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Wohlstand jenseits von Wachstum | Wachstum | bpb.de

Wachstum Editorial Wachstum und Wachstumskritik. Eine Diskursgeschichte Warum moderne Gesellschaften Wachstum brauchen - Essay Vom falschen zum richtigen Wachstum - Essay Wir müssen schrumpfen. Wachstum als Irrweg - Essay Wohlstand jenseits von Wachstum - Essay Wachstum und Ungleichheit

Wohlstand jenseits von Wachstum Essay

Niko Paech

/ 12 Minuten zu lesen

Das Konzept der Postwachstumsökonomie setzt sich über modernistische Illusionen hinweg, indem es darauf zielt, Menschen zu befähigen, unter absehbar nicht mehr zu verhindernden Kollaps- und Knappheitsbedingungen souverän zu existieren.

An ehrgeizigen Entwürfen einer nachhaltigen Entwicklung mangelt es nicht, seit sich die menschliche Zivilisation des ökologischen Abgrundes bewusst geworden ist, auf den sie zusteuert. Viel war die Rede von einer zweiten oder „reflexiven Moderne“, die technologische Abhilfe verhieß, ohne die zentralen Normen eines vielversprechenden Zeitalters der Freiheit und Gerechtigkeit aufgeben zu müssen. Erhofft wurde gar ein „ökoemanzipatorisches Projekt“, so als seien das Überlebensnotwendige und die Befreiung des Menschen von jeglicher Begrenzung zwei Seiten derselben Medaille. Als Goethe einst meinte, „Gesetzgeber oder Revolutionäre, die Gleichsein und Freiheit zugleich versprechen“, seien „Phantasten oder Scharlatane“, nahm er ein prägendes Dilemma späterer Epochen vorweg. Was er nicht ahnen konnte: Das Aufblühen eines ökonomischen und technologischen Expansionismus vermochte diesen Zielkonflikt für die Dauer eines historischen Augenaufschlags zu mildern. Den damit einhergehenden Substanzverzehr bezeichnete der Philosoph Georg Simmel als „substanziellen Fortschritt“, zumal er soziale Konflikte in solche zwischen Mensch und Natur umlenkte.

Diese heute als naiv belächelte Logik wich inzwischen einem „Green New Deal“, der das Freiheit und Gleichheit verbindende Wachstum mittels ökologischer Effizienz, Kreislaufwirtschaft und erneuerbaren Energien von jeglichen Schäden zu entkoppeln verspricht. Aber was daran reflexiv oder gar „grün“ erscheinen mag, entpuppt sich als Selbsttäuschung. Während sich das alte Wachstumsparadigma mit der Utopie einer nie versiegenden Naturaneignung begnügte, gibt die grüne Moderne vor, den Expansionskurs nicht nur ungebrochen fortsetzen, sondern dies obendrein ökologisch unschädlich bewerkstelligen zu können. Dies bedarf einer doppelten Glaubensanstrengung, nämlich durch Wissen, Innovationskraft und technologische Perfektion einen Wohlstand aus dem materiellen Nichts erschaffen zu können, der selbst alles andere als immateriell ist. Das physisch Unmögliche, vormals „Wunder“ genannt, heißt heute „Fortschritt“. Unverändert blieb also das magische Denken, nicht aber die Wirkmächtigkeit und Eingriffstiefe, mit der Überflussgesellschaften vergeblich gegen Naturgesetze anrennen, um wachsenden Wohlstand von negativen Folgen abzukoppeln. Erreicht wurde bestenfalls eine zeitliche, stoffliche, systemische und – vor allem – räumliche Verlagerung insgesamt zunehmender Umweltschäden.

Das muss deren Nutznießer nicht stören, denn die neuen Technologien lassen nicht nur die Wertschöpfung wachsen, sondern auch die Distanz zwischen den urbanen oder touristischen Komfortzonen auf der einen und den Austragungsorten eines „grünen Kolonialismus“ auf der anderen Seite. Dies zeigt sich nirgends deutlicher als ausgerechnet am Dreh- und Angelpunkt aller sauberen Wohlstandsträume, nämlich der „Energiewende“. Das Verhältnis zwischen ökologischer Zerstörung und Ausbeute an verlässlich verfügbarer erneuerbarer Energie driftet ins Bizarre.

Gescheitertes Entkopplungsnarrativ

Wenn „grüne“ technologische Lösungen systematisch versagen, ergeben sich drei Konsequenzen, die nicht nur für den Übergang zu einer Postwachstumsökonomie, sondern für jede weitere Entwicklung der modernen Zivilisation maßgeblich sein werden, gegebenenfalls auch unfreiwillig.

Der Mensch als Ausgangspunkt einer Transformation. Bereits Immanuel Kant plädierte für ein Weltbürgerrecht, demzufolge Gerechtigkeit weltweit nur zwischen Personen existieren kann. Angewandt auf den vorliegenden Kontext bedeutet dies, dass allein individuelle Umweltbilanzen ein adäquates Zielsystem bilden. Denn wenn der Planet physisch begrenzt ist, industrieller Wohlstand nicht ökologisch entkoppelt werden kann, die Lebensgrundlagen dauerhaft erhalten bleiben sollen und globale Gerechtigkeit herrschen soll, muss es eine Obergrenze für den von einem Individuum in Anspruch genommenen Wohlstand geben. Für das Zwei-Grad-Klimaschutzziel würde daraus folgen, dass die CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr durchschnittlich auf etwa eine Tonne zu begrenzen wären. In Mitteleuropa betragen die Emissionen tatsächlich aber rund elf Tonnen pro Kopf und Jahr. Somit laufen Transformationsbemühungen, die sich weiterhin dagegen sträuben, direkt an den individuellen Handlungsmustern und Lebensführungen anzusetzen, ins Leere.

Systematische Handlungsunfähigkeit der Politik. Wenn sich Regierungen nicht mehr auf ein Entkopplungsnarrativ berufen können, fehlt die demokratische Basis für kollektive Lösungen. Denn Letztere könnten nur darin bestehen, Einschränkungen bisheriger Mobilitäts- und Konsumpraktiken zu oktroyieren, was politischem Suizid gleichkäme. Reduktive Anpassungen meistern zu können, ist keine Frage des Wollens oder bekundeter Einsichten, sondern des Könnens und der Belastbarkeit, setzt daher eine übungsbedürftige Praxis voraus. Diese widerspräche den jahrzehntelang erstrittenen, antrainierten und mit allen politischen Mitteln durchgesetzten Wohlstandsstandards, würde von der Wählermehrheit somit als Bedrohung empfunden und politisch abgestraft. Weiter an einer zentral koordinierten Strategie festzuhalten, stellt wirksamen Wandel somit unter eine Voraussetzung, die unerfüllbar ist und verhindert ihn damit. Was stattdessen unter aktuellen kulturellen Bedingungen zur überlebensnotwendigen Transformation beiträgt, obliegt proaktiven Minderheiten oder einer Avantgarde, die intrinsisch motiviert ist oder sich in selbst organisierten Teilsystemen entfaltet – unabhängig von politischen Mehrheitsverhältnissen.

Worst-Case-Kompatibilität. Je unfähiger Gesellschaften sind, reduktive Maßnahmen politisch zu organisieren oder mehrheitlich in die Praxis zu überführen, umso unvermeidbarer werden ökologische und ökonomische Krisen, die bis zum Kollaps reichen können. Unvorbereitet eintretende Verwerfungen nebst substanzieller Knappheit führen zu einem Regime, das sich nicht abwählen lässt. Seine regulative Macht beruht nicht auf demokratischen, sondern physischen Gesetzen und erinnert an Epochen, in denen Menschen den Unbilden der Natur noch stärker ausgesetzt waren. Desavouiert wird damit das modernistische Paradigma, wonach aufgeklärte Gesellschaften das größte anzunehmende Ungemach stets rechtzeitig durch technologischen Fortschritt und geplante Steuerung verhindern. Transformationsstrategien, die Worst-Case-Szenarien ignorieren, also nicht mindestens auf Kompetenzen und die Befähigung zielen, gegebenenfalls in den Ruinen einer gescheiterten industriellen Moderne würdig zu überleben, sind nicht nur hinfällig, sondern verantwortungslos.

Gestaltungsebenen: Suffizienz und Subsistenz

Folglich bedarf es eines Zukunftsentwurfs, der erstens die individuellen Fähigkeiten stärkt, sich mit Knappheit zu arrangieren, der zweitens auch unabhängig von politischen Weichenstellungen umsetzbar ist und der drittens den Kollaps bei rechtzeitiger und umfänglicher Umsetzung zwar verhindern würde, aber zugleich die beste Reaktion auf dessen möglichen Eintritt darstellt. Diese Doppelfunktion erfüllt nur ein Versorgungs- und Lebensstil, der weitgehend unabhängig vom derzeit noch hegemonialen Industrie- und Technologiekomplex ist – ganz gleich, ob dieser vorsorglich zurückgebaut wird oder erzwungenermaßen zusammenbricht. Daran knüpft das Konzept der Postwachstumsökonomie an, indem es Logiken der materiellen Abrüstung (Suffizienz) und der Reorganisation eines dadurch reduzierten Bedarfs vertieft.

Suffizienz verarbeitet nicht nur unverhandelbare physische, sondern mehr noch psychische, also innere Wachstumsgrenzen. Konsumobjekte können keinen positiven Effekt entfalten, wenn deren Nutzer sie nicht kraft ihrer Sinnesorgane erfassen und aktiv verwenden. Dies ist zeitintensiv und lässt sich nicht beschleunigen. Wenn sich das Spektrum an verfügbaren Gütern und Erlebnissen infolge gestiegener Kaufkraft vergrößert, konkurrieren alle Aktivitäten um eine nicht vermehrbare Ressource, nämlich Zeit, die zum Engpassfaktor wird. Deshalb kennzeichnen Phänomene einer „Erschöpfung“, „Überforderung“ sowie ein „Unbehagen im Wohlstand“ den Alltag moderner Konsumgesellschaften.

Dem grassierenden Selbstverwirklichungsstress lässt sich nur mit Genügsamkeit begegnen: Von welchen Energiesklaven, Konsum- und Komfortkrücken ließen sich überbordende Lebensstile und schließlich die gesamte Gesellschaft befreien? Gemäß einer zeitökonomischen Analyse des Konsumgeschehens zielt Suffizienz darauf, sich auf insgesamt weniger Aktivitäten zu konzentrieren, um diese dafür umso intensiver ausschöpfen zu können. Damit richtet sie sich nicht gegen Konsum, sondern bezweckt eine optimale Verwendung knapper Zeitressourcen bei gleichzeitiger Erhöhung der Lebensqualität. Suffizienz kennt drei Ausprägungen: Selbstbegrenzung eines erreichten Versorgungsniveaus, graduelle Reduktion eines bestimmten Anspruchs sowie die vollständige Entsagung einer Option.

Suffizienz ist sozialpolitisch und ökonomisch plausibel begründbar, wenn sie dort ansetzt, wo maximalen Schäden, die durch frei wählbare Handlungen entstehen, nur minimale Rechtfertigungsgehalte gegenüberstehen. Dies legt eine Unterscheidung zwischen Grundbedarf und Luxus nahe. Nicht Ersteren, sondern Letzteren infrage zu stellen, vermeidet soziale Konflikte. Bürgergeldempfänger dürften sich kaum benachteiligt fühlen, wenn Weltreisen, Kreuzfahren, SUV-Verkehr und anderer Prestigekonsum entfielen oder eingeschränkt würden. Es erkrankte oder erfror noch niemand, der nach dem Abitur nicht nach Neuseeland flog. Diese Logik erweist sich nicht nur als verteilungspolitisch nivellierend, weil untere Einkommensgruppen davon nicht betroffen wären, sondern überdies als ökonomisch effizient. Denn sie beruht darauf, die knappsten und lebenswichtigsten aller Ressourcen, nämlich Naturgüter, dort einzusetzen, wo ihr Fehlen unvertretbar wäre. Absehbar werden sich diesbezügliche Prioritätensetzungen nicht mehr aufschieben oder verdrängen lassen: Ist die Energieversorgung von Laubbläsern, Schneekanonen und Spielkonsolen genauso wichtig wie die eines Krankenhauses?

Der nach Ausschöpfung aller Suffizienzpotenziale verbleibende Bedarf kann in drei volkswirtschaftlichen Sektoren befriedigt werden: Selbstversorgung (Subsistenz), Regionalökonomie und Industrieproduktion. Dabei wird Subsistenz als unbezahlte und marktfreie Leistungserbringung verstanden, die sich im Wesentlichen auf eigene Arbeitskraft und (wenn überhaupt) nur einen geringen, keinen Verwertungszwängen unterliegenden Kapitaleinsatz stützt. Sie entspräche lediglich einer Ergänzung, durch die sich ein Teil der Industrieversorgung ersetzen ließe. Vereinfacht umfasst Subsistenz drei Praktiken: die eigene Herstellung von Gütern (Nahrungsmittel, Elektrizität, Produkte der „Marke Eigenbau“ etc.), die gemeinschaftliche Nutzung von Gütern, die weiterhin industriell gefertigt werden, sowie die Nutzungsdauerverlängerung durch achtsamen Gebrauch und Instandhaltung.

Insbesondere Wartung und Reparatur zielen darauf, die Ergiebigkeit industriell erzeugter Objekte zu erhöhen, um den Bedarf an Wertschöpfung zu senken, die nunmehr zwei ineinander übergehende Phasen umfassen würde: An eine verringerte Industrieproduktion würden lokale Praktiken der Gemeinschaftsnutzung und des Bestandserhalts anknüpfen. So ließe sich materielle Produktion graduell – nicht vollständig – durch annähernd kapitallose Subsistenzpraktiken „strecken“. Insoweit diese Leistungen in sozialen Netzen erbracht und unentgeltlich getauscht werden könnten, entfielen Profite und monetäre Einkommensströme, die zu Investitionen und steigender Konsumnachfrage führen könnten.

Konsumenten würden aus der Rolle passiver Verbraucher heraustreten und unabhängiger werden von hohen Einkommen, indem sie als „Prosumenten“ folgende Ressourcen nutzen: handwerkliche Kompetenzen und Improvisationsgeschick, marktfreie Zeit sowie nahräumliche Kooperationsbeziehungen. Um den Bedarf in eine tragfähige Balance zwischen Selbst- und Industrieversorgung einzubetten, wären neben revidierten Erziehungs- und Bildungsmaximen zugunsten handwerklicher Kompetenz ebenso tiefgreifend gewandelte Arbeitszeit- und Erwerbsmodelle notwendig. Eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf durchschnittlich 20 Stunden würde den Rückbau industrieller Strukturen sozialpolitisch abfedern, nämlich Arbeitslosigkeit vermeiden. Es verbliebe ein Einkommen, das Lebenshaltungskosten und suffizienten Konsum abdecken könnte. Die freigestellten 20 Stunden könnten eine Grundlage für ergänzende Selbstversorgung schaffen, sodass eine Halbierung der Industrieproduktion und des durchschnittlichen Geldeinkommens nicht per se den materiellen Wohlstand halbiert. Wer sich mit anderen Personen zum Beispiel Auto, Lastenfahrrad, Waschmaschine, Drucker, Gartengeräte oder Werkzeuge teilt, zudem über Möglichkeiten verfügt, die Nutzungsdauer vieler Produkte durchschnittlich zu verdoppeln, oder sich an lokaler Nahrungsmittelerzeugung beteiligt, erreicht eine hohe Lebensqualität trotz reduziertem Einkommen.

Moderne Subsistenz erfordert Lernprozesse und Erfahrungswissen. Nicht nur deshalb, sondern auch, um marktfreie Leistungen tauschen und gemeinschaftliche Arbeit verrichten zu können, bedarf es sozialer Netze, Plattformen und Reallabore. Orte des Einübens praktischer Versorgungskompetenzen und der Interaktion erlauben eine Spezialisierung auf jene Subsistenzbereiche, die mit eigenen Fähigkeiten und Präferenzen harmonieren. Wer über Reparaturkompetenzen verfügt, kann auch andere Personen davon profitieren lassen, die als Gegenleistung eine Mitnutzung bestimmter Gebrauchsgegenstände oder Nahrungsmittel aus einem (Gemeinschafts-)Garten anbieten können.

Um das integrative Versorgungsmodell einer Postwachstumsökonomie zu komplettieren, ist neben Suffizienz und Subsistenz eine dritte Drainage notwendig, damit sich der Bedarf an Industrieproduktion vermindern lässt, nämlich die Regionalökonomie. Sie umfasst handwerklich orientierte, gleichwohl unternehmerische Wirtschaftsformen, die kurze Distanzen und direkte Beziehungen zwischen Nachfragern und Erzeugern zulassen. Idealtypisch sind solidarische oder genossenschaftlich organisierte Landwirtschaftsbetriebe, aber auch kleine und mittelständige konventionelle Unternehmen, insoweit sie Alternativen zur globalen Industrieversorgung bieten. Die Wertschöpfung könnte sich auf ökologischen Landbau, handwerkliche Fertigung, Kleinserienproduktion, Werkstatt- und Manufakturfertigung, Verleihsysteme, Secondhandhandel aufgearbeiteter Objekte, Upcycling und vor allem auf professionelle Reparatur erstrecken.

Insgesamt entstünde eine vierstufige Kaskade: Wo die Reduktionspotenziale der Suffizienz enden, setzen Subsistenzpraktiken an. Manche der dann noch verbleibenden Bedarfe können von regionalen Betrieben befriedigt werden. Die restliche Nachfrage entfällt auf eine deutlich verkleinerte Industrie. Deren Rolle bestünde darin, einen ökologisch verantwortbaren, nicht wachsenden Bestand an Gütern zu erhalten und qualitativ zu verbessern. Die Neuproduktion würde sich auf den Ersatz der nach Ausschöpfung aller nutzungsdauerverlängernden Maßnahmen nicht mehr zu „rettenden“ Objekte beschränken.

Transformation in Drei Phasen

Aktuelle Reaktionen auf die Einbrüche westlicher Ökonomien gleichen dem Versuch, etwas zu retten, das unrettbar geworden ist. Wahlweise werden Verschuldungsorgien, ein harscher Protektionismus, der Abbau sozial- und klimapolitischer Standards oder – je nach ideologischer Ausrichtung – ein grüner Keynesianismus angestimmt. Dieser Eskapismus vergegenwärtigt, dass der globalisierte Wohlstand den Punkt überschritten hat, ab dem infolge der mitgewachsenen Verkümmerung aller Suffizienz- und Subsistenzfähigkeiten die Angst vor einem Einkommensverlust politisch mächtiger geworden ist als jene vor dem Klimachaos. Geschürt wird sie auch von kapitalismus- oder wachstumskritischer Seite, die den Verbrauchenden zumeist suggeriert, ohnmächtig gegenüber Systemzwängen zu sein und daher eines starken Staates zu bedürfen, der die Versorgung durch Planung, Rationierung oder ein bedingungsloses Grundeinkommen sicherstellt.

Selbst wenn derartige Utopien verwirklicht würden, entsprächen sie einer Konservierung jener Konsum- und Technologieabhängigkeit, die Menschen hilflos werden und alle Fähigkeit verschwinden ließ, sich mit einer genügsameren Güterverfügbarkeit zu arrangieren. Die bisherige Abhängigkeit vom Markt würde lediglich durch eine solche vom Staat ersetzt, der handlungsunfähiger kaum sein könnte: Einerseits ließe sich ein Status quo, den eine Wählermehrheit akzeptieren würde, auch durch staatliche Eingriffe rein physisch nicht aufrechterhalten. Andererseits würde sich eine Postwachstumsstrategie, die den Verbrauch auf ein durchhaltbares Niveau reduzieren würde, äußerlich kaum von dem unterscheiden, was landläufig unter „Wirtschaftskrise“ oder „Abschwung“ verstanden wird und somit die Wählermehrheit abschreckt. Gleichwohl liegt hier der Ausgangspunkt für eine dreistufige Transformation.

In der ersten, längst begonnenen Phase entwickelt eine Avantgarde postwachstumstaugliche Daseins-, Versorgungs- und Unternehmensformen. Dieses Minderheitenphänomen bietet imitierbare Erfahrungen, die sich in der zweiten Phase jene zunutze machen können, die von sozialen und ökonomischen Krisen betroffen sind, die sich staatlicherseits nicht mehr abwenden lassen. Wenn infolge dieser sozialen Diffusion bei parallel steigendem Krisendruck eine kritische Masse an Postwachstumspraktiken erkennbar wird, auf die sich die Regierung berufen kann, ließe sich das (politische) Wagnis eingehen, in der dritten Phase ein geordnetes Reduktionsprogramm umzusetzen.

Dieses beträfe zum einen öffentliche Investitionen: Hier bedürfte es der graduellen Abwicklung ruinöser Verkehrs-, Industrie-, Agrar- und Tourismusinfrastrukturen, der flächendeckenden Förderung von Infrastrukturen für Subsistenz und Regionalökonomie, der Abschaffung aller Subventionen, die bisherige Konsum- und Mobilitätsmuster aufrechterhalten, sowie des Aufbaus kommunaler „Ressourcenzentren“ und anderer Lernorte für genügsame und subsistenzbasierte Lebensführungen. Zum anderen wären zügige Regulierungen einzuleiten, die am Ziel eines individuellen CO2-Budgets von einer Tonne pro Kopf und Jahr orientiert sind, etwa die Unterbindung ökologisch ruinöser (Luxus-)Praktiken wie Kreuzfahrten und die Einschränkung des Flugverkehrs auf das Volumen der 1960er Jahre. Schließlich wären auch auf dem Gebiet der Lebensstilpolitik Maßnahmen notwendig, etwa die Erleichterung einer Arbeitszeitverkürzung auf durchschnittlich 20 Stunden pro Woche, die Eindämmung des „Akademisierungswahns“ sowie die Ausrichtung des Bildungssystems auf handwerkliche, manuelle und subsistenzbasierte (Alltags-)Kompetenzen.

Ausblick

Das Konzept der Postwachstumsökonomie setzt sich über modernistische Illusionen hinweg, indem es darauf zielt, Menschen zu befähigen, unter absehbar nicht mehr zu verhindernden Kollaps- und Knappheitsbedingungen souverän zu existieren. Die bis dato reproduzierten Erwartungen an eine zentral geplante, demokratisch legitimierte Transformation bilden eine „Zombiekategorie“, weil sie auf einem technologischen, den Wohlstand erhaltenden Fortschrittsversprechen gründen, das sich längst als unerfüllbar offenbart. Die nunmehr überlebensnotwendige Umkehr zum Weniger akzeptiert nur, wer es gewohnt ist oder eingeübt hat, ein sinnstiftendes Dasein genügsam zu gestalten. Deshalb setzt eine Postwachstumspolitik paradoxerweise voraus, was sie eigentlich bewirken soll. Der Ökonom Serge Latouche spricht von einer „Selbsttransformation“, die erst in hinreichendem Maße vorwegnehmen und damit erfahrbar werden lassen müsse, was daran anknüpfend vom Rest der Gesellschaft akzeptiert werden könnte.

Wer nicht mehr auf politische Lösungen hofft, mit denen sich die Wachstums-Titanic noch umsteuern lässt, kann sich immerhin selbst helfen und gemeinsam mit anderen Rettungsboote bauen (in den oben beschriebenen ersten zwei Phasen). Die Frage, ob Krisen zum Motor des Wandels werden, stellt sich nicht mehr, sondern nur noch, wie diese bewältigt werden können. Die vielzitierte Formel „by design or by disaster“ wäre also zu modifizieren, nämlich in „by decentralized design and desaster“. Wer hingegen weiterhin auf problemlösendes Regierungshandeln setzt, müsste exakt dasselbe unternehmen, weil demokratische Politik einem Wandel, der nicht leicht zu meistern ist, niemals vorauseilt, sondern nur vorsichtig beobachtend hinterherschleicht (in der dritten Phase). Die Zeit der bequemen Leugnung eigener Verantwortung ist vorbei.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ulrich Beck/Anthony Giddens/Scott Lash, Reflexive Modernisierung, Berlin 1996.

  2. Ingolfur Blühdorn, Unhaltbarkeit. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Berlin 2024.

  3. Vgl. Mariana Mazzucato, Mission. Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft, Frankfurt/M. 2021, S. 173.

  4. Vgl. Miriam Lang/Mary Ann Manahan/Breno Bringel (Hrsg.), Grüner Kolonialismus. Zwischen Energiewende und globaler Gerechtigkeit, München 2025.

  5. Vgl. Niko Paech, Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, München 2012.

  6. Vgl. Pablo Servigne/Raphaël Stevens, Wie alles zusammenbrechen kann. Handbuch der Kollapsologie, Wien 2022.

  7. Vgl. Sighard Neckel/Greta Wagner, Leistung und Erschöpfung, Berlin 2013; Gernot Böhme/Rebecca Böhme, Über das Unbehagen im Wohlstand, Berlin 2021.

  8. Vgl. Manfred Folkers/Niko Paech, All you need is less, München 2020.

  9. Vgl. etwa Ulrich Schachtschneider, Freiheit, Gleichheit, Gelassenheit. Mit dem ökologischen Grundeinkommen aus der Wachstumsfalle, München 2014.

  10. Siehe etwa Externer Link: https://ressourcenzentrum-oldenburg.de.

  11. Vgl. Julian Nida-Rümelin, Der Akademisierungswahn, Hamburg 2014.

  12. Vgl. Ulrich Beck, Zombie Categories, in: ders./Elisabeth Beck-Gernsheim (Hrsg.), Individualization, London 2002, S. 202–213.

  13. Vgl. Serge Latouche, Le pari de la décroissance, Paris 2006.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Niko Paech für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist außerplanmäßiger Professor im Bereich Plurale Ökonomik an der Universität Siegen.