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Ideologische Brücken | Reichsbürger | bpb.de

Reichsbürger Editorial Wer sind die Reichsbürger? „Man kann einen Reichsbürger nicht überzeugen“. Von Fantasietiteln bis zur Kettensäge: Ein Gespräch mit Andreas Ferkau über Einschüchterung, Behördenalltag und die Grenzen von Bürgerfreundlichkeit Verschwörungsideologischer Souveränismus und Rechtsextremismus Die Prozesse gegen die Gruppe Reuß. Einblicke in das Denken der Angeklagten Ideologische Brücken. Über den Zusammenhang von Esoterik, Rechtsextremismus und dem Reichsbürgermilieu Exportierte Staatsverweigerung? Zum globalen Einfluss der US-amerikanischen Sovereign Citizens Vom Kontrollverlust zur Ideologie. Psychosoziale Dynamiken der Rekrutierung von Reichsbürgern

Ideologische Brücken Über den Zusammenhang von Esoterik, Rechtsextremismus und dem Reichsbürgermilieu

Katharina Nocun

/ 15 Minuten zu lesen

Für viele Menschen passen die Schlagworte „Esoterik“ und „Rechtsextremismus“ intuitiv erst einmal nicht zusammen. Doch hinter der scheinbaren Diskrepanz verbirgt sich eine lange Geschichte der Überschneidungen zwischen den beiden Milieus.

Schwer wog der Vorwurf der Staatsanwaltschaft gegen die im Dezember 2022 ausgehobene Gruppierung, die sich selbst „Patriotische Union“ nannte. Von fortgeschrittenen Umsturzplänen war die Rede, von „Feindeslisten“, auf denen staatliche „Repräsentanten vom Minister über Abgeordnete bis hin zum Bürgermeister, Landrat, Amtsarzt, Polizisten und Journalisten“ zu finden waren. Es sollen Schießtrainings abgehalten und sogenannte Heimatschutzkompanien gegründet worden sein. Den Angeklagten wird vor Gericht die Bildung einer terroristischen Vereinigung mit dem Ziel vorgeworfen, einen Staatsstreich gegen die Bundesrepublik Deutschland durchzuführen. Im Zuge der Ermittlungen stellten die Behörden 382 Schusswaffen, 347 Hieb- und Stichwaffen sowie über 148000 Munitionsteile sicher. Zu den skurrilen Funden der Beamten gehörten allerdings auch eine esoterische Abhandlung mit dem Titel „Die Smaragdtafeln von Thoth dem Atlanter“ und eine vergoldete Pyramide im Park des Jagdschlosses eines der Angeklagten: Heinrich XIII. Prinz Reuß.

„Terrorverdächtige Ex-AfD-Abgeordnete beschäftigte Wahrsagerin im Bundestag“, hieß es in einem der vielen Artikel über die Gruppierung. „Ist diese Astrologin eine Terroristin?“, hieß es im „Stern“. „Reichsbürger-Hellseher sahen Zugriff nicht kommen“, spotteten andere. Angesichts des hohen Alters der Angeklagten wurde über den „Rollator-Putsch“ gewitzelt. Zahlreiche Berichte über esoterische Einflüsse im Weltbild der Gruppierung führten dazu, dass einige Menschen die Gefahr verharmlosten. Von Menschen mit einem derart absurd anmutenden Weltbild könne schließlich keine reale Bedrohung ausgehen. Tatsächlich ist die Verquickung von Rechtsextremismus, Esoterik und Verschwörungsideologie jedoch weder neu noch außergewöhnlich.

Geschichtliche Querverbindungen

Es gibt viele Berührungspunkte zwischen Rechtsextremismus und Esoterik, die teilweise eine lange Vorgeschichte haben. Diese lässt sich bis zu zentralen historischen Figuren der westlichen Esoterik zurückverfolgen. In diesem Kontext ist die Esoterikerin und Begründerin der Theosophie, Helena Petrovna Blavatsky (1831–1891), eine wichtige Person. Blavatsky vereinte ihre auf Reisen durch Europa, Afrika, Amerika und Asien gesammelten Eindrücke 1888 in einer Analyse über die angeblichen spirituellen Wurzeln der Menschheit. Diese Analyse ist teils neu erdacht, teils an Mythen und religiösen Erzählungen angelehnt und pseudowissenschaftlich formuliert. In ihrem Buch „Die Geheimlehre“ beschreibt sie die zentralen Konzepte der Theosophie, einer äußerst einflussreichen Denkströmung innerhalb der westlichen Esoterik, deren zentrales Konzept auf der Vorstellung der Existenz sogenannter „Wurzelrassen“ beruhte. Blavatsky zufolge durchläuft die Menschheit seit Millionen von Jahren eine Art spiritueller Evolution, die schließlich auf eine „Rasse der Buddhas“ hinauslaufen soll, wobei die „germanisch-angelsächsische“ oder auch „arische Wurzelrasse“ aus ihrer Sicht die derzeit höchste Stufe spiritueller Reife repräsentiert.

Diese Überlegungen wurden mit zahlreichen Elementen aus unterschiedlichen Religionen und Mythen angereichert. So heißt es etwa, die „vierte Wurzelrasse“ habe auf dem versunkenen Kontinent Atlantis gelebt. Innerhalb dieses rassistischen Weltbildes werden Jüdinnen und Juden als „abnormes Bindeglied“ gesehen. „Durch die spirituelle Wertigkeit legitimiert Blavatsky unter anderem die Vorherrschaft der Weißen gegenüber anderen Völkern“, so die Einordnung des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus. Im Rahmen kolonialer Politik ließen sich Unterdrückung und Ausbeutung innerhalb dieser Erzählung zu einer vermeintlichen Notwendigkeit auf dem Weg zur spirituellen Erleuchtung der Welt im Sinne einer „großen weißen Bruderschaft“ umdeuten.

Mehrere einflussreiche Strömungen der westlichen Esoterik übernahmen zentrale Aspekte des „Wurzelrassen“-Konzepts. Auch die sogenannte Ariosophie. Diese vorwiegend in Österreich und Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreitete esoterische Strömung propagierte unmissverständlich die Vorherrschaft der „arischen Rasse“ und reicherte entsprechende Konzepte mit Antisemitismus sowie einem Sammelsurium aus mystischen und fantastischen Elementen an. Dabei spielten der Bezug auf eine vermeintlich überlegene „germanische Kultur“ sowie die Anlehnung an nordische Mythen eine herausgehobene Rolle. Die Anhänger der Ariosophie gingen von der Existenz eines vergangenen goldenen Zeitalters aus, in dem eine mystische Germanen-Priesterkaste namens „Armanen“ die Geschicke der Menschen im Einklang mit der spirituellen Welt gelenkt haben soll. Dieser angebliche Naturzustand sei durch eine Verwässerung der „arischen Rasse“ verloren gegangen. Darin sah man auch die tiefere Ursache für die Krisen der Moderne. Damit wurde die vermeintliche Notwendigkeit einer radikalen, rassistisch-okkulten politischen Neuorientierung begründet. Der spirituell begründete Herrschaftsanspruch sollte gegenüber den als minderwertig angesehenen Bevölkerungsgruppen durchgesetzt werden.

Auch der in Teilen der Esoterik-Szene bis heute beobachtbare starke Fokus auf Gesundheitsthemen hat geschichtliche Bezüge. Der nach wie vor gängige Begriff „Schulmedizin“, der in esoterischen Kreisen in der Regel abwertend gemeint ist, verbreitete sich im 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum. Diese Zeit war geprägt von starken Konflikten zwischen Vertretern esoterischer, nicht evidenzbasierter Verfahren und einer zunehmend naturwissenschaftlich orientierten Medizin. Innerhalb der auch als „Staatsmedizin“ bezeichneten fortschrittlichen Strömungen hatten Geschichten von Geistern und übernatürlichen Phänomenen schlichtweg keinen Platz mehr. Wissenschaftlich orientierte Institutionen und Verbände forderten eine staatliche Regulierung der „Kurpfuscherei“ und konnten sich damit an vielen Stellen durchsetzen. Dies stieß bei der Anhängerschaft esoterischer Verfahren auf wenig Gegenliebe. Die Impfablehnung jener Zeit wurde immer wieder antisemitisch aufgeladen und vermischte sich dabei mit fortschrittsfeindlichen Ressentiments.

Gesellschaftlich rückwärtsgewandte und antidemokratische Haltungen sowie ein radikaler Antisemitismus waren kennzeichnend für die Zirkel und Gruppen, die sich nach und nach im Umfeld der Ariosophie herausbildeten. Dazu gehörte auch die rund 1500 Mitglieder zählende Thule-Gesellschaft in Bayern. Neben dem Chefideologen der NSDAP, Alfred Rosenberg, versammelten sich hier auch der „Stürmer“-Herausgeber Julius Streicher und der spätere Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß unter einem gemeinsamen Banner.

Das Verhältnis zwischen der NSDAP und zeitgenössischen esoterischen Strömungen innerhalb von Gesellschaft und Partei war widersprüchlich: Zwar betonte Hitler 1938, ein „Einschleichen mythisch veranlagter okkulter Jenseitsforscher“ dürfe „in der Partei nicht geduldet werden“. Zahlreiche esoterische Organisationen wurden während der NS-Herrschaft verboten. Gleichzeitig bedienten sich prominente Persönlichkeiten innerhalb der NSDAP aber okkulter und esoterisch geprägter Versatzstücke, um Menschen zu mobilisieren. Auch wurden immer wieder esoterisch geprägte Initiativen gefördert, beispielsweise zur Stärkung von „Volksgesundheit“ und „Wehrertüchtigung“. Die Beschäftigung des SS-Ahnenerbes mit esoterisch inspirierten Forschungsreisen – wie der Suche nach dem versunkenen Kontinent Atlantis – wurde später von Hollywood aufgegriffen.

Wo zu jener Zeit Esoterik, Wissenschaftsfeindlichkeit und Antisemitismus aufeinandertrafen, war auch immer wieder von einer angeblich „verjudeten und verfreimaurerten Schulmedizin“ die Rede. „Verjudet war die angeblich, weil von rein naturwissenschaftlichem ‚Reduktionismus‘ und ‚Technizismus‘ geprägt“, schreibt Michael Wuliger in der „Jüdischen Allgemeinen“. „An ihre Stelle treten sollte eine ‚Neue deutsche Heilkunde‘, basierend auf Volks- und Naturheilverfahren. Die seien der ‚Schulmedizin‘ häufig überlegen, verkündete Reichsärzteführer Gerhard Wagner 1933 im ‚Deutschen Ärzteblatt‘.“ Gefordert wurde dabei unter anderem die Rückbesinnung auf eine sogenannte biologische Medizin. Nicht evidenzbasierte esoterische Verfahren sollten einen höheren Stellenwert bekommen, um die propagierte „Krise der Medizin“ zu überwinden. Ein Konzept, das im Verlauf des Zweiten Weltkriegs allerdings angesichts von offensichtlich bescheidenen Behandlungserfolgen wohlgemerkt nicht mehr überall als wirklich sinnvoll erachtet wurde.

GNM: Revival antisemitischer Pseudomedizin

Der Deckmantel der Esoterik eignet sich auch heute noch sehr gut, um völkische und rassistische Weltbilder mit einer auf den ersten Blick harmlos wirkenden Verpackung zu versehen. Gerade das Thema Gesundheit erlaubt es, gezielt Menschen in Ausnahmesituationen anzusprechen. Wer keine Notwendigkeit sieht, sich mit Fragen von Evidenz und Risiko aufzuhalten, kann mit vollmundigen Heilungsversprechen werben.

Ein prominentes Beispiel, welches das toxische Zusammenwirken entsprechender Dynamiken eindrucksvoll vor Augen führt, ist die sogenannte Germanische Neue Medizin (GNM). Diese in den 1980er Jahren von Ryke Geerd Hamer erfundene Pseudoheilslehre wird auch als „Germanische Heilkunde“ oder manchmal auch als „Neue Medizin“ bezeichnet. Sie fußt auf der falschen Überzeugung, dass es sich bei Krebs lediglich um ein „sinnvolles biologisches Sonderprogramm“ des Körpers handele. Laut Hamer laufen medizinische Behandlungen ins Leere oder sind gar schädlich. Stattdessen empfahl der 2017 verstorbene ehemalige Arzt seiner Anhängerschaft, gemäß der von ihm postulierten „Eisernen Regeln des Krebses“ in der Vergangenheit liegende Schockerlebnisse, die seiner Meinung nach Auslöser der Erkrankung waren, ausfindig zu machen und anschließend im Rahmen einer ganzen Reihe unwissenschaftlicher Behandlungen aufzulösen. So war er etwa der Meinung, ein für seine Ehefrau geschriebenes Lied mit dem Titel „Mein Studentenmädchen“ würde heilende Kräfte freisetzen. Er begründete dies unter anderem esoterisch mit angeblichen Parallelen zum „Zaubersang des Gottes Wodan“. Ein von Hamer erfundener „Klatschtest“ sollte außerdem Hinweise auf die Lokalisation des mutmaßlichen „Konflikts“ im Gehirn der erkrankten Personen liefern. Evidenzbasierte Behandlungen wie Bestrahlung, Chemotherapie oder die operative Entfernung von Tumoren wurden hingegen rigoros abgelehnt. Dabei hatte sich Hamer im Zuge seiner Hodenkrebserkrankung in den 1970er Jahren noch selbst für eine operative Tumorentfernung entschieden.

Obwohl Ryke Geerd Hamer 1981 an der Universität Tübingen aufgrund gravierender wissenschaftlicher Mängel nicht habilitieren durfte und ihm 1986 schließlich die Approbation entzogen wurde, verbreitete er über viele weitere Jahre hinweg – lediglich unterbrochen von mehreren Haftstrafen – seine absurden Thesen und inszenierte sich dabei regelmäßig als Opfer einer angeblichen Verschwörung. So war Hamer beispielsweise der Meinung, das Scheitern seiner Habilitation sei „jüdischen Logen“ geschuldet und die moderne Onkologie sei Teil eines bösartigen Plans, in dem Juden angeblich danach trachten würden, Nicht-Juden mittels Chemotherapie umzubringen. Ideologisch an antisemitische Narrative der NS-Zeit anknüpfend, behauptete er, die „dumme alte Schulmedizin“ sei „eigentlich eine jüdische Medizin“. Ausgehend von seiner Beschäftigung mit Krebs kam Hamer zu dem Schluss, der wissenschaftlichen Forschung auch bei anderen Fragen weit voraus zu sein. Lange vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie verbreitete er den Irrglauben, Impfungen würden infolge eines geheimen Komplotts mit Mikrochips angereichert, die sich per Satellit zur ferngesteuerten Tötung einsetzen ließen. Darüber hinaus behauptete er, bei AIDS handele es sich um eine „Smegma-Allergie“, also eine Überreaktion des Körpers auf die Substanz, die sich zwischen Penis und Eichel bildet. Beschnittene Juden seien folglich immun. Laut Hamer stellt die medizinische Behandlung die eigentlich lebensbedrohliche Gefahr dar – nicht etwa eine unbehandelte Infektion. Ein tödlicher Irrglaube.

Antisemitismus als Brücke zu rechtsextremen Gruppierungen

Insbesondere ihr offen zur Schau gestellter und drastischer Antisemitismus machte die esoterisch angereicherte Pseudoheilslehre von Hamer in Teilen der extremen Rechten äußerst anschlussfähig. In diesem Zusammenhang sorgte der Tod der vierjährigen Sighild B. aus der Lüneburger Heide 2009 für Schlagzeilen: Sie starb an multiplem Organversagen, weil ihre Diabetes nicht ordnungsgemäß behandelt worden war. Laut Recherchen des NDR-Magazins Panorama wuchs die Mutter im Kreis der Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft auf. Sighilds Vater war 1994 Mitglied der verbotenen Wiking Jugend und pflegte engen Kontakt zu einem hochrangigen NPD-Funktionär. Angehörige berichten, dass die beiden auf Hamers fatale Irrlehren vertrauten und ihrer Tochter deshalb eine angemessene medizinische Versorgung verweigerten.

Innerhalb der Reichsbürgerszene finden sich seit Jahren immer wieder Berührungspunkte zu den Lehren Hamers. So hat beispielsweise Peter Fitzek, der Gründer der inzwischen verbotenen Gruppierung „Königreich Deutschland“, wiederholt Thesen vertreten, die an Hamers Ideologie angelehnt sind. Demnach ließen sich Krankheiten auf irgendwie geartete innere Ungleichgewichte oder Gedanken zurückführen. Es gab immer wieder Versuche, eine eigene „Gesundheitskasse“ oder „Heilfürsorge“ aufzubauen, wobei die Anhängerschaft aus diversen nicht evidenzbasierten esoterischen Dienstleistungen und Angeboten – unter anderem aus dem Umfeld der GNM – wählen konnten. Fitzek selbst blickt auf eine lange Geschichte der Nähe zu esoterischen Milieus zurück. Der gelernte Koch ergründete in einem Buch „Wege zur Entdeckung feinstofflicher Welten“, bevor er sich dem „Königreich Deutschland“ zuwandte. Seiner Leserschaft wurde in Aussicht gestellt: „Dieses Buch verhilft Ihnen, den direkten Kontakt zu Ihren Schutzengeln selbst herzustellen.“ Die Anhänger des von Fitzek im Jahr 2009 initiierten Vereins NeuDeutschland konnten im Lichtzentrum Wittenberg zudem kostenlos ein Seminar belegen. In dessen Ankündigung wurde Hamer als Wegbereiter in Sachen Krebs angepriesen. Neben esoterisch geprägten Angeboten wie „Aura-Chakren-Energiearbeit“ und „energetischen Reinigungen“ wurden im Rahmen von Veranstaltungen auch klassische Themen des Reichsbürgermilieus behandelt – von Staatsgründung bis hin zu eigenwilligen Interpretationen des Steuerrechts. Diese Kombination aus Esoterik, Fantasie-Jura und Souveränitätssehnsucht wurde auch beim „Königreich Deutschland“ beibehalten. „Zu Seminaren, bei denen der Autodidakt über ‚Staatsrechtliches Grundlagenwissen‘, alternative Heilmethoden, freie Energie und das Völkerrecht referiert, pilgerten in den vergangenen Monaten hunderte Interessierte“, schrieb die „Mitteldeutsche Zeitung“ 2012.

Auch heute noch kann die esoterische Pseudo-Heilslehre von Hamer als Einstieg in rechtsextreme Weltbilder fungieren. Nach seinem Tod 2017 findet sich weiterhin ein Publikum für Seminare, Vorträge und Workshops zu „Dr. Hamers 5 biologischen Naturgesetzen“. Das Versprechen einer in greifbarer Nähe scheinenden wundersamen Selbstheilung zieht teils schwer erkrankte Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet und darüber hinaus in seinen Bann. Auf Internetseiten aus dem Umfeld der GNM werden online eine ganze Reihe absurder „Ursachen“ für Krebserkrankungen angeführt. So heißt es beispielsweise bei Brustkrebs: „Einer Mutter fiel ihr Säugling aus dem Arm, schlug mit dem Kopf auf den Boden und war eine zeitlang bewußtlos.“ Bestimmte Formen von Gebärmutterkrebs werden hingegen auf einen angeblichen „Selbstwerteinbruch-Konflikt des ‚Nicht-schwanger-seins‘„ oder „des Nicht-begattet-werdens“ zurückgeführt. Bei der Urheberschaft solcher Texte liegt eine von Antifeminismus durchtränkte Sicht auf die Welt nahe.

Insbesondere das verschwörungsideologische Milieu, das im Zuge der Covid-19-Pandemie massiv an (Online-)Reichweite gewann, konnte neue Zielgruppen für die GNM und damit verbundene Angebote erschließen. Auf Telegram verbreiteten prominente Accounts Links zu Videos, in denen Hamers Irrglaube als ultimatives Mittel gegen Beschwerden aller Art angepriesen wurde. Entsprechende Angebote blieben auch in den darauffolgenden Jahren für all diejenigen attraktiv, die infolge ihrer Radikalisierung hinter evidenzbasierter Medizin eine wie auch immer geartete Verschwörung witterten. Im Januar 2023 berichtete der Journalist Alexander Roth über eine in dieser Hinsicht aufschlussreiche personelle Verquickung: „Im Februar soll ein Online-Kongress zu den sogenannten ‚fünf biologischen Naturgesetzen‘ stattfinden. Einer der Veranstalter: Stephan Bergmann, ehemaliger Sprecher von ‚Querdenken 71‘.“ Bereits im September 2020 war bekannt geworden, dass Bergmann einst Gründungsmitglied eines laut zuständigem Landesamt für Verfassungsschutz dem Reichsbürgermilieu zugehörigen Vereins war. Auf Youtube bezeichnete Bergmann das Grundgesetz als „Besatzungsrecht“ – ein gängiges Narrativ der Szene. Im November 2020 wurde bekannt, dass sich Querdenken-Gründer Michael Ballweg im Rahmen einer vertraulichen Runde mit Peter Fitzek getroffen hatte. Ballweg hatte außerdem zentrale Chiffren der Reichsbürgerszene aufgegriffen, die zumindest Teilen der Anhängerschaft zu diesem Zeitpunkt bereits aus einschlägigen Telegram-Gruppen und -Kanälen geläufig gewesen sein dürften. Esoterik, Reichsbürgerideologie und Verschwörungsglaube – ebenjene toxische Mischung fand sich schließlich auch in zahlreichen Online-Räumen dieses Milieus wieder.

Bei Demonstrationen durften immer wieder Personen mit Esoterik-Background ans Rednerpult treten, um einschlägige Verschwörungserzählungen zu den Themen Wissenschaft, Medizin und Medien zu verbreiten. Diese Feindbilder bauen auch heute noch tragfähige Brücken zwischen den unterschiedlichen Milieus. Einigkeit wird dabei keineswegs über gänzlich deckungsgleiche Weltbilder erzielt, wohl aber über die geteilte Ablehnung einer vermeintlichen Verschwörung. So berichtete die Journalistin Lotta Maier im Juli 2025 in der „Taz“ über ein GNM-Seminar im Allgäu: „Im Gasthof Adler geht es betont freundlich zu, die Feinde lauern draußen: die evidenzbasierte Medizin, Linke und Progressive, Queers, Migrant*innen, jüdische Menschen – und nicht zuletzt der Staat.“ Womöglich ist der Besuch solcher Events dabei zumindest zu Beginn nur gesundheitlich motiviert. Nach Stunden der Beschäftigung mit Hamers Überzeugungen werden die Besucherinnen und Besucher allerdings eine ganze Reihe zentraler Elemente rechtsextremer Weltbilder mit nach Hause nehmen.

Esoterik und Rechtsextremismus

Sei es nun die Teilnahme an GNM-Seminaren, die Ausübung von Ritualen zur Sommersonnenwende im Kontext völkischer Gruppierungen oder die Verwendung okkulter Symbole wie der Schwarzen Sonne als Alternative zu juristisch problematischen Hakenkreuz-Tätowierungen: In Teilen der extremen Rechten wird Esoterik als attraktive Möglichkeit gesehen, um neue Zielgruppen anzusprechen, Einkommensquellen zu erschließen oder das Gemeinschaftsgefühl zu stärken.

Rechtsextreme Gruppierungen können dabei auch jenseits von „brauner Esoterik“ eine ganze Reihe ideologischer Anknüpfungspunkte für sich nutzen. Ein Beispiel ist die Tatsache, dass viele esoterische Strömungen von einem stark dualistischen Weltbild geprägt sind. Dabei wird häufig gruppenintern ein Gefühl von Auserwähltsein kultiviert, an das sich Konzepte völkischen Elitismus andocken lassen. Auch die Neigung zu autoritären Gesellschaftsvorstellungen ist in zahlreichen Spielarten der Esoterik angelegt: Das vermeintliche Wissen „erleuchteter“ Führungspersönlichkeiten wird nur selten infrage gestellt. Hinzu kommen in einigen esoterischen Milieus verbreitete sozialdarwinistische Argumentationsmuster, bei denen etwa die Idee der Wiedergeburt mit einer vermeintlich kosmisch ausgleichenden „karmischen“ Gerechtigkeit in Verbindung gebracht wird. So gibt es Gruppierungen, die Behinderungen auf eigenes Verschulden im vergangenen Leben zurückführen. In entsprechenden Milieus werden immer wieder offen menschenfeindliche Weltbilder bis hin zu offenem Antisemitismus reproduziert – etwa mit Verweis auf altes und somit vermeintlich überlegenes „Wissen“.

Gerade beim Thema Gesundheit zählt das Verbreiten von Misstrauen bis hin zu offener Ablehnung gegenüber der Wissenschaft zu den effektivsten Verkaufsargumenten für esoterische Produkte. Innerhalb der Esoterik-Szene sind zahlreiche Varianten populärer Verschwörungsnarrative anzutreffen, wobei die Opfer-Narrative immer wieder Überschneidungen mit den etablierten Feindbildern rechtsextremer Gruppierungen aufweisen. In diesen Erzählungen wird beispielsweise behauptet, dass wissenschaftliche Institutionen durch das Anprangern fehlender Evidenz für esoterische Pseudoheilverfahren „überlegenes Wissen“ unterdrücken und sich dabei in den Dienst bösartiger Mächte begeben würden. Oder es heißt, seriöse Medien würden sich durch die Veröffentlichung kritischer Berichte – beispielsweise über Machtmissbrauch innerhalb esoterischer Gruppierungen – zum verlängerten Arm bösartiger Akteure machen. Charlotte Ward und David Voas beschreiben die insbesondere in Online-Räumen anzutreffende Verschmelzung von Verschwörungserzählungen (conspiracy theories) und spirituellem Content (spirituality) mit einer Wortneuschöpfung: Conspirituality. Solche Narrative handeln im Kern stets davon, dass eine geheime Gruppe die soziale und politische Ordnung kontrolliert oder zumindest versucht, einen entsprechenden Plan umzusetzen, um ein „Erwachen“ der Menschheit gemäß eines „Neuen Paradigmas“ zu verhindern. Derartige Verschwörungserzählungen wurden insbesondere während der Pandemie auf einigen reichweitenstarken, esoterisch geprägten Social-Media-Accounts verbreitet – manchmal sogar angereichert mit Versatzstücken der aus den USA stammenden, rechtsextremen QAnon-Verschwörungserzählung. Diese kann als zeitgenössisches Update der mittelalterlichen Ritualmordlegende und anderer antisemitischer Erzählungen gesehen werden.

Ein weiterer Anknüpfungspunkt zwischen den Milieus ist die Skepsis gegenüber Neuerungen der Moderne, die oft durch eine Verklärung vergangener Zeiten zusätzlich verstärkt wird. In esoterischen Gruppierungen spielt oft auch ein problematischer Naturbegriff, der an völkische Konzepte anschlussfähig ist, eine große Rolle. Dabei wird die vermeintliche „natürliche Ordnung“ als Projektionsfläche und idealisierter Gegenpol zur angeblich „degenerierten“ und „unnatürlichen“ modernen Gesellschaft angesehen. Auch die Themen Antifeminismus und Transfeindlichkeit lassen sich esoterisch aufladen, denn in zahlreichen Weltbildern wird von einem vermeintlich spirituell begründeten Dualismus der Geschlechter unter Rückgriff auf traditionelle Rollenbilder ausgegangen. Für rechtsextreme Gruppierungen ist insbesondere die Möglichkeit verlockend, durch esoterisch aufgeladene Inhalte weibliche Milieus anzusprechen.

Darüber hinaus führt die vermeintlich apolitische Selbstverortung zahlreicher Gruppierungen innerhalb der Esoterik auch dazu, dass kaum eine Notwendigkeit zur Abgrenzung nach rechts gesehen wird. Offensichtlich ist dies immer wieder nur ein Vorwand. Ähnliche Selbstbeschreibungen werden nicht ohne Grund regelmäßig von rechtsextremen Gruppierungen eingesetzt, um sich zu verharmlosen.

Fazit

Es gibt gute Gründe, warum Esoterik und Rechtsextremismus, insbesondere im Umfeld des Reichsbürgermilieus, immer wieder gemeinsam anzutreffen sind. Der Fall der Patriotischen Union verdeutlicht, dass esoterische Überzeugungen keineswegs zu dem Fehlurteil verleiten sollten, die Gruppierung sei harmlos. Es handelt sich hierbei keineswegs um einen skurrilen Spleen der betreffenden Personen. Vielmehr können esoterische Weltbilder Teil eines manifesten, rechtsextremen und demokratiefeindlichen Weltbildes sein, wobei bewusst oder unbewusst Bezug auf eine lange Tradition der Verflechtung zwischen den Milieus genommen wird. Der Einfluss der Ariosophie auf zentrale Figuren der NSDAP zeigt, dass diese Überzeugungen nicht im Widerspruch zueinander stehen müssen, sondern sich gegenseitig bestärken und ergänzen können. Insbesondere über den Link zu Verschwörungsideologien und Antisemitismus konnten und können Gesundheitsthemen gestern wie heute für die Verbreitung menschenfeindlicher Weltbilder genutzt werden. Das gilt bei weitem nicht nur für das Beispiel der GNM. Der Fall Peter Fitzek zeigt zudem, wie finanz- und mitgliederstarke Gruppierungen innerhalb des Reichsbürgermilieus esoterische Elemente von Beginn an für ihre Zwecke nutzen. Absurd? Vielleicht. Aber mit Sicherheit dadurch nicht weniger gefährlich.

ist Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt bei den Themen Internet, Verschwörungsideologien und Esoterik. Zuletzt erschien ihr gemeinsam mit Pia Lamberty verfasstes Buch "Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik" (2022).