An ehrgeizigen Entwürfen einer nachhaltigen Entwicklung mangelt es nicht, seit sich die menschliche Zivilisation des ökologischen Abgrundes bewusst geworden ist, auf den sie zusteuert. Viel war die Rede von einer zweiten oder „reflexiven Moderne“,
Diese heute als naiv belächelte Logik wich inzwischen einem „Green New Deal“, der das Freiheit und Gleichheit verbindende Wachstum mittels ökologischer Effizienz, Kreislaufwirtschaft und erneuerbaren Energien von jeglichen Schäden zu entkoppeln verspricht.
Das muss deren Nutznießer nicht stören, denn die neuen Technologien lassen nicht nur die Wertschöpfung wachsen, sondern auch die Distanz zwischen den urbanen oder touristischen Komfortzonen auf der einen und den Austragungsorten eines „grünen Kolonialismus“ auf der anderen Seite.
Gescheitertes Entkopplungsnarrativ
Wenn „grüne“ technologische Lösungen systematisch versagen, ergeben sich drei Konsequenzen, die nicht nur für den Übergang zu einer Postwachstumsökonomie, sondern für jede weitere Entwicklung der modernen Zivilisation maßgeblich sein werden, gegebenenfalls auch unfreiwillig.
Der Mensch als Ausgangspunkt einer Transformation. Bereits Immanuel Kant plädierte für ein Weltbürgerrecht, demzufolge Gerechtigkeit weltweit nur zwischen Personen existieren kann. Angewandt auf den vorliegenden Kontext bedeutet dies, dass allein individuelle Umweltbilanzen ein adäquates Zielsystem bilden. Denn wenn der Planet physisch begrenzt ist, industrieller Wohlstand nicht ökologisch entkoppelt werden kann, die Lebensgrundlagen dauerhaft erhalten bleiben sollen und globale Gerechtigkeit herrschen soll, muss es eine Obergrenze für den von einem Individuum in Anspruch genommenen Wohlstand geben. Für das Zwei-Grad-Klimaschutzziel würde daraus folgen, dass die CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr durchschnittlich auf etwa eine Tonne zu begrenzen wären. In Mitteleuropa betragen die Emissionen tatsächlich aber rund elf Tonnen pro Kopf und Jahr. Somit laufen Transformationsbemühungen, die sich weiterhin dagegen sträuben, direkt an den individuellen Handlungsmustern und Lebensführungen anzusetzen, ins Leere.
Systematische Handlungsunfähigkeit der Politik. Wenn sich Regierungen nicht mehr auf ein Entkopplungsnarrativ berufen können, fehlt die demokratische Basis für kollektive Lösungen. Denn Letztere könnten nur darin bestehen, Einschränkungen bisheriger Mobilitäts- und Konsumpraktiken zu oktroyieren, was politischem Suizid gleichkäme. Reduktive Anpassungen meistern zu können, ist keine Frage des Wollens oder bekundeter Einsichten, sondern des Könnens und der Belastbarkeit, setzt daher eine übungsbedürftige Praxis voraus. Diese widerspräche den jahrzehntelang erstrittenen, antrainierten und mit allen politischen Mitteln durchgesetzten Wohlstandsstandards, würde von der Wählermehrheit somit als Bedrohung empfunden und politisch abgestraft. Weiter an einer zentral koordinierten Strategie festzuhalten, stellt wirksamen Wandel somit unter eine Voraussetzung, die unerfüllbar ist und verhindert ihn damit. Was stattdessen unter aktuellen kulturellen Bedingungen zur überlebensnotwendigen Transformation beiträgt, obliegt proaktiven Minderheiten oder einer Avantgarde, die intrinsisch motiviert ist oder sich in selbst organisierten Teilsystemen entfaltet – unabhängig von politischen Mehrheitsverhältnissen.
Worst-Case-Kompatibilität. Je unfähiger Gesellschaften sind, reduktive Maßnahmen politisch zu organisieren oder mehrheitlich in die Praxis zu überführen, umso unvermeidbarer werden ökologische und ökonomische Krisen, die bis zum Kollaps reichen können.
Gestaltungsebenen: Suffizienz und Subsistenz
Folglich bedarf es eines Zukunftsentwurfs, der erstens die individuellen Fähigkeiten stärkt, sich mit Knappheit zu arrangieren, der zweitens auch unabhängig von politischen Weichenstellungen umsetzbar ist und der drittens den Kollaps bei rechtzeitiger und umfänglicher Umsetzung zwar verhindern würde, aber zugleich die beste Reaktion auf dessen möglichen Eintritt darstellt. Diese Doppelfunktion erfüllt nur ein Versorgungs- und Lebensstil, der weitgehend unabhängig vom derzeit noch hegemonialen Industrie- und Technologiekomplex ist – ganz gleich, ob dieser vorsorglich zurückgebaut wird oder erzwungenermaßen zusammenbricht. Daran knüpft das Konzept der Postwachstumsökonomie an, indem es Logiken der materiellen Abrüstung (Suffizienz) und der Reorganisation eines dadurch reduzierten Bedarfs vertieft.
Suffizienz verarbeitet nicht nur unverhandelbare physische, sondern mehr noch psychische, also innere Wachstumsgrenzen. Konsumobjekte können keinen positiven Effekt entfalten, wenn deren Nutzer sie nicht kraft ihrer Sinnesorgane erfassen und aktiv verwenden. Dies ist zeitintensiv und lässt sich nicht beschleunigen. Wenn sich das Spektrum an verfügbaren Gütern und Erlebnissen infolge gestiegener Kaufkraft vergrößert, konkurrieren alle Aktivitäten um eine nicht vermehrbare Ressource, nämlich Zeit, die zum Engpassfaktor wird. Deshalb kennzeichnen Phänomene einer „Erschöpfung“, „Überforderung“ sowie ein „Unbehagen im Wohlstand“ den Alltag moderner Konsumgesellschaften.
Dem grassierenden Selbstverwirklichungsstress lässt sich nur mit Genügsamkeit begegnen: Von welchen Energiesklaven, Konsum- und Komfortkrücken ließen sich überbordende Lebensstile und schließlich die gesamte Gesellschaft befreien? Gemäß einer zeitökonomischen Analyse des Konsumgeschehens zielt Suffizienz darauf, sich auf insgesamt weniger Aktivitäten zu konzentrieren, um diese dafür umso intensiver ausschöpfen zu können. Damit richtet sie sich nicht gegen Konsum, sondern bezweckt eine optimale Verwendung knapper Zeitressourcen bei gleichzeitiger Erhöhung der Lebensqualität. Suffizienz kennt drei Ausprägungen: Selbstbegrenzung eines erreichten Versorgungsniveaus, graduelle Reduktion eines bestimmten Anspruchs sowie die vollständige Entsagung einer Option.
Suffizienz ist sozialpolitisch und ökonomisch plausibel begründbar, wenn sie dort ansetzt, wo maximalen Schäden, die durch frei wählbare Handlungen entstehen, nur minimale Rechtfertigungsgehalte gegenüberstehen. Dies legt eine Unterscheidung zwischen Grundbedarf und Luxus nahe. Nicht Ersteren, sondern Letzteren infrage zu stellen, vermeidet soziale Konflikte. Bürgergeldempfänger dürften sich kaum benachteiligt fühlen, wenn Weltreisen, Kreuzfahren, SUV-Verkehr und anderer Prestigekonsum entfielen oder eingeschränkt würden. Es erkrankte oder erfror noch niemand, der nach dem Abitur nicht nach Neuseeland flog. Diese Logik erweist sich nicht nur als verteilungspolitisch nivellierend, weil untere Einkommensgruppen davon nicht betroffen wären, sondern überdies als ökonomisch effizient. Denn sie beruht darauf, die knappsten und lebenswichtigsten aller Ressourcen, nämlich Naturgüter, dort einzusetzen, wo ihr Fehlen unvertretbar wäre. Absehbar werden sich diesbezügliche Prioritätensetzungen nicht mehr aufschieben oder verdrängen lassen: Ist die Energieversorgung von Laubbläsern, Schneekanonen und Spielkonsolen genauso wichtig wie die eines Krankenhauses?
Der nach Ausschöpfung aller Suffizienzpotenziale verbleibende Bedarf kann in drei volkswirtschaftlichen Sektoren befriedigt werden: Selbstversorgung (Subsistenz), Regionalökonomie und Industrieproduktion. Dabei wird Subsistenz als unbezahlte und marktfreie Leistungserbringung verstanden, die sich im Wesentlichen auf eigene Arbeitskraft und (wenn überhaupt) nur einen geringen, keinen Verwertungszwängen unterliegenden Kapitaleinsatz stützt. Sie entspräche lediglich einer Ergänzung, durch die sich ein Teil der Industrieversorgung ersetzen ließe. Vereinfacht umfasst Subsistenz drei Praktiken: die eigene Herstellung von Gütern (Nahrungsmittel, Elektrizität, Produkte der „Marke Eigenbau“ etc.), die gemeinschaftliche Nutzung von Gütern, die weiterhin industriell gefertigt werden, sowie die Nutzungsdauerverlängerung durch achtsamen Gebrauch und Instandhaltung.
Insbesondere Wartung und Reparatur zielen darauf, die Ergiebigkeit industriell erzeugter Objekte zu erhöhen, um den Bedarf an Wertschöpfung zu senken, die nunmehr zwei ineinander übergehende Phasen umfassen würde: An eine verringerte Industrieproduktion würden lokale Praktiken der Gemeinschaftsnutzung und des Bestandserhalts anknüpfen. So ließe sich materielle Produktion graduell – nicht vollständig – durch annähernd kapitallose Subsistenzpraktiken „strecken“. Insoweit diese Leistungen in sozialen Netzen erbracht und unentgeltlich getauscht werden könnten, entfielen Profite und monetäre Einkommensströme, die zu Investitionen und steigender Konsumnachfrage führen könnten.
Konsumenten würden aus der Rolle passiver Verbraucher heraustreten und unabhängiger werden von hohen Einkommen, indem sie als „Prosumenten“ folgende Ressourcen nutzen: handwerkliche Kompetenzen und Improvisationsgeschick, marktfreie Zeit sowie nahräumliche Kooperationsbeziehungen. Um den Bedarf in eine tragfähige Balance zwischen Selbst- und Industrieversorgung einzubetten, wären neben revidierten Erziehungs- und Bildungsmaximen zugunsten handwerklicher Kompetenz ebenso tiefgreifend gewandelte Arbeitszeit- und Erwerbsmodelle notwendig. Eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf durchschnittlich 20 Stunden würde den Rückbau industrieller Strukturen sozialpolitisch abfedern, nämlich Arbeitslosigkeit vermeiden. Es verbliebe ein Einkommen, das Lebenshaltungskosten und suffizienten Konsum abdecken könnte. Die freigestellten 20 Stunden könnten eine Grundlage für ergänzende Selbstversorgung schaffen, sodass eine Halbierung der Industrieproduktion und des durchschnittlichen Geldeinkommens nicht per se den materiellen Wohlstand halbiert. Wer sich mit anderen Personen zum Beispiel Auto, Lastenfahrrad, Waschmaschine, Drucker, Gartengeräte oder Werkzeuge teilt, zudem über Möglichkeiten verfügt, die Nutzungsdauer vieler Produkte durchschnittlich zu verdoppeln, oder sich an lokaler Nahrungsmittelerzeugung beteiligt, erreicht eine hohe Lebensqualität trotz reduziertem Einkommen.
Moderne Subsistenz erfordert Lernprozesse und Erfahrungswissen. Nicht nur deshalb, sondern auch, um marktfreie Leistungen tauschen und gemeinschaftliche Arbeit verrichten zu können, bedarf es sozialer Netze, Plattformen und Reallabore. Orte des Einübens praktischer Versorgungskompetenzen und der Interaktion erlauben eine Spezialisierung auf jene Subsistenzbereiche, die mit eigenen Fähigkeiten und Präferenzen harmonieren. Wer über Reparaturkompetenzen verfügt, kann auch andere Personen davon profitieren lassen, die als Gegenleistung eine Mitnutzung bestimmter Gebrauchsgegenstände oder Nahrungsmittel aus einem (Gemeinschafts-)Garten anbieten können.
Um das integrative Versorgungsmodell einer Postwachstumsökonomie zu komplettieren, ist neben Suffizienz und Subsistenz eine dritte Drainage notwendig, damit sich der Bedarf an Industrieproduktion vermindern lässt, nämlich die Regionalökonomie. Sie umfasst handwerklich orientierte, gleichwohl unternehmerische Wirtschaftsformen, die kurze Distanzen und direkte Beziehungen zwischen Nachfragern und Erzeugern zulassen. Idealtypisch sind solidarische oder genossenschaftlich organisierte Landwirtschaftsbetriebe, aber auch kleine und mittelständige konventionelle Unternehmen, insoweit sie Alternativen zur globalen Industrieversorgung bieten. Die Wertschöpfung könnte sich auf ökologischen Landbau, handwerkliche Fertigung, Kleinserienproduktion, Werkstatt- und Manufakturfertigung, Verleihsysteme, Secondhandhandel aufgearbeiteter Objekte, Upcycling und vor allem auf professionelle Reparatur erstrecken.
Insgesamt entstünde eine vierstufige Kaskade: Wo die Reduktionspotenziale der Suffizienz enden, setzen Subsistenzpraktiken an. Manche der dann noch verbleibenden Bedarfe können von regionalen Betrieben befriedigt werden. Die restliche Nachfrage entfällt auf eine deutlich verkleinerte Industrie. Deren Rolle bestünde darin, einen ökologisch verantwortbaren, nicht wachsenden Bestand an Gütern zu erhalten und qualitativ zu verbessern. Die Neuproduktion würde sich auf den Ersatz der nach Ausschöpfung aller nutzungsdauerverlängernden Maßnahmen nicht mehr zu „rettenden“ Objekte beschränken.
Transformation in Drei Phasen
Aktuelle Reaktionen auf die Einbrüche westlicher Ökonomien gleichen dem Versuch, etwas zu retten, das unrettbar geworden ist. Wahlweise werden Verschuldungsorgien, ein harscher Protektionismus, der Abbau sozial- und klimapolitischer Standards oder – je nach ideologischer Ausrichtung – ein grüner Keynesianismus angestimmt. Dieser Eskapismus vergegenwärtigt, dass der globalisierte Wohlstand den Punkt überschritten hat, ab dem infolge der mitgewachsenen Verkümmerung aller Suffizienz- und Subsistenzfähigkeiten die Angst vor einem Einkommensverlust politisch mächtiger geworden ist als jene vor dem Klimachaos. Geschürt wird sie auch von kapitalismus- oder wachstumskritischer Seite, die den Verbrauchenden zumeist suggeriert, ohnmächtig gegenüber Systemzwängen zu sein und daher eines starken Staates zu bedürfen, der die Versorgung durch Planung, Rationierung oder ein bedingungsloses Grundeinkommen sicherstellt.
Selbst wenn derartige Utopien verwirklicht würden, entsprächen sie einer Konservierung jener Konsum- und Technologieabhängigkeit, die Menschen hilflos werden und alle Fähigkeit verschwinden ließ, sich mit einer genügsameren Güterverfügbarkeit zu arrangieren. Die bisherige Abhängigkeit vom Markt würde lediglich durch eine solche vom Staat ersetzt, der handlungsunfähiger kaum sein könnte: Einerseits ließe sich ein Status quo, den eine Wählermehrheit akzeptieren würde, auch durch staatliche Eingriffe rein physisch nicht aufrechterhalten. Andererseits würde sich eine Postwachstumsstrategie, die den Verbrauch auf ein durchhaltbares Niveau reduzieren würde, äußerlich kaum von dem unterscheiden, was landläufig unter „Wirtschaftskrise“ oder „Abschwung“ verstanden wird und somit die Wählermehrheit abschreckt. Gleichwohl liegt hier der Ausgangspunkt für eine dreistufige Transformation.
In der ersten, längst begonnenen Phase entwickelt eine Avantgarde postwachstumstaugliche Daseins-, Versorgungs- und Unternehmensformen. Dieses Minderheitenphänomen bietet imitierbare Erfahrungen, die sich in der zweiten Phase jene zunutze machen können, die von sozialen und ökonomischen Krisen betroffen sind, die sich staatlicherseits nicht mehr abwenden lassen. Wenn infolge dieser sozialen Diffusion bei parallel steigendem Krisendruck eine kritische Masse an Postwachstumspraktiken erkennbar wird, auf die sich die Regierung berufen kann, ließe sich das (politische) Wagnis eingehen, in der dritten Phase ein geordnetes Reduktionsprogramm umzusetzen.
Dieses beträfe zum einen öffentliche Investitionen: Hier bedürfte es der graduellen Abwicklung ruinöser Verkehrs-, Industrie-, Agrar- und Tourismusinfrastrukturen, der flächendeckenden Förderung von Infrastrukturen für Subsistenz und Regionalökonomie, der Abschaffung aller Subventionen, die bisherige Konsum- und Mobilitätsmuster aufrechterhalten, sowie des Aufbaus kommunaler „Ressourcenzentren“
Ausblick
Das Konzept der Postwachstumsökonomie setzt sich über modernistische Illusionen hinweg, indem es darauf zielt, Menschen zu befähigen, unter absehbar nicht mehr zu verhindernden Kollaps- und Knappheitsbedingungen souverän zu existieren. Die bis dato reproduzierten Erwartungen an eine zentral geplante, demokratisch legitimierte Transformation bilden eine „Zombiekategorie“,
Wer nicht mehr auf politische Lösungen hofft, mit denen sich die Wachstums-Titanic noch umsteuern lässt, kann sich immerhin selbst helfen und gemeinsam mit anderen Rettungsboote bauen (in den oben beschriebenen ersten zwei Phasen). Die Frage, ob Krisen zum Motor des Wandels werden, stellt sich nicht mehr, sondern nur noch, wie diese bewältigt werden können. Die vielzitierte Formel „by design or by disaster“ wäre also zu modifizieren, nämlich in „by decentralized design and desaster“. Wer hingegen weiterhin auf problemlösendes Regierungshandeln setzt, müsste exakt dasselbe unternehmen, weil demokratische Politik einem Wandel, der nicht leicht zu meistern ist, niemals vorauseilt, sondern nur vorsichtig beobachtend hinterherschleicht (in der dritten Phase). Die Zeit der bequemen Leugnung eigener Verantwortung ist vorbei.