(© Gerhard Mester/www.mester-karikaturen.de)
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Die rechtlichen Grundlagen der Bundestagswahl sind im Grundgesetz (GG), im Parteiengesetz (PartG), im Bundeswahlgesetz (BWahlG) und in der Bundeswahlordnung (BWO) festgelegt. Auch bestimmte Aspekte der Regierungsform wie die Dauer der Legislaturperiode werden vom Wahlrecht umfasst. Der Begriff wird im allgemeinen Sprachgebrauch häufig mit dem „Wahlsystem“ gleichgesetzt, das aber nur einen Teilaspekt des Wahlrechts umschreibt.
Die Wahlrechtsgrundsätze
Das Grundgesetz begnügt sich damit, allgemeine „Wahlrechtsgrundsätze“ festzulegen, die den demokratischen Charakter der Wahl gewährleisten sollen. Gemäß Art. 38 Abs. 1 sind dies die Allgemeinheit, Unmittelbarkeit, Freiheit, Gleichheit und Geheimheit der Wahl, zu denen sich als weiterer, aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2009 abgeleiteter Grundsatz die Öffentlichkeit der Wahl gesellt. Zu unterscheiden ist zwischen dem Recht, an der Wahl teilzunehmen (aktives Wahlrecht), und dem Recht, sich als Kandidatin bzw. Kandidat aufstellen und wählen zu lassen (passives Wahlrecht).
Allgemeinheit
Die Allgemeinheit der Wahl verlangt, dass das Wahlrecht allen Bürgerinnen und Bürgern offensteht. Ausnahmen sind nur mit Blick auf Alter, Sesshaftigkeit, Mündigkeit und – durch richterlichen Beschluss – schwere Straftaten zulässig. Strafgefangene dürfen ansonsten zwar wählen, können das Recht aber de facto nur per Briefwahl ausüben. Den Wahlrechtsausschluss bestimmter Menschen mit Behinderung oder psychisch Kranker, die betreuungsbedürftig sind, hat das Bundesverfassungsgericht 2019 für verfassungswidrig erklärt. Seither erfolgen keine entsprechenden Meldungen der Vormundschaftsämter an die Wahlbehörden mehr. Das Wahlalter liegt seit 1970 bei 18 Jahren. Dies gilt sowohl für das aktive wie das passive Wahlrecht. Mehrere Bundesländer haben das aktive Wahlalter bei Kommunal- und/oder Landtagswahlen inzwischen auf 16 abgesenkt. Auch bei den Wahlen zum Europäischen Parlament durften die 16- bis 18-Jährigen 2024 erstmals wählen. Deutsche, die im Ausland leben, haben das Wahlrecht, wenn ihr Wegzug nicht mehr als 25 Jahre zurückliegt und sie ab dem 14. Lebensjahr mindestens drei Monate in Deutschland verbracht haben. Die Ausübung des Wahlrechts wird bei der vorgezogenen (Brief-)Wahl durch die verkürzten Fristen aber deutlich erschwert.
Das Wahlrecht ist an die Staatsangehörigkeit gebunden. Gut 11 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, also fast jeder achte Erwachsene im Land, können als Nicht-Deutsche deshalb an der Wahl nicht teilnehmen. Ausnahmen gibt es bei den Kommunal- und Europawahlen, bei denen auch in Deutschland lebende Bürgerinnen und Bürger aus anderen EU-Staaten wahlberechtigt sind. Der Einführung eines allgemeinen Kommunalwahlrechts für dauerhaft im Lande lebende Menschen aus Nicht-EU-Staaten schob das Bundesverfassungsgericht 1990 einen Riegel vor. Dies hat zugleich Folgen für die im Parteiengesetz geregelte Kandidatenaufstellung zu den Bundestags- und Landtagswahlen, an der im Unterschied zu den internen Wahlen für Parteiämter ebenfalls nur deutsche Staatsangehörige teilnehmen dürfen.
(© picture-alliance/dpa, dpa-infografik GmbH)
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Die Allgemeinheit der Wahl verpflichtet den Gesetzgeber des Weiteren, für eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu sorgen. Dies wird durch ein dichtes Netz von Wahllokalen und ausreichend lange Öffnungszeiten bei der Urnenwahl (am Wahltag von 8 bis 18 Uhr) sowie durch die Möglichkeit der (vorzeitigen) Briefwahl für alle, die nicht persönlich im Wahllokal ihre Stimme abgeben können, gewährleistet. Auch Menschen mit Beeinträchtigungen muss die Teilnahme an der Wahl ermöglicht werden. Da die Freiheit und Geheimheit der Wahl bei der Briefwahl nicht hundertprozentig garantiert werden kann, hatte das Bundesverfassungsgericht an ihre Zulassung anfangs strenge Anforderungen geknüpft, die später gelockert wurden. Eine Briefwahl kann seit 2008 auch ohne die Angabe von Gründen beantragt werden. Der Anteil der Briefwählerinnen und -wähler ist entsprechend weiter gestiegen. 2021 machte er wegen der Coronapandemie von 28,6 Prozent auf 47,6 Prozent nochmals einen deutlichen Sprung nach oben. Bei der jetzt anstehenden Wahl wird er vermutlich wieder geringer liegen, da durch den vorgezogenen Wahltermin die regulär sechswöchige Briefwahlfrist auf zwei Wochen verkürzt wird.
Unmittelbarkeit
Unmittelbarkeit der Wahl bedeutet, dass die Bürgerinnen und Bürger die Abgeordneten direkt wählen, es also kein zwischengeschaltetes Wahlgremium gibt (wie beispielsweise in den USA). Sowohl die Wahlkreis- als auch die Listenkandidatinnen und -kandidaten müssen vorab bekannt gemacht werden.
Freiheit
Die Freiheit der Wahl soll die Wählerinnen und Wähler vor Beeinträchtigungen ihrer Willensentscheidung schützen; sie müssen ihre Stimme ohne Druck oder Zwang von staatlicher wie nichtstaatlicher Seite abgeben können. Zugleich verlangt der Grundsatz ein konkurrierendes Angebot von Parteien und Kandidierenden. Das Vorschlagsrecht für letztere darf dabei nicht ausschließlich bei den Parteien liegen bzw. dort, wo die Parteien die Kandidatinnen und Kandidaten aufstellen, allein von deren Führungsgremien ausgeübt werden.
Gleichheit
Die Gleichheit der Wahl verlangt zum einen, dass jede Wählerstimme gleich viel wert ist und somit den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis hat. Bei Mehrheitswahlsystemen beschränkt sich diese Forderung auf den Zählwert der Stimme: Jede Stimme zählt genau gleich viel. Das Mandat gewinnt allerdings nur der Kandidat bzw. die Kandidatin oder die Partei mit den meisten Stimmen. Die Stimmen für die unterlegenen Kandidierenden oder Parteien werden somit nicht in Form eines Mandats repräsentiert. In Verhältniswahlsystemen tritt der sogenannte Erfolgswert hinzu. Hier werden auch die Stimmen für die nachrangig platzierten Parteien bei der Mandatsverteilung berücksichtigt. Zum anderen muss zwischen denen, die sich dem politischen Wettbewerb stellen, Chancengleichheit herrschen. Sie dürfen bei den Wahlrechtsregelungen, bei der Parteienfinanzierung oder beim Zugang zu den Medien also nicht einseitig bevorzugt bzw. benachteiligt werden. Für die Regierung gilt ein striktes Neutralitätsgebot. Sie hat sich aus dem Wahlkampf herauszuhalten, der ausschließlich Sache der Parteien ist.
Geheimheit
Geheimheit der Wahl bedeutet, dass niemand davon Kenntnis erhalten darf, wem eine Person ihre Stimme gibt. Bei der Urnenwahl wird das durch die geschützte Wahlkabine sichergestellt, bei der Briefwahl liegt es in der Verantwortung der Wählenden selbst. In die Bundeswahlordnung wurde 2017 ein Passus aufgenommen, der das Filmen und Fotografieren mit dem Smartphone in der Wahlkabine untersagt. Beeinträchtigte Personen dürfen bei der Stimmabgabe auf sie unterstützende Wahlhelferinnen und -helfer zurückgreifen, auch wenn das zu Einschränkungen beim Wahlgeheimnis führt. Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung können ihre Stimme mithilfe einer Stimmzettelschablone abgeben, die der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) kostenlos zur Verfügung stellt.
Öffentlichkeit
Die Öffentlichkeit der Wahl soll gewährleisten, dass diese ordnungsgemäß und nachvollziehbar verläuft – von den Wahlvorschlägen über die eigentliche Wahlhandlung (hier in Bezug auf die Stimmabgabe durchbrochen durch das Wahlgeheimnis) bis zur Ermittlung des Wahlergebnisses. Der Grundsatz besagt auch, dass die Stimmabgabe im öffentlichen Raum stattfindet und die Wahl so als öffentliches Ereignis sichtbar wird. Eine vollständige Ersetzung der Urnen- durch die Briefwahl wäre daher unzulässig.
Besonderheiten und Reformen der Wahlgrundsätze
Bei vorgezogenen Wahlen lassen sich manche der wahlrechtlich vorgegebenen Fristen und Termine nicht einhalten. Neben der Briefwahl betrifft das vor allem die Einreichung von Wahlkreisvorschlägen und Landeslisten. Hier werden die Fristen durch eine Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums um etwa die Hälfte reduziert. Keine Anpassung erfährt dagegen die Zahl der Unterstützungsunterschriften, die 2021 im Zuge der Coronapandemie einmalig abgesenkt worden war. Sie beträgt bei den Wahlkreisvorschlägen 200 und bei den Landeslisten je nach Größe des Bundeslandes zwischen 460 und 2000. Beigebracht werden müssen die Unterschriften nur von Parteien, die aktuell nicht im Bundestag oder mindestens einem Landtag vertreten sind. Vertreterinnen und Vertreter mehrerer kleiner Parteien haben vom Innenministerium vergeblich eine Absenkung der Zugangshürde verlangt, weil die verkürzte Sammlungsfrist sie im Wettbewerb unzulässig benachteilige.
Bei Verletzungen der Wahlrechtsgrundsätze kann die Gültigkeit der Wahl angefochten werden. Die Wahlprüfung obliegt dem Bundestag, gegen dessen Entscheidung Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht möglich ist. Auch nachgewiesene Unregelmäßigkeiten (etwa bei der Stimmenauszählung oder der Aufstellung der Wahlbewerberinnen und -bewerber) machen eine Wahl nicht automatisch ungültig, sondern nur, wenn sie sich auf die Mandatsverteilung auswirken. 2021 kam es zu Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung der Bundestagswahl in Berlin, die auch die gleichzeitig stattfindenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen betrafen. Nicht ausgegebene oder falsche Stimmzettel führten dazu, dass sich vor den Wahllokalen lange Schlangen bildeten und manche Wahllokale zeitweise sogar geschlossen werden mussten. Der Berliner Verfassungsgerichtshof erklärte die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen deshalb für ungültig und ordnete eine Wiederholungswahl an. Die Bundestagwahl musste nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in 455 der 2256 Wahlbezirke wiederholt werden, woraus sich zwar keine Änderung der Mandatsverteilung, wohl aber der personellen Zusammensetzung des Bundestags ergab.
Das Bundesverfassungsgericht hat in die Wahlrechtsregelungen immer wieder korrigierend eingegriffen. Einschneidende Folgen hatte seine Rechtsprechung im Bereich des Wahlsystems, wo es beispielsweise die Fünfprozentklausel auf kommunaler Ebene und bei den Europawahlen aufhob. Im Anfang 2017 abgeschlossenen NPD-Verfahren folgte das Gericht zwar nicht dem Antrag des Bundesrates, die rechtsextreme Partei zu verbieten, hielt es aber – in einer Abkehr vom bisherigen Prinzip der strikten formalen Gleichbehandlung – für rechtlich möglich, ihr die staatliche Parteienfinanzierung zu entziehen. Und 2009 erklärte es die 2005 erstmals ermöglichte Stimmabgabe per Wahlcomputer für unzulässig, weil dieses Verfahren die Nachprüfbarkeit der Stimmzählung nicht sicher gewährleiste.
Das Wahlsystem
Das Wahlsystem ist Teil des umfassenderen Wahlrechts. Es regelt, wie die Wählerinnen und Wähler ihre Präferenzen für Kandidierende oder Parteien in Stimmen ausdrücken und wie diese Stimmen anschließend in Mandate, das heißt Parlamentssitze, übertragen werden. Drei Bereiche bzw. Aspekte sind hier vor allem bedeutsam: die Wahlkreiseinteilung, die Kandidatur- und Stimmgebungsformen sowie die Stimmenverrechnung.
Das Verhältniswahlsystem der Bundesrepublik
(© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 086131)
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An Wahlsysteme werden unterschiedliche Funktionserwartungen herangetragen. Einerseits sollen sie im Sinne des Repräsentationsziels dafür Sorge tragen, dass die in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen und Interessen im Parlament annähernd spiegelbildlich (proportional) vertreten sind, andererseits die Bildung einer regierungsfähigen Mehrheit ermöglichen. Die Bundesrepublik hat sich auf Bundesebene wie in den Ländern für ein Verhältniswahlsystem entschieden, das dem erstgenannten Ziel Vorrang einräumt. Um eine übermäßige Zersplitterung der parlamentarischen Kräfteverhältnisse zu vermeiden, wird der Proporz [= Proportionalität, hier: Bezeichnung für die Beteiligung politischer Parteien an Gremien, Regierungen und Ämtern in einer bestimmten Stärke] allerdings durch eine Sperrklausel (Fünfprozenthürde) beschränkt. Damit soll die Mehrheitsbildung erleichtert werden. Für die Berechnung der Sitzzuteilung wird seit der Bundestagswahl 2009 das Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren angewandt.
Ein weiteres Ziel der Wahlsysteme besteht darin, den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben, neben der parteipolitischen auch die personelle Zusammensetzung der Parlamente zu beeinflussen. Das Bundestagswahlsystem trägt dem Rechnung, indem es zwischen Wahlkreis- und Listenkandidierenden unterscheidet. 299 der (regulär) 630 Abgeordneten werden von den Bürgerinnen und Bürgern in bevölkerungsmäßig etwa gleich großen Wahlkreisen direkt gewählt (Direktmandate). Das Mandat gewinnt, wer die meisten Stimmen erhält. Nach dem neuen Wahlrecht ist als weitere Bedingung eine ausreichende Zweitstimmendeckung nötig, sodass nicht jedes „gewonnene“ Mandat zwingend zugeteilt wird. Die restlichen 331 Abgeordneten ziehen über die Landeslisten in den Bundestag ein. Die Reihenfolge der Kandidierenden ist hier von den Parteien vorgegeben. Gewinnt eine Partei mindestens drei Direktmandate, wird ihr Zweitstimmenanteil auch dann in Parlamentssitze umgerechnet, wenn dieser unterhalb von fünf Prozent liegt (Grundmandatsklausel).
Für die Wahl stehen den Wählerinnen und Wählern zwei Stimmen zur Verfügung. Mit der auf dem Wahlzettel links angeordneten Erststimme wählen sie den Wahlkreiskandidaten bzw. die -kandidatin, mit der rechts angeordneten Zweitstimme die Partei. Dabei können sie die Stimmen „splitten“, indem sie zum Beispiel die Erststimme dem Kandidaten bzw. der Kandidatin der Partei A geben, mit der Zweitstimme aber Partei B wählen. Der Anteil der Wählerinnen und Wähler, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, ist nach der Einführung des Zweistimmensystems im Jahre 1953 nahezu kontinuierlich gestiegen. Seit 2005 hat er sich in einer Größenordnung von durchschnittlich etwa einem Viertel eingependelt; 2021 lag er bei 24,9 Prozent.
Die in etwa hälftige Aufteilung der Wahlkreis- und Listenmandate befördert das Missverständnis, das deutsche Wahlsystem sei eine Mischung von Mehrheits- und Verhältniswahl. Tatsächlich richtet sich der Mandatsanteil der Parteien aber ausschließlich nach dem Ergebnis der Zweitstimmen. Nachdem feststeht, wie viele Mandate jede Partei insgesamt erhält, werden die direkt gewählten Abgeordneten auf diesen Anteil angerechnet. Dass die ausschlaggebende Bedeutung der Zweitstimme einem erheblichen Teil (rund 40 Prozent) der Bürgerinnen und Bürger nicht geläufig ist, dürfte vor allem auf die irreführende Benennung „Erst- und Zweitstimme“ zurückzuführen sein. Dem Wahlsystem mangelt es insofern an Verständlichkeit.
Überhang- und Ausgleichsmandate
Die Verbindung von Wahlkreis- und Listenmandaten zieht noch ein anderes gravierendes Problem nach sich: die mögliche Entstehung von Überhangmandaten. Gewinnt eine Partei mehr Direktmandate, als ihr nach dem Anteil der Zweitstimmen zustehen, durfte sie diese unter dem alten, bis zur Bundestagswahl 2021 gültigen Wahlrecht behalten. Mit Blick auf die Wahlrechtsgleichheit sind die Überhänge problematisch, weil sie den sich aus dem Zweitstimmenergebnis ergebenden Proporz verzerren. Das Bundesverfassungsgericht hat sie deshalb in einem 2013 kurz vor der seinerzeitigen Bundestagswahl ergangenen Urteil nur bis zu einer – auf 15 – festgelegten Grenze für zulässig erachtet. Die Parteien verzichteten in der Folge auf eine Ausschöpfung dieses Spielraums und einigten sich darauf, die Überhänge durch die Vergabe von Zusatzmandaten an die anderen Parteien auszugleichen. Im Bemühen um eine perfekte Lösung schossen sie freilich über das Ziel hinaus: Die 2013 beschlossene Neuregelung führte dazu, dass für ein einzelnes Überhangmandat bis zu zwanzig Ausgleichsmandate anfallen konnten. Der Bundestag wuchs daher bei den folgenden Wahlen über seine reguläre Sollgröße von 598 Abgeordneten hinaus deutlich an. 2013 lag die Zahl der durch die Überhänge zusätzlich anfallenden Mandate bereits bei 33, 2017 bei 111. Weil für 2021 ein weiterer, noch größerer Aufwuchs erwartet wurde, verständigte sich die Große Koalition 2020 auf eine Neuregelung, deren „dämpfende Wirkung“ auf die Parlamentsgröße aber überschaubar blieb. Diese erreichte 2021 einen Rekordwert von 736. Bei Fortgeltung des alten Gesetzes wären es noch 50 Abgeordnete mehr gewesen. Und hätten CDU und CSU, wie es die Umfragen lange vorausgesagt hatten, bei der Wahl um 7 bis 10 Prozentpunkte vor der SPD gelegen, wäre selbst unter der neuen Regelung ein Anstieg auf über 850 oder vielleicht sogar 900 Abgeordnete zu befürchten gewesen.
Wahlrechtsreform
Vor diesem Hintergrund war den Beteiligten klar, dass in der neuen Legislaturperiode eine durchgreifende Reform herbeigeführt werden musste. Deshalb wurde schon im ersten Regierungsjahr eine aus Abgeordneten und Sachverständigen bestehende Kommission eingesetzt. Neben dem Wahlsystem sollte sich diese auch mit anderen Fragen des Wahlrechts befassen (Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre, Dauer der Wahlperiode, gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen und Männern auf den Kandidatenlisten, Amtszeitbegrenzung der Bundeskanzler). Die Bilanz der Kommissionsarbeit war ernüchternd, konnte man sich doch bei keinem Thema auf eine gemeinsame Position verständigen. Auch beim Wahlsystem gingen die Meinungen, wie man zu einer substanziellen Verkleinerung des Bundestags gelangen könnte, weit auseinander. Während die Unionsparteien eine echte Mischform von Mehrheits- und Verhältniswahl ins Spiel brachten (Grabenwahlsystem), machten sich die Vertreter der Ampelkoalition für einen radikalen Neuansatz im Umgang mit den Überhangmandaten stark. Er sah vor, die Zuteilung von in den Wahlkreisen direkt gewonnenen Mandaten daran zu knüpfen, dass hinter dem Mandat zugleich eine ausreichende Zahl an Zweitstimmen steht. Fallen Überhänge an, bleibt eine gleich hohe Zahl von Direktmandaten – diejenigen mit den landesweit schlechtesten Ergebnissen – künftig unbesetzt. Weil mit den Überhängen auch die Ausgleichsmandate wegfallen, kann so eine konsequente Einhaltung der Parlamentsgröße von 630 Abgeordneten garantiert werden.
Trotz des erwartbar heftigen Widerstands der CDU und vor allem der CSU setzte die Ampelregierung die Reform am 17. März 2023 mit ihrer eigenen Mehrheit durch. Die Unionsparteien zogen daraufhin vor das Bundesverfassungsgericht, das an dem Prinzip der „Zweitstimmendeckung“ jedoch keinen Anstoß nahm und es im Urteil vom 30. Juli 2024 als verfassungsmäßig bestätigte: Die Stärkung der Verhältnis- gegenüber der Personenwahl, die die Mehrheit des Bundestags damit vorgenommen habe, bewege sich im Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit. CDU und CSU haben nach dem Urteil angekündigt, die Reform in einer künftigen Regierung wieder rückgängig machen zu wollen. Da sie aber wohl mit mindestens einer der Ampelparteien koalieren müssen, dürfte es schwer werden, das durchzusetzen.
Eine weitere Reformbaustelle des Wahlsystems eröffnet die Fünfprozenthürde. Im Unterschied zur kommunalen und europäischen Ebene, wo sie von den Verfassungsgerichten gekippt wurde, bleibt die Sperrklausel in Ländern und Bund weithin unbestritten, obwohl sie auch hier unter Legitimationsdruck gerät. Einerseits bewährt sie sich nicht mehr so gut in der ihr zugedachten Funktion, eine übermäßige Zersplitterung des Parteiensystems zu verhindern und so die Regierungs- und Koalitionsbildung zu erleichtern. Und andererseits nehmen ihre unerwünschten Nebenwirkungen zu, weil in der sich ausdifferenzierenden Parteienlandschaft immer mehr Stimmen der Hürde zum Opfer fallen.
Vor diesem Hintergrund war es keine gute Idee der Ampelregierung, bei ihrer Reform die Grundmandatsklausel aus dem Wahlgesetz zu streichen – aus der Sorge, dass diese als Element der Personenwahl zur beabsichtigten Stärkung der Verhältniswahl verfassungsrechtlich in Widerspruch stehen könnte. Neben der Union erhob auch die Partei Die Linke dagegen in Karlsruhe erfolgreich Klage. In ihrem Urteil stellten die Richterinnen und Richter aber ausschließlich auf die besondere Situation der CSU ab, deren Fraktionsgemeinschaft mit der CDU durch den Wegfall der Grundmandatsklausel unzulässig gefährdet werde. Das Gericht hat deshalb die Fortgeltung der Klausel bei der Bundestagswahl 2025 angeordnet. Gleichzeitig lässt es dem Gesetzgeber andere Möglichkeiten offen, das „CSU-Problem“ zu lösen, etwa eine allgemeine Senkung der Sperrklausel oder die Zusammenrechnung der Stimmen, wenn Parteien eine Fraktionsgemeinschaft bilden.
Quoten im Bundestag?
(© picture-alliance/dpa, dpa-infografik GmbH)
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Schwenkt man den Blick vom Wahlsystem auf das weiter gefasste Wahlrecht, konzentrieren sich die Reformansätze auf das Wahlalter und auf die Repräsentation von Frauen. Beim Wahlalter tritt eine Mehrheit der Parteien inzwischen dafür ein, die in einigen Ländern bereits vorgenommene Absenkung auf 16 Jahre für den Bund zu übernehmen. Lediglich die Unionsparteien konnten sich zu diesem Schritt bisher nicht durchringen, der verfassungsrechtlich nach einhelliger Auffassung unbedenklich wäre.
Anders verhält es sich mit dem Versuch, eine Quotierung des Frauenanteils in den Parlamenten verbindlich vorzuschreiben. Entsprechende Paritätsregelungen in den Wahlgesetzen Thüringens und Brandenburgs wurden von den dortigen Landesverfassungsgerichten als Verstoß gegen die Wahlgleichheit und Satzungsfreiheit der Parteien zurückgewiesen.
Auch aus verfassungspolitischer Sicht scheint die Frage berechtigt, ob die Bemühungen um eine bessere Repräsentation von Frauen (und anderen zu wenig vertretenen Bevölkerungsgruppen) nicht zuerst bei den Parteien ansetzen sollten. Wo sich diese selbst strenge Quotenregelungen verordnet haben, liegt der Frauenanteil in den Parlamenten bereits heute zum Teil deutlich höher als der Frauenanteil unter den Parteimitgliedern. Gemessen daran wären Frauen sogar überrepräsentiert.
Der Ablauf der Wahl
Für die staatlichen Stellen beginnt die Wahl mit der Festsetzung des Wahltermins. Sie ist Aufgabe des Bundespräsidenten, der dabei einer Empfehlung der Bundesregierung folgt. Wahltag ist stets ein Sonntag.
Die Aufgaben der Bundeswahlleiterin
Die oberste Zuständigkeit für die Vorbereitung und Durchführung der Wahl liegt bei der Bundeswahlleiterin, die von der Bundesinnenministerin bestellt wird. In der Regel handelt es sich um den jeweiligen Präsidenten bzw. die Präsidentin des Statistischen Bundesamtes. Seit dem 1. Januar 2023 wird das Amt von Ruth Brand bekleidet. Die Bundeswahlleiterin sitzt dem Bundeswahlausschuss vor. Dieser setzt sich zusammen aus acht wahlberechtigten Mitgliedern, die auf Vorschlag der Parteien ernannt werden, sowie zwei Richterinnen bzw. Richtern des Bundesverwaltungsgerichts. Der Ausschuss entscheidet, welche Parteien zur Wahl zugelassen werden, und überprüft die Wahlvorschläge.
Bundeswahlleiterin und Bundeswahlausschuss arbeiten eng mit den 16 Landes- und 299 Kreiswahlleiterinnen und -leitern zusammen, die für die Durchführung der Wahl in den Ländern und Wahlkreisen zuständig sind. Sie haben sich unter anderem um die Herstellung der Stimmzettel und Briefwahlunterlagen zu kümmern. Deren Bereitstellung bzw. Versand obliegt wiederum den Kommunen, die zugleich für die Rekrutierung der vor Ort – in den Wahllokalen – tätigen Wahlvorstände verantwortlich sind. Diese prüfen die Identität der Wählerinnen und Wähler anhand der Wählerverzeichnisse und tragen dafür Sorge, dass die formalen Vorschriften bei der Stimmabgabe eingehalten werden. Nach Schließung der Wahllokale zählen sie die Stimmen aus und übermitteln das Ergebnis der Gemeindebehörde, die es zusammen mit den Ergebnissen aus den anderen Stimmbezirken und dem Briefwahlergebnis an den Kreiswahlleiter weitermeldet. Um genügend Wahlhelferinnen und -helfer zu finden, wollen viele Kommunen für deren ehrenamtlichen Einsatz bei dieser Wahl eine höhere Aufwandsentschädigung zahlen.
QuellentextDie Aufgaben von Wahlhelferinnen und Wahlhelfern
Seit Wochen ruft die Stadtverwaltung die Leipzigerinnen und Leipziger dazu auf, sich als Wahlhelfer*innen für die in diesem Jahr [2024, Anm. d. Red.] anstehenden Wahlen zu melden. Einer, für den das inzwischen Routine ist, ist Michael Ernst […]. Der Leipziger Tierpfleger hat schon einige Einsätze als Helfer im Wahlbüro hinter sich. Auch bei der kommenden Kommunal- und Europawahl am 9. Juni wird Ernst wieder als Wahlhelfer dabei sein, ebenso wie zur sächsischen Landtagswahl im Herbst.
Birthe Kleemann: Michael, du hast dich in diesem Jahr wieder als Wahlhelfer angemeldet, es wird bereits das fünfte Mal sein, dass du die Stadt am Wahltag unterstützt. Was ist deine Motivation, dich immer wieder anzumelden?
Michael Ernst: Diese Entscheidung hat eigentlich mehrere Gründe. Der erste war schlichtweg praktischer Natur: Mich hat damals, im Vorfeld der Kommunalwahlen vor fünf Jahren, ein Kollege angesprochen. Er erzählte mir, dass Personen als Wahlhelfer*innen gesucht würden. Er erzählte auch, dass die Stadt immer weniger Menschen fände, die sich bei den Wahlen engagieren würden. Also beschloss ich, selbst mitzumachen. […]
Wahlhelfer oder Wahlhelferin sein – das ist kein leichter „Job“, oder?
Ernst: Ich war bisher nie Wahlvorstand. Personen, die diesen Posten oder auch die Schreibführung übernehmen, werden explizit geschult. Bisher war ich immer Beisitzer, das heißt, ich begrüße die Menschen, prüfe die Stimmzettel auf ihre Korrektheit und schaue, dass das „Kreuzchensetzen“ den Vorschriften entsprechend abläuft. Das ist schon jede Menge Arbeit. Ich denke, man muss das aus Überzeugung tun. Zum Geldverdienen jedenfalls bewirbt sich niemand als Wahlhelfer (lacht).
Das Interessante ist: Es gibt einige Menschen, die sich oft beschweren darüber, dass Wahlen nichts nützen würden und die Politiker*innen ein abgekartetes Spiel treiben würden. Genau jene finden sich allerdings selten als Helfer*innen in den Wahlbüros ein, wo sie sozusagen mit eigenen Augen beobachten könnten, dass die Wahl gerecht vonstattengeht.
Sprichst du mit Freund*innen oder Kolleg*innen darüber, versuchst sie ebenfalls zu motivieren, sich zu bewerben?
Ernst: Ja, auf jeden Fall. […] Ich glaube, manche Menschen haben ein wenig Angst davor, dass die Aufgaben zu kompliziert sind. Aber das kann ich wirklich entkräften. Natürlich – man muss mit Konzentration dabei sein und man muss sorgfältig sein. Aber am Ende geht es darum, aufzupassen, dass das Wahlgeheimnis gewahrt bleibt und beispielsweise nicht mehrere Personen gleichzeitig in die Kabine gehen.
Aber natürlich ist es eine verantwortungsvolle Aufgabe. Vor allem, weil Fehler, die eventuell passieren, schnell politisch instrumentalisiert werden. Das sollte natürlich nicht passieren.
Gerade in den letzten Jahren waren die Wahlen immer polarisierender, auch durch das Aufkommen verschiedener neuer Parteien. Außerdem gibt es einige Menschen, die sozusagen als selbst ernannte „Wahlbeobachter“ den Helfer*innen ganz genau über die Schulter schauen – um sicherzugehen, dass nichts manipuliert wird. Natürlich gibt es auch dabei Regeln, beispielsweise, dass nicht fotografiert werden darf. […]
Bezeichnest du dich generell als Bürger, der sich in die Geschicke seiner Stadt einbringt?
Ernst: Ich denke, dass es schon sinnvoll ist, in seinem persönlichen Umfeld zu beginnen. Allein schon, die Menschen dazu zu motivieren, sich wirklich mit den Programmen von Parteien auseinanderzusetzen. Ich denke, dass es unheimlich wichtig ist, nicht immer nur zu meckern, sondern etwas zu tun, um Veränderung herbeizuführen. Aber natürlich könnte man immer mehr machen. Es gibt in Leipzig viele Möglichkeiten, sich einzubringen. Man muss sie allerdings auch kennen und sich dazu entsprechend informieren. Wer die Möglichkeiten nicht nutzt, die ihm oder ihr gegeben sind, sollte sich nicht im Nachhinein beschweren.
Wie ist deine Einschätzung – sind die Bürgerinnen und Bürger heutzutage weniger daran interessiert, sich einzubringen in die Demokratie?
Ernst: Ich glaube nicht, dass die Menschen weniger bereit sind, sich einzubringen. Ich glaube aber, dass Politikverdrossenheit nicht einfach nur ein Wort ist. Die Menschen haben Vertrauen verloren. Das nützt allerdings meistens den Falschen. […]
Wirst du dich auch in Zukunft als Wahlhelfer beteiligen?
Ernst: Definitiv. Ich bin fest überzeugt von unserem demokratischen Wahlsystem. […]
Birthe Kleemann, „‚Veränderungen sind notwendig‘: Michael Ernst im Interview über das Engagement als Wahlhelfer“, in: Leipziger Zeitung vom 5. Mai 2024. Online: Externer Link: https://www.l-iz.de/politik/leipzig/2024/05/michael-ernst-im-interview-engagement-wahlhelfer-583371
Zur Aufgabe der Bundeswahlleiterin gehört des Weiteren, die Wahl vor Einflussnahmen von außen zu schützen. Nach den Cyber-Attacken auf den Bundestag im Jahre 2015 wurden die Rechnerkapazitäten der Wahlämter verstärkt, um die Computer und Rechenzentren gegen mögliche Angriffe besser zu wappnen. Gleichzeitig warnen der Verfassungsschutz und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), dass auch die Parteien verstärkt in das Visier der vor allem in Russland vermuteten Hacker geraten könnten. Im Juni 2024 wurde zum Beispiel die zentrale Mitgliederkartei der CDU „geleakt“, was in mehreren Landesverbänden zu Verzögerungen bei der Kandidatenaufstellung führte. Darüber hinaus befürchten die Behörden Störungen des Wahlablaufs durch gezielte, über die sozialen Medien verbreitete Falschinformationen (Fake News). Um solchen Manipulationen schnell und öffentlichkeitswirksam entgegenzutreten, nutzt die Bundeswahlleiterin ihre auf verschiedenen Plattformen (X, Instagram, TikTok, WhatsApp) eingerichteten Social Media-Kanäle.
Parteien: Kandidierendenaufstellung und Wahlkampf
Für die Parteien hat die Wahl ebenfalls einen langen Vorlauf. Weil die Vorschläge für die Listenkandidierenden (Landeslisten) bei den zuständigen Landeswahlleiterinnen und -leitern und die Vorschläge für die Wahlkreiskandidierenden bei den Wahlkreisleiterinnen und -leitern spätestens 34 Tage vor der Wahl einzureichen sind, müssen die Kandidierenden bis dahin feststehen. (Bei einer regulären Wahl liegt die Frist bei 69 Tagen.) Die Aufstellung der Bewerberinnen bzw. Bewerber in den Wahlkreisen, mit der die Kreisverbände bereits 32 Monate vor dem Wahltermin beginnen können, läuft seit dem 27. Juni 2024. Über die Listenkandidierenden entscheiden die jeweiligen Landesdelegiertenversammlungen erst, wenn bekannt ist, welche Kandidatinnen und Kandidaten in welchen Wahlkreisen bereits nominiert wurden. Bei allen Bundestagsparteien liegt die Kandidatenaufstellung in den Händen von gewählten Delegierten; nur die AfD greift – wie schon 2021 – ersatzweise auf die Möglichkeit der Mitgliederversammlung zurück. Dasselbe gilt für das BSW, dessen Organisationsaufbau zum Zeitpunkt der Neuwahlentscheidung noch im Gange war (siehe Beitrag „
Parallel zur Kandidierendenaufstellung setzt die Wahlkampfplanung und -vorbereitung ein. Sie erfolgt aus den Parteizentralen heraus, die ihr Personal dazu vorübergehend erheblich aufstocken. Der Wahlkampf lässt sich grob in drei Phasen einteilen. Die erste Phase beginnt mit der Nominierung des/der Spitzenkandidierenden, die normalerweise acht bis zehn Monate vor der Wahl erfolgt. Für die jetzt anstehende Wahl hatten die Union (mit Friedrich Merz) und die AfD (mit Alice Weidel) ihren jeweiligen Kanzlerkandidaten bzw. ihre Kanzlerkandidatin schon bestimmt, bevor der Wahltermin feststand. Bei der SPD und den Grünen erfolgte die Nominierung von Olaf Scholz bzw. Robert Habeck erst danach. In der ersten Phase wird zugleich das Wahlprogramm erarbeitet und in den Parteigremien diskutiert. Sie endet mit einem Wahlparteitag, der in der Regel vier bis fünf Monate vor der Wahl stattfindet. In diesem Jahr werden es bei den meisten Parteien wegen des vorgezogenen Termins vermutlich eher vier bis fünf Wochen sein.
In der anschließenden, zweiten Phase steht die Mobilisierung der eigenen Anhängerinnen und Anhänger im Vordergrund, die die Wahlkampfbotschaften der Partei in die Bevölkerung hineintragen sollen. Sie wird von zahlreichen Veranstaltungen und Kundgebungen begleitet, die auch im Winter überwiegend „outdoor“ stattfinden. Wahlplakate etwa sechs bis acht Wochen vor der Wahl und Wahlwerbespots in den letzten vier Wochen markieren die dritte, „heiße“ Phase. Um die nicht auf eine Partei festgelegten, unentschlossenen Wählerinnen und Wähler zu erreichen, ziehen die Wettbewerberinnen und -bewerber hier alle Register des traditionellen Straßen- und modernen Medienwahlkampfs. Höhepunkt ist das TV-Duell der Kanzlerkandidierenden, das seit 2002 zu einem festen Bestandteil der Wahlauseinandersetzung geworden ist. 2021 fand es zum ersten Mal als „Triell“ (zwischen Union, SPD und Grünen) statt.
Was Wählerinnen und Wähler wissen müssen
Für die Wählerinnen und Wähler ist die Wahl zumindest formal eine bequeme Angelegenheit. Sofern sie ordnungsgemäß gemeldet sind, wird ihnen die Wahlberechtigungskarte automatisch zugesandt. Bei der anstehenden Wahl wird das vermutlich Ende Januar/Anfang Februar geschehen, also etwa drei Wochen vor dem Wahltermin. Die Wahllokale sind für die meisten Wählerinnen und Wähler fußläufig erreichbar. Die Wahlberechtigungskarte muss im Wahllokal vorgezeigt werden. Fehlt sie, kann eine Identifizierung mit dem Personalausweis erfolgen. Wer in einem anderen Wahllokal innerhalb des Wahlkreises wählen möchte, kann dafür einen Wahlschein beantragen. Dieser ist auch den Briefwahlunterlagen beigefügt, die bei dieser Wahl ab circa drei Wochen vor der Wahl angefordert werden können. (Bei einer regulären Wahl sind es sechs Wochen.) Der Wahlbrief muss bis zur Schließung der Wahllokale in der Gemeindebehörde eintreffen. Will man ihn nicht per Post verschicken, kann er dort schon vorher persönlich abgegeben werden.
Wenn das Ergebnis am Wahlabend feststeht, beginnt der Prozess der Regierungsbildung. Dieser besteht aus vier Etappen. Zunächst sondieren die Parteien, mit welchen Partnern sie eine Koalition bilden wollen oder können. Danach werden Koalitionsverhandlungen geführt, die in eine Koalitionsvereinbarung bzw. einen Koalitionsvertrag münden. Im Laufe der Zeit sind diese Verträge immer umfangreicher geworden, was die Verhandlungen aufwendiger macht und in die Länge ziehen kann. Anschließend unterbreiten die Parteien den Koalitionsvertrag ihren Gremien zur Zustimmung. Tritt anstelle eines Parteitagsbeschlusses ein Mitgliederentscheid wie in der SPD 2013 und 2017, nimmt das ebenfalls weitere Zeit in Anspruch. Ihren Abschluss findet die Regierungsbildung mit der Wahl des Kanzlers bzw. der Kanzlerin im Bundestag und der Ernennung der Ministerinnen und Minister. Danach werden die Mitglieder des neuen Bundeskabinetts im Bundestag vereidigt.