Adventure TRIPS – eine Art Abenteuerreise für die Entwicklungsländer hat die Unterzeichnung des Abkommens über handelsbezogene Aspekte geistiger Eigentumsrechte (TRIPS) allemal in Gang gesetzt. Als es am 1. Januar 1995 in Kraft trat, war den meisten Regierungen des Südens zwar klar, dass sie fundamentale Änderungen ihrer Gesetzgebungen zu geistigen Eigentumsrechten vollziehen müssten. Doch dass das TRIPS-Abkommen den Auslöser für eine Flut an Regulierungen sowie wesentlich stärkere Eigentumsschutzstandards vor allem im Bereich der Medikamentenherstellung und der Ernährung bedeuten würde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen.
Das Grundprinzip geistiger Eigentumsrechte geht auf das 14. Jahrhundert zurück. Regierungen und Königshäuser verliehen ein zeitlich befristetes Monopol auf die Vermarktung einer Erfindung oder eines gewerblichen Modells
Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde – zunächst in Großbritannien – als Gegenleistung für die exklusiven Rechte des Erfinders eine Offenlegung des Herstellungsprozesses eingefordert.
Innovation wird als zentrale Grundlage wirtschaftlichen Wachstums wahrgenommen und ist somit auch Teil des Entwicklungsparadigmas: Entwicklung – eine wesentliche Zielvorstellung der Länder des Südens und internationaler Organisationen – folgte zunächst dem linearen Industrialisierungsmodell der OECD-Länder. Die der traditionellen Entwicklungstheorie zugrunde liegende Annahme war, dass durch Industrialisierung und internationalen Handel auch der gesellschaftliche Wohlstand wachsen würde. Doch die Ungleichheiten zwischen Nord und Süd nahmen seit der großen Dekolonisierungswelle nach dem Zweiten Weltkrieg zu: Einkommensunterschiede zwischen armen und reichen Ländern haben sich in den letzten vierzig Jahren verdoppelt, so dass die 20 reichsten Länder heute ein Durchschnittseinkommen haben, das 37-mal so hoch ist wie das Durchschnittseinkommen in den 20 ärmsten Ländern.
Obwohl der offizielle Entwicklungsdiskurs zumindest seit dem 1987 veröffentlichten Brundtland-Report "Our Common Future"
Aus dieser Perspektive wird geistiges Eigentum als Entwicklungsmotor für die Länder der so genannten Dritten Welt konstruiert. Gleichzeitig wird aber auf der Basis der marginalisierten Position der Entwicklungsländer argumentiert, dass ein Technologietransfer aus den zunehmend wissensbasierten Industrien der OECD-Länder nur möglich ist, wenn die exklusiven Nutzungsrechte innovativer Unternehmen auch ausreichend geschützt würden. Ein geringer Eigentumsschutz gilt so als Handelshemmnis. Die Einbindung des Schutzes geistiger Eigentumsrechte in das multilaterale Handelsregime der WTO war ein wichtiger Schritt, mit dem die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte auf den Weg gebracht wurde. Ihre diskursive Entwicklung wird in diesem Beitrag nachvollzogen.
Das Eindringen geistiger Eigentumsrechte in alle Bereiche kollektiv produzierten Wissens (Wissensallmende) ist darüber hinaus eingebettet in den Diskurs um die Informations- und Wissensgesellschaft. Demnach haben Information und Wissen in den letzten 30 bis 40 Jahren neben den Produktionsfaktoren der Industriegesellschaft – Boden, Kapital und Arbeit – als eigene Produktionsfaktoren zunehmend an Bedeutung gewonnen.
Jessop zeigt jedoch, dass diese Sichtweise Produktionsfaktoren naturalisiert und unterschlägt, wie sie gesellschaftlich zustande gekommen sind und in den ökonomischen Prozess einfließen.
Geistige Eigentumsrechte stellen sich so als rechtliches Instrument dar, mit dem durch die Einführung von Lizenzgebühren für die Nutzung patent- oder urheberrechtsgeschützter Produkte ein öffentliches Gut in eine Ware transformiert wird. Unter den Bedingungen der Globalisierung, in deren Zuge immer neue Märkte erschlossen werden, tragen diese Monopolrechte dazu bei, die Gewinnerwirtschaftung aus einem ansonsten schwer eingrenzbaren Gut möglich zu machen.
Demgegenüber war die Sicherung der Grundbedürfnisse in den Ländern des Südens vor allem deshalb möglich, weil Wissen geteilt und kollektiv weiterentwickelt wurde. So wurde beispielsweise Saatgut in ländlichen Gemeinden frei getauscht und immer wieder an die lokalen klimatischen und ökologischen Bedingungen angepasst. Zusammen mit einer auf Mischanbau basierten Landwirtschaft konnte das Risiko von Schädlingsbefall und Ernteausfall somit begrenzt werden. Durch den Nachbau aus der eigenen Ernte fielen keine Kosten für Saatgut an. Ebenso nutzen geschätzte 80 Prozent der ländlichen Bevölkerung in der Dritten Welt traditionelle Heilmittel.
Auch das dafür notwendige Wissen über Fundstellen von Medizinalpflanzen, ihre Zubereitung und Anwendung wurde von Generation zu Generation weitergegeben und weiterentwickelt. Das Aufeinandertreffen eines nicht-exklusiven und eines auf exklusiver Verwertung basierenden Wissensmodells wird besonders in zahlreichen Fällen so genannter Biopiraterie deutlich, deren Auswirkungen ich im Abschnitt "Dschungeltour inklusive" besprechen möchte.
Die kollektive Nutzung von Kulturpflanzen und die Notwendigkeit, die grundlegende Gesundheitsversorgung von armen Bevölkerungsschichten zu sichern, führten in vielen Entwicklungsländern dazu, dass biologisches Material sowie Medikamente bis zur Verabschiedung des TRIPS-Abkommens von der Patentierbarkeit ausgenommen waren. Und auch in vielen OECD-Ländern werden entsprechend der steigenden Zahlungskraft der Konsumenten z. B. pharmazeutische und chemische Substanzen erst seit den sechziger und siebziger Jahren patentiert. So können Pharmaka in der Bundesrepublik und in Frankreich erst seit 1967, in Italien seit 1979 und in Spanien erst seit 1992 patentiert werden.
Wenn also selbst aus der Perspektive einer klassischen Industrialisierungspolitik die Vorteile eines westlich geprägten geistigen Eigentumsregimes zumindest fraglich sind, stellt sich die Frage, warum Entwicklungsländer dem TRIPS-Abkommen zustimmten. Der vorliegende Beitrag wird daher zunächst die historische Herausbildung eines internationalen Regimes zum Schutz handelsbezogener geistiger Eigentumsrechte nachvollziehen. In diesem Zusammenhang spielen insbesondere die Verhandlungsungleichgewichte der Uruguay-Runde, der siebten Handelsrunde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), eine Rolle.
Im Anschluss werde ich einige Auswirkungen der Konsolidierung geistiger Eigentumsrechte auf die Länder des Südens hinsichtlich der Versorgung mit wichtigen Medikamenten sowie der Ernährungssicherheit diskutieren. Schließlich werden diese Implikationen des TRIPS-Abkommens in einen größeren Rahmen neuerer Entwicklungen eingebettet, die sich insbesondere in der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) vollziehen.
1. Reisevorbereitungen – Der lange Weg zum TRIPS-Abkommen
Auf internationaler Ebene wurden nationale Patentgesetzgebungen erstmals 1883 mit der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PV ) harmonisiert. 1886 folgte die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst. Ein neues Zeitalter hinsichtlich geistiger Eigentumsrechte begann jedoch mit der Erklärung von Marrakesch am 15. April 1994 und der Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO). Denn dieses Übereinkommen enthält unter anderem das TRIPS-Abkommen.
Eines der Ziele dieses Unterabkommens ist die Eindämmung des Handels mit Waren, die rechtlich geschützte wissensbasierte Produkte nachahmen, wie z. B. Produkte mit Warenzeichen à la Nike oder Musik-CDs. Mit TRIPS werden die Dauer und Reichweite geistiger Eigentumsrechte nicht nur erheblich verlängert beziehungsweise erweitert, sondern auch in die Sanktionsmechanismen der Welthandelsorganisation integriert. Dies hat zur Folge, dass Vertragsverstöße durch Handelssanktionen geahndet werden können. Vor der Unterzeichnung des TRIPSAbkommens wurde das geistige Eigentumsrecht ausschließlich national reguliert. Zwar sahen die PV und die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst eine Gleichbehandlung von in- und ausländischen Erfindern beziehungsweise Literaten oder Künstlern vor, doch galt dies immer nur im Rahmen der jeweiligen nationalen Gesetzgebung. So stimmten beispielsweise weder die Dauer der exklusiven Nutzungsrechte oder die Voraussetzungen für die Patentierbarkeit einer Erfindung noch die rechtlichen Durchsetzungsmechanismen überein.
Das TRIPS-Abkommen führte demgegenüber internationale Mindeststandards für den Schutz von Urheberrechten, Marken, Patenten, geografischen Herkunftsbezeichnungen, gewerblichen Mustern und Modellen, Layout-Designs integrierter Schaltkreise sowie Geschäftsgeheimnissen ein. Das heißt, dass alle Mitgliedsstaaten der WTO die durch das Abkommen festgelegten Schutzfristen sowie Bedingungen der Rechtsschutzvergabe in nationales Recht umsetzen mussten.
2. Transportmittel – Die Verknüpfung von geistigen Eigentumsrechten mit dem Welthandel
Das TRIPS-Abkommen ist nicht erst im Laufe der Uruguay-Runde entstanden. Vielmehr hat das von 111 Staaten
Denn trotz hoher Kosten konnte die unternehmenseigene Forschung im agro-chemischen Sektor und in der Pharmaindustrie immer weniger vermarktbare Produkte entwickeln.
Angeführt von dem Pharmaunternehmen Pfizer ist in den 1970er und 1980er Jahren ein diskursiver Wandel auf den Weg gebracht worden, der zum einen den Bezug geistiger Eigentumsrechte zum internationalen Handel etablierte, also sowohl die Verletzung von Patenten, Marken- und Urheberrechten als Problem des Welthandels darzustellen wusste, als auch den Einsatz von Handelssanktionen gegenüber diesen Verletzungen zunehmend legitimierte. Zum anderen konnte die Globalisierung des Eigentumsschutzes für so genannte immaterielle Güter (siehe Fußnote 5) als nationales Interesse der USA konstruiert werden.
Untermauert wurde der Diskurs durch die Kriminalisierung der Herstellung von in den USA geschützten, in Entwicklungsländern aber legal nachgebildeten Produkten. Piraterie hieß das Stichwort, unter dem der US-Regierung und der amerikanischen Öffentlichkeit vorgerechnet wurde, welche Größenordnung die Verluste für die amerikanische Wirtschaft annahmen.
Der Diskurswandel hin zur Handelsbezogenheit manifestiert sich insbesondere in einer Änderung der Section 301 des United States Trade and Tariff Act im Jahr 1984, die es dem Präsidenten und dem amerikanischen Handelsbeauftragten ermöglicht, höhere Importzölle oder die Abschaffung von Handelspräferenzen über Handelspartnerländer zu verhängen. Unter dem zunehmendem Einfluss von Unternehmensvertreterinnen
Damit wird deutlich, dass die US-Regierung auch in anderen Ländern immer aktiver den Schutz geistiger Eigentumsrechte einklagte. Mit der erneuten Änderung der Section 301 im Rahmen des Omnibus Trade and Competitiveness Act von 1988 wurde die Handelsbeauftragte (USTR) gar mit der Erstellung einer Prioritätenländerliste beauftragt, die jährlich diejenigen Staaten identifizieren soll, in denen US-amerikanische Nutzungsrechte verletzt werden. Die Einführung der so genannten "watchlist" und das Risiko für viele Entwicklungsländer, den US-amerikanischen Absatzmarkt zu verlieren, hatten schließlich zur Folge, dass einige derjenigen Länder, mit denen die USA schon bilaterale Verhandlungen über deren nationale Rechtssysteme zum geistigen Eigentumsschutz geführt hatten, bereits TRIPS-kompatible Rechtssysteme implementiert hatten, als dieses unterzeichnet wurde.
3. Auswahl des Urlaubsortes – Wo Interessen am ehesten durchzusetzen sind
Auf multilateraler Ebene wurde die Internationalisierung von Patenten und Urheberrechten bis in die 1980er Jahre ausschließlich von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO)
Historisch sind die Bestrebungen nach einer internationalen Harmonisierung nationaler Patentrechte vor allem Interessengruppen in den heutigen OECD-Staaten zuzuschreiben. Doch die Mitgliedschaft der WIPO veränderte ihre Zusammensetzung mit der letzten großen Welle der Dekolonisierung erheblich. Mitte der 1980er Jahre machten die Länder des Südens zwei Drittel der Mitglieder der WIPO aus. Da die Patentregulierungen in erster Linie den sich stetig verändernden wirtschaftlichen Anforderungen der OECD-Welt entsprungen waren, wurden die Rufe der Entwicklungsländer nach einer Reform des in der WIPO verorteten internationalen Patentsystems lauter. Insbesondere forderten diese den Transfer von Technologie, also beispielsweise den Zugang zu neuen Technologien, die aktuelle Umweltstandards berücksichtigen, in OECD-Ländern aber mit Patenten geschützt und damit teuer sind. Transnationale Unternehmen lassen zwar häufig Bestandteile von Gerätschaften in Entwicklungsländern produzieren, transferieren aber selten die gesamte Produktion und das damit verbundene Wissen dorthin. Zwangslizenzen
Vor dem Hintergrund dieser Verhandlungen forderte eine Task Force des Advisory Committee for Trade Negotiations
Zu Beginn der Uruguay-Runde im September 1986 blockierten die Länder des Südens noch die Integration von geistigem Eigentum in die neue Handelsrunde des GATT. Dies sei Aufgabenfeld der WIPO oder – im Zusammenhang mit dem Welthandel – der Handels- und Entwicklungskonferenz der UNO (UNCTAD), denn diese würde auch die Fragen von Technologietransfer und Entwicklung berücksichtigen. Doch innerhalb der GATT-Runde war die Verhandlungsmacht der Europäischen Gemeinschaft und der USA enorm. Die späteren WTO-Abkommen wurden als so genanntes Single Undertaking verhandelt. Das heißt, dass alle (Unter-)Abkommen, so z. B. zu Landwirtschaft oder Dienstleistungen, als Paket verhandelt wurden. Daraus ergab sich ein erheblicher Einflusshebel für die mächtigen Akteure: Mit dem Ankündigen besserer Zugangsbedingungen zu den großen Märkten Europas und der USA in den für viele Entwicklungsländer wichtigen Bereichen der Landwirtschaft und Textilien konnte ihr Einlenken erwirkt werden.
Häufig werden Entscheidungen in kleinen Arbeitsgruppen vorbereitet, die den Rahmen des späteren Vertragstextes bereits eng abstecken. Es liegt dabei allein in der Macht der Sitzungsvorsitzenden zu entscheiden, wer zu solch einer Arbeitsgruppe eingeladen wird. Darüber hinaus haben Unternehmerverbände besonders im Fall des TRIPS-Abkommens erheblichen Einfluss auf den Vertragstext genommen. Diese Ad-hoc-Koalitionen von Unternehmen
Der Monsanto-Vertreter innerhalb des Intellectual Property Committee (IPC) fasste die Unternehmensstrategie so zusammen: "Die Industrie hat ein wichtiges Problem des internationalen Handels identifiziert. Sie hat eine Lösung gefertigt, diese auf einen konkreten Entwurf reduziert und sie an unsere eigene und andere Regierungen verkauft. (...) Die im globalen Handel aktiven Unternehmen und Händler haben gleichzeitig die Rolle der Patienten, der Diagnostiker und der verschreibenden Ärzte gespielt."
4. Krankenversicherung vergessen – Zugang zu Medikamenten erschwert
Der Einsatz eines breiten Spektrums von Wirtschaftssektoren für die Globalisierung von geistigen Eigentumsrechten spiegelt sich direkt im Text
Alle Gebiete der Technik – das schließt auch die Pharmaforschung und deren Produkte mit ein. Noch 1988 zeigte eine Studie der WIPO, dass von den 98 Mitgliedsstaaten der PVÜ 49 Staaten pharmazeutische Produkte und 44 Staaten Behandlungsmethoden von der Patentierbarkeit ausnahmen.
Ein gutes Beispiel für diese Politik war Indien, das in seinem erst 23 Jahre nach der Unabhängigkeit (1970) verabschiedeten Patentgesetz Ausnahmen bei der Patentierung von Medikamenten festlegte. So wurden keine Produktpatente vergeben und die Schutzdauer bei Verfahrenspatenten
Entgegen der häufig vertretenen These, dass Patente notwendig sind, um die heimische Innovation zu fördern, zeigt sich in Indien, dass seit der Verabschiedung des Patentgesetzes die Versorgung des indischen Marktes durch im eigenen Land hergestellte Massenmedikamente von 25 % auf 70 % gestiegen ist.
Das TRIPS-Abkommen sah zwar für Entwicklungsländer eine Übergangsphase für die Einführung von Produktpatenten – z. B. auf Medikamente – bis zum 1. Januar 2005 vor.
Neben dem Verwaltungsaufwand, der sich damit für die Entwicklungsländer ergibt, unterliegen diese aber zum anderen der Pflicht, Eigentumsschutz "light" zu erteilen: Sie müssen für Produkte, die in der Mailbox hinterlegt sind, ein fünfjähriges exklusives Vermarktungsrecht gewähren (Art. 70.9).
Damit ergab sich schon vor Inkrafttreten aller TRIPS-Regelungen ein Vermarktungsmonopol für den Patentantragsteller.
Verschärfend kommt hinzu, dass der Öffentlichkeit unbekannt ist, wie viele und welche Anträge in der Mailbox hinterlegt wurden.
Welche Auswirkungen die Einführung TRIPS-kompatibler Gesetze auf nationale Gesundheitsprogramme haben können, zeigt sich auch in Südafrika, wo die Regierung 1997 den Medicines and Related Substance Control Amendment Act verabschiedete. Dieses Gesetz sieht beispielsweise vor, dass Apotheken verpflichtet sind, immer – in der Regel günstigere – Generika statt Originalpräparate zu verkaufen, sobald das Patent auf das jeweilige Originalprodukt ausgelaufen ist oder das Produkt unter Zwangslizenz in Südafrika produziert wird. In Südafrika lebten 2003 schätzungsweise 5,3 Millionen Menschen beziehungsweise rund ein Viertel der Bevölkerung mit HIV/AIDS
Obwohl Zwangslizenzen im Fall eines nationalen Notstandes, wie z. B. der AIDS-Epidemie, erlaubt sind und der Patentinhaber eine Vergütung dafür erhält, verklagten 1998 die südafrikanische Pharmaceutical Manufacturers Association (PMA) und 41 transnationale Konzerne die Regierung wegen der Verletzung ihres in der Verfassung niedergelegten Rechts auf den Schutz von Privateigentum. Nur mit einer aufwendigen internationalen Kampagne und dem Einstieg der südafrikanischen NGO Treatment Action Campaign in das Gerichtsverfahren konnte dieser Klage das Grundrecht auf den Zugang zu essentiellen Medikamenten entgegengesetzt werden.
5. Dschungeltour inklusive – Auf der Suche nach genetischen Ressourcen
Ähnlich dem Zugang zu Medikamenten stellt die Verfügung über die Grundlagen der Ernährung – Kulturpflanzen und Nutztiere – ein essentielles Grundbedürfnis dar. (Nutz)pflanzen und Tiere sowie "im Wesentlichen biologische Verfahren für die Züchtung von Pflanzen oder Tieren" (Art. 27.3(b)) können zwar von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden. Doch für alle "nicht-biologischen und mikrobiologischen Prozesse" und somit für alle genetisch veränderten Pflanzen müssen in jedem Fall Patente erteilt werden.
Die Patentierung von lebender Materie geht zurück auf das Jahr 1980, als der Oberste Gerichtshof der USA in einem Verfahren um die Patentierung eines gentechnisch veränderten Mikroorganismus´ entschied, dass die Patentierung legal sei, wenn der Organismus "technisch gegenüber dem Naturzustand ver ändert wurde, technisch in Massen hergestellt werden kann sowie technisch eingesetzt wird und damit toter Materie ähnlicher ist als Lebewesen".
Mit der Möglichkeit, lebende Materie (auch über die obige Definition hinaus) zu patentieren, wurden Mikroorganismen, Gene oder ganze Pflanzen zu potentiellen Waren. Das Patent gewährt dem Inhaber ein exklusives Verwertungsrecht, mit dem direkt (durch auf dem Patent basierende Produkte) oder indirekt (durch die Erhebung von Lizenzgebühren) Profite erwirtschaftet werden können. Eine neue Form der Kapitalakkumulation war geboren und führte dazu, dass die genetischen Ressourcen zu einem begehrten Gut der Forschung wurden. Zwar gibt es Sammelreisen in biodiversittsreiche Regionen der Erde schon seit mehreren hundert Jahren.
Bioprospektion nennt man diese Suche nach noch unbekannten Organismen oder Wirkstoffen und deren Erfassung für die vor allem im Norden stattfindende Forschung. Häufig werden die Wissenschaftler dabei von lokalen Technikern, Heilerinnen oder Bauern unterstützt. Dass diese in der Vergangenheit trotz einer Kommerzialisierung der entsprechenden Wirkstoffe oder Nutzpflanzen in vielen Fällen keine entsprechende Entschädigung erhalten haben, ließ einige NGOs den von den TRIPS-Lobbyisten geprägten Begriff der Piraterie in das Schlagwort Biopiraterie wenden.
Die Kritiker des Patentierungswettlaufs betonen, dass Patente auf Lebensformen einer Privatisierung von über Jahrhunderte von lokalen und indigenen Gemeinschaften gepflegten und weiterentwickelten Kultur- und Heilpflanzen gleichkommen. Dies kann beispielsweise dazu führen, dass es lokalen Gemeinschaften in Zukunft verboten ist, ihre Ernte oder Heilpflanzen selbst zu verkaufen oder zu exportieren, weil das exklusive Vermarktungsrecht z. B. eines medizinischen Wirkstoffs bei einem Unternehmen oder Forschungsinstitut im Norden liegt.
Mit der Patentierung von Erfindungen, die erst aufgrund von Informationen aus der lokalen Bevölkerung entstanden sind, wird Wissen, das im sozialen Prozess gewachsen ist und daher keiner Erfinderin konkret zuzuschreiben ist, privat angeeignet: "Die Produktion von Wissen ist ein hochgradig vergesellschafteter Prozess, der es schwierig macht, die Bestandteile einer geistigen Errungenschaft bestimmten Akteuren zuzuweisen."
Das TRIPS-Abkommen kristallisiert sich dabei lediglich als erster wichtiger Mosaikstein in einem immer komplexer werdenden Regulierungsfeld heraus. Dies zeigt der politische Umgang mit dem Zugang zur biologischen Vielfalt. Denn vor dem Hintergrund der zunehmenden Biopiraterie forderten zahlreiche Entwicklungsländer einen Ausgleich (finanziell oder durch Technologietransfer) für den Zugang zu genetischen Ressourcen.
Damit sie die Kontrolle über diesen Zugang und den Vorteilsausgleich administrativ aus üben können, wurden die genetischen Ressourcen mit der Unterzeichnung der Konvention über biologische Vielfalt (CBD) 1992 unter nationale Souveränität gestellt, während sie vormals als das (Kultur)erbe der Menschheit galten. Seitdem entfalten sich Debatten um die Einhaltung der Zugangsregelungen der CBD, die im Februar 2005 zur Aufnahme von Verhandlungen um ein internationales Regime über den Zugang zu genetischen Ressourcen und den gerechten Vorteilsausgleich führten.
Bei diesen Verhandlungen wird sehr deutlich, dass die Vorgaben des TRIPS-Abkommens beziehungsweise des globalisierten Patentsystems den Referenzrahmen für mögliche neue Regelungen bilden. So steht beispielsweise eine Änderung des Patentrechts und möglicherweise des TRIPS-Abkommens, die die Offenlegung der Herkunft genetischer Ressourcen n Patentanträgen vorsieht, im Mittelpunkt des Interessenkonflikts zwischen einem Großteil der OECD-Länder und den Ländern des Südens.
6. Planung der nächsten Reiseetappe – Nur für Abenteuerlustige
Nachdem die Auswirkungen des TRIPS-Abkommens immer klarer geworden waren, sollte die im Abkommen für 1999 vorgesehene Revision des Art. 27.3 b, der die Ausnahmen von der Patentierbarkeit regelt, Abhilfe schaffen. Zu diesem Zeitpunkt war das technisch anmutende Abkommen längst zu einem der am stärksten politisierten Unterabkommen der WTO avanciert. Während die Entwicklungsländer eine Überarbeitung des Artikels forderten, interpretierten die OECD-Länder diese Revision lediglich als Überprüfung der Implementierung des Abkommens. Seit sechs Jahren herrscht daher Verhandlungsstillstand über die Revision des Artikels.
Gegenüber den weitläufig publizierten politischen Interessen hinter dem TRIPS-Abkommen erschien die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) zu Beginn des neuen ahrtausends als technische Institution, die sich zuvorderst mit den rechtlichen Details des weltweiten gewerblichen Rechtsschutzes beschäftigte. Ohne viel öffentliche Aufmerksamkeit wurde hier jedoch die WIPO-Patent-Agenda
Ein Ziel besteht beispielsweise darin, die Kategorien "Stand der Technik", "Neuheit", "gewerbliche Anwendbarkeit" und "Nicht-Offensichtlichkeit einer Erfindung" weltweit einheitlich zu definieren. Umstritten ist in den bisherigen Entwürfen insbesondere die Annäherung zwischen den Patentsystemen der USA, Japans und der EU hinsichtlich dessen, was patentiert werden darf. So dürfen in den USA zum Beispiel Geschäftsmethoden patentiert werden, die keinen Fortschritt im technologischen Sinne beinhalten. Darüber hinaus wollen die USA die TRIPS-Ausnahmen zur Patentierung von Pflanzen und Tieren am liebsten nicht in den SPLT bernehmen.
Mit der Patentagenda wird deutlich, dass die WIPO nach der Verabschiedung des TRIPS-Abkommens keineswegs an Bedeutung eingebüßt hat. Vielmehr hat einmal mehr das Forum gewechselt, das den mächtigsten Akteuren gerade am schlagkräftigsten erscheint. So werden die Weichen für Patentstandards gestellt, die weit über die Mindeststandards des TRIPS-Abkommens hinausgehen.
Auch wenn die Politisierung der Auswirkungen geistiger Eigentumsrechte inzwischen auch in der WIPO angekommen ist
Dabei müssen sie häufig zustimmen, Gesetzesänderungen vorzunehmen, die über die Mindeststandards des TRIPS-Abkommens hinausgehen. Sollte es also in den multilateralen Verhandlungsprozessen nicht im Sinne der dominanten Akteure vorangehen, könnten Entwicklungsländer mit widersprüchlichen Regelungen zum Schutz geistigen Eigentums, die aus verschiedenen bilateralen Verträgen resultieren, konfrontiert werden. Darüber hinaus könnte eine unübersichtliche Anzahl von Freihandelsabkommen aber auch die Aufklärungsarbeit und internationale Kooperation der Gegnerinnen einer zunehmenden Exklusivität von Wissensressourcen erschweren.
7. Reisetagebuch – Ein Fazit
Die Exkursion in die Hintergründe der Globalisierung geistiger Eigentumsrechte hat gezeigt, dass zwei Entwicklungen bei der globalen Durchsetzung dieser Rechte von besonderer Bedeutung waren: Zum einen hat es einen diskursiven Wandel hin zur Handelsbezogenheit geistiger Eigentumsrechte gegeben. Durch große transnationale Unternehmen wie Pfizer wurde der weltweite Schutz ihres geistigen Eigentums als nationales Interesse der USA konstruiert und zunehmend durch die amerikanische Handelsgesetzgebung in Entwicklungsländern eingeklagt. Erst die Bindung von Patenten oder Urheberrechten an das internationale Handelsregime ließ das GATT/die WTO zu einem Ort werden, an dem diese Rechte reguliert werden können.
Zum anderen ist das so genannte Regimeshifting zwischen verschiedenen internationalen Organisationen ein wichtiges Instrument der weltweiten Durchsetzung geistigen Eigentums. Denn die mächtigsten Akteure – wie die EU und die USA – setzen ihre Interessen dort durch, wo zum jeweiligen historischen Zeitpunkt vielversprechende Möglichkeiten für neue Regulierungen bestehen. Für die Integration geistiger Eigentumsrechte in das GATT sprach vor allem sein Streitschlichtungsmechanismus. Zugleich hielten die OECD-Länder mit dem Versprechen besseren Marktzugangs für landwirtschaftliche Produkte einen "bargaining chip"
Nachdem das TRIPS-Abkommen die WIPO als zentrales Forum der Regulierung von geistigem Eigentum zeitweise abgelöst hatte, hat die WIPO heute jedoch wieder an Bedeutung gewonnen und einige ihrer Mitgliedsländer treiben die internationale Harmonisierung von Patenten und Urheberrechten wesentlich voran. Die zunehmende Politisierung auch dieser Organisation lässt die weitere Richtung der multilateralen Regulierung geistiger Eigentumsrechte jedoch ungewiss erscheinen. Es sind daher oft bilaterale Abkommen, die neue Regeln des geistigen Eigentumsschutzes festschreiben.
Obwohl heute ein Großteil der Staaten des Südens in allen relevanten Foren Ausnahmen für sozialpolitisch bedeutungsvolle Sektoren erstreiten wollen, ist ihre Rolle durchaus ambivalent: Das TRIPS-Abkommen wäre kaum möglich gewesen, wenn ihre Regierungen nicht ebenso dem Freihandelsdiskurs und seiner Idee des wachsenden Wohlstands anhingen. Nur so konnte der Marktzugang für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Textilien zum "bargaining chip" werden. Das große Interesse biodiversitätsreicher Länder an der Regulation des Zugangs zu genetischen Ressourcen zeigt zudem, dass die Staaten die Annahmen des Patentsystems und dessen Beitrag zu Innovation und Entwicklung an sich nicht in Frage stellen. Vielmehr treiben sie die Kommerzialisierung von vormals öffentlichen Gütern wesentlich mit voran.
Der vorliegende Beitrag hat gezeigt, dass dies f r die armen Bevölkerungsschichten potentiell verheerende Folgen hat. So sind beispielsweise die Möglichkeiten, preisgünstige Nachahmermedikamente herzustellen, bis zum Auslaufen eines Patents durch strenge Auflagen begrenzt. Kleinbäuerinnen sind zunehmend gezwungen, für Saatgut Lizenzgebühren aufzubringen.
Vielfach hat auch die Regulierung des Zugangs zu genetischen Ressourcen, die sich vor allem an globalen geistigen Eigentumsrechtsregimen orientiert, zu einem "biopiracy thinking" geführt: Lokale Gemeinschaften sind beispielsweise sehr vorsichtig geworden, was den Tausch von Saatgut und anderen Pflanzen betrifft – aus Angst, andere Gemeinden könnten einen Zugangsvertrag mit einem Forschungsinstitut im Norden eingehen.
Denn das TRIPS-Abkommen sieht in Art. 27.1 vor, dass "Patente erhältlich (sind) und Patentrechte ausgeübt werden (können), ohne dass hinsichtlich des Ortes der Erfindung, des Gebiets der Technik oder danach, ob die Erzeugnisse eingeführt oder im Land hergestellt werden, diskriminiert werden darf". Das heißt, dass Patentrechte in Entwicklungsländern auch ein gehalten werden müssen, wenn ein Verfahren oder Produkt in Europa, Japan oder den USA entwickelt beziehungsweise hergestellt wurde. In diesem Fall schafft eine Erfindung weder Arbeitsplätze in Entwicklungsländern noch werden lokale Arbeitskräfte in der geschützten Technologie ausgebildet oder diese Technologie lokal angepasst, wenn die hohen Lizenzgebühren nicht bezahlt werden können. Hinzu kommt, dass kleine und mittlere Unternehmen in den Ländern des Südens aufgrund der hohen Kosten einer Patentanmeldung sowie der rechtlichen Durchsetzung derselben kaum in der Lage sind, überhaupt ihre Innovation schätzen zu lassen.
Die Länder des Südens sind demnach in den für die Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Gesundheit und Ernährung wichtigen Bereichen erheblich in ihrem politischen Spielraum eingeschränkt worden. Eine Anpassung der Gesetze an die nationale Industrieentwicklung oder die Anti-Armutspolitik eines Entwicklungslandes – etwa durch Ausnahmeregelungen – ist nun kaum noch möglich. Dass geistige Eigentumsrechte die Verbreitung von Wissen und Innovation in einkommensschwachen Regionen fördern würden, darf also weiter infrage gestellt werden.
Dieser Beitrag erschien zuerst in Hofmann, Jeanette (Hg.): Wissen und Eigentum. Geschichte, Rehct und Ökonomie stoffloser Güter. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2006, S. 141-163.