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Kommentar: Die OSZE-Sonderbeobachtermission in der Ukraine: Wunsch und Wirklichkeit | Russlands aggressive Ukraine-Politik / Deutschland im Russland-Ukraine Konflikt / Konfliktlösung in der Sackgasse? | bpb.de

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Kommentar: Die OSZE-Sonderbeobachtermission in der Ukraine: Wunsch und Wirklichkeit Ukraine-Analyse Nr. 262

Yana Lysenko Von Yana Lysenko (Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen)

/ 4 Minuten zu lesen

Die Sonderbeobachtermission der OSZE in der Ukraine ist die größte Mission, die von der OSZE jemals umgesetzt wurde. Doch wie wirksam kann sie überhaupt arbeiten?

Der stellvertretende Leiter der OSZE-Sonderbeobachtermission, Mark Etherington, und Mitglieder der Mission in der Region Luhansk. (© picture-alliance, Russian Look | Alexander Rekun)

Einleitung

Die Arbeit der Mission und ihre Effizienz werden von den betroffenen Konfliktparteien unterschiedlich bewertet. Die ukrainische Seite stellt sich dabei vollständig hinter die Arbeit der SMM und gibt allein Russland und den Separatisten die Schuld daran, dass diese nicht die erhoffte Wirkung zeigt. Dem gegenüber wird die SMM von den selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk ("DNR" und "LNR") als eine "blinde Mission" (Externer Link: https://dan-news.info/en/photos/donetsk-protests-against-smm-inaction-osce-your-blindness-is-someones-death/) bezeichnet, die unzählige Verletzungen der Minsker Abkommen durch die Ukraine vorsätzlich nicht bemerken will. Russland definiert sich selbst offiziell als nicht am Konflikt beteiligter Akteur. In der russischen Presse wird die SMM als "untätige und ohnmächtige" Mission charakterisiert, die sich nicht bemüht, die Spannungen im Donbas abzubauen, und stets unkritische Einschätzungen der Lage zugunsten der Ukraine abgibt.

Die Entsendung der SMM wurde ursprünglich als Reaktion auf Russlands verdeckte Invasion der Krim Anfang März 2014 durch die Ukraine angestoßen. Das Mandat wurde erst am 21. März 2014 für eine Sonderbeobachtermission der OSZE auf dem gesamten Gebiet der Ukraine (nach ukrainischer Lesart inklusive der Krim) erteilt. Russland lehnte aufgrund der inzwischen durch das Referendum vom 16. März 2014 und das folgende Beitrittsgesuch der Krim zur Russischen Föderation geschaffenen Tatsachen einen Zugang zu diesem Bereich ab, so dass das Mandat lediglich auf den Rest der Ukraine beschränkt blieb. Das Mandat bezieht sich also nicht explizit auf den Konflikt in der Ostukraine, der erst im April 2014 eskalierte. Der SMM-Einsatz in den nicht-regierungskontrollierten Gebieten der Ukraine wurde erst in den Minsker Abkommen (Minsk 1 am 5.9.2014, Minsk 2 am 12.2.2015) explizit festgeschrieben.

Rahmen des Mandates

Kennzeichnend für das Mandat ist, dass es weder konkrete Konfliktparteien, die zur Verantwortung gezogen werden könnten, noch das Wort "Konflikt" selbst beinhaltet. Die Separatisten und Russland kommen als Akteure nicht vor.

Die SMM ist als reine Beobachtermission geschaffen worden. Dies entspricht den Statuten aller OSZE-Missionen, die anders als etwa UN- oder EU-Missionen, grundsätzlich ohne exekutives Mandat, etwa zur Beweissicherung, geschaffen werden. Die Mission kann in der Konsequenz also nur ein Bild der beobachteten Verstöße gegen die Minsker Abkommen und gegen die Menschenrechte erfassen. Die Beobachter sind zu jeder Zeit auf die Kooperationsbereitschaft der Autoritäten vor Ort angewiesen und haben keine Möglichkeiten, den Zugang zu gewünschten Gebieten zu erzwingen, obwohl ihr dieser laut Mandat für die gesamte Ukraine (also auch für die nicht-regierungskontrollierten Gebiete) gewährt werden muss.

Schwachstellen der Mission

Die SMM-Tagesberichte enthielten bis zum 29.10.2015 eine Richtungsangabe zur Schussrichtung schwerer Waffen (Outgoing/Incoming), was eine mutmaßliche Zuschreibung des Urhebers zuließ. Seit dem 30.10.2015 wird nur noch vermerkt, wann und wo ein Beschuss oder eine Explosion beobachtet wurde. Die verklausulierte Berichtssprache der OSZE erschwert für Nicht-Insider ein klares Verständnis ihrer Berichte erheblich. Obgleich also faktisch jeder beobachtete Bruch der Minsker Abkommen sowie weiteres Fehlverhalten benannt werden, ist dies dem unbedarften Leser praktisch nicht ersichtlich. Das ermöglicht Manipulationen bei der Auslegung von Informationen aus den OSZE-Berichten zur Untermauerung eigener Positionen.

Eine große Schwäche des Mandates ist die fehlende Benennung der heutigen Konfliktparteien im offiziellen Mandatstext, die dazu führt, dass weder die Separatisten noch russische Beteiligte direkt beim Namen genannt werden. Die Kommunikationspraxis der ukrainischen Regierung, eine Benennung der "Volksrepubliken" als Konfliktpartei auszuschließen, um ihnen die Legitimation zu entziehen, wirkt im Falle dieses OSZE-Mandates eher kontraproduktiv. So kann keine der Seiten im Konflikt zur Rechenschaft gezogen werden, da diese Konfliktparteien im Mandat wie auch in den Minsker Abkommen überhaupt nicht klar benannt werden (ausführlicher dazu die Analyse von Heiko Pleines in den Ukraine-Analysen 261 (Externer Link: https://www.laender-analysen.de/ukraine-analysen/261/die-umsetzung-der-minsker-vereinbarungen-was-ist-moeglich/)).

Somit ist das SMM-Mandat ein Kompromissergebnis – geschaffen für eine Konfliktlage, die den Kriegsausbruch in der Ostukraine zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal berücksichtigen konnte. Die SMM wirkt wie ein für die konkrete Aufgabe wenig taugliches Werkzeug, das dennoch weitergenutzt wird, da es besser ist als gar keines. Ein Kernproblem dabei liegt in der Struktur der OSZE, die für jede Entscheidung die Zustimmung aller ihrer 57 Teilnehmerstaaten benötigt. Aus der Sicht Russlands stellte die Zustimmung zur SMM im März 2014 ein großes Entgegenkommen dar. Nach dem Rückzug Russlands aus dem einzigen gemeinsamen Krisenkontrollgremium, dem militärischen Joint Centre for Control and Coordination (JCCC) (Externer Link: https://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-conflict-jccc-idUSKBN1EE1X2), im Dezember 2017 und in Anbetracht der aktuellen Konfliktlage zwischen der Ukraine und Russland wäre selbst das aktuelle OSZE-Mandat heute nicht mehr neu erreichbar.

Resümee

Im konkreten Falle müsste dieses Mandat robuster ausfallen. Aus dem Helsinki-Dokument der KSZE von 1992 (Externer Link: https://www.osce.org/files/f/documents/7/c/39530.pdf) folgt, dass eine Mission bei ihren Friedenssicherungsaktivitäten neben zivilen Mitarbeitern auch auf den Einsatz von militärischem Personal und die Entsendung von Streitkräften zurückgreifen könnte. Eine OSZE-Mission könnte mit der Überwachung und Aufrechterhaltung von Waffenstillständen, mit dem Monitoring des Truppenabzugs und mit der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung betraut werden, was auch die Ausübung von Polizeiaufgaben impliziert. Zumindest diese im Rahmen einer OSZE-Mission noch nie umgesetzten Möglichkeiten wären auch im Ostukraine-Konflikt notwendig, um eine effektive Einhaltung des Waffenstillstandes und eine tatsächliche Friedenssicherung zu gewährleisten und so wirkungsvoll zu agieren, wie es etwa robuste UN-Blauhelm-Missionen können.

Stand: 16. Februar 2022

Fussnoten

Weitere Inhalte

Yana Lysenko studiert im MA Politikwissenschaft an der Universität Bremen. Derzeit ist sie Praktikantin an der Forschungsstelle Osteuropa. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen der Konfliktforschung (aktuell insbesondere in den Ukraine-Russland-Beziehungen) und der De-facto-Staaten.