Sportliche Großereignisse wie die Olympischen Spiele oder die Fußball-Weltmeisterschaft bringen Athletinnen und Athleten aus der ganzen Welt an einem Ort zusammen. Doch nicht nur diese Events sorgen für ein Aufeinandertreffen von Menschen aus unterschiedlichen Regionen der Welt – in vielen Ligen, vor allem im professionellen Bereich, sind Sportlerinnen und Sportler unterschiedlichster räumlicher Herkunft fester Bestandteil des Wettbewerbs.
Zur Einordnung von Migration und Sport
Das Thema Migration kann im Sport auf zwei unterschiedliche Arten behandelt werden: Zum einen kann der Fokus auf den sogenannten Interner Link: Migrationshintergrund einer Athletin oder eines Athleten gelegt werden. Dieser Status wird in Deutschland Personen zugewiesen, „wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde[n]“. Prominente Beispiele aus dem Kader der deutschen Männer-Fußballnationalmannschaft für die Europameisterschaft 2024 sind Antonio Rüdiger, dessen Mutter aus Sierra Leone stammt, oder İlkay Gündoğan, dessen Eltern in der Türkei geboren wurden. In beiden Fällen sind die Eltern aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland gekommen, der Sport stand dabei nicht im Vordergrund. Ein weiterer Fokus der Betrachtung von Sport und Migration ist die sportbedingte Migration. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sportbezogene Aktivitäten an einem anderen Ort ausgeübt werden, wie es beispielsweise im professionellen Mannschaftssport üblich ist.
Entstehung sportbedingter Migration
Kurzfristige sportbedingte Mobilität gibt es spätestens seit den ersten Austragungen der Interner Link: Olympischen Spiele der Antike. Bereits hier legten Athleten größere Distanzen zurück, um an Wettbewerben teilnehmen zu können. Ein wesentlicher Treiber sportbedingter Migration ist die zunehmende Professionalisierung des Sports. Dabei haben sich in verschiedenen Regionen der Welt bestimmte Sportarten schneller professionalisiert als in anderen. Dies liegt vor allem an unterschiedlichen Traditionen körperlicher Betätigung und den lokalen Interessen der Bevölkerung.
Die englische Fußball-Liga gilt als eine der ältesten Profiligen der Welt. Schon in den 1880er Jahren wurden dort die ersten Fälle von sportbedingter Migration dokumentiert. Um an den Wettbewerben teilnehmen zu können, zogen talentierte Spieler aus umliegenden Dörfern und Kleinstädten an die damals zwölf Profistandorte. Diesen ersten kleineren Binnenwanderungen folgten kurze Zeit später sportbedingte Migrationen aus Wales und Schottland.
Insgesamt gab es jedoch bis zum Zweiten Weltkrieg nur wenige dokumentierte Fälle von professionellen internationalen Spielerbewegungen, da diese häufig unerwünscht waren. Auch hier gab es regional große Unterschiede: So wurde in Europa bei nationalen Wettbewerben die Teilnahme ausländischer Spielerinnen und Spieler teilweise reglementiert, während in den USA und Kanada keine Beschränkungen galten. Als 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen, wurde ausländischen Sportlerinnen und Sportlern generell die Teilnahme an nationalen Wettbewerben untersagt. Ähnlich harte Regelungen wurden auch im faschistischen Italien eingeführt. In den 1960er-Jahren beschlossen viele europäische Sportverbände eine feste „Ausländerregelung“ zur Wettbewerbsregulierung. Ziel dieser Regelungen war es, die sportliche Entwicklung der jeweiligen Disziplin und ihrer Aktiven im Land zu gewährleisten. Ein Wendepunkt und einen massiven Einschnitt in bis dato geltende Transferpraktiken in den Profiligen aller Sportarten stellte das Interner Link: Bosman-Urteil 1995 dar, durch welches professionelle Athletinnen und Athleten als reguläre Arbeitskräfte anerkannt wurden. Fortan durfte es keine Restriktionen für die Anstellung von EU-Bürgerinnen und Bürgern in nationalen Ligen der Europäischen Union mehr geben. Bis heute beeinflusst dieses Urteil Transferentscheidungen und die daraus resultierende sportbedingte Migrationsdynamik maßgeblich. Als Folge stieg das sportbedingte Migrationsgeschehen innerhalb Europas stark an.
Hintergründe und Erklärungsansätze sportbedingter Migration
Athletinnen und Athleten haben im Vergleich zu vielen anderen Migrantinnen und Migranten ein hohes Maß an Autonomie bei der Wahl, ob sie und zumeist auch, wohin sie migrieren. Die Idee des freien Austauschs von Waren und Humankapital im Kontext der Globalisierung kann auch auf den heutigen Sportmarkt übertragen werden, zumal hochklassige Spitzenvereine wie Unternehmen geführt werden. So wirken auch im Sport klassische Push- und Pull-Mechanismen der Migration, die als einfache – wenn auch die Komplexität von Migrationsentscheidungen zu wenig berücksichtigende – Erklärungsansätze für die Mobilität von Athletinnen und Athleten herangezogen werden können. Die Tabelle zeigt exemplarische Faktoren, die Migration von Sportlerinnen und Sportler anregen können.
Beispiele für Push- und Pull-Faktoren zur Erklärung von sportbedingter Migration
Push-Faktoren
Pull-Faktoren
geringer Verdienst und mangelnde Aufstiegs- und Entwicklungschancen
höhere Verdienst- und Entwicklungsmöglichkeiten
wenig Respekt und Anerkennung durch Akteurinnen und Akteure des Ursprungsstandortes
Ruf des Standorts und Prestige
geringe Einsatzzeit
höhere Einsatzchancen
Quelle: verändert nach Rauch (2023), S. 264.
Im professionellen Geschäft steht zumeist Geld im Vordergrund. Die Sportsoziologen Joseph Maguire und Robert Pearton sprechen hier treffend von „following the money“. Aber auch neuere theoretische Ansätze der Migrationsforschung, wie jene zu Migrationssystemen oder Migrationsnetzwerken, können als Erklärungsansätze für sportbedingte Migration dienen und liefern tiefergehende Einblicke in die Migrationsentscheidungen von Sportlerinnen und Sportlern. Dabei werden Entscheidungen für eine Ortsveränderung häufig nicht von den Individuen allein getroffen, viele unterschiedliche Akteure nehmen darauf Einfluss. Dazu zählen in erster Linie Agenten und Agenturen, Trainer, aber auch das soziale Umfeld wie beispielsweise die Familie der Athletinnen und Athleten. Derartige Migrationsnetzwerke, die sich zwischen Herkunfts- und Zielregion aufspannen, beeinflussen die Migrationserfahrung und -entscheidung von Individuen maßgeblich. Daraus können sich Kettenmigrationseffekte ergeben, also Nachzüge in eine Region, die auch im Sportgeschäft immer wieder zu sehen sind. So forderte der ehemalige Fußballtrainer des FC Bayern München Pep Guardiola einst: „Thiago oder nix“, um den ihm vertrauten Spieler vom FC Barcelona mit nach Deutschland zu ziehen. 2023 hat eine Pariser Basketballmannschaft den ehemaligen Trainer von Telekom Baskets Bonn verpflichtet, der im Anschluss gleich sechs Spieler mit nach Frankreich nahm. Derartige Netzwerke sind räumlich und zeitlich nicht statisch, können sich bestimmten Situationen anpassen, gänzlich neu bilden oder auflösen.
Weltweite Vernetzung im Männer-Fußball
Der Fußball der Männer findet in weiten Teilen der Welt eine große Aufmerksamkeit. Die Disziplin ist wie kaum eine andere in globale Prozesse eingebunden, weshalb ein Blick auf seine internationalen Verflechtungen einen sehr guten Überblick über typische Migrationsrouten gibt.
Die Zahl ausländischer Spieler in den Profiligen der Welt ist bis heute immer weiter angestiegen. Im Jahr 2022 waren insgesamt 13.929 dieser, zuweilen auch als Legionäre bezeichneten Spieler in 135 professionellen Fußballligen weltweit aktiv. Das bedeutete ein Plus von 16 Prozent im Vergleich zu 2017. Im Schnitt hatte 2022 jedes Team 6,3 ausländische Akteure unter Vertrag, was 22 Prozent des Kaders entsprach. Zum Vergleich: In Deutschland sind in der 1. Fußball-Bundesliga der Männer in der aktuellen Saison 2023/24 247 Legionäre aktiv, was 48,9 Prozent der gesamten Liga ausmacht. Die meisten Spieler auf dem Weltmarkt stammten 2022 aus Brasilien (1.219), Frankreich (978) und Argentinien (525). Deutschland lag mit 441 entsendeten Spielern auf Rang 5.
Abbildung 1 zeigt die größten globalen Routen für Fußballmigration. Die am stärksten ausgeprägte Migrationsroute verläuft dabei von Brasilien nach Portugal. Deutlich wird auch, dass ein großer Austausch zwischen Ländern stattfindet, die sich in räumlicher Nähe befinden. Der neuntgrößte Migrationskorridor existiert zwischen Deutschland und der Türkei. Zurückzuführen ist dies auf die (Rück-)Wanderung zahlreicher in Deutschland aufgewachsener Spieler aus türkischen Einwandererfamilien. Dies zeigt: Auch wenn der Transfermarkt teils losgelöst von früheren Beziehungen zu sein scheint, spannen sich die derzeit weltweit größten Korridore der Fußballmigration zwischen Ländern mit historischen Migrationsverflechtungen auf. Kulturelle Nähe oder auch die gleiche Sprache, wie bei der Verbindung zwischen Portugal und Brasilien, erleichtern den Athletinnen und Athleten ein Einleben am neuen Arbeitsort.
Häufig werden sportbedingte Migration und der damit einhergehende Transfer von Talenten als etwas Positives wahrgenommen. Athletinnen und Athleten haben die Möglichkeit, sich an einem anderen Ort weiterzuentwickeln und mehr Geld zu verdienen. Die aufnehmenden Vereine profitieren von der sportlichen Leistung der Migrantinnen und Migranten und verbessern ihre Chancen im Wettbewerb. Im lokalen Kontext können vermeintlich „exotische“ Akteure für mehr Aufmerksamkeit sorgen und so die regionale Wertschöpfung steigern. Jedoch gibt es auch zahlreiche negative Aspekte dieses Systems. Häufig werden Spielerinnen und Spieler in ihren Heimatländern mit großem Aufwand ausgebildet und wandern dann an finanzkräftigere Standorte ab. Dies sorgt für eine systematische Reduzierung der Qualität in den Quellländern. In vielen Sportarten hat sich dadurch heute ein kolonial-ähnliches System des Transfers entwickelt. Von diesen Strukturen profitieren vornehmlich Regionen im globalen Norden, die aufgrund ihrer finanziellen Ressourcen ihre Machtposition auf dem globalen Sportmarkt behaupten können.
Aktuell sorgen umgekehrt einigen Sportarten für Aufsehen durch die Bildung neuer Migrationsmuster, die nicht auf historische Verflechtungen oder Faktoren wie geografische und kulturelle Nähe zurückgeführt werden können. Ein prominentes Beispiel dafür ist Cristiano Ronaldo und sein Wechsel nach Saudi-Arabien, einem neuen finanzstarken Akteur auf dem globalen Sportmarkt. Die immense finanzielle Zugkraft im Sportgeschehen ist auch im Handball zu sehen. 2015 wurde die Nationalmannschaft von Katar mit mehreren eingebürgerten bezahlten Spitzensportlern Vizeweltmeister. Es ist davon auszugehen, dass die Bedeutung des Faktors Geld in Zukunft noch weiter zunehmen wird und die globalen Abhängigkeitsbeziehungen und Machtasymmetrien auf dem Sportmarkt nicht abnehmen werden.
Dr. Sebastian Rauch ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Postdoc) an der Professur für Sozialgeographie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er hat zur Migration Hochqualifizierter am Beispiel des Profifußballs in Deutschland promoviert.