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Exportierte Staatsverweigerung? | Reichsbürger | bpb.de

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Exportierte Staatsverweigerung? Zum globalen Einfluss der US-amerikanischen Sovereign Citizens

Valentin Wutke

/ 15 Minuten zu lesen

Reichsbürger gelten oft als spezifisch deutsches Phänomen. Seit den 2000er Jahren lässt sich jedoch eine Angleichung der Taktiken an die der US-amerikanischen Sovereign Citizens beobachten. Kann man also von einer „Staatsverweigerung made in America“ sprechen?

Reichsbürger:innen werden häufig als spezifisch deutsches Phänomen beschrieben und wahrgenommen, da sie sich auf das Deutsche Reich beziehen. Dies ist zunächst nachvollziehbar, da der Begriff des Reiches „neben dem des Volkes, der Nation und der Rasse“ als zentraler Begriff der extremen Rechten in Deutschland gilt. Ebenso berechtigt ist dabei der Hinweis auf die „Sehnsucht nach dem Reich“ und den Ursprung der Reichsbürgerbewegung im neonazistischen Revisionismus um den Holocaustleugner und Rechtsterroristen Manfred Roeder. Richtig ist aber auch, dass es ideologische und argumentative Gemeinsamkeiten mit anderen Staatsverweiger:innen weltweit gibt.

Die Versuche Roeders in den 1970er Jahren, an das besiegte „Dritte Reich“ anzuknüpfen, sowie die ersten pseudojuristischen Legitimitätskonflikte mit der Bundesrepublik durch den Reichsbahnmitarbeiter und selbsternannten Reichskanzler Wolfgang Ebel in den 1980er Jahren deuten auf einen deutschen Sonderweg hin. Seit der Jahrtausendwende und dem Aufkommen des Internets als globalem Austauschmedium lässt sich jedoch eine Angleichung der Taktiken und Argumente mit jenen der US-amerikanischen Souveränist:innen, den sogenannten Sovereign Citizens, feststellen.

Kann man beim heutigen „verschwörungsideologischen Souveränismus“ der Reichsbürger:innen und Selbstverwalter:innen in Deutschland also von einer „Staatsverweigerung made in America“ sprechen? Zur Beantwortung dieser Frage werden die Geschichte, Ideologie und Praktiken der Sovereign Citizens beleuchtet, wobei auch die Situation in anderen englischsprachigen Ländern, vor allem in Australien und Kanada, punktuell berücksichtigt wird. Das Ziel besteht darin, transnationale Entwicklungslinien sichtbar zu machen und Parallelen zu ziehen, ohne dabei nationale Eigenheiten auszublenden oder Unterschiede unerwähnt zu lassen. Ein solcher vergleichender Ansatz ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil sich spätestens während der Covid-19-Pandemie die globale Anschlussfähigkeit verschwörungsideologischer und staatsfeindlicher Narrative besonders deutlich gezeigt hat.

Genese der Sovereign Citizens

Aufgrund der Heterogenität und Unschärfe des Milieus ist ein exaktes Gründungsdatum der Sovereign Citizens nicht zu bestimmen. Bei „Sovereign Citizens“ handelt es sich um einen seit den 1990er Jahren etablierten Sammelbegriff für Personen mit unterschiedlichen, oft nur lose verbundenen Überzeugungen. Was sie eint, ist die tiefgreifende Ablehnung staatlicher Autorität und Legitimität, gestützt durch ein verschwörungsideologisches Weltbild und pseudojuristische Deutungsmuster. Das FBI bezeichnet Sovereign Citizens als „regierungsfeindliche Extremisten, die glauben, dass sie, obwohl sie physisch in diesem Land leben, von den Vereinigten Staaten getrennt oder ‚souverän‘ sind“.

Während die heutige Ausprägung der Sovereign Citizens erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Gestalt annahm, reichen die souveränistischen Wurzeln deutlich weiter zurück. Sie sind eng mit der mythologisierten Entstehungsgeschichte und der daraus entstandenen politischen Kultur der Vereinigten Staaten verknüpft. In dieser libertären Kultur, in der individuelle Freiheit und Selbstbestimmung als höchstes Gut gelten, wird vor allem an den Freiheitskampf gegen den unterdrückenden Zentralstaat während der Amerikanischen Revolution erinnert. Der Historiker Richard Hofstadter beschrieb die Folgen als „paranoid style“: ein Denken, das wiederkehrend in politischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Entwicklungen eine verschwörerische Macht vermutet, wodurch ein konstantes Misstrauensverhältnis zwischen Individuum und potenziell tyrannischem Staat entsteht. Die Furcht vor Freiheits- und Unabhängigkeitsverlust lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen: Anti-freimaurerische Ängste, nativistische Verschwörungsnarrative gegen Katholik:innen sowie antisemitisch aufgeladene Weltverschwörungsmythen bilden den nicht zu ignorierenden Nährboden für den modernen Souveränismus.

Die unmittelbare Vorgeschichte der heutigen Sovereign Citizens reicht bis zur Entstehung der Posse-Comitatus-Bewegung im Jahr 1972 zurück. Ausgehend von einer christlich-rassistischen Lesart der Verfassung und einer alternativ konstruierten Version amerikanischer Geschichte stellte Posse Comitatus (lateinisch für „Kraft für das Land“) die staatliche Legitimität mithilfe pseudojuristischer Konstruktionen infrage. Ein Beispiel hierfür ist die Überhöhung des County-Sheriffs und die Delegitimierung aller anderen Regierungsebenen. Aus Sicht der Posse Comitatus und ihres Gründers William Potter Gale beabsichtigten die Gründerväter der USA die Schaffung einer christlichen Republik, in der die individuelle Souveränität weißer Amerikaner das höchste Prinzip ist.

Die Posse wurde rasch zum Anziehungspunkt für Gruppen und Einzelpersonen, die sich gegen staatliche Einflussnahme wandten – insbesondere im ländlichen Amerika. Vor allem in der Szene der radikalen Steuergegner:innen gab es viele, die mit juristisch klingenden Argumenten bestritten, dass die Einkommensteuer für sie gelte. In den Erklärungen der Posse wurde ein größerer Zusammenhang konstruiert: Die Einführung der Einkommensteuer und die Gründung der US-Zentralbank 1913 galten in der Szene als Auftakt einer systematischen Entrechtung. Ereignisse wie die Gründung der Vereinten Nationen 1945 wurden nahtlos in dieses Narrativ eingefügt und dienten als weitere Belege für die schleichende Abschaffung amerikanischer Freiheit und Souveränität.

Die landwirtschaftliche Krise der 1980er Jahre traf viele ländliche Regionen hart und verstärkte das Gefühl, vom Staat im Stich gelassen worden zu sein. Souveränistische und antisemitische Verschwörungserzählungen boten einfache Erklärungen für wirtschaftliche Not und sozialen Abstieg. In diesem Kontext verbreiteten sich auch neue Begriffe wie „New World Order“ und „Zionist Occupied Government“, die an ältere antisemitische Deutungen anknüpften und das Bild einer fremdgesteuerten Verschwörung gegen die amerikanische Bevölkerung festigten. Parallel dazu begannen erste Staatsverweiger:innen, Handbücher und Seminare zu vermarkten, in denen individuelle Souveränität und ein pseudojuristisch begründeter Statuswechsel als Ausweg aus staatlicher Bevormundung beworben wurden. Eine zentrale Rolle spielte hierbei die sogenannte Strohmann-Theorie, der zufolge jeder Mensch über zwei Existenzen verfügt: Einerseits gibt es den natürlichen Menschen aus Fleisch und Blut, andererseits eine juristische Fiktion, den sogenannten Strohmann. Da der Staat keine Autorität über Menschen besitzt, kann er nur über diese juristische Konstruktion Zugriff erlangen, etwa durch Geburtsurkunden oder andere amtliche Dokumente. Das Ziel besteht daher darin, sich von dieser staatlich erzeugten Identität zu lösen. Bereits hier zeigt sich jene Trennung von staatlich erzeugter und vermeintlich natürlicher Identität, die später auch in deutschen Staatsverweigerungsmilieus eine zentrale Rolle spielen sollte – etwa mit Blick auf das „Personal“ im Personalausweis.

Ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre verlor die Posse Comitatus an Bedeutung, ihre zentralen Ideen lebten jedoch in anderen staats- und regierungsfeindlichen Bewegungen weiter. In den frühen 1990er Jahren wurden sogenannte Common-Law-Gerichte populär, in denen sich Bürger:innen selbst zu Richter:innen erklärten und in aufwendig inszenierten Verfahren versuchten, ihre eigene Rechtsordnung durchzusetzen. Parallel dazu gewann die neu entstehende Milizbewegung an Zulauf. In zahlreichen Bundesstaaten bereiteten sich Milizen offen auf einen bewaffneten Konflikt mit der verhassten Regierung unter Bill Clinton vor. Die Gruppen verstanden sich dabei selbst als ideologische Erben der Milizen aus der Zeit des Unabhängigkeitskriegs gegen das britische Empire. In dieser Tradition sahen sie sich nicht nur legitimiert, sondern auch historisch verpflichtet, gegen vermeintliche staatliche Tyrannei Widerstand zu leisten.

Der Bombenanschlag auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City am 19. April 1995 war der bis heute schwerste Akt regierungsfeindlicher, rechtsextremer Gewalt in der Geschichte der USA. Der ehemalige Soldat Timothy McVeigh, der selbst tief im Milieu der Milizen und Staatsverweiger:innen verwurzelt war, verübte den Anschlag gemeinsam mit Terry Nichols, einem früheren Posse-Mitglied. In Briefen bezeichnete sich Nichols als „natürlich geborener Mensch, der in dem Gebiet geboren wurde, das man Michigan nennt, nicht im Unternehmensstaat Michigan“. Die Ereignisse von Oklahoma City machten eindrucksvoll deutlich, dass verschwörungsideologisch begründeter Souveränismus ein tödliches Gewaltpotenzial birgt.

Mit dem Aufkommen des Internets in Privathaushalten fanden Elemente des US-amerikanischen Souveränismus internationale Verbreitung. Seit den 2000er Jahren kursieren in Onlineforen, auf Videoplattformen und in digitalen Handreichungen Argumentationsmuster und Techniken, die über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus aufgegriffen und weiterverwendet wurden.

Pseudorecht und Strohmänner

Mittlerweile wurden in mindestens 31 Ländern Aktivitäten mit eindeutig souveränistischen Bezügen dokumentiert. Laut den Juristen Harry Hobbs, Stephen Young und Joe McIntyre hat sich das Pseudorecht der Sovereign Citizens inzwischen zu einem globalen Phänomen entwickelt. Es bildet die wohl wirkmächtigste Komponente des US-amerikanischen Souveränismus.

Der Begriff „Pseudorecht“ ist eine wissenschaftliche Fremdzuschreibung. Personen, die mit solchen Argumentationsmustern operieren, betrachten diese in der Regel als „echtes“ oder „wahres“ Recht. Gemeint ist damit ein Set vermeintlich juristischer Argumentationsweisen, Textbausteine und Verfahren, das nach dem Prinzip eines Baukastensystems funktioniert und dadurch weltweit anschlussfähig ist. Gerade diese Modularität verleiht dem Pseudorecht seine besondere Anpassungsfähigkeit: Bei der Übertragung auf andere Länder werden die Inhalte jeweils an die historischen und politischen Gegebenheiten vor Ort angepasst. US-spezifische Bezüge verschwinden oft ebenso wie die eindeutige ideologische Nähe zum Rechtsextremismus, die in den Ursprüngen der Sovereign Citizens eine zentrale Rolle spielte. Antisemitische Untertöne und Grundannahmen sind hingegen eine Konstante und werden vielerorts weiter tradiert oder in neue Chiffren überführt.

Das Pseudorecht der Sovereign Citizens beruht auf der Annahme geheimer Drahtzieher:innen, die im Verborgenen agieren, ihre Macht zu eigenen Vorteilen einsetzen und der Allgemeinheit schaden. Diese Unterdrückung könne, so das Narrativ, nur durch die Anwendung weitgehend unbekannter pseudojuristischer Argumente und Taktiken durchbrochen werden. Damit ist Pseudorecht selbst eine Form von Verschwörungsideologie und zugleich ein Instrument, um staatliche Autorität grundsätzlich infrage zu stellen. Für Staatsverweiger:innen ist das Recht dabei so attraktiv, weil es ihnen scheinbar die Möglichkeit gibt, die Kontrolle über ihr Leben zu übernehmen und die bestehende Ordnung zu unterlaufen. Die neu gewonnene vermeintliche Rechtsexpertise dient somit als Form der Selbstermächtigung. Was dem Pseudorecht seine globale Anziehungskraft verleiht, ist seine Fähigkeit, sogar strafbares Verhalten in vermeintlich legales und legitimes Handeln umzudeuten.

Doch woran lässt sich der Einfluss der US-Souveränist:innen auf Staatsverweiger:innen in Deutschland und anderen Ländern konkret erkennen? Der idealisierte Bezug auf eine imaginierte Vergangenheit, in der angeblich alles besser und gerechter war, eint Sovereign Citizens und Reichsbürger:innen zweifellos. Er lässt sich jedoch nicht auf eine amerikanische Einflussnahme zurückführen. Auch pseudojuristische Argumentationen zur vermeintlichen Nichtlegitimität der Bundesrepublik gab es bereits bei Manfred Roeder und insbesondere bei Wolfgang Ebel. Der spezifische Bezug auf die deutsche Geschichte und den Sonderweg infolge der alliierten Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg ist allerdings seit den 2000er Jahren keine notwendige Bedingung mehr, um Teil des Milieus zu sein. Pseudorecht und andere ideologische und argumentative Versatzstücke aus dem amerikanischen Souveränismus wurden genau an dieser Stelle aufgegriffen und adaptiert. Das trug in Deutschland maßgeblich zur Ausdifferenzierung des Milieus bei. Während Reichsbürger:innen in einem reichsrevisionistischen Deutungsrahmen verharrten und ihre Identität weiterhin vorrangig an der Existenz eines fortbestehenden oder wiederherzustellenden Staates ausrichteten, griffen Selbstverwalter:innen fortan deutlicher auf das Erbe der Sovereign Citizens zurück. Bei ihnen dominiert die Vorstellung individueller Souveränität gegenüber staatlichen Strukturen, verbunden mit der Idee eines minimalen Ordnungsrahmens, der innerhalb der Szene sehr unterschiedlich definiert wird und ihnen weitgehende Autonomie zusichert.

Während sich in Deutschland also nationale Traditionslinien mit importierten US-Konzepten verschränkten, wodurch neue Formen der Staatsverweigerung entstanden, trat der verschwörungsideologische Souveränismus in Großbritannien, Australien und Kanada überhaupt erst im neuen Jahrtausend sichtbar in Erscheinung. Besonders deutlich wird der transnationale US-Einfluss ab den 2000er Jahren am Beispiel des zuvor erwähnten Strohmann-Arguments sowie an der Behauptung, ein Staat sei in Wahrheit eine Firma. Hinzu kommt die Grundannahme, dass Staatlichkeit im Kern eine Vertragsbeziehung ist, aus der man – wie aus jedem anderen Vertrag – austreten kann. In dieser Logik gelten Gesetze nur, wenn ihnen ausdrücklich zugestimmt wurde.

Sovereign Citizens betrachten staatliche Genehmigungspflichten, wie etwa die Führerscheinpflicht oder die Pflicht zur Erlangung von Geschäftslizenzen, als Vertragsbeziehungen zwischen dem „US-Konzern“ und ihrem Strohmann. Ihrer Vorstellung nach lassen sich diese Verträge auflösen, wodurch sich jede staatliche Einflussnahme beenden ließe. Die Freiheit, Auto zu fahren, könne einem souveränen Menschen kein Staat absprechen. Ausgangspunkt dieser Vorstellung ist die verschwörungsideologische Annahme, dass die USA nach dem 14. Zusatzartikel im Jahr 1868 von einer verfassungsmäßigen Republik in ein kommerzielles Firmenkonstrukt umgewandelt wurden, das seine Bürger nach Handelsrecht kontrolliert. Diese Logik, Staatlichkeit als bloßen Vertrag einer Firma zu begreifen, fand in Deutschland mit der Erzählung von der „BRD GmbH“ ihren Widerhall. Diese Erzählung ist im gesamten Reichsbürger- und Selbstverwaltungsmilieu zu einer Standarderzählung geworden. Ähnliche Entwicklungen sind auch in anderen Ländern zu beobachten. So sah sich etwa im Zuge der Pandemie die australische Nachrichtenagentur AAP gezwungen, einen Faktencheck zu der Erzählung, Australien sei eine Firma, zu veröffentlichen.

Die deutsche Adaption des Strohmann-Arguments ist vor allem durch Wolfgang Plan, den Polizistenmörder von Georgensgmünd, bekannt geworden. Im Zuge seiner Radikalisierung hatte sich Plan vom deutschen Staat unabhängig erklärt und auf seiner Facebook-Seite eine sogenannte Lebenderklärung veröffentlicht, in der er sich handschriftlich als „Manne aus Fleisch und Blut“ deklarierte und dies von zwölf Gleichgesinnten per rotem Fingerabdruck bezeugen ließ. Diese Idee und Formulierung wurde zweifellos aus dem Sovereign-Citizen-Kosmos übernommen. Der rote Fingerabdruck soll die Menschlichkeit verdeutlichen – als Abgrenzung zur juristischen Fiktion, dem Strohmann. Auch die Tatsache, dass Plan den Brief mit „Wolfgang Johannes aus der Familie Plan“ unterschrieben hat, hängt mit spezifischen, im US-souveränistischen Kontext entstandenen Sprachregelungen zusammen, wie sie auch der Attentäter von Oklahoma City, Terry Nichols, verwendet hat. Diese werden im Kampf gegen den vermeintlich illegitimen Staat beinahe wie Zauberformeln eingesetzt. Staatsverweiger:innen folgen einem ausgeprägten sprachlichen Formalismus. Sie sind davon überzeugt, dass sich der vermeintliche Zugriff des Staates allein durch die präzise Verwendung bestimmter Formulierungen in genau festgelegten Momenten aufheben lässt. Verweise auf die menschliche Existenz als „Flesh and Blood Human Being, of the Family“ finden sich auch im kanadischen Kontext. In einem Handbuch für australische Justizbeamte wird ebenfalls auf die Bedeutung hingewiesen.

Vom Papierterrorismus zur physischen Gewalt

Pseudorecht und die damit verbundenen sprachlichen Strategien finden ihren deutlichsten praktischen Ausdruck im sogenannten Papierterrorismus: dem systematischen Fluten von Behörden und Gerichten mit formal wirkenden, inhaltlich jedoch unverständlichen und rechtlich unbegründeten Schreiben. Drohungen gegenüber Amtsträger:innen sind dabei an der Tagesordnung. Das Vorgehen dient dazu, Verwaltungsprozesse lahmzulegen und den eigenen vermeintlichen Rechtsanspruch durchzusetzen. In den USA gehört diese Praxis seit Jahrzehnten zum festen Bestandteil des souveränistischen Repertoires.

Es bleibt jedoch nicht immer bei gewaltlosen Mitteln: Das in diesem Milieu weitverbreitete Gefühl der Unterdrückung und Machtlosigkeit gegenüber einer vermeintlich tyrannischen Staatsgewalt wird als Rechtfertigung dafür verstanden, Gewalt als Notwehr einzusetzen. Während dieses Gewaltpotenzial in den USA spätestens seit dem Bombenanschlag von Oklahoma City sichtbar war und sich immer wieder entlud – etwa bei eskalierenden Fahrzeugkontrollen –, markierte der bereits thematisierte Polizistenmord in Georgensgmünd im Jahr 2016 für Deutschland einen Wendepunkt in der Wahrnehmung dieser Gefahr. Die Ende 2022 bekannt gewordenen Anschlagspläne der sogenannten Patriotischen Union (auch „Gruppe Reuß“) untermauern diese Einschätzung. In den Vereinigten Staaten führt das FBI die Sovereign Citizens seit Jahren als zentrale Bedrohung im Bereich des inländischen Terrorismus. Aufgrund der leichteren Verfügbarkeit von Waffen ist die Gefahr dort besonders hoch. Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz ist aber auch in Deutschland die überdurchschnittliche Affinität für Waffen unter Reichsbürger:innen und Selbstverwalter:innen ein „unkalkulierbare[s] Risiko“.

Auch in den Ländern des Commonwealth beobachten die Sicherheitsbehörden die Szene mit wachsender Sorge und warnen vor einer Eskalation. In Australien haben Bedrohungsrhetorik und aggressive Auftritte in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Gewaltsame Proteste, Brandstiftungen, versuchte Entführungen und vereinzelte Angriffe auf Polizeibeamte wurden dokumentiert. In Kanada führte die Covid-19-Pandemie zu einer veränderten Wahrnehmung des Gefährdungspotenzials. Ein besonders prominentes Beispiel ist die selbsternannte „Queen of Canada“, Romana Didulo. Teile ihrer Anhängerschaft versuchten im August 2022 in Peterborough, Polizist:innen in einer sogenannten „Bürgerverhaftung“ festzunehmen. In Großbritannien hatte bereits 2021 die symbolische Einnahme der Burg von Edinburgh durch eine Gruppe von Souveränist:innen für Aufsehen gesorgt. Dies ließ eine Verlagerung der Aktivitäten hin zu Handlungen jenseits des Papierterrorismus befürchten.

Insgesamt war während der Pandemie eine Radikalisierung der souveränistischen Milieus zu beobachten. Durch die Lockdowns und teils drastischen Freiheitseinschränkungen schienen viele gängige Verschwörungserzählungen bestätigt. Zugleich kam es zu einer stärkeren Anknüpfung an andere verschwörungsideologische Strömungen, allen voran QAnon. Dabei handelt es sich um eine in den USA entstandene Bewegung, deren Anhänger:innen an eine geheime Elite glauben, die im Verborgenen agiert, um ihre Macht zu sichern. Sie inszenieren Donald Trump als Gegenspieler dieser Elite.

Fazit

Der verschwörungsideologische Souveränismus in seiner heutigen Form wäre ohne den Impuls aus den USA kaum denkbar. Die modularen Argumentationsmuster und Praktiken der Sovereign Citizens – von Pseudorecht über Strohmann-Konstruktionen bis hin zum Papierterrorismus – haben eine transnationale Szene geprägt. Diese hat sich seit den 2000er Jahren durch digitale Vernetzung immer weiter ausdifferenziert. Von einer reinen „Staatsverweigerung made in America“ zu sprechen, wäre jedoch zu kurz gegriffen. Während diese Diagnose für Länder wie Australien und Kanada weitgehend zutrifft, entstanden in Deutschland mit dem Rekurs auf das Deutsche Reich und dem Mythos einer unvollendeten Souveränität infolge alliierter Besatzung eigene staatsverweigernde Narrative, die zunächst keiner US-Vorlage bedurften. Bis heute ist das Reich im klassischen Reichsbürgertum ein zentraler Bezugsrahmen. Es bildet jedoch längst nicht mehr den alleinigen Referenzpunkt staatsverweigernder Ideologie. Dies wird besonders bei Selbstverwalter:innen sichtbar, die deutlicher im Erbe der Sovereign Citizens stehen und ihre Vorstellungen von individueller Souveränität in ein international geteiltes Repertoire aus pseudojuristischen Argumenten und verschwörungsideologischen Praktiken einbetten. Dieses Repertoire verbindet die verschiedenen Strömungen heute über Ländergrenzen hinweg und macht den Souveränismus zu einem global anschlussfähigen Phänomen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. David Begrich/Andreas Speit, „Heiliges Deutsches Reich“. Reichsidee und Reichsideologie der extremen Rechten, in: Andreas Speit (Hrsg.), Reichsbürger. Die unterschätzte Gefahr, Berlin 2017, S. 22–40, hier S. 29.

  2. Otto Büsch/Peter Furth, Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland. Studien über die „Sozialistische Reichspartei“, Wiesbaden 1967, S. 297.

  3. Jan Rathje, „Reichsbürger“ und Souveränismus, in: APuZ 35–36/2021, S. 34–40, hier S. 35f.

  4. Vgl. David Johnson, Hateland. A Long, Hard Look at America’s Extremist Heart, Amherst–New York 2019, S. 129ff.; Charles E. Loeser, From Paper Terrorists to Cop Killers. The Sovereign Citizen Threat, in: North Carolina Law Review 93/2015, S. 1106–1139.

  5. Federal Bureau of Investigation, Domestic Terrorism: The Sovereign Citizen Movement, 13.4.2010, Externer Link: https://archives.fbi.gov/archives/news/stories/2010/april/sovereigncitizens_041310/domestic-terrorism-the-sovereign-citizen-movement. Bei allen Zitaten aus englischsprachiger Literatur handelt es sich um eigene Übersetzungen.

  6. Vgl. Donald J. Netolitzky, A Revolting Itch. Pseudolaw as a Social Adjuvant, in: Politics, Religion & Ideology 2/2021, S. 164–188.

  7. Richard Hofstadter, The Paranoid Style in American Politics. And Other Essays, New York 1965.

  8. Vgl. Frank P. Mintz, The Liberty Lobby and the American Right. Race, Conspiracy, and Culture, Westport 1985.

  9. Vgl. Daniel Levitas, The Terrorist Next Door. The Militia Movement and the Radical Right, New York 2002, S. 108–112.

  10. Der Posse Comitatus Act von 1878 untersagt den Einsatz der US-Armee im Inneren und symbolisiert daher für das souveränistische Milieu die Begrenzung staatlicher Einflussnahme.

  11. Vgl. James Corcoran, Bitter Harvest. Gordon Kahl and the Posse Comitatus. Murder in the Heartland, New York 1990, S. 26ff.

  12. Vgl. Mark Pitcavage, Common Law and Uncommon Courts. An Overview of the Common Law Court Movement, 25.7.1997, Externer Link: https://web.archive.org/web/20020916113107/https:/www.adl.org/mwd/common.asp.

  13. Vgl. Corcoran (Anm. 11), S. 28.

  14. Vgl. Southern Poverty Law Center, Hate Group Expert Daniel Levitas Discusses Posse Comitatus, Christian Identity Movement and More, 15.6.1998, Externer Link: https://www.splcenter.org/resources/reports/hate-group-expert-daniel-levitas-discusses-posse-comitatus-christian-identity-movement-and.

  15. Vgl. J.M. Berger, Without Prejudice: What Sovereign Citizens Believe, Washington, D.C. 2016, S. 6.

  16. Vgl. Michelle Theret, Sovereign Citizens: A Homegrown Terrorist Threat and Its Negative Impact on South Carolina, in: South Carolina Law Review 4/2012, S. 853–886, hier S. 860ff.

  17. Vgl. Pitcavage (Anm. 12).

  18. Vgl. Anna Merlan, Republic of Lies. American Conspiracy Theorists and Their Surprising Rise to Power, New York 2019, S. 177.

  19. Zit. nach Joel Dyer, Harvest of Rage. Why Oklahoma City Is Only the Beginning, Boulder 1998, S. 220.

  20. Vgl. Tarik Kochi, Law and Conspiracy Theory. Sovereign Citizens, Freemen on the Land, and Pseudolaw, in: Journal of Law and Society 1/2025, S. 34–56.

  21. Vgl. Christine Sarteschi, American State Nationals: The Next Iteration of the Sovereign Citizen Movement, in: Harry Hobbs/Stephen Young/Joe McIntyre (Hrsg.), Pseudolaw and Sovereign Citizens, Oxford 2025, S. 227–248, hier S. 227.

  22. Vgl. Harry Hobbs/Stephen Young/Joe McIntyre, The Internationalisation of Pseudolaw. The Growth of Sovereign Citizen Arguments in Australia and Aotearoa New Zealand, in: UNSW Law Journal 1/2024, S. 309–342, hier S. 320.

  23. Vgl. Joshua Babcock/Amy J. Cohen/Ilana Gershon, Semiotic Determinacy: Sovereign Citizens’ Approach to Legal Language, in: Signs and Society 1/2025, S. 102–121, hier S. 109.

  24. Vgl. Anna Löbbert, „Germanite Is a Rare Mineral“: Sovereignism in Germany, in: Hobbs/Young/McIntyre (Anm. 21), S. 203–224, hier S. 215.

  25. Vgl. Netolitzky (Anm. 6), S. 179f.

  26. Vgl. Stephen A. Kent, Freemen, Sovereign Citizens, and the Challenge to Public Order in British Heritage Countries, in: International Journal of Cultic Studies 1/2015, S. 1–16.

  27. Vgl. Loeser (Anm. 4), S. 1123; Theret (Anm. 16), S. 865f.

  28. Vgl. William Summers, Fantasy to Claim Australia Is a Corporation, 1.9.2023, Externer Link: https://www.aap.com.au/factcheck/fantasy-to-claim-australia-is-a-corporation.

  29. Vgl. Sonnenstaatland-Wiki, Wolfgang Plan, Externer Link: https://wiki.sonnenstaatland.com/wiki/Wolfgang_Plan.

  30. Vgl. Georg Schuppener, Formen und Funktionen reichsbürgerlicher Schreiben an Behörden, in: Aussiger Beiträge 1/2023, S. 33–54.

  31. Vgl. Donald J. Netolitzky/Richard Warman, Enjoy the Silence: Pseudolaw at the Supreme Court of Canada, in: Alberta Law Review 1/2020, S. 715–768, hier S. 716.

  32. Vgl. Michele Pathé, What Do Judicial Officers Need to Know about Sovereign Citizens? in: Judicial Commission of New South Wales (Hrsg.), Handbook for Judicial Officers, Sydney 2025, S. 972–979.

  33. Bundesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2024, Berlin 2025, S. 129.

  34. Vgl. Pathé (Anm. 32), S. 976.

  35. Vgl. David Fraser, QAnon-Inspired Protest in Peterborough, Ont., Prompts Investigation, 18.8.2022, Externer Link: https://www.cbc.ca/news/canada/ottawa/protest-peterborough-arrest-special-investigation-1.6552575.

  36. Vgl. Douglas Barrie, Protesters Claim to „Seize Edinburgh Castle“ under Magna Carta, 18.8.2021, „"ttps://www.independent.co.uk/news/uk/home-news/edinburgh-castle-protest-magna-carta-b1904329.html".

  37. Vgl. Lotta Rahlf, From Democratic Resistance to Hostility Against a „Covid-Regime“. Conspiracy Theories as Cross-Milieu Catalysts of Radicalization, in: Studies in Conflict & Terrorism 1/2023, S. 1–28.

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ist Politikwissenschaftler und Referent bei der Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismus.