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Gewalt als vermeintliche Lösung | Philippinen | bpb.de

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Gewalt als vermeintliche Lösung Dutertes Drogenkrieg auf den Philippinen

Peter Kreuzer

/ 14 Minuten zu lesen

Im „Drogenkrieg“ unter Präsident Duterte zwischen 2016 und 2022 wurden Tausende bei Polizeieinsätzen erschossen. Wie konnte das in einer Demokratie geschehen? Und weshalb gab es statt Widerstand breite Zustimmung in der Bevölkerung?

Am 12. Mai 2025 wurde der ehemalige philippinische Präsident Rodrigo Duterte auf Grundlage eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit festgenommen. Noch am selben Tag lieferte ihn die Regierung seines Nachfolgers Ferdinand Marcos Jr. nach Den Haag aus.

Die Anklagepunkte gegen Duterte reichen bis in seine Zeit als Bürgermeister von Davao City zurück, als eine Todesschwadron zahlreiche mutmaßliche Kriminelle tötete. Sie beziehen sich jedoch vor allem auf den Krieg gegen Drogen, den Duterte während seiner Präsidentschaft von 2016 bis 2022 ausrief. In dessen Verlauf wurden über 6.000 Menschen von der Polizei in Anti-Drogen-Einsätzen getötet, davon mehr als 2.000 in den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit.

Im Folgenden stehen genau dieser Drogenkrieg und seine vielfachen Paradoxien im Zentrum: Ein Kandidat, der öffentlich zur Tötung von Drogenkriminellen aufruft, gewinnt die Präsidentschaftswahl mit deutlichem Vorsprung. Die Polizei setzt diese Drohungen um und tötet Tausende mutmaßliche Dealer und Konsumenten – in einem Land mit demokratischer Verfassung und rechtsstaatlichen Prinzipien. Trotz der enormen Zahl an Todesopfern unterstützt eine breite Mehrheit der Bevölkerung diesen Kurs. Sämtliche Kontrollinstanzen – polizeiinterne Aufsicht, Justiz und Parlament – bleiben untätig.

Polizeigewalt im Wandel

Wie in vielen anderen Ländern gibt es auch auf den Philippinen keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viele Menschen durch Polizeieinsätze getötet werden. Die folgenden Angaben beruhen auf eigenen Auswertungen sowie auf Berichten philippinischer Medien und offiziellen Polizeidaten.

Wenn man die Jahre Dutertes zunächst außer Acht lässt, zeigt sich: Unter dem amtierenden Präsident Marcos Jr. ist die Zahl der tödlichen Schusswaffeneinsätze der Polizei wieder auf das Niveau der Amtszeiten von Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo (2001–2010) und Präsidentin Corazon Aquino (2010–2016) gesunken beziehungsweise liegt sogar leicht darunter (Abbildung 1).

Auffällig ist: Vor Dutertes Amtszeit wurden bei Polizeischüssen mehr als 90 Prozent der Opfer getötet, rund 10 Prozent erlitten nicht-tödliche Verletzungen. Nach seiner Zeit im Amt stieg der Anteil der Verletzten auf zuletzt 30 Prozent, was darauf hindeutet, dass tödliche Gewalt inzwischen seltener eingesetzt wird. Gleichzeitig nahm auch die Zahl der bei Schusswaffeneinsätzen verletzten und getöteten Polizisten zu. Unter Ausschluss gezielter Attentate ergibt sich für die drei Jahre zwischen Juli 2022 und Juni 2025 das folgende Verhältnis: 608 getöteten und 84 verletzten Zivilpersonen stehen 51 getötete und 129 verletzte Polizisten gegenüber. Die hohe Zahl getöteter und verletzter Polizisten spricht dafür, dass extralegale Tötungen entweder gar nicht mehr oder nur noch in wenigen Ausnahmefällen vorkommen. Zudem bestärkt sie den Eindruck, dass die meisten gemeldeten Vorfälle tatsächlich bewaffnete Auseinandersetzungen waren. Gleichzeitig zeigt das Verhältnis auf der Seite der Verdächtigen – sehr viele Tote, aber nur wenige Verletzte –, dass die Polizei weiterhin übermäßig tödliche Gewalt einsetzt, also mehr als nötig wäre, um akute Gefahren abzuwehren.

Für Dutertes Amtszeit zeigt sich ein anderes Bild, das jedoch mangels differenzierter Datensätze weniger klar ist. Laut offiziellen Daten wurden allein in den ersten sechs Monaten seiner Präsidentschaft 2169 Menschen bei Anti-Drogen-Einsätzen getötet – fast ebenso viele wie in den vorangegangenen neuneinhalb Jahren zusammen (Abbildung 2). Hinzu kommen die Toten, die in anderen Kontexten starben, etwa bei Schießereien nach Raubüberfällen, bei direkten Angriffen auf die Polizei oder beim Vollzug von Haftbefehlen. Darüber hinaus gibt es Todesopfer bei anderen bewaffneten Auseinandersetzungen. Hier blieben die Zahlen mit knapp über 200 Toten pro Jahr in etwa auf dem Niveau der Jahre vor Duterte. Ab 2017 sank die Zahl der Tötungen im Drogenkrieg deutlich; die Gesamtzahl der getöteten Verdächtigen blieb jedoch über dem Niveau vor Dutertes Amtszeit. Genaueres lässt sich mangels Daten über die Zahl der verletzten Zivilpersonen und der Opfer auf Polizeiseite nicht sagen.

Für die Provinz Bulacan liegen allerdings für die einzelnen Einsätze detaillierte Polizeidaten vor, die ich für die ersten Jahre des Drogenkriegs ausgewertet habe. In dieser Provinz wurden in den ersten beiden Jahren des „War on Drugs“ 397 Menschen bei Anti-Drogen-Einsätzen getötet. Nur ein Verdächtiger überlebte verletzt, ein Polizist starb, kein weiterer wurde als verletzt gemeldet. Diese Zahlen lassen nur eine Interpretation zu: Die Polizei setzte die Schusswaffen in vielen Fällen mit dem Ziel ein, zu töten. Bei einem großen Teil der vermeintlichen bewaffneten Auseinandersetzungen handelte es sich zudem um einseitige Gewalt, also um gezielte Tötungen.

Gezielte Tötungen sind eine weitergehende Form exzessiver Gewalt, da sie keine bewaffnete Auseinandersetzung voraussetzen. Wenngleich selten, müssen sie bereits vor Duterte für eine Reihe von Fällen angenommen werden. Am bekanntesten ist ein Ereignis aus dem Jahr 2013, bei dem 13 Menschen im Rahmen einer einer Polizeikontrolle erschossen wurden. Der offizielle forensische Bericht des National Bureau of Investigation (NBI) kam zu dem Schluss, dass Beweise manipuliert wurden und die Tötung dieser Personen das Ziel der Operation war. Zwar wurden einige Polizisten zunächst suspendiert, später jedoch wieder eingestellt. Trotz der eindeutigen forensischen Analyse des NBI wurde der verantwortliche Offizier befördert und die Mordanklage gegen ihn 2025 mit der Begründung fallengelassen, die Gewalt sei angesichts der Gefahr gerechtfertigt gewesen. Ähnlich prominent war eine „Schießerei“ zwischen der Polizei und Mitgliedern eines Verbrechersyndikats im Jahr 1995, bei der elf Kriminelle starben, ohne dass auch nur ein Polizist verletzt wurde. Spätere Untersuchungen ergaben, dass viele der Getöteten gefesselt waren und durch Kopfschüsse starben. Dies wurde durch Zeugenaussagen von Polizisten untermauert. Die Anklage zog sich über viele Jahre hin. Der oberste Verantwortliche bei der Polizei wurde währenddessen zum nationalen Polizeichef befördert und nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst 2001 zu einem der 24 Senatoren der Philippinen gewählt. Die Anklage wurde schließlich 2013 vom Obersten Gericht endgültig ad acta gelegt. Exzessive Gewalt kam auch bei einem Schusswechsel im Jahr 2008 in der Stadt Parañaque zum Einsatz, bei dem alle 14 Mitglieder eines Syndikats erschossen wurden, manche aus nächster Nähe. Auch in diesem Fall zogen sich die Verfahren gegen beteiligte Polizisten zunächst hin und wurden nach einigen Jahren eingestellt.

Solche Fälle zeigen, dass das unter Duterte zur Normalität gewordene Vorgehen – gezielte Tötungen und der exzessive Einsatz von Gewalt zur Verbrechensbekämpfung – keinesfalls eine völlige Neuerung war. Bereits vor seiner Amtszeit kam es wiederholt zu außergerichtlichen Tötungen durch die Polizei, die nicht von Gerichten geahndet wurden. Auch wenn sich die Zahl der Tötungen während des „Kriegs gegen die Drogen“ deutlich von den Vorjahren unterscheidet, folgt die staatliche Gewalt im Drogenkrieg einem Muster, das bereits zuvor praktiziert wurde – wenn auch in abgeschwächter Form.

Breite Zustimmung

Rodrigo Duterte wird häufig als Populist bezeichnet. Doch das greift zu kurz. Er war kein bloßer Stimmenfänger, der eine harte Linie verfolgte, um Wählerstimmen zu gewinnen. Vielmehr war er ein Überzeugungstäter, der seine Haltung seit Jahrzehnten unabhängig von der öffentlichen Meinung vertrat. Im Wahlkampf 2016 nutzte er gezielt alte und neue Medien. Diese konzentrierten sich fast ausschließlich auf seine drastischen Aussagen zum Drogenproblem, das er zur nationalen Bedrohung erklärte. Umfragen aus dem Jahrzehnt vor seiner Präsidentschaft zeigten ein stabiles Maß an Kriminalitätsfurcht und Berichte über persönlich erfahrene Kriminalität. Dies änderte sich mit der medial breit ausgeschlachteten Kampagne gegen Drogenkriminalität: In ihrem Gefolge wuchsen die berichtete Furcht vor sowie die Sorge vor Betroffenheit von Verbrechen deutlich an, obwohl die Kriminalitätsdaten hierfür keinerlei Begründung lieferten. Hier wirkten ein Kandidat mit radikalen Positionen und eine Medienlandschaft, die diesen Positionen breiten Raum gab, zusammen und schufen so jene 40 Prozent der Wähler, die Duterte, verunsichert, ängstlich und auf harte Strafen fixiert, an die Macht brachten. Während seiner Präsidentschaft standen bei Befragungen sogar durchgängig rund 80 Prozent der Befragten hinter Duterte und seinem „Krieg gegen die Drogen“.

Diese breite Zustimmung ist auf eine Kombination unterschiedlicher Faktoren zurückzuführen: Zum einen stellte die Regierung die Zahl der Getöteten als Randerscheinung dar – verursacht durch Kriminelle, die sich Festnahmen widersetzten. Öffentlich betont wurde hingegen die große Zahl der Festnahmen. Hinzu kommt die Darstellung der Kampagne als großer Erfolg, belegt durch deutlich sinkende Kriminalitätsraten. Mit Ausnahme von Vergewaltigungen gingen schwere Straftaten um 60 Prozent zurück. Die Zahl der Morde sank von durchschnittlich über 9000 vor Dutertes Amtszeit auf 4272 im Jahr 2022. Damit wurde der Bevölkerung der Eindruck eines klaren Erfolgs vermittelt – im deutlichen Kontrast zur zuvor als ineffektiv wahrgenommenen Strafverfolgung.

So wurden zwischen 2009 und 2015 weniger als zwei Drittel der bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Mordfälle vor Gericht gebracht. Von allen Strafverfahren in diesem Zeitraum endeten lediglich 17 Prozent mit einer Verurteilung. Zwar gab es nur in 7 Prozent der Fälle einen Freispruch, doch wurden 40 Prozent der Verfahren eingestellt, der Rest wurde archiviert. Berücksichtigt man, dass viele Fälle gar nicht erst von der Polizei an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurden und diese nur zwei Drittel der eingegangenen Fälle zur Anklage brachte, zeigt sich das dramatische Ausmaß der Straflosigkeit. In einer solchen Situation erscheint extralegale Gewalt, also Gewalt beziehungsweise Bestrafung außerhalb rechtsstaatlicher Verfahren, für viele als akzeptable Alternative. Für Polizei und Regierung war sie ein Mittel, um einen starken Staat zu simulieren, der seine Bürger schützt. Entsprechend wurden die Toten in offiziellen Erklärungen nicht etwa verschwiegen, sondern als Beleg für Entschlossenheit und Erfolg präsentiert.

Hinzu kommen kulturelle Einstellungsmuster: Im internationalen Vergleich scheinen die Menschen auf den Philippinen eine besonders hohe Toleranz gegenüber Gewaltanwendung zur sozialen Kontrolle und zur Durchsetzung von Interessen zu zeigen. Dies legen zumindest die Ergebnisse des World Values Survey nahe. Hier sind mehrere Fragen relevant, die sich darauf beziehen, inwieweit die Anwendung von Gewalt in verschiedenen Kontexten aus Sicht der Befragten rechtfertigbar ist. Auf einer Skala von 1 („niemals“) bis 10 („immer“) geben auffallend viele Befragte auf den Philippinen an, dass Gewalt unter bestimmten Bedingungen akzeptabel sei. Das Land belegt diesbezüglich im internationalen Vergleich durchgängig Spitzenplätze. Wie Abbildung 3 zeigt, lehnt auf den Philippinen im Vergleich zum weltweiten Durchschnitt ein deutlich kleinerer Teil der Bevölkerung Gewalt grundsätzlich ab. Gleichzeitig ist die Bereitschaft, Gewalt unter weit gefassten Umständen (auf der Skala 7–10) zu akzeptieren, sehr hoch.

Hinzu kommt eine stark ausgeprägte Straforientierung großer Teile der Bevölkerung. Damit sind Einstellungsmuster gemeint, die harte Strafen für Kriminelle befürworten – bis hin zur Zustimmung zu Maßnahmen, die rechtsstaatliche Prinzipien verletzen. So stimmten in einer älteren Umfrage rund 70 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass grausame Kriminelle sofort und außerhalb des Rechtssystems bestraft werden sollten. 2022 sprachen sich in einer repräsentativen Umfrage 85 Prozent der Befragten für Strafverschärfungen als Mittel der Kriminalitätsbekämpfung aus, 67 Prozent befürworteten eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters von 15 auf 13 Jahre. 72 Prozent hielten den Drogenkrieg des Präsidenten auch im Rückblick noch für notwendig, und 40 Prozent stimmten dem Einsatz von Folter durch die Polizei zur Informationsgewinnung zu. Weitere 24 Prozent äußerten sich hierzu neutral, während lediglich 19 Prozent dies klar ablehnten. Selbst die sogenannte soziale Säuberung, in der Befragung definiert als gezielte Tötung „unerwünschter“ Menschen, fand Zustimmung bei 30 Prozent der Befragten, während sich weitere 21 Prozent neutral verhielten. Der Aussage, Gewalt sei ein notwendiges Mittel zur Lösung sozialer Probleme, stimmten 44 Prozent der Befragten zu.

Diese Einstellungen zu Strafe und Gewalt als Mittel sozialer Kontrolle fügen sich in eine allgemeine Wertschätzung autoritärer Führungsstile ein. Obwohl sich die meisten Filipinos und Filipinas zur Demokratie bekennen, befürworten über 80 Prozent mehr Respekt für Autoritäten. Drei Viertel finden die Idee eines starken Anführers gut, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss. Beides liegt weit über dem globalen Durchschnitt von 55,3 beziehungsweise 45,5 Prozent.

Duterte erfüllte das Ideal eines starken Führers, der sich um das Wohl der Bevölkerung kümmert: In einer Reihe von Befragungen hielten über 70 Prozent ihn für mutig, entschlossen, verantwortungsvoll, fürsorglich, mit Liebe für die Philippinen und Sorge um die Filipinas und Filipinos. Die Mehrheit sah ihn zudem als „nah an den Armen“ an, selbstlos, aufrichtig, gerecht und zugänglich – Eigenschaften, die nur von einer Minderheit der Befragten anderen Politikern zugeschrieben wurden.

Das erklärt, warum Duterte auch nach seiner Amtszeit sehr beliebt blieb. Zwei Monate nach seiner Verhaftung genoss er noch das Vertrauen von über 60 Prozent der Bevölkerung, während der amtierende Präsident nur auf etwa 30 Prozent kam. Trotz seiner anhaltenden Inhaftierung gewannen Rodrigo Duterte und sein Sohn Sebastian im Mai 2025 die Wahlen zum Bürgermeister beziehungsweise zu dessen Stellvertreter in Davao City, mit 88 Prozent der Stimmen. Auch die beiden prominentesten Köpfe des Drogenkriegs, darunter der damalige Polizeichef Ronald Dela Rosa, wurden bei diesen Wahlen mit der höchsten beziehungsweise dritthöchsten Zustimmung von jeweils über 20 Millionen Stimmen als Senatoren der Philippinen wiedergewählt.

Die Kombination aus einer hohen Gewaltrate bei ineffektiver Justiz, einer medial erfolgreich etablierten hohen Kriminalitätsfurcht, einer vergleichsweise breiten Akzeptanz harter Bestrafung und Gewalt als Mittel sozialer Kontrolle sowie einer Persönlichkeit, die für viele dem Ideal eines starken, durchsetzungsfähigen und am Gemeinwohl orientierten Politikers entspricht, erklärt, warum Dutertes brutaler Drogenkrieg auf so breite Zustimmung stieß. Die vermeintlichen Erfolge – etwa eine Million Personen, die sich „freiwillig“ registrierten, sowie 86.000 Festnahmen allein im ersten Jahr – ließen die mehr als 3.000 Getöteten desselben Zeitraums wie einen bedauerlichen, aber akzeptablen Kollateralschaden erscheinen, dem eine allgemeine und deutliche Reduktion der Kriminalität gegenübersteht.

Ohnmacht der Kontrolle

Die breite Zustimmung zum Präsidenten und seinem Drogenkrieg war der Hintergrund, vor dem die Kontrollinstitutionen agierten. Zu diesen zählen einerseits Stellen, die polizeiliches Fehlverhalten direkt untersuchen und sanktionieren, wie etwa die Innenrevision, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte, andererseits politische Organe, die den Präsidenten kontrollieren sollen, wie der Senat und das Repräsentantenhaus.

Obwohl die Innenrevision gesetzlich dazu verpflichtet ist, bei tödlichen Polizeieinsätzen unabhängig zu ermitteln, hat sie keinen einzigen Fall an die Staatsanwaltschaft überwiesen. Auch diese blieb untätig. Wenn überhaupt Ermittlungen aufgenommen wurden, bestätigten sie stets die Version der Polizei – basierend ausschließlich auf deren Einsatzberichten. Dabei wären Staatsanwälte bei schweren Straftaten verpflichtet, auch ohne Anzeige aktiv zu werden. Dies unterblieb jedoch vollständig.

Anfangs äußerte sich die Präsidentin des Obersten Gerichts kritisch zum Drogenkrieg. Nachdem Duterte jedoch öffentlich Druck ausübte und – aus ganz anderen Gründen – ein Amtsenthebungsverfahren gegen sie einleitete, wurde sie von ihren Kolleginnen und Kollegen abgesetzt und aus dem Amt gedrängt. Dies war ein deutliches Signal der Unterwerfung unter die Exekutive.

Ähnlich reagierten beide Parlamentskammern: Im Senat wurde die lauteste Kritikerin Dutertes als Vorsitzende eines Ausschusses abgesetzt. Damit endete auch die von ihr angestoßene Untersuchung mit einem Bericht, der extralegale Tötungen als Einzelfälle durch kriminelle Polizisten darstellte. Im Repräsentantenhaus blieben die zuständigen Ausschüsse für Menschenrechte und Drogenpolitik ebenfalls untätig, abgesehen davon, dass sie die Verhaftung der kritischen Senatorin unterstützten, die auf einer offensichtlich konstruierten Anklage wegen angeblicher Drogengeschäfte basierte.

Obwohl Dutertes öffentliche Aufrufe zur Tötung von Kriminellen eindeutig gegen die Verfassung verstießen, verzichtete das Parlament auf ein Amtsenthebungsverfahren. Im Gegenteil: Viele Parteien schlossen sich nach der Wahl dem Regierungslager an. Zahlreiche Abgeordnete traten sogar Dutertes Partei bei, um ihre Loyalität zu demonstrieren.

Die Ursachen für dieses Versagen sind vielfältig. Im Kern jedoch untergraben informelle Praktiken die Wirkung formeller Institutionen. Die polizeiinterne Kontrolle und die Staatsanwaltschaften hielten an alten Routinen fest, die grundsätzlich von rechtmäßigem Verhalten der Polizei ausgehen, solange kein klarer Gegenbeweis vorliegt. Zudem vernachlässigten sie wie schon in früheren Jahren ihren gesetzlichen Auftrag, schwere Straftaten auch ohne Anzeige zu verfolgen. Viele Opferfamilien wagten aus Angst vor Repressalien keine Anzeige, was der Staatsanwaltschaft wiederum einen Vorwand lieferte, untätig zu bleiben.

Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 begann das Repräsentantenhaus mit einer begrenzten Aufarbeitung. Dies geschah jedoch erst spät – zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Ferdinand Marcos Jr. und erst, nachdem der Bruch des neuen Präsidenten mit seinem Vorgänger offen zutage getreten war und es daher opportun erschien, gegen Duterte vorzugehen.

Das Versagen der politischen Klasse war absehbar. Es folgte einem altbekannten Muster: In der philippinischen Politik – oft als „Anarchie der Familien“ bezeichnet – dienen Parteien meist nur als Hülle für mächtige Familien und ihre Allianzen, die um Einfluss konkurrieren. Nach jeder Wahl wechseln viele Akteure das Lager und oft auch die Partei. Die Anpassung an den amtierenden Präsidenten erscheint vielen Abgeordneten überlebenswichtig, da sie sich so den Zugang zu staatlichen Geldern sichern, die sie für ihre Wiederwahl benötigen. Und genau deshalb fungiert das Parlament – anders als etwa in den USA oder Frankreich – selbst im Fall einer potenziellen Oppositionsmehrheit (USA: divided government, Frankreich: cohabitation) nicht als Kontrollinstanz. Dieses System besteht bis heute. Nur wenige wagen es, sich dem zu entziehen, doch aufgrund ihrer geringen Zahl bleiben sie machtlos.

Gefahr der Wiederkehr?

Unter geeigneten Rahmenbedingungen ist eine Rückkehr einer politischen Persönlichkeit wie Rodrigo Duterte zwar jederzeit möglich, jedoch auf absehbare Zeit unwahrscheinlich. Die Überstellung des ehemaligen Präsidenten an den Internationalen Strafgerichtshof ist weniger Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels als vielmehr das Ergebnis veränderter opportunistischer Kalküle der Marcos-Regierung. Zugleich ist sie ein Symptom des Versagens der philippinischen Justiz bei der Aufarbeitung des Drogenkriegs: Bislang wurden weder gegen Duterte noch gegen Mitglieder seines engsten Führungszirkels strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet.

Das nach wie vor bestehende Vertrauen in Duterte, seine Wiederwahl zum Bürgermeister von Davao sowie der Wahlerfolg zentraler Repräsentanten des Drogenkriegs in führenden Positionen zeigen, dass sowohl der Drogenkrieg als auch seine Hauptakteure und der von ihnen verkörperte Politikstil nach wie vor mehrheitsfähig sind. Darauf müssen philippinische Politikerinnen und Politiker Rücksicht nehmen, wenn sie gewählt oder wiedergewählt werden wollen.

Die bislang nur mäßig populäre Marcos-Regierung verfolgt eine andere Strategie zur Kriminalitätsbekämpfung, die sich in deutlich gesunkenen Todeszahlen infolge von Polizeieinsätzen widerspiegelt. Gleichzeitig ist es ihr gelungen, die Kriminalitätsrate noch unter das Niveau am Ende der Duterte-Präsidentschaft zu senken.

Vor diesem Hintergrund erscheint ein Wahlerfolg auf Basis eines neuerlichen Versprechens zur radikalen Kriminalitätsbekämpfung derzeit wenig wahrscheinlich. Dies könnte sich bei steigenden Kriminalitätsraten jedoch ändern, da Duterte mit seiner radikalen Strategie einen nachweislich erfolgversprechenden Weg zur Macht vorweisen konnte.

Auch die Faktoren, die Dutertes Aufstieg vor neun Jahren ermöglicht und eine Einhegung der Gewalt verhindert haben, bestehen weiterhin: eine mediale Öffentlichkeit, die den radikalsten Stimmen die größte Bühne bietet, eine weitreichende Straflosigkeit bei den meisten Delikten, eine opportunistische politische Klasse, deren Mitglieder eigene oder familiäre Interessen über das Gemeinwohl stellen, sowie weitverbreitete Einstellungsmuster, die Gewalt als legitimes Mittel der Konfliktlösung tolerieren.

Das womöglich größte Hindernis für eine Wiederholung bleibt jedoch das Fehlen einer Ausnahmepersönlichkeit wie Rodrigo Duterte – jemand, der das Idealbild eines durchsetzungsfähigen Politikers verkörpert, sodass er genügend Rückhalt in der Bevölkerung gewinnt, um Wahlen zu entscheiden – und zugleich willens und in der Lage ist, staatliche Institutionen und die etablierte politische Klasse der eigenen Kontrolle zu unterwerfen oder zu marginalisieren.

Das Versagen der Kontrollinstitutionen bei der Begrenzung oder Verhinderung staatlicher Gewalt demonstriert, dass formale Institutionen nur so wirksam sind, wie ihre Mitglieder bereit sind, die zugrunde liegenden Normen und Werte zu verinnerlichen und diese auch dann in ihrem Handeln zum Ausdruck zu bringen, wenn dies ihren eigenen Interessen zuwiderläuft.

ist Senior Researcher am Programmbereich Innerstaatliche Konflikte des Peace Research Institute Frankfurt (PRIF).