Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Motive und Leitbilder der europäischen Einigung | Europäische Union | bpb.de

Europäische Union Editorial EU im Krisenmodus Motive und Leitbilder der europäischen Einigung Vertragsgrundlagen und Entscheidungsverfahren Ausgewählte Bereiche gemeinschaftlichen Handelns Das auswärtige Handeln der EU Der Weg der EU – Rückblick und Ausblick Literatur Impressum

Motive und Leitbilder der europäischen Einigung

Otto Schmuck

/ 15 Minuten zu lesen

Bundeskanzlerin Angela Merkel unterzeichnet am 13. Dezember 2007 den Vertrag von Lissabon. (© picture-alliance/dpa, BPA Steffen Kugler)

Europäische Einigungsmotive im Wandel

Zahlreiche Motive lassen sich für die europäische Einigung ins Feld führen. Diese Motive geben – neben den konkurrierenden politisch-institutionellen Leitbildern – Aufschluss über die Triebkräfte und über die Zielrichtung der historischen Integrationsentwicklung Europas. Zudem helfen sie, die Gestalt, die das politische Europa heute hat, besser zu verstehen. Im Überblick können sechs Motivbündel als wesentliche Triebkräfte für die europäische Einigung genannt werden:

  • Friedenssicherung,

  • Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstands,

  • Zugehörigkeit zu einer Wertegemeinschaft,

  • mehr Einfluss in der Außen- und Sicherheitspolitik

  • die Aussicht auf größeren Erfolg bei der Lösung grenzüberschreitender Probleme,

  • der Wunsch nach guter Nachbarschaft im zusammenwachsenden Europa.

Die Bedeutung dieser Motive war im Zeitverlauf unterschiedlich groß und variiert von Land zu Land.

Friedenssicherung – nach wie vor aktuell


Die Idee der europäischen Einigung ist nicht neu. Philosophen, Schriftsteller und Politiker wie Immanuel Kant (1724–1804), Victor Hugo (1802–1885), Aristide Briand (1862–1932) oder Gustav Stresemann (1878–1929) haben bereits vor langer Zeit sehr unterschiedlich ausgestaltete Pläne zum friedlichen Zusammenleben der europäischen Staaten zur Diskussion gestellt. Diese Vorstellungen fanden in der Öffentlichkeit durchaus Beachtung, Auswirkungen auf die politische Praxis hatten sie jedoch nicht. Erst die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs führte zu einem Umdenken und zu konkreten politischen Entscheidungen.

Während des Zweiten Weltkriegs hatten Teile der Widerstandsbewegung einen übersteigerten Nationalismus als eine der wesentlichen Ursachen für die Kriege in Europa ausgemacht. Nach 1945 wurde dieser Gedanke in zahlreichen Treffen von Politikerinnen und Politikern und anderen engagierten Bürgerinnen und Bürgern intensiv diskutiert, unter anderem im September 1946 im schweizerischen Hertenstein, im August 1947 in Montreux, ebenfalls Schweiz, und im Mai 1948 im niederländischen Den Haag.

Eine wichtige, auf diesen Treffen entwickelte These lautete, dass eine auf nationalen Konzepten basierende politische Ordnung in Europa in der Vergangenheit immer wieder zu Rivalitäten und Spannungen, nachfolgend auch zu Aufrüstung und kriegerischen Handlungen geführt hätte. Um diese Gefahr für die Zukunft abzuwenden, schlug neben anderen auch der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill (1874–1965) in seiner viel zitierten Zürcher Rede vom 19. September 1946 einen staatenübergreifenden Ansatz vor. Dieser sollte die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die Übertragung von Zuständigkeiten in genau definierten Teilbereichen sowie die friedliche Konfliktlösung durch ein gemeinsames europäisches Gericht zur Grundlage haben.

Von besonderer Bedeutung für die Geschichte der europäischen Einigung war der Vorstoß des französischen Außenministers Robert Schuman (1886–1963). Dieser schlug am 9. Mai 1950 die Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, oft auch als Montanunion bezeichnet) vor, an der alle europäischen Staaten gleichberechtigt zusammenwirken sollten. Sein Hauptmotiv war die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich. Grundlage der EGKS war es, der Gemeinschaft Zuständigkeiten in genau abgegrenzten Bereichen zu übertragen. Entscheidungen sollten in neuartigen Gemeinschaftsverfahren getroffen werden und gerichtlich überprüft werden können. Durch die gemeinsame und gleichberechtigte Entscheidung und Kontrolle über die kriegswichtigen Rohstoffe Kohle und Stahl sollte der Frieden dauerhaft gesichert werden. Mit diesem Angebot wurde ein neuer Weg im Verhältnis zwischen den Siegern und Verlierern eines Krieges beschritten, der Weg einer gleichberechtigten Partnerschaft.

Dieses Motiv der Friedenssicherung, das der europäischen Einigung maßgeblich zugrunde liegt, ist heute etwas in den Hintergrund getreten, da der Frieden innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft von vielen längst als etwas Selbstverständliches empfunden wird.

Wirtschaftliche Beweggründe – die Vorteile des Binnenmarktes


Ein weiteres herausragendes Motiv für die europäische Einigung war und ist die Nutzung der Vorteile eines großen europäischen Binnenmarktes. In einem gemeinsamen Markt von 27 Staaten mit knapp 450 Millionen Menschen kann besser und billiger produziert werden als in einer nationalen Volkswirtschaft. Große Serien ermöglichen eine kostengünstigere Fertigung. Zusätzliche Erschwernisse durch jeweils unterschiedliche nationale Zulassungsverfahren, Zölle oder Grenzkontrollen entfallen. Die gemeinsame europäische Währung der Mitgliedstaaten der Eurozone erhöht die Vorteile des Binnenmarktes durch den Wegfall von Umtauschkosten und Wechselkursrisiken wie Kursschwankungen.

Heute ist die EU der größte Wirtschaftsraum und zugleich die größte Handelsmacht der Erde. Zwar bringt die große Konkurrenz innerhalb des Binnenmarktes für wirtschaftsschwächere Anbieter auch Nachteile, doch die Vorteile überwiegen bei Weitem. In anderen Weltregionen (Südostasien, Nordamerika) versuchen benachbarte Staaten deshalb mit unterschiedlichem Erfolg, den wirtschaftlichen Zusammenschluss der EU nachzuahmen, beispielsweise im Rahmen von ASEAN (= Association of Southeast Asian Nations, dt.: Verband Südostasiatischer Nationen) oder von NAFTA (= North American Free Trade Agreement, dt.: Nordamerikanisches Freihandelsabkommen), das im Juli 2020 vom USMCA (= United States Mexico Canada Agreement) abgelöst wurde.

Wirtschaftliche Motive sind im Hinblick auf die EU-Mitgliedschaft noch in anderer Hinsicht von Bedeutung: Strukturschwächere EU-Staaten und -Regionen erhalten in vielfältiger Weise Unterstützung aus Brüssel. Rund ein Drittel aller EU-Ausgaben fließen in die Regionalpolitik und hier vor allem in die Regionen, deren Einkommen unterhalb der Schwelle von 75 Prozent des EU-Durchschnitts liegt. Diese Förderung, die auch den ostdeutschen Ländern nach der Wiedervereinigung beachtliche finanzielle Leistungen einbrachte, kommt heute vor allem den wirtschaftsschwachen Regionen der neuen EU-Staaten in Mittel- und Osteuropa zugute.

Zugehörigkeit zu einer Wertegemeinschaft

Die Ziele der europäischen Einigung gingen von Anfang an über die Mehrung des wirtschaftlichen Wohlstands hinaus. Bereits die Gründung des Europarates 1949 sollte der Achtung und Wahrung gemeinsamer Werte dienen, zu denen – neben der Friedenssicherung – der Schutz der Menschenrechte und der Vorrang des Rechts gehören. Auch der Vertrag zur Gründung der Montanunion 1951, die Römischen Verträge 1957 sowie der Maastrichter Vertrag von 1992 zur Gründung der Europäischen Union (EU) enthalten allgemeine Bezüge zu den grundlegenden gemeinsamen Werten der Mitgliedstaaten.

QuellentextWichtige EU-Verträge

Römische Verträge:

Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande, die Gründungsstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), unterzeichnen am 25. März 1957 die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom). Sie treten am 1. Januar 1958 in Kraft. Die drei Gemeinschaften haben zwei gemeinsame Organe: den Gerichtshof der EGKS und die Parlamentarische Versammlung.

Vertrag von Maastricht:

Am 1. November 1993 tritt der Vertrag von Maastricht in Kraft. Die EWG wird zur EG; die Wirtschafts- und Währungsunion wird beschlossen. Die vormals Europäische Politische Zusammenarbeit wird nun zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Hinzu kommt die Zusammenarbeit im Bereich Inneres und Justiz. Diese drei Säulen bilden die neue Europäische Union.

Vertrag von Amsterdam:

Am 1. Mai 1999 tritt der Vertrag von Amsterdam in Kraft, der institutionelle Reformen und das neue Amt des Hohen Vertreters / der Hohen Vertreterin der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik umfasst.

Vertrag von Nizza:

Der am 1. Februar 2003 in Kraft getretene Vertrag von Nizza nahm mit Blick auf die 2004 und 2007 anstehende "EU-Osterweiterung" (zehn neue Mitgliedstaaten aus Mittel- und Osteuropa) einige institutionelle Veränderungen vor. Dazu gehörten unter anderem die Neugewichtung der Stimmen bei Abstimmungen im Rat der EU, eine neue Sitzverteilung im EP (sie spiegelte die Bevölkerungsgröße wesentlich stärker wider), der Übergang zu Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit und die Möglichkeit von Sanktionen gegen Mitgliedstaaten.

Vertrag von Lissabon:

Dieser am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Reformvertrag war das Ergebnis eines langwierigen Verhandlungsprozesses. Durch die Neuerungen wurden die Entscheidungsverfahren demokratischer und effizienter, die EU erhielt etwa in der Klimapolitik neue Befugnisse und die nationalen Parlamente wurden im Rahmen der neuartigen Subsidiaritätsüberwachung in den EU-Entscheidungsprozess eingebunden. Zudem erhielten die Unionsbürgerinnen und -bürger mit der "Europäischen Bürgerinitiative" ein Beteiligungsrecht an der Gesetzgebung.

Eigene Zusammenstellung


Der Vertrag von Lissabon von 2007 fasst die wesentlichen Merkmale dieser gemeinsamen Werte in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) folgendermaßen zusammen: "Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet."

Im Zuge der Diskussion um die EU-Osterweiterung und der damit verbundenen Initiative zur Ausarbeitung einer europäischen Verfassung trat im Jahr 2000 unter der Leitung des früheren deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog ein Konvent zusammen, der die "Charta der Grundrechte der EU" ausarbeitete. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Dezember 2009 wurde diese Grundrechtecharta rechtsverbindlich. (Genaueres siehe Abschnitt Das Wertefundament der EU im Kapitel Interner Link: Der Weg der EU).

Die Achtung und Wahrung der Grundrechte ist wegen umstrittener Gesetze und Maßnahmen in mehreren EU-Staaten zu einem zunehmend wichtigeren Thema in den EU-Institutionen geworden. Die Kommission reichte wegen Missachtung der europäischen Normen und Werte im Zeitraum 2017 bis 2020 mehrere Klagen gegen Polen und Ungarn beim Europäischen Gerichtshof ein. Dabei ging es unter anderem um politisch motivierte Justizreformen, die unzumutbare Behandlung von Asylsuchenden sowie die Diskriminierung von missliebigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Hochschulen. Die Kommission arbeitete zudem Vorschläge aus, auf deren Grundlage die Vergabe von EU-Mitteln an die Beachtung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gebunden werden soll.

Einfluss in der Außen- und Sicherheitspolitik


Die Erkenntnis, dass die europäischen Staaten als Einzelakteure auf der Weltbühne keine oder nur eine sehr eingeschränkte Rolle spielen können, verstärkte die Motivation für den europäischen Zusammenschluss. Bereits Anfang der 1970er-Jahre gab es Bemühungen zu einer "Europäischen Politischen Zusammenarbeit" (EPZ) mit dem Ziel, die damals so empfundenen Defizite des "Wirtschaftsdinosauriers" EG zu überwinden. Doch Veränderungen der Entscheidungsstrukturen und der Zuständigkeiten in der Außen- und Sicherheitspolitik waren seinerzeit nur außerhalb der Gemeinschaftsverfahren erreichbar. Konkret bedeutete dies, dass außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen von den Regierungen unter Umgehung des Europäischen Parlaments in der Regel nur einstimmig getroffen wurden und der Europäische Gerichtshof nicht zuständig war. In wichtigen Fragen der Außenpolitik konnten sich die Mitgliedstaaten oft nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.

Die veränderte weltpolitische Lage nach dem Ende des Kalten Krieges Anfang der 1990er-Jahre und die damit verbundenen höheren Erwartungen anderer Staaten – vor allem seitens der USA – an ein verstärktes europäisches Engagement erhöhten den Druck auf die EU, eine größere weltpolitische Verantwortung zu übernehmen. Dies betraf vor allem die internationale Friedenssicherung und Krisenbewältigung. Konflikte und Kriege am Persischen Golf, in Ex-Jugoslawien, in Afghanistan, im Irak und in Syrien belegen die Notwendigkeit einer verstärkten Beteiligung der EU bei der Lösung internationaler Konflikte. Die Union hat auf diese Anforderungen durch verbesserte Verfahren und Instrumente reagiert. Entsprechende Reformen wurden mit dem Vertrag von Lissabon vereinbart, der im Dezember 2009 in Kraft trat.

Die außenpolitischen Motive für ein gemeinsames europäisches Handeln beinhalten auch die Zusammenarbeit mit Ländern des globalen Südens; hier leistet die EU auf der Grundlage von Verträgen mit einer Vielzahl afrikanischer, karibischer und pazifischer Staaten ("AKP-Staaten") seit Jahrzehnten einen überwiegend positiven Beitrag. Sie hat sich bei diesen Ländern durch ihre langjährige Zusammenarbeit mit neuartigen und partnerschaftlichen Instrumenten als "Zivilmacht Europa" erhebliches Vertrauen erworben, wenngleich es auch in diesem Punkt durchaus noch Verbesserungsbedarf gibt.

Grenzüberschreitende Probleme fordern gemeinsame Lösungen


Viele der heutigen politischen Probleme können auf rein nationaler Ebene nicht mehr wirkungsvoll angegangen werden – diese Erkenntnis ist ein weiterer wesentlicher Beweggrund für den europäischen Einigungsprozess. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der Umwelt- und Klimapolitik. Die Bekämpfung von saurem Regen, die Reinerhaltung der Flüsse oder die Vorbeugung von Katastrophen, die durch technische Großprojekte wie Kernkraftwerke oder chemische Fabriken verursacht werden, kann nur gemeinsam, über die Grenzen hinweg erfolgen. Anschauliche Beispiele hierfür sind die hilflosen internationalen Reaktionen in den 1980er-Jahren auf Umweltkatastrophen wie das Reaktorunglück in Tschernobyl, die Rheinverseuchung nach einem Betriebsunfall der Chemiefirma Sandoz in Basel (beide 1986) oder auch das Tankerunglück vor der spanischen Atlantikküste im Jahr 2002.

Auch in anderen Bereichen wird ein koordiniertes europäisches Vorgehen zunehmend notwendiger. Dies betrifft die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, des Drogenschmuggels und der internationalen Geldwäsche ebenso wie die Ankurbelung der Wirtschaft, die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die langfristige Sicherung der natürlichen Rohstoffe und die Lösungsansätze für die Ursachen der weltweiten Migration. Die Coronavirus-Pandemie mit ihren vielfältigen grenzüberschreitenden Auswirkungen ist ebenfalls ein anschauliches Beispiel. In vielen Fällen wären globale Lösungen am wirkungsvollsten, doch häufig fehlt es entsprechenden Übereinkünften – etwa im Rahmen der Vereinten Nationen – an Verbindlichkeit.

Den europäischen Nachbarn besser kennen- und verstehen lernen


Nicht zuletzt gehört zu den Motiven der europäischen Einigung auch das Streben nach einer guten europäischen Nachbarschaft. Regionen, Städte, Schulen und Vereine schließen Partnerschaften; Schülerinnen und Schüler, Studierende, junge Berufstätige und andere interessierte Bürgerinnen und Bürger nehmen an Austauschprogrammen teil und bauen damit ein "Europa von unten" auf. Derartige Kontakte werden erleichtert durch offene Grenzen und verbesserte Sprachkenntnisse, die in Schulen, Universitäten, Volkshochschulen und speziellen Sprachkursen freier Träger, aber auch bei privaten Kontakten erworben werden. Die EU fördert und unterstützt derartige Aktivitäten durch eine Vielzahl von Programmen. Studierende können beispielsweise am Erasmus+ Austauschprogramm teilnehmen und für einige Semester im Ausland studieren. Für Schulen gibt es das Comenius-Programm. Und mit dem Lingua-Programm wird die Vermittlung von Sprachen unterstützt.

Viele Gründe sprechen für eine Fortführung des europäischen Einigungsweges. Über die Ausgestaltung und über das Endziel des geeinten Europas gab und gibt es allerdings unterschiedliche Vorstellungen. Diese wurden in den zurückliegenden Einigungsetappen immer wieder sichtbar.

Zielperspektiven und Leitbilder der europäischen Einigung

QuellentextLeitbilder der Europäischen Integration im Überblick

In der Diskussion um die künftige Entwicklung Europas stehen sich häufig klar definierte Positionen gegenüber, die fünf Grundrichtungen zugeordnet werden können:

Modell "Europäischer Bundesstaat"

Das föderale Konzept basiert auf handlungsfähigen und demokratisch legitimierten Institutionen. Grundlage ist eine geschriebene Verfassung mit einer Zusammenstellung der gemeinsamen Grundwerte. Entscheidungen können mit Mehrheit effizient und demokratisch legitimiert getroffen werden. Hauptkritikpunkt an dem Modell ist der Machtverlust der Mitgliedstaaten, der zur Folge hätte, dass diese nicht mehr allein über wichtige politische Fragen entscheiden könnten.

Modell "Europäischer Staatenbund"

Dieses Konzept ist gekennzeichnet durch eine beherrschende Stellung der Regierungen der Mitgliedstaaten. Im Vordergrund steht das Bemühen dieser Regierungen, gemeinsame Probleme zwar in begrenztem Rahmen gemeinsam zu lösen, aber das Letztentscheidungsrecht nicht aus der Hand zu geben. Die Zusammenarbeit ist durch schwerfällige Verfahren gekennzeichnet, da es keine Mehrheitsentscheidungen gibt. Parlamente spielen in diesem Modell nur eine untergeordnete Rolle.

Modell "Differenzierte Integration"

Die an Fortschritten in Europa interessierten EU-Staaten vereinbaren einen engeren Zusammenschluss mit demokratisch legitimierten handlungsfähigen Entscheidungsstrukturen und einer verbesserten Kompetenzverteilung zwischen der europäischen und der nationalen Ebene. Bisherige EU-Staaten, die dieser Kerngruppe nicht angehören wollen, erhalten Zugang zum Binnenmarkt und zu ausgewählten Programmen und Aktivitäten, sind aber an anderen Feldern der Zusammenarbeit zeitlich befristet oder auf Dauer nicht beteiligt. Auch können EU-Staaten je nach Interessenlagen weitere Felder der Zusammenarbeit vereinbaren. Dieses Modell gilt als möglicher Ausweg, wenn einzelne zögernde Staaten nicht zu weiteren Integrationsschritten bereit sind. Kritisiert werden allerdings die komplizierten Strukturen durch das Nebeneinander verschiedener Gruppierungen, die jeweils über unterschiedliche Institutionen und Verfahren verfügen.

Modell "Europäische Republik mit starken Regionen"

Angestrebt wird ein grundlegend veränderter Handlungsrahmen für eine demokratische Zukunft in Europa. Orientiert am Gemeinwohl ("res publica") sollen die Bürgerinnen und Bürger gleichberechtigt an europäischen Entscheidungen mitwirken können. Die Willensbildung soll über starke Regionen erfolgen. Dabei sollen die heute bestehende Dominanz der Staaten und das Denken und Handeln in nationalen Kategorien überwunden werden. Der Europäische Rat und der Ministerrat müssten abgeschafft werden. Als Vorteil dieses Modells wird die Bürgernähe genannt.

Modell "Binnenmarkt mit Festungscharakter"

Dieses Modell zielt auf den Erhalt des funktionierenden europäischen Binnenmarktes, einschließlich der für den Ausgleich von Strukturdefiziten als notwendig erachteten Kohäsionsleistungen ab und hält zur Absicherung verschärfte Kontrollen an den EU-Außengrenzen sowie eine restriktive Einwanderungs- und Asylpolitik der EU-Staaten für erforderlich. Weitere Einigungsschritte werden abgelehnt. Dieses Modell wird vor allem von den mittel- und osteuropäischen Staaten unterstützt.

In der politischen Praxis kommen diese Modelle in einer reinen Ausprägung nicht vor. Dennoch sind diese Modelle wichtig für eine Bestimmung der erreichten Integrationsdichte und der europäischen Zielperspektiven.

Eigene Darstellung

Beim Aufbau Europas bezogen und beziehen sich die handelnden Politikerinnen und Politiker immer wieder auf bestimmte europapolitische Leitbilder, die durch ihren jeweiligen nationalen, politischen und kulturellen Hintergrund erklärbar sind. Besonders bedeutsam war und ist hierbei der Gegensatz zwischen "föderalistischen" und "intergouvernementalistischen" Leitbildern. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie tiefgehend die europäische Integration voranschreiten soll. Während das föderalistische Leitbild einen mit Souveränitätsrechten ausgestatteten europäischen Bundesstaat favorisiert, bevorzugt das intergouvernementalistische einen europäischen Staatenbund, der die Souveränität der Nationalstaaten weitgehend unangetastet lässt und bei dem die Zusammenarbeit der nationalen Regierungen im Vordergrund steht. Daneben gibt es weitere Vorstellungen zur Zukunft Europas, wie das Konzept einer "Republik Europa mit starken Regionen" oder unterschiedliche Ansätze zu einer verstärkten Zusammenarbeit einzelner Staaten oder Staatengruppen. Vor dem Hintergrund, dass zunehmend Menschen aus ärmeren und oft von Bürgerkriegen betroffenen Weltregionen in die EU einwandern, wird zudem häufiger diskutiert, ob die EU international eine Rolle als "Partner Europa" einnehmen will oder sich zu einer "Festung Europa" entwickeln wird.

In der politischen Praxis kommen diese Modelle nicht in reiner Ausprägung vor. Dennoch sind sie für eine Bestimmung der erreichten Integrationsdichte und der europäischen Zielperspektiven wichtig.

Modell "Europäischer Bundesstaat"


Vor allem Vertreterinnen und Vertreter der sechs Gründungsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande und Luxemburg – verfolgen als Zielperspektive einen europäischen Bundesstaat. Das föderale Modell erscheint aus deutscher Perspektive auch deshalb einleuchtend, weil es dem eigenen politischen System aus dem Bund und den 16 Bundesländern entspricht. Der europäische Bundesstaat ist durch eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten sowie durch jeweils handlungsfähige und demokratisch legitimierte Regierungen auf den verschiedenen politischen Ebenen gekennzeichnet. Auch auf der europäischen Ebene würde die Regierung nach diesem Modell aus Wahlen hervorgehen. Dies könnte beispielsweise dadurch geschehen, dass die europäische Regierungschefin oder der europäische Regierungschef vom Europäischen Parlament mit Mehrheit gewählt würde.

Alle Ebenen trügen eine Mitverantwortung für das Gesamtsystem. Grundlage des demokratischen Zusammenlebens wäre eine ausformulierte Verfassung, in der die Grund- und Menschenrechte als gemeinsame Werte verbindlich festgeschrieben sind. Der europäische Bundesstaat müsste daneben eine klar definierte Zuständigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie in der Wirtschafts- und Währungspolitik erhalten. Zudem würde die EU über eigene Steuereinnahmen und ein Steuer-findungsrecht verfügen.

Modell "Europäischer Staatenbund"

Vor allem britische und skandinavische Stimmen plädieren seit jeher für ein pragmatisches Vorgehen in Richtung eines europäischen Staatenbundes. Auch in Österreich und in vielen mittel- und osteuropäischen EU-Staaten findet ein derartiges Konzept bei bedeutsamen politischen Parteien Unterstützung. Ein Staatenbund beruht auf der Zusammenarbeit der Regierungen souveräner Staaten, ohne dass diese das Letztentscheidungsrecht aus der Hand geben. Die Vertreterinnen und Vertreter der Regierungen entscheiden – in der Regel einstimmig – im Ministerrat oder im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs über alle wesentlichen Themen.

Aktuelle Probleme sollen durch die Bündelung der Kräfte gemeinsam effizienter gelöst werden, als es im staatlichen Alleingang möglich wäre. Ein starkes Europäisches Parlament wird in diesem Konzept nicht angestrebt, da es die Handlungsmöglichkeiten der Regierungen beschränken würde. Die Entscheidungsverfahren sind wegen des Einstimmigkeitszwangs langwierig und – zumindest auf der europäischen Ebene – demokratisch nicht hinreichend legitimiert. Die Verhandlungsergebnisse sind wegen der notwendigen Kompromisssuche unter Konsenszwang oftmals wenig zufriedenstellend. Zudem können solche Entscheidungen nur bedingt von einem unabhängigen europäischen Gericht überprüft werden.

Modell "Differenzierte Integration"


Die Schwierigkeiten, in einer größer werdenden EU Einigungsfortschritte zu erzielen, führten immer wieder zu Überlegungen und Konzepten einer "differenzierten Integration". Modelle nach diesem Muster sind gekennzeichnet durch mehrere, sich teilweise oder vollständig überlagernde Zusammenschlüsse unterschiedlich ausgeprägter Integrationsdichte, die sich um einen föderalen Kern gruppieren. Auf diese Weise können sich die Mitgliedstaaten in unterschiedlicher Zusammensetzung und mit unterschiedlicher Aufgabenstellung an Teilbereichen der Zusammenarbeit beteiligen. Ein derartiges Vorgehen erscheint auf den ersten Blick deswegen besonders reizvoll, weil es leicht umsetzbar ist. Zu nennen sind hier drei Varianten, die bei näherer Betrachtung aber allesamt deutliche Nachteile aufweisen.

"Europa der zwei Geschwindigkeiten":

Hier werden gemeinsame Ziele von allen Mitgliedstaaten verbindlich festgeschrieben, doch nach unterschiedlichen Zeitvorgaben erreicht. So können bei unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen neue politische Aufgaben in Angriff genommen werden, indem eine Gruppe von Staaten vorangeht und die anderen Staaten sich verpflichten, nach einer festgelegten Zeit oder nach Erreichen bestimmter Kriterien nachzufolgen.

Vermehrtes Zulassen von staatlichen Sonderwegen

(engl.: opting out): Einzelne Staaten können sich zeitlich begrenzt oder auf Dauer von gemeinsamen Entwicklungen ausklinken. Wie die Einführung des Euro beispielhaft zeigt, funktioniert dieses Verfahren, doch kann es institutionelle Probleme bei der Entscheidungsfindung aufwerfen und so die Solidarität zwischen den EU-Staaten gefährden.

Konzept der "variablen Geometrie":

Hier finden sich einzelne Mitgliedstaaten in immer neuen Arrangements zur gemeinsamen Problemlösung pragmatisch zusammen. Beispielsweise könnten alle 27 Staaten an den Verfahren des Binnenmarktes mitwirken, zehn von ihnen eine europäische Forschungspolitik betreiben und acht andere sich zu einer gemeinsamen Verteidigungspolitik zusammenfinden. Dieses Verfahren gefährdet nach Ansicht von Fachleuten jedoch die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und damit die EU als Ganzes. Zudem kann es eine demokratische Legitimation auf europäischer Ebene kaum gewährleisten.

Vor allem dann, wenn sich im Rahmen der erweiterten Europäischen Union keine Einigungsfortschritte mehr erzielen lassen, könnte das Konzept des "Europa der zwei Geschwindigkeiten" an Attraktivität gewinnen: Es öffnet den dazu bereiten EU-Staaten den Weg für die zügige Errichtung einer demokratischen und handlungsfähigen Europäischen Union. Für die anderen EU-Staaten müssten akzeptable vertragliche Regelungen für einen späteren Beitritt gefunden werden.

Kritisiert werden allerdings die sehr komplizierten Strukturen durch das Nebeneinander verschiedener Gruppierungen, die jeweils über unterschiedliche Institutionen und Verfahren verfügen.

Modell "Republik Europa mit starken Regionen"


Die europäischen Regionen haben sich seit Mitte der 1980er-Jahre in der Diskussion um die Zukunft Europas verstärkt zu Wort gemeldet und eine Weiterentwicklung von der EG/EU zu einem "Europa der drei Ebenen" gefordert. Auf einer solchen dritten Ebene könnten die Regionen an der Entscheidungsfindung in der EU mitwirken. Die Regionen waren zu Beginn des europäischen Einigungsprozesses vorrangig Objekte europäischer Politik. In der Folge drängten sie jedoch auf stärkere Mitwirkungsmöglichkeiten in der EU.

Mit dem im November 1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht konnten sie eine Reihe von Positionsverbesserungen erreichen. Die wichtigsten davon sind die Einrichtung des Ausschusses der Regionen (AdR), in dem aktuell 329 Vertreterinnen und Vertreter der Regionen und der kommunalen Ebene beratend an der europäischen Rechtsetzung mitwirken, sowie die geänderte Fassung von Artikel 16 Absatz 2 EUV mit der Folge, dass seitdem auch Ministerinnen und Minister der regionalen Ebene für die Mitgliedstaaten im Rat handeln können. Konkret bedeutet dies für Deutschland, dass nach Artikel 23 Absatz 6 Grundgesetz in Bereichen der ausschließlichen Länderzuständigkeit – schulische Bildung, Kultur und Rundfunk – die Wahrnehmung der Rechte, die Deutschland in der EU zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter oder eine Vertreterin der Länder übertragen wird.

Mit der Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in Artikel 5 EUV ist auch die Bedeutung der unteren Ebene in der Gemeinschaft unterstrichen worden. Zudem sollen in der EU "Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden" (Art. 1 EUV). Diese bürgernahe Entscheidung darf aus Sicht der Regionen nicht bei der nationalen Ebene Halt machen. Mit diesen Neuerungen hat sich die EU erkennbar in Richtung eines "Europas der drei Ebenen" weiterentwickelt, in dem – neben den Mitgliedstaaten und der europäischen Ebene – auch die Regionen eine eigenständige Rolle spielen.

Interessante Impulse zur Aufwertung der Regionen entwickelten die deutsche Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot und der Schriftsteller und Publizist Robert Menasse aus Österreich. Guérot setzt sich für das Konzept einer europäischen Republik mit Regionen, Provinzen und Metropolen als deren konstitutiven Trägerinnen ein: "Das Alltägliche bleibt in der Provinz und den Metropolen, das Große geht an die Republik, so könnte die europäische Demokratie der Zukunft aussehen." In dieser Utopie würde den Nationalstaaten keine Bedeutung mehr zukommen. Vielmehr seien die freien Bürgerinnen und Bürger der Regionen und Städte die eigentlichen tragenden Säulen des Projekts. Das europäische Bürgereuropa würde geboren, das Elitenprojekt Europa begraben. Robert Menasse sprach sich für ein europäisches Netzwerk der Regionen aus. Regionen hätten eine überschaubare Größe, die konkret identitätsstiftend sei und die politische Partizipation der Menschen ermöglichte. Zudem wüssten die Regionen genau, dass sie nie autark sein könnten, also auf Kooperation mit anderen Regionen angewiesen seien.

In jeden Fall können die Regionen in Europa eine wichtige Brückenfunktion übernehmen: Sie stellen überschaubare politische Einheiten dar, in denen sich ihre Bürgerinnen und Bürger beheimatet fühlen. Ein wohldurchdachtes Konzept eines "Europa der Regionen" könnte einen Beitrag zur stärkeren Akzeptanz der europäischen Einigung bei den Bürgerinnen und Bürgern leisten.

"Festung Europa" als Gegenbild

Neben diesen zumeist positiv besetzten Leitbildern der europäischen Einigung wird in der Diskussion um die Zukunft Europas häufiger auch auf das Gegenbild der "Festung Europa" Bezug genommen Dieses Gegenbild ist gekennzeichnet durch verschärfte Kontrollen an den Außengrenzen der EU, Diskussionen über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen innerhalb der EU – etwa zwischen Dänemark und Deutschland – sowie durch eine restriktive Einwanderungs- und Asylpolitik der EU-Staaten.

Dabei wird unterstellt, dass sich die innerhalb der Grenzen Europas lebenden Menschen auf einer "Insel der Glückseligkeit" von Sicherheit und Wohlstand befinden, während darum herum Armut herrscht und ein "Kampf ums Überleben" stattfindet. Aus dieser Perspektive scheint es unabdingbar, dass sich die EU vor einem unkontrollierten Zuzug von Zuwanderungswilligen durch die Errichtung von Grenzanlagen und durch strenge Kontrollen an den Außengrenzen schützen muss. Dabei wird häufig auf aktuelle Fernsehbilder von ankommenden Flüchtlingen auf der italienischen Insel Lampedusa, auf Malta oder auch im griechischen Grenzgebiet zur Türkei verwiesen.

Ein derartiges Leitbild "Festung Europa" gilt allerdings aus vielerlei Gründen weder als eine realistische noch als eine erstrebenswerte Alternative für die Zukunft des Kontinents.

QuellentextLeitbilder der Europäischen Integration im Überblick

In der Diskussion um die künftige Entwicklung Europas stehen sich häufig klar definierte Positionen gegenüber, die fünf Grundrichtungen zugeordnet werden können:

Modell "Europäischer Bundesstaat"

Das föderale Konzept basiert auf handlungsfähigen und demokratisch legitimierten Institutionen. Grundlage ist eine geschriebene Verfassung mit einer Zusammenstellung der gemeinsamen Grundwerte. Entscheidungen können mit Mehrheit effizient und demokratisch legitimiert getroffen werden. Hauptkritikpunkt an dem Modell ist der Machtverlust der Mitgliedstaaten, der zur Folge hätte, dass diese nicht mehr allein über wichtige politische Fragen entscheiden könnten.

Modell "Europäischer Staatenbund"

Dieses Konzept ist gekennzeichnet durch eine beherrschende Stellung der Regierungen der Mitgliedstaaten. Im Vordergrund steht das Bemühen dieser Regierungen, gemeinsame Probleme zwar in begrenztem Rahmen gemeinsam zu lösen, aber das Letztentscheidungsrecht nicht aus der Hand zu geben. Die Zusammenarbeit ist durch schwerfällige Verfahren gekennzeichnet, da es keine Mehrheitsentscheidungen gibt. Parlamente spielen in diesem Modell nur eine untergeordnete Rolle.

Modell "Differenzierte Integration"

Die an Fortschritten in Europa interessierten EU-Staaten vereinbaren einen engeren Zusammenschluss mit demokratisch legitimierten handlungsfähigen Entscheidungsstrukturen und einer verbesserten Kompetenzverteilung zwischen der europäischen und der nationalen Ebene. Bisherige EU-Staaten, die dieser Kerngruppe nicht angehören wollen, erhalten Zugang zum Binnenmarkt und zu ausgewählten Programmen und Aktivitäten, sind aber an anderen Feldern der Zusammenarbeit zeitlich befristet oder auf Dauer nicht beteiligt. Auch können EU-Staaten je nach Interessenlagen weitere Felder der Zusammenarbeit vereinbaren. Dieses Modell gilt als möglicher Ausweg, wenn einzelne zögernde Staaten nicht zu weiteren Integrationsschritten bereit sind. Kritisiert werden allerdings die komplizierten Strukturen durch das Nebeneinander verschiedener Gruppierungen, die jeweils über unterschiedliche Institutionen und Verfahren verfügen.

Modell "Europäische Republik mit starken Regionen"

Angestrebt wird ein grundlegend veränderter Handlungsrahmen für eine demokratische Zukunft in Europa. Orientiert am Gemeinwohl ("res publica") sollen die Bürgerinnen und Bürger gleichberechtigt an europäischen Entscheidungen mitwirken können. Die Willensbildung soll über starke Regionen erfolgen. Dabei sollen die heute bestehende Dominanz der Staaten und das Denken und Handeln in nationalen Kategorien überwunden werden. Der Europäische Rat und der Ministerrat müssten abgeschafft werden. Als Vorteil dieses Modells wird die Bürgernähe genannt.

Modell "Binnenmarkt mit Festungscharakter"

Dieses Modell zielt auf den Erhalt des funktionierenden europäischen Binnenmarktes, einschließlich der für den Ausgleich von Strukturdefiziten als notwendig erachteten Kohäsionsleistungen ab und hält zur Absicherung verschärfte Kontrollen an den EU-Außengrenzen sowie eine restriktive Einwanderungs- und Asylpolitik der EU-Staaten für erforderlich. Weitere Einigungsschritte werden abgelehnt. Dieses Modell wird vor allem von den mittel- und osteuropäischen Staaten unterstützt.

In der politischen Praxis kommen diese Modelle in einer reinen Ausprägung nicht vor. Dennoch sind diese Modelle wichtig für eine Bestimmung der erreichten Integrationsdichte und der europäischen Zielperspektiven.

Eigene Darstellung

Dr. Otto Schmuck, Leiter der Europaabteilung a.D. der Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und bei der Europäischen Union, Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Mitwirkungsrechte von Ländern und Regionen in Europa sowie institutionelle Reformen der EU. Er hat die Koordination des Heftes übernommen.
E-Mail Link: oschmuck@online.de