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Migrationspolitik im Fokus Archiv Monatsrückblick Migrationspolitik – Mai 2024 Juni 2024

US-Staatsbürgerschaft: Abschied vom Geburtsortprinzip? Migrationspolitik im Fokus

Vera Hanewinkel

/ 7 Minuten zu lesen

US-Präsident Donald Trump will irreguläre Migration bekämpfen und dafür auch das Staatsbürgerschaftsrecht ändern. Wird die Staatsangehörigkeit durch Geburt in den USA abgeschafft?

Gleidson Hoffman, ursprünglich aus Brasilien, hält eine amerikanische Flagge während seiner Einbürgerungszeremonie am 15. August 2017 in New York. (© picture-alliance/AP, Mark Lennihan)

Bereits im Wahlkampf hatte Donald Trump (Republikaner) immer wieder betont, bei der Migration hart durchgreifen zu wollen und massenhaft ohne Aufenthaltserlaubnis in den USA lebende Menschen abzuschieben. Noch am Tag seines Antritts seiner zweiten Amtszeit als Präsident der USA am 20. Januar 2025 unterzeichnete er mehrere migrationsbezogene Durchführungsverordnungen. Bei solchen „Executive Orders“ handelt es sich um Anweisungen des Präsidenten an die Behörden zur Umsetzung von Gesetzen. Die Zustimmung des Kongresses, also des Parlaments der USA, wird dafür nicht benötigt.

So verfügte Trump beispielsweise, die Aufnahme von Flüchtlingen im Wege des Interner Link: Resettlement Externer Link: auszusetzen und andere humanitäre Programme etwa für den temporären Schutz von Geflüchteten aus Kuba, Haiti, Nicaragua und Interner Link: Venezuela (CHNV Parole Program) aufzuheben. Zudem wies er das Ministerium für Heimatschutz (Department of Homeland Security, DHS) an, die Infrastruktur zur Inhaftierung von Ausländer:innen ohne Aufenthaltsrecht Externer Link: auszubauen und aufgegriffene Personen bis zu ihrer Abschiebung in Haft zu nehmen. Solche Verhaftungen sollen zukünftig auch an Orten wie Schulen, Kirchen und Krankenhäusern möglich sein. Rückführungen sollen zudem verstärkt im Rahmen von Externer Link: Schnellverfahren erfolgen, die Betroffenen den Zugang zu Rechtsbeistand und Klagemöglichkeiten verwehren. Darüber hinaus ordnete Trump an, die Grenzen der USA durch mehr Personal besser zu sichern, Befugnisse für die Grenzschutzbehörde auszuweiten und den bereits in seiner ersten Amtszeit begonnenen Bau einer Mauer entlang der Grenze mit Mexiko fortzuführen. Städte, Gemeinden und Organisationen, die die Einwanderungsgesetze nicht durchsetzen und sie mit „Schutzregelungen" (Externer Link: sanctuary jurisdictions) umgehen, Externer Link: müssen mit Kürzungen von Bundesmitteln rechnen.

Gegen einige von Trumps migrationspolitischen Maßnahmen formiert sich Widerstand. Insbesondere die Externer Link: Anordnung, das Staatsangehörigkeitsrecht der USA zu ändern, ist hoch umstritten. Nach dem Willen der Trump-Administration sollen in den USA geborene Kinder von ausländischen Staatsangehörigen in Zukunft nicht mehr automatisch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten, wenn sich die Mutter zum Zeitpunkt der Geburt ohne Erlaubnis oder nur mit einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung im Land aufhält und der Vater kein US-Staatsbürger oder „permanent resident“ (zum Beispiel als Inhaber einer Green Card) ist. Das würde einen Bruch mit dem seit über 150 Jahren geltenden Geburtsortprinzip (jus soli) bedeuten, wonach – mit sehr wenigen Ausnahmen – jede in den USA geborene Person automatisch die U.S.-amerikanische Staatsbürgerschaft erhält – unabhängig vom Aufenthaltsstatus der Eltern.

Auszug aus der DurchführungsverordnungProtecting the Meaning and Value of American Citizenship

The privilege of United States citizenship is a priceless and profound gift. The Fourteenth Amendment states: “All persons born or naturalized in the United States, and subject to the jurisdiction thereof, are citizens of the United States and of the State wherein they reside.” That provision rightly repudiated the Supreme Court of the United States's (sic!) shameful decision in Dred Scott v. Sandford, 60 U.S. (19 How.) 393 (1857), which misinterpreted the Constitution as permanently excluding people of African descent from eligibility for United States citizenship solely based on their race.

But the Fourteenth Amendment has never been interpreted to extend citizenship universally to everyone born within the United States. The Fourteenth Amendment has always excluded from birthright citizenship persons who were born in the United States but not “subject to the jurisdiction thereof.” Consistent with this understanding, the Congress has further specified through legislation that “a person born in the United States, and subject to the jurisdiction thereof” is a national and citizen of the United States at birth, 8 U.S.C. 1401, generally mirroring the Fourteenth Amendment's text.

Among the categories of individuals born in the United States and not subject to the jurisdiction thereof, the privilege of United States citizenship does not automatically extend to persons born in the United States: (1) when that person's mother was unlawfully present in the United States and the father was not a United States citizen or lawful permanent resident at the time of said person's birth, or (2) when that person's mother's presence in the United States at the time of said person's birth was lawful but temporary (such as, but not limited to, visiting the United States under the auspices of the Visa Waiver Program or visiting on a student, work, or tourist visa) and the father was not a United States citizen or lawful permanent resident at the time of said person's birth.

[…]

Externer Link: Executive Order 14160 of January 20, 2025

Das Staatsangehörigkeitsrecht der USA – eine kurze Geschichte

Das Staatsangehörigkeitsrecht der USA ist eng mit der Interner Link: Einwanderungsgeschichte des Landes verknüpft. Das Geburtsortprinzip ist im Externer Link: 14. Zusatz der Verfassung der USA verankert, welcher 1868 aufgenommen wurde. Darin heißt es im ersten Absatz: „Alle Personen, die in den Vereinigten Staaten geboren oder eingebürgert sind und ihrer Gesetzeshoheit unterstehen, sind Bürger der Vereinigten Staaten und des Einzelstaates, in dem sie ihren Wohnsitz haben.“ Der 14. Verfassungszusatz wurde drei Jahre nach dem Interner Link: Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) vom Kongress verabschiedet. Damit korrigierte das Parlament ein rassistisches Urteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten (Supreme Court) aus dem Jahr 1857. Dieser hatte im Fall Dred Scott vs. Sandford entschieden, dass versklavte Menschen – und damit mehrheitlich Menschen afrikanischer oder afroamerikanischer Abstammung – keine Bürger:innen der USA, sondern als „Eigentum“ zu betrachten seien. Entsprechend sollten sie auch kein Recht auf die Staatsbürgerschaft durch Geburt in den USA haben.

Obwohl der 14. Verfassungszusatz allen in den USA geborenen Personen prinzipiell das Recht auf die U.S.-Staatsangehörigkeit einräumte, blieben in der Praxis Bevölkerungsgruppen wie die Ureinwohner:innen der USA (Native Americans) sowie bestimmte Gruppen Eingewanderter und ihrer Kinder weiterhin davon ausgeschlossen.

In den 1880er Jahren wurden rassistische Einwanderungsgesetze erlassen, die die Zuwanderung aus bestimmten Herkunftsländern stoppen sollten, insbesondere aus China (Interner Link: Chinese Exclusion Act). Menschen aus diesen Ländern sollte es auch verwehrt bleiben, die Staatsangehörigkeit der USA zu erlangen. Dies änderte sich 1898: In jenem Jahr urteilte der Supreme Court im Verfahren United States vs. Wong Kim Ark, dass der 14. Verfassungszusatz über den Einwanderungsgesetzen stehe und in den USA geborene Kinder von Eingewanderten der Gesetzeshoheit des Landes unterworfen seien, weshalb ihnen die U.S.-amerikanische Staatsangehörigkeit zustehe. Ein Präzedenzfall, dessen Interpretation in der Folge durch den Supreme Court immer wieder bestätigt wurde.

Kinder von Ureinwohner:innen erhielten erst mit dem Interner Link: Indian Citizenship Act von 1924 Zugang zur Staatsangehörigkeit qua Geburt auf dem Territorium der USA. Zuvor waren Native Americans – etwa im Gerichtsverfahren Elk v. Wilkins im Jahr 1884 – als Menschen betrachtet worden, die der Gesetzeshoheit ihrer Stämme und nicht derer der USA unterlägen, weshalb der 14. Verfassungszusatz bei ihnen nicht greife.

Heute erhalten fast alle Menschen, die in den USA geboren werden, automatisch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft – unabhängig von der ethnischen Herkunft oder dem Einwanderungsstatus der Eltern. Zu den wenigen Ausnahmen zählen etwa Kinder ausländischer Diplomat:innen. Sie gelten als Personen, die nicht der Gesetzeshoheit der USA unterstehen. Damit erfüllen sie die im 14. Verfassungszusatz genannte Bedingung für die Anwendung des Geburtsortprinzips nicht. Es ist genau diese Bedingung, an der Trumps Durchführungsverordnung nun ansetzt, um das Geburtsortprinzip einzuschränken.

Klagen gegen Executive Order 14156

In Trumps Exekutivanordnung zur US-amerikanischen Staatsangehörigkeit heißt es, dass der 14. Verfassungszusatz immer schon Menschen von der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen habe, die zwar in den Vereinigten Staaten geboren wurden, aber nicht der Gesetzeshoheit der USA unterworfen seien (siehe Infokasten oben). Dies sei der Fall, wenn sich die Mutter der in den USA geborenen Person zum Zeitpunkt der Geburt unrechtmäßig oder nur mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis in den USA aufhielte und der Vater kein Staatsbürger der Vereinigten Staaten sei oder keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis habe. Behörden sollen die Betroffenen fortan nicht mehr als US-Bürger:innen anerkennen und ihnen keine entsprechenden Dokumente wie z. B. Pässe ausstellen.

22 Bundesstaaten haben gegen Trumps Vorstoß zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts Klage eingereicht. Mehrere Gerichte blockierten die Durchführungsverordnung. Die Trump-Administration hat daraufhin das höchste Gericht der USA angerufen. Der Supreme Court soll darüber entscheiden, ob einzelne Gerichte Trumps Anordnung landesweit blockieren dürfen. Nicht sicher ist, ob sich das höchste Gericht auch grundsätzlich dazu verhalten wird, ob Trumps Auslegung des Geburtsortprinzips verfassungskonform ist. Das Gericht hat für Mitte Mai mündliche Anhörungen angesetzt, eine Entscheidung wird bis spätestens Juli erwartet.

Die meisten Verfassungsrechtler:innen in den USA Externer Link: gehen davon aus, dass das Staatsangehörigkeitsrecht nicht durch einen Erlass des Präsidenten geändert werden könne. Dies sei nur durch einen neuen Verfassungszusatz oder eine fundamentale Neuinterpretation des 14. Verfassungszusatzes durch den Supreme Court möglich. Ob das mehrheitlich mit konservativen Richter:innen besetzte Gericht Trumps Vorstoß absegnen wird, gilt als unsicher. Die Hürden für einen neuen Verfassungszusatz sind zudem hoch: Dieser würde eine Zweidrittel-Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses (Repräsentantenhaus und Senat) voraussetzen. Zudem müssten auch drei Viertel der Bundesstaaten zustimmen.

US-Gesellschaft zeigt sich gespalten

Die Bevölkerung der USA selbst ist mit Blick auf das Geburtsortprinzip geteilter Meinung. Einer Externer Link: repräsentativen Umfrage des Pew Research Center zufolge lehnten Ende Januar und Anfang Februar 2025 rund 56 Prozent der befragten Erwachsenen in den USA Trumps Vorstoß zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts ganz oder weitestgehend ab, 43 Prozent befürworten ihn hingegen ganz oder teilweise. Unter den Befürworter:innen finden sich vor allem Menschen, die den Republikanern zuneigen. Interner Link: Schwarze, hispanische und Asien-stämmige Erwachsene lehnen die Änderungen stärker ab als weiße.

Gegner des Geburtsortprinzips wollen zumeist in den USA geborene Kinder von undokumentierten Migrant:innen und oder Ausländer:innen mit kurzzeitigem legalen Aufenthalt von der Staatsbürgerschaft ausschließen. Sie kritisieren, dass diese Kinder „Ankerbabys“ seien und durch nachziehende Familienangehörige zu mehr Migration beitrügen. Darüber hinaus belohne das Geburtsortprinzip illegale Aufenthalte. Befürworter unterstreichen hingegen den in der US-amerikanischen Verfassung verankerten Gleichheitsgrundsatz. Das Recht auf Staatsangehörigkeit durch Geburt in den USA sei farben- und klassenblind: Es verhindere, dass Menschen zum Beispiel wegen ihrer Herkunft der Zugang zur Staatsbürgerschaft verwehrt bleibt. Zudem fördere es die Integration der Nachkommen von Eingewanderten und verhindere das Entstehen einer Bevölkerung, die über Generationen von staatsbürgerlichen Rechten ausgeschlossen bleiben könnte.

Grundsätzlich lassen sich an der Staatsangehörigkeit als rechtlicher Institution auch Kämpfe um Migration und Zugehörigkeit beobachten. Einerseits gilt sie als Inklusionsmechanismus, insofern als sie rechtlich für die prinzipielle Gleichheit aller Staatsangehörigen sorgt – auch wenn diese im Alltag etwa durch Rassismuserfahrungen infrage gestellt wird. Die Staatsangehörigkeit kodifiziert die Mitgliedschaft in und Zugehörigkeit zu einer Nation. Gleichzeitig ist die Staatsangehörigkeit ein Instrument sozialer Schließung, weil sie zwischen Staatsbürger:innen und Ausländer:innen unterscheidet und damit auch festlegt, wem vollumfängliche Rechte in einem Staat zustehen – und wem nicht.

Politischer Konflikt um Zugehörigkeit

Der Vorstoß von Donald Trump zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts verweist auf diese Kämpfe um Zugehörigkeit und die Frage, wer als Teil der Nation gesehen wird und wer nicht. Obwohl Einwanderung das Fundament der USA bildet und sich das Land in seiner Selbsterzählung gemeinhin als nation of immigrants darstellt, zeigt ein Blick in die Geschichte der Vereinigten Staaten, dass dieses Selbstverständnis nicht zu jedem Zeitpunkt einhellig geteilt worden ist. Stattdessen hat es immer wieder Phasen der Abschottung und des – rassistischen – Ausschlusses gegeben.

Dieser Konflikt rund um Zugehörigkeit zur Nation der Vereinigten Staaten schwankt so zwischen einem eher politischen Verständnis von Staatsangehörigkeit und einem eher ethnischen Verständnis, das alteingesessene weiße Menschen als ‚prototypische Amerikaner:innen‘ versteht. Mit der Präsidentschaft Trumps tritt dieses ethnische Verständnis von Zugehörigkeit wieder in den Vordergrund, denn die von ihm angestrebte Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts würde vor allem die Interner Link: Nachkommen von Eingewanderten aus Lateinamerika und Asien treffen. Beobachter:innen ordnen diese Politik der Ideologie der „weißen Überlegenheit“ (Interner Link: white supremacy) zu. Trump versuche auch mit seinen migrationspolitischen Maßnahmen den Einfluss von Minderheiten of Color in den USA zurückzudrängen.

Weitere Inhalte

Vera Hanewinkel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.