Was ist "Rundfunk" in der digitalen Welt?
Im klassischen Sinne ist Rundfunk die lineare Verbreitung von Fernseh- und Hörfunkangeboten. Allerdings hat sich die Medienwelt in den vergangenen Jahren rasant verändert. Es ist längst nicht mehr notwendig, dass Nutzer vor dem Radio oder Fernseher sitzen. Viele Angebote können im Internet zeitversetzt und mobil abgerufen werden. So sind die Nutzer unabhängig von Sendezeit, Empfangsgerät und Aufenthaltsort.
2007 hat das Bundesverfassungsgericht festgelegt, dass öffentlich-rechtliche Sender ihre Inhalte auch im Internet verbreiten dürfen. Dies ist im Rundfunkstaatsvertrag geregelt. De facto gibt es also in der digitalen Medienwelt keine Trennlinie mehr zwischen der klassischen Ausstrahlung von audiovisuellen Inhalten und ihrer Verbreitung im Internet.
Allerdings schauen die meisten Menschen in Deutschland Fernsehen immer noch linear, und zwar 222 Minuten am Tag. Das Internet wird im Schnitt pro Tag 83 Minuten genutzt. Wenn man bedenkt, dass in dieser Zeit Reisen gebucht werden oder Onlinebanking stattfindet, liegt die lineare Fernsehnutzung mit sehr großem Abstand vorn.
Wo liegen die wichtigsten Herausforderungen an die ARD, um den Anforderungen der Digitalisierung gerecht zu werden? Wo muss investiert werden?
Eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre ist die Veränderung der Medienwelt und des Mediennutzungsverhaltens durch das Internet. Darauf zu reagieren und allen Menschen weiterhin gute öffentlich-rechtliche Angebote in allen Medien zu bieten, ist wahrscheinlich die größte Aufgabe für alle Anbieter, auch für die ARD. Manchmal denken wir zu sehr getrennt nach den Medien Fernsehen, Radio und Internet. Die medienübergreifende Berichterstattung aber ist wichtig für die Zukunft.
Da die Einnahmen der öffentlich-rechtlichen Sender wegen des gleichbleibenden Rundfunkbeitrags (2009 – 2014) nicht gestiegen sind, müssen alle programmlichen und technologischen Entscheidungen genauestens geprüft und abgewogen werden.
Außerdem muss die ARD auf allen relevanten Plattformen und Verbreitungswegen in der digitalen Welt frei und unverschlüsselt empfangbar sein. Hybride und konvergente Angebote wie zum Beispiel HbbTV verbinden lineares Fernsehen mit dem Internet. Zwar sind diese Angebote noch nicht sehr verbreitet: 14 % der Menschen besitzen ein internetfähiges Gerät, nur 8 % haben ihre Geräte tatsächlich ans Internet angeschlossen, nur 6 % nutzen HbbTV. Diese Angebote werden aber zunehmend wichtiger.
Wie werden die Mediatheken der Sender genutzt? Welche Bedürfnisse haben die Konsumenten an nicht-lineares TV? Wird das lineare Fernsehen zugunsten individueller, selbst zusammengestellter Inhalte verschwinden oder zumindest in den Hintergrund treten?
Schon jetzt bieten wir große Teile unseres Angebotes auch nichtlinear an, sowohl in unseren eigenen Mediatheken als auch auf anderen Plattformen und viele Menschen nutzen sie gerne. Das hat den Vorteil, dass unsere Programme je nach Wunsch überall und jederzeit abgerufen werden können. Im Durchschnitt sind diese Angebote bei deutlich jüngeren Menschen beliebt: Das Durchschnittsalter beträgt beim NDR-Fernsehen 63 Jahre und bei NDR.de 44 Jahre. Somit haben wir hier also auch eine weitere gute Möglichkeit, die jüngere Zielgruppe zu erreichen. Denn schließlich ist es nicht entscheidend, wann unsere Inhalte genutzt werden, sondern dass die Menschen sie nutzen, egal ob linear oder nicht linear.
Dass "klassisches" Fernsehen auf absehbare Zeit verschwindet, kann ich im Moment nicht sehen. Prognosen sind in diesem Bereich sehr schwer. Sicher aber ist, dass das Internet wichtiger wird: Im NDR beispielsweise gilt: "online first". Wir veröffentlichen immer mehr Inhalte zuerst im Netz. Alles andere wäre nicht zeitgemäß und nicht im Sinne unseres Publikums.
Welche Funktion erfüllt der Drei-Stufen-Test, hat sich das Modell als praktikabel und effizient erwiesen? Und: Welche Angebote wurden in dem Test als nicht zulässig befunden?
Mit dem Drei-Stufen-Test prüfen die Rundfunkräte der Rundfunkanstalten neue oder wesentlich veränderte Telemedienangebote. Ein Aspekt des Drei-Stufen-Test ist zum Beispiel die Frage, ob das Onlineangebot "demokratische, soziale und kulturelle Bedürfnisse der Gesellschaft" erfüllt. Generell hat sich gezeigt, dass das Testverfahren komplex, kostenintensiv und verwaltungsaufwändig ist. Wegen des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens kann sich eine Prüfung über mehrere Monate erstrecken, was gerade im dynamischen Onlinebereich sehr unpraktisch sein kann. Die bislang geprüften Onlineangebote entsprachen dem öffentlich-rechtlichen Auftrag. Allerdings haben wir weit mehr als die Hälfte der vorhandenen Inhalte gelöscht, um den gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen. Nur wenige Angebote dürfen für eine unbegrenzte Zeit online stehen.
Wie bewerten Sie die Rolle von Internet-Playern wie Google/YouTube und Facebook? Werden diese selber zu "Sendern"? Und was bedeutet das für die Medienordnung?
Konzerne wie Google/YouTube oder Apple haben sich ja zunächst eher darauf konzentriert, Plattformen für die Inhalte Dritter anzubieten und diese Plattformen dann auf alle Endgeräte zu bringen, auch auf den Fernseher (s. AppleTV, Chromecast). Nun zeigt sich aber, dass Plattformanbieter auch verstärkt in Inhalte investieren – nicht im Sinne eines linearen Programms, sondern Video on Demand oder bei Events auch live. Beispiele dafür sind Netflix, die auch eigene Serien für ihre Plattform produzieren, YouTube, das professionelle Channels fördert, oder in der Vergangenheit die Telekom mit ihrem Bundesliga-Angebot.
Insofern entstehen zwar keine neuen Sender im klassischen Sinne, aber es entstehen neue Programmanbieter, die auch größere Zielgruppen erreichen. Für sie stellen sich im Hinblick auf die Medienordnung wichtige Fragen: Wie werden sie reguliert? Und wie wird sichergestellt, dass sie ihre Kontrolle über Plattformen nicht dazu nutzen, den Zugang zu anderen Inhalten zu erschweren.