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Teilhabe und Inklusion

Dieter Kulke

/ 10 Minuten zu lesen

Inklusion heißt, alle einzubeziehen, im Bildungssystem, im ersten Arbeitsmarkt, aber auch in kulturellen Einrichtungen. Dieter Kulke erklärt, welche Folgen das hat.

Gemeinsamer Unterricht: Kinder mit und ohne körperliche Behinderungen spielen gemeinsam beim Turnunterricht in der Nordschule Kempten (Bayern) , 10.12.2015. (© picture-alliance/dpa)

Inklusion

Eine verbindliche Definition von Inklusion gibt es nicht. Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache versteht sie als „gleichberechtigte (und selbstbestimmte) Teilhabe aller (insbesondere von Menschen mit Behinderungen, von Einwanderern o. Ä.) am gesellschaftlichen Leben, am gemeinsamen Schulunterricht o. Ä. (durch Schaffung entsprechender institutioneller und alltagspraktischer Voraussetzungen)“ (DWDS 2023). Mit etwas anderen Nuancen und alltagstauglich definiert die Aktion Mensch: „Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört. Oder anders: Inklusion ist, wenn alle mitmachen dürfen. Egal wie du aussiehst, welche Sprache du sprichst oder ob du eine Behinderung hast. Zum Beispiel: Kinder mit und ohne Behinderung lernen zusammen in der Schule. Wenn jeder Mensch überall dabei sein kann, am Arbeitsplatz, beim Wohnen oder in der Freizeit: Das ist Inklusion.“ (Aktion Mensch 2023).

Inklusion – vom Individuum zur Gesellschaft

Inklusion meint also die unbedingte Einbeziehung und Zugehörigkeit aller Menschen – unabhängig von bestimmten Merkmalen – zu sozialen und gesellschaftlichen Institutionen. Solche Institutionen sind z.B. das allgemeine Bildungssystem, der erste Arbeitsmarkt, es können aber auch Einrichtungen wie Freibäder oder Theater sein, die Allen offen stehen sollen. Dieses Verständnis von Inklusion hat einige Folgen (Kulke 2021):

Erstens verschiebt sich die Perspektive vom Individuum auf die Gesellschaft. Es sind die gesellschaftlichen Institutionen, die sich öffnen und an die individuellen Bedürfnisse der Menschen anpassen müssen. Hierfür müssen institutionelle, räumliche und soziale Barrieren abgebaut werden. Eine institutionelle Barriere war z.B. bis 2017 der Ausschluss vom allgemeinen Wahlrecht von Personen, die unter Betreuung in allen Angelegenheiten standen. Dieser hatte dazu geführt, dass über 80.000 Menschen, v.a. Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, nicht wählen konnten (Kulke 2020a). Eine soziale Barriere liegt z.B. vor, wenn Menschen mit Behinderung im sozialen Alltagsleben diskriminiert werden, und sei es nur mit mitleidigen Blicken oder abwertenden Bemerkungen.

Dabei müssen zweitens die Menschen in ihrer ganzen Vielfalt und Diversität berücksichtigt werden. Auch wenn Behinderung der Ausgangspunkt vieler Diskussionen um Inklusion war, so hat sich der Diskurs mittlerweile auf die Konzepte Vielfalt und Diversität erweitert. Bartelheimer et al (2020: 53) sprechen hier von einem engen, auf die Perspektive Behinderung bezogenem Verständnis und einem „breiten“ Inklusionsbegriff der sich auch auf „weitere Differenzlinien“ wie Geschlecht, sexuelle Orientierung, Herkunft und Sprache bezieht.

Drittens geht es bei Inklusion um gesellschaftliche Institutionen für verschiedene Lebensbereiche wie beispielsweise Wohnen, Arbeit, Gesundheit u.a. und nicht um soziales Verhalten zwischen einzelnen Personen. Das Verständnis der Aktion Mensch verweist zwar auch auf die Einbeziehung in soziales und gemeinschaftliches Leben, zum Beispiel „in der Freizeit“, unabhängig von Institutionen. Dies wird aber gemeinhin mit dem Begriff soziale Integration ausgedrückt.

Und viertens wird deutlich, dass Inklusion ein starkes utopisches Potential besitzt. Das wirft aber auch die Frage auf, ob eine solche Inklusion wie von der Aktion Mensch beschrieben überhaupt möglich ist, aber auch, ob sie sinnvoll ist und ob gesellschaftliche Institutionen und soziale Beziehungen zu ihrem Funktionieren nicht auch ausschließen bzw. selektieren müssen.

Inklusion in Sozialtheorien

Grundlegend für eine wertneutrale und analytische Perspektive auf Inklusion ist die funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft in verschiedene gesellschaftliche Systeme wie zum Beispiel Wirtschaft, Politik oder Bildung, die nach je eigenen Regeln operieren und je eigenen Funktionen für die Gesamtgesellschaft erfüllen. Die Zugehörigkeit zu einem System entscheidet sich über die Differenz Inklusion/Exklusion (Fuchs 2002) und erfolgt über spezifische Rollen, beispielsweise die von Wahlberechtigten im politischen System. Eine Person ist wahlberechtigt – oder nicht. Inklusion kann dabei in einer Gesellschaft verstanden werden als „Chance der sozialen Berücksichtigung von Personen“ (Luhmann 1997: 620) oder als „die strukturelle Einbeziehung von Individuen in bestimmte gesellschaftliche Zusammenhänge (Systeme, Teilsysteme Organisationen, Gruppen, Institutionen)“ (Kastl 2017: 238). Damit ist Inklusion auch eine Frage ‚struktureller Passungen‘ und der ‚Erwartungskomplementarität‘ (Luhmann), also wie die Erwartungen des Individuums und die Anforderungen des Systems zueinanderpassen.

In der geschichtlichen Entwicklung und der Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Teil-Systeme ergab sich eine zunehmende Inklusion und Einbeziehung immer weiterer Bevölkerungskreise. Dazu zählen zum Beispiel die Inklusion von Frauen über das Frauen-Wahlrecht in das politische System oder die Inklusion von Kindern mit schwerer Beeinträchtigung in das Bildungssystem. Eine soziologische Betrachtung macht aber deutlich, dass zum einen eine Inklusion in alle Funktionssysteme gar nicht sinnvoll oder gewünscht ist, wie zum Beispiel bei Menschen im Rentenalter die Inklusion in das Erwerbssystem. Zum anderen wird auch mit Blick auf die gesamte Gesellschaft deutlich, dass es politisch gewollt und sinnvoll sein kann, Menschen auszuschließen. So sind Häftlinge im Strafvollzug von einigen Teilsystemen ausgeschlossen und in ihrer Teilhabe eingeschränkt. Und politische Parteien haben beispielsweise die Möglichkeit Mitglieder auszuschließen. Alleine diese zwei Beispiele machen deutlich, dass Inklusion differenziert betrachtet werden muss. So kann es auch Institutionen und Zusammenhänge geben, in denen aus nachvollziehbaren Gründen nicht alle mitmachen dürfen.

Inklusion – Integration – Segregation - Exklusion

Um Inklusion greifbarer zu machen, wird der Begriff oftmals von anderen Begriffen abgegrenzt und dargestellt. Weit verbreitet sind Darstellungen wie Abbildung 1, die Inklusion, Integration, Segregation und Exklusion darstellen. Die Darstellungen beziehen sich oft auf Bildung für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, lassen sich aber auch auf andere gesellschaftliche Funktionen wie zum Beispiel das Arbeitsleben beziehen (mit Beispiel: Kulke 2020b: 87).

Schritte zur Inklusion. (Robert Aehnelt) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

Das Bildungssystem als Beispiel

Diese vier Konzepte können auch als historische Entwicklungsschritte gedacht werden, die im Bildungssystem von der Exklusion über Segregation und Integration bis hin zu Inklusion führen. Bei Exklusion werden Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf vom Bildungssystem als ‚nicht bildungsfähig‘ ausgeschlossen. Bei Segregation werden sie zwar als bildungsfähig anerkannt, sind in Institutionen eingebunden und müssen die Schulpflicht erfüllen. Sie sind – soziologisch gesprochen – über die Schülerrolle in das Bildungssystem inkludiert, werden aber in spezifischen Institutionen wie Förderschulen und nach eigenen Bildungsplänen unterrichtet. Im Modell der Integration werden Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf integrativ beschult. Hierfür gibt es je nach Bundesland verschiedene Formen, zum Beispiel Außen- oder Kooperationsklassen oder Einzelintegration. In der Inklusion schließlich wird in dieser Darstellung kein Schulkind mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausgegrenzt, alle werden in einer inklusiven Schule beschult. Die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler wird als Entwicklungspotential für alle begriffen wird, und alle bekommen ein ihren Lernmöglichkeiten entsprechendes Bildungsangebot (Sturm/Wagner-Wille 2018).

Inklusion und Teilhabe

Die Diskussion um Inklusion hat vor allem durch die Verabschiedung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) durch die UN-Vollversammlung am 13. Dezember 2006 einen enormen Aufschwung erhalten (Degener/Diehl 2015). Inklusion und Teilhabe finden sich als Konzept direkt in Artikel 3 als einer der acht Grundsätze der UN-BRK: „Die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“ (ebenda, S. 405). Es wird aber auch deutlich, dass beide Begriffe Inklusion und Teilhabe in der UN-BRK Hand in Hand gehen. Dieser Zusammenhang in dem folgenden Zitat deutlich: „Bei Inklusion handelt sich um ein universell gültiges menschenrechtliches Prinzip mit dem Ziel, allen Menschen auf der Basis gleicher Rechte ein selbstbestimmtes Leben und die Teilhabe an allen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens zu ermöglichen“ (Wansing 2015, 53). Ob diese Teilhabe auch über spezielle Institutionen und ‚Sonderwelten‘ erfolgen kann, bleibt dabei offen. Für den Bereich Bildung stellt Ellger-Rüttgardt fest, dass an keiner Stelle der UN-BRK die Abschaffung von Sonderschulen gefordert werde (2016, S. 38). Während Inklusion auf die strukturelle Ebene und den Aufbau von gesellschaftlichen Institutionen, die allen Individuen offenstehen sollen, zielt der Teilhabebegriff auf den einzelnen Menschen und seine Möglichkeiten der Lebensführung.

Der Begriff ‚Teilhabe‘ spielt auch in anderen sozialpolitischen Bereichen und Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit eine große Rolle: In dem durch das Bürgergeld-Gesetz zum 01.01.2023 reformierten SGB II sind die ‚Teilhabe am Arbeitsmarkt‘, Leistungen der ‚Bildung und Teilhabe‘ sowie als allgemeines Ziel die Verbesserung der ‚sozialen Teilhabe‘ ganz wesentlich. Teilhabe bedeutet hier zum Beispiel die Teilnahme an Leistungen zur Eingliederung in Arbeit wie einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung (umgangssprachlich Ein-Euro-Job) oder die Mitgliedschaft in einem Sportverein. Der Begriff der Teilhabe spielt aber auch in der Kinder- und Jugendhilfe, der Wohnungslosenhilfe und im Bereich Migration und Flucht eine Rolle (Bartelheimer et al 2020: 8ff.; mit Beispielen aus vielen Feldern: Diehl 2017).

Teilhabebegriff und Behinderung

Die größte, auch nach außen sichtbare Bedeutung hat der Teilhabebegriff aber im Bereich der Behinderung. 2001 trat das Sozialgesetzbuch IX ‚Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen‘ in Kraft, das Teilhabe in eine enge Beziehung zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung setzt (Seel 2017: 179). Durch das ‚Bundesteilhabegesetz‘ von 2016 wurde das SGB IX mit Einflüssen aus der UN-BRK zu einem Leistungsgesetz mit eigenen Anspruchsgrundlagen weiterentwickelt.

Im Bereich Behinderung hat Teilhabe mit der 2001 von der Weltgesundheitsorganisation beschlossenen Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (International Classification of Functioning, Disability, and Health, ICF) ein umfassendes konzeptionelles Fundament erhalten, das auch Grundlage für Hilfeplanung und Leistungsgewährung und damit unmittelbar relevant für die Lebenswelten behinderter Menschen ist (BfArM2005). In dem bio-psycho-sozialen Modell der ICF (Abb. 16.1) ergeben sich ‚Aktivitäten‘ und ‚Teilhabe‘ aus einer Wechselwirkung zwischen individuellen Faktoren (‚Körperfunktionen‘ und ‚Gesundheitsproblemen‘) sowie Kontextfaktoren (‚Umweltfaktoren‘ und ‚personbezogenen Faktoren‘) und berücksichtigen insofern auch Ideen aus dem sozialen Modell von Behinderung.

Teilhabe als Ergebnis von Wechselwirkungen in der ICF (DIMDI 2005, 23) (© DIMIDI/BfArM)

Damit setzt ein gelingende tatsächliche Teilhabe Teilhabemöglichkeiten als strukturelle und soziale Bedingungen und Teilhabefähigkeiten als Kompetenzen des Individuums voraus (Weiß 2019). Teilhabe wird definiert als das „Einbezogensein in eine bestimmte Lebenssituation“, bleibt aber konzeptionell weitgehend unbestimmt und wird für die praktische Anwendung mit den weiter ausgearbeiteten ‚Aktivitäten‘ zusammengefasst (Rehadat ICF-Lotse 2023).

Die ICF unterscheidet für ‚Aktivitäten‘ und ‚Teilhabe‘ verschiedene Felder mit typischen Lebenssituationen, diese sind:

  1. Lernen und Wissensanwendung

  2. Allgemeine Aufgaben und Anforderungen

  3. Kommunikation

  4. Mobilität

  5. Selbstversorgung

  6. Häusliches Leben

  7. Interpersonelle Interaktionen und Beziehungen

  8. Bedeutende Lebensbereiche

  9. Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben.

Mit dieser Aufzählung wird deutlich, dass Teilhabe hier wesentlich stärker auf das Individuum und seine Kompetenzen bezogen ist. Die UN-BRK hingegen richtet ihren Blick bei der Aufzählung von Lebensbereichen in den Artikeln 19 bis 30 viel stärker auf gesellschaftliche Systeme wie Bildung (Art. 24), Arbeit und Beschäftigung (Art. 27), politisches und öffentliches Leben (Art. 29).

Unter Berücksichtigung auch anderer Ansätze zur Erklärung von Teilhabe wie dem Befähigungs-(Capability-)Ansatz oder dem Lebenslagen-Ansatz rückt auch der Unterschied zwischen Teilhabechancen und realisierter Teilhabe in den Blick. So hat eine Person, die in allen Angelegenheiten unter Betreuung steht, in Deutschland (erst) seit 2017 das allgemeine Wahlrecht, hat also die Teilhabechance, muss davon aber keinen Gebrauch machen. Teilhabechancen mit Handlungs- und Entscheidungsspielräumen und einer Menge an Optionen ergeben sich in dieser Perspektive aus Ressourcen, gesellschaftlichen Bedingungen sowie persönlichen Bedingungen und können dann zur Umsetzung einer Teilhabechance führen (Bartelheimer et al 2020: 32).

Sowohl die UN-BRK als auch die Sozialgesetzbücher in Deutschland stellen den Inklusions- und den Teilhabebegriff auf eine menschenrechtliche bzw. eine sozialrechtliche Grundlage. Eine grundlegendere, rechtlichen Ansprüchen vorgelagerte Begründung vertritt Fornefeld (2019). Nach ihr ist Teilhabe als Gabe zu verstehen, die erst durch das soziale Band zwischen Menschen gebildet wird. Und zweitens entsteht Teilhabe durch die in der Beziehung gelebte wechselseitige Anerkennung (Fornefeld 2019: 6). Dieses Verständnis lässt sich besonders gut auf soziale Nahbeziehungen und auf Menschen mit hohem Pflege- und Unterstützungsbedarf und starken Einschränkungen fruchtbar machen. Da es sich dabei um einen Personenkreis handelt, der in vielen Diskursen um Inklusion und Teilhabe vernachlässigt wird, ist dieses Verständnis von Teilhabe umso wichtiger.

Daten und Forschung zu Inklusion und Teilhabe

In der empirischen Forschung wurde das Thema Inklusion vor allem im schulischen Kontext bearbeitet. Die Situation von Menschen mit Beeinträchtigungen allgemein wird seit 2013 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in jeder Legislaturperiode in einem Teilhabebricht beschrieben. Der aktuell Dritte Teilhabebericht (BMAS 2021) belegt auf der Grundlage von Daten, die in Befragungen aber auch in Verwaltungsprozessen erhoben wurden, die vielfältige und viele Lebensbereiche betreffende mangelhafte Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen. Der Bericht beschreibt dies für die Lebensbereiche Familie und Soziales; Bildung und Ausbildung; Erwerbstätigkeit und materielle Lebenssituation; alltägliche Lebensführung; Gesundheit; Freizeit, Kultur und Sport; Sicherheit und Schutz der Person; sowie politische und gesellschaftliche Teilhabe. Nur als Beispiele: Die soziale Teilhabe, verstanden als Zusammenleben mit einem Partner, als soziale Unterstützung und als Gefühl ungenügender sozialer Beziehungen als Gefühl fehlender Gesellschaft ist bei beeinträchtigten Menschen deutlich geringer. So geben 33 % der Menschen mit Beeinträchtigungen an, sich ‚oft einsam‘ zu fühlen; bei Menschen ohne Beeinträchtigungen sind dies nur 16 % (BMAS 2021, S. 67). Die Arbeitslosenquote von Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung ist höher (2019: 11,2 % vs. 6,5 %) und sie machen sich häufiger große Sorgen (22 %) um ihre wirtschaftliche Situation als Menschen ohne Beeinträchtigungen (12 %). Auch ist ihre Beteiligung bei Bundestagswahlen geringer (2017: 84,6 % vs. 87,1 %) als bei Menschen ohne Beeinträchtigung; sie sind mithin in zwei wesentliche gesellschaftliche Teilsysteme weniger inkludiert.

Ganz im Sinne von Partizipation als wichtigem Konzept der UN-BRK wurde von 2017 bis 2021 eine Repräsentativbefragung durchgeführt, um die Perspektive der beeinträchtigten Menschen und auch der mit hohem Unterstützungsbedarf gen in Wohnheimen zu erfassen (BMAS 2022). Als Forschungsbericht beschreibt er keine Maßnahmen zur Teilhabeverbesserung, sondern stellt ein empirisch erarbeitetes Konzept zur Messung von Beeinträchtigung und Behinderung unter der Prämisse internationaler Vergleichbarkeit dar. Die inhaltlichen Ergebnisse der Befragung bestätigen viele Befunde aus den Teilhabeberichten und machen deutlich wie heterogen der Personenkreis der Menschen mit Beeinträchtigungen ist. In politischer Hinsicht ist folgender Befund aufschlussreich: „Menschen mit selbsteingeschätzter Behinderung sind häufiger wenig bis gar nicht an Politik interessiert und haben in vielen Fällen ein geringeres Vertrauen in die Bundesregierung und in politische Parteien. Letzteres trifft auch auf beeinträchtigte Menschen zu; auch sie vertrauen Regierung und Parteien im Schnitt weniger als nicht beeinträchtigte Menschen.“ (Fiedler 2022, S. 189). An diesem Beispiel wird deutlich, dass Maßnahmen zur Stärkung von Teilhabe und Inklusion, wie z.B. inklusive politische Bildung (Meyer/Hilpert/Lindmeier 2020), nicht nur die individuelle Teilhabe, in diesem Beispiel durch eine Erhöhung der Wahlbeteiligung, verbessern können, sondern über die Stärkung der Demokratie in Deutschland auch einen Nutzen für die gesamte Gesellschaft haben. Und dies gilt generell: Inklusion ist nicht nur eine menschenrechtliche Verpflichtung sondern auch gut für die nicht-beeinträchtigten Menschen und die ganze Gesellschaft.

Weitere Inhalte

Prof. Dr., geb. 1963, lehrt und forscht nach Tätigkeiten in der Sozialplanung als Professor für Soziologie an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Soziale Arbeit und Behinderung, Inklusion, Politik und Soziale Arbeit, Ethik und Soziale Arbeit, quantitative und qualitative Forschungsmethoden, Klimagerechtigkeit.