damit auch die Bedeutung von Deutschland als Zielland. Gleichzeitig könnte Deutschland aufgrund seiner alternden Bevölkerung und des Fachkräftemangels zukünftig für die Philippinen als Zielland deutlich an Relevanz gewinnen.