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Umsetzungshindernisse | Gesundheitspolitik | bpb.de

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Umsetzungshindernisse

Thomas Gerlinger

/ 3 Minuten zu lesen

Die Hindernisse für die Umsetzung der Pläne für eine stärkere Integration der Versorgung vielfältig. Die folgende Darstellung gibt darüber einen knappen Überblick.

Ein Arzt bei der Blutentnahme einer älteren Patientin. (© picture-alliance / Klaus Rose)

Der Versorgungsbedarf wird in individuellen Behandlungsfällen häufig durch auf ihrer professionellen Autonomie beharrende Ärzte definiert.

Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass die Umsetzung dieser Versorgungsinnovationen auf eine Vielzahl von Schwierigkeiten stößt, die auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind. Folgende Aspekte sind dabei von besonderer Bedeutung:

Finanzielle Eigeninteressen

Die Akteure in der GKV – sowohl Leistungserbringer als auch Kostenträger – orientieren sich an ihren finanziellen Eigeninteressen. Die Verbreitung von Wettbewerbsmechanismen in der GKV seit der ersten Hälfte der 1990er-Jahre und der dadurch erhöhte ökonomische Handlungsdruck haben dieses Verhalten weiter verstärkt. Integration war und ist kein vorrangiges Ziel dieser Akteure, sondern gewinnt für sie erst dann an Bedeutung, wenn sie die Aussicht auf die Vermeidung von Kosten bzw. das Erzielen von Gewinnen verbessert. In der Regel stehen ihnen für diese Zwecke aber andere, effektivere Instrumente zur Verfügung.

Ein bekanntes, besonders augenfälliges Beispiel dafür ist die von den Krankenkassen betriebene Risikoselektion. Wenn man bedenkt, dass in der GKV, bezogen auf die Leistungsarten "Krankenhausbehandlung", "Krankengeld" und "Arzneimittel", die teuersten 10 Prozent der Versicherten etwa 80 Prozent der Leistungsausgaben verursachen , dann wird deutlich, welchen finanziellen Vorteil eine Krankenkasse erlangen kann, wenn es ihr gelingt, den Anteil dieser Gruppe an ihrem Versichertenkreis möglichst gering zu halten. Auf diesem Wege können viel effektiver Kostenvorteile gegenüber den Konkurrenten erzielt werden als etwa über die Schaffung effizienterer Versorgungsstrukturen. Kassenfunktionäre selbst räumten bereits zu Beginn des letzten Jahrzehnts eine derartige Interessenlage ein, so etwa der damalige Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes: "Ein spezielles Behandlungsprogramm etwa für Diabetiker anzubieten, wäre betriebswirtschaftliches Harakiri. Eine Kasse, die damit werben würde, bekäme einen riesigen Zulauf von teuren Patienten" . Zwar wurden diese Fehlanreize durch die Aufnahme von Morbiditätskriterien in den RSA im Jahr 2009 (siehe Interner Link: Aufbau eines integrierten Versorgungssystems: Umsetzung) verringert, verschwunden sind sie aber nicht. Auch bei den Leistungserbringern lassen sich ähnlich gelagerte und motivierte Verhaltensweisen erkennen.

Wettbewerb und ökonomischer Druck verstärkt die Neigung, in kurzfristigen Kosten-Nutzen-Kalkülen zu denken und nach ihnen zu handeln. Schwer haben es Gestaltungsinitiativen zur Versorgungsstruktur – ungeachtet ihres potenziellen gesundheitlichen Nutzens – insbesondere dann, wenn sie kurzfristig ökonomische Nachteile mit sich bringen. Wettbewerbsmechanismen können eben nicht nur als "Entdeckungsverfahren" dienen, sondern sich auch als handfeste Innovationshindernisse erweisen.

Festhalten an professionellen Zuständigkeiten

In engem Zusammenhang mit den jeweiligen finanziellen Interessen halten die Institutionen der Krankenversorgung sehr an den bisherigen professionellen Zuständigkeiten in der Krankenversorgung fest.

Begrenzte Kontrollmöglichkeiten

Die Möglichkeiten, durch externe Kontrollen oder finanzielle Anreize die Leistungserbringung in die gewünschte Richtung zu lenken, sind in der Krankenversorgung begrenzt, denn der Versorgungsbedarf wird in zahllosen individuellen Behandlungsfällen durch Ärzte definiert.

Nebeneinander kollektivvertraglicher und selektivvertraglicher Regelungen

Bei der praktischen Umsetzung von Integrationsvorhaben erwachsen zahlreiche Probleme aus dem Nebeneinander kollektivvertraglicher und selektivvertraglicher Regelungen. Damit wird eine Bereinigung der vertragsärztlichen Gesamtvergütung um die in den selektivvertraglich vereinbarten Leistungen erforderlich. Diese Bereinigung hat sich zum einen als sehr konflikthaft und aufwendig erwiesen, zum anderen sind mit ihr die KVen bei den Verhandlungen wieder "im Boot", obwohl der Gesetzgeber sie doch von der Beteiligung an den neuen Versorgungsformen weitgehend ausschließen wollte.

Fähigkeit der KVen zur Sicherstellung der Versorgung?

Schließlich erwächst aus der Zunahme des Umfangs von Versorgung außerhalb der kollektivvertraglich mit den KVen ausgehandelten Regelversorgung auch die Frage, ob die KVen unter diesen Umständen noch den Sicherstellungsauftrag für die ambulante medizinische Versorgung (§ 75 SGB V) erfüllen können.

Andere Prioritäten der Akteure

Die Entwicklung und Vereinbarung von integrierter Versorgungskonzepte von anderen Problemen in den Hintergrund gedrängt. So hängt aus Sicht der Krankenhäuser ihr wirtschaftliches Überleben in erster Linie davon ab, ob es ihnen gelingt, unter den Bedingungen der neuen Krankenhausvergütung wirtschaftlich zu überleben. Andere Aspekte, darunter eben auch die der Versorgungsintegration, rücken unter diesen Bedingungen einstweilen in den Hintergrund.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, AG 1: Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie.