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Retten und Teilen – Nicole und Najine engagieren sich für suffizienten Konsum | Wir im Wandel | bpb.de

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Retten und Teilen – Nicole und Najine engagieren sich für suffizienten Konsum Wir im Wandel. Geschichten vom Umbruch

Sonja Ernst

/ 7 Minuten zu lesen

Nicole Klaski und Najine Ameli wollen Energie sparen. Die eine rettet tonnenweise Lebensmittel, die andere hat eine besondere Bücherei mit aufgebaut. Über Eigenverantwortung und politische Vorgaben.

Retten und Teilen – Nicole und Najine engagieren sich für suffizienten Konsum

Das Transkript der Episode gibt es Interner Link: hier zum Download.

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Nicole Klaski und Najine Ameli sind zwei Macherinnen. Sie wollen nicht die Welt retten, aber dabei helfen – indem sie mit ihren Initiativen auf suffizienten Konsum setzen und damit Ressourcen und auch Energie sparen.

„Energiesuffizienz bezeichnen wir im Prinzip als die Strategie, Energie einzusparen“, sagt Johannes Thema vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Dabei geht es nicht um das Energiesparen durch technologische Maßnahmen, sondern durch ein anderes Verhalten.

„Energiesuffizienz wird häufig stiefmütterlich behandelt, weil viele Menschen darunter ein Hineinregieren in das individuelle Leben verstehen. Das ist es aber eigentlich nicht“, sagt der Wissenschaftler. Genau das machen Nicole Klaski und Najine Ameli durch ihre Projekte deutlich.

Podcast "Wir im Wandel"Über die Hosts

Sonja Ernst und Monika Ahrens. (© Privat)

Sonja Ernst ist freie Journalistin. Sie berichtet über Themen aus Politik und Gesellschaft, vor allem für den Hörfunk, u.a. Deutschlandradio oder SWR. 2022 gewann sie den Peter Scholl-Latour Preis für ihre Reportage "Kinder aus Kriegsvergewaltigungen – Trauma und Schweigen überwinden".

Monika Ahrens ist freie Radiojournalistin und arbeitet im Redaktionsteam des Update-Podcasts von Deutschlandfunk Nova. Sie kommt aus Niedersachsen, hat in Leipzig und Berlin studiert und lebt in Köln.

Teilen statt kaufen: Die bib der Dinge in Bochum

Im Nordosten Bochums ist die bib der Dinge beheimatet. „Die funktioniert wie eine Bücherei. Nur, dass man sich bei uns alles ausleihen kann, außer Büchern“, sagt Najine Ameli. Sie hat diese besondere Bücherei mitgegründet. Der Start war 2021.

Mittlerweile zählt die bib über 2.300 Gegenstände. „In unseren Regalen findet man von Werkzeugen über Spielzeuge, Reiseequipment, Hobby-, Sport-, Freizeit-Geräten sowie Do-It-Yourself-Zubehör bis hin zu Küchengeräten alle möglichen Utensilien“, so Najine Ameli.

All diese Dinge finden Platz in einer großen Halle. Im Werkzeugbereich zum Beispiel liegen Hammer, Säge und Schraubenschlüssel. Ebenso spezielles und auch teures Werkzeug. „Wir haben eine Handkreissäge mit Schiene, eine Ständerbohrmaschine oder auch einen Fliesenschneider“, sagt Ameli.

Najine Ameli, bib der Dinge (© Bochum Marketing, Andreas Molatta)

Beim Werkzeug wird das Anliegen der bib besonders deutlich: Denn in manchen Situationen ist ein bestimmtes Werkzeug nötig, um zum Beispiel im Haushalt eine Reparatur vorzunehmen. Zugleich wird Werkzeug häufig nur selten genutzt, obwohl für die Herstellung Ressourcen und Energie verbraucht wurden.

Mit der bib der Dinge wird also die Neuanschaffung von Gegenständen durch eine gemeinschaftliche Nutzung möglichst verhindert. Diese Idee der gemeinschaftlichen Nutzung gehört zum Modell einer „Sharing Economy“, einer „Wirtschaft des Teilens“.

2.300 Gegenstände werden gemeinschaftlich genutzt

In der bib der Dinge finden sich die unterschiedlichsten Gegenstände. Neben Werkzeug auch Fußball-Kicker, diverse Schnellkochtöpfe, Schokobrunnen, Campingzelte, Stand-up-Paddles bis hin zu Schutzkragen für Hunde.

Alle Gegenstände haben eine Nummer und sind katalogisiert. Auf der Webseite der Bücherei können Interessierte den Bestand einsehen; auch sehen sie, was zurzeit ausgeliehen ist. Auch das Reservieren ist möglich. Ebenso können sich Mitglieder Gegenstände zur Ausleihe zum Beispiel in die Zentralbücherei in Bochum liefern lassen. Ein Jahres-Abo bei der bib der Dinge kostet 100 Euro; es gibt Ermäßigungen.

Die vielen Dinge sind zu über 90 Prozent Spenden. Häufig von Privatleuten, die beim Aufräumen Gegenstände entdecken, die sie nicht mehr brauchen. Viele Spenden kommen auch aus Haushaltsauflösungen. „Also mein Vater ist vor zehn Jahren verstorben, von dem sind auch einige Sachen hier im Inventar und ich weiß, dass er sich einen Keks freuen würde, wenn er wüsste ‚Juhu, das liegt nicht irgendwo rum, sondern es wird genutzt‘“, sagt Najine Ameli.

Auch dadurch ist die bib der Dinge mehr als nur eine Ausleihe. Sie ist ebenso ein Ort der Begegnung und des Miteinanders. Najine Ameli hat sich auch wissenschaftlich mit der „Sharing Economy“ auseinandergesetzt. Dafür hat sie verschiedene Bibliotheken der Dinge besucht und Daten von 40 solcher Büchereien weltweit sowie von rund einer Million Verleihvorgängen gesammelt. Viele ihrer Erkenntnisse flossen in die bib in Bochum ein.

Orte des Teilens sind Orte des Miteinanders

Neben der Ausleihe gibt es einen offenen Werkstattbereich mit drei voll ausgestatteten Werkbänken; ebenso eine Fahrradwerkstatt oder auch Nähmaschinen. Mitglieder können diese Angebote nutzen, um direkt vor Ort zu bauen, reparieren oder basteln.

Dabei wird auch Wissen geteilt. Dieses soziale Miteinander mache die bib der Dinge zu einem lebendigen und auch vielfältigen Ort, so Najine Ameli. Dafür sei viel ehrenamtliches Engagement notwendig.

Energiesuffizienz braucht Rahmenbedingungen

Durch ihr suffizientes Verhalten sparen die Mitglieder der bib der Dinge Energie ein. Solche Effekte untersucht Johannes Thema am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Das versteht sich als internationaler Thinktank mit Schwerpunkt Nachhaltigkeitsforschung. Johannes Thema arbeitet in der Abteilung Energiepolitik.

Außerdem gehört er der Nachwuchsforschungsgruppe „Die Rolle von Energiesuffizienz in Energiewende und Gesellschaft“ an, kurz ENSU. Innerhalb der Gruppe werden verschiedene Suffizienzstrategien untersucht und auch modelliert, um ihre Effekte besser zu verstehen.

Es braucht Angebote für ein energiearmes Leben

Johannes Thema forscht auch zu den Rahmenbedingungen, die es braucht, damit ein energieärmeres Leben möglich ist. Dabei ginge es nicht einfach nur um Verbote oder Anordnungen, sondern um die Strukturen, warum Menschen bestimmte Dinge tun.

Diese Strukturen müssten so gestaltet sein, dass sie die richtigen Anreize setzen: „Oder es ermöglichen, bestimmte Dinge zu tun oder auf bestimmte Art und Weise zu leben“, sagt Johannes Thema. Hierbei lassen sich sogenannte Push- und Pull-Maßnahmen unterscheiden. Ein Push sind Verbote und Gebote; ein Pull ist ein freiwilliges Angebot. Ein Beispiel für einen Push ist, dass die Politik Herstellern verbieten könnte, zu hohe Preise für Ersatzteile zu verlangen, wodurch sich Reparaturen wieder lohnen würden.

Ein Pull könnte zum Beispiel ein „Reparatur-Bonus“ sein. In Österreich gibt es solch ein Angebot: Verbraucherinnen und Verbraucher können zum Beispiel ihre defekten Staubsauger oder Toaster von einem Handwerksbetrieb reparieren lassen. 50 Prozent der Rechnung zahlen die Verbraucherinnen und Verbraucher, der Rest wird in einer Höhe bis zu 200 Euro übernommen. In Thüringen gibt es ein ähnliches Programm. Doch insgesamt fehlen in Deutschland Suffizienz-Maßnahmen.

Dabei gibt es reichlich Ideen, auch in den EU-Nachbarländern. Johannes Thema und das ENSU sammeln in einer Externer Link: Datenbank verschiedenste Maßnahmen. Auch auf EU-Ebene bewegt sich etwas: Im März 2023 hat die EU-Kommission einen Vorschlag vorgelegt für ein „Recht auf Reparatur“. Damit sollen Verbraucherinnen und Verbraucher zum Beispiel defekte Haushaltsgeräte leichter reparieren lassen können, anstatt neu zu kaufen. Wie die Umsetzung solch eines Rechtsanspruchs konkret aussehen kann, darüber müssen sich Europaparlament und EU-Staaten noch verständigen.

Lebensmittel: Retten statt wegwerfen

Nicole Klaski, The Good Food (bpb, Sonja Ernst) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Energie lässt sich in unterschiedlichsten Bereichen einsparen, auch bei Lebensmitteln. Das macht das gemeinnützige Unternehmen The Good Food in Köln. Nicole Klaski hat es gegründet und ist die Geschäftsführerin. Das Ziel ist es, Lebensmittel zu retten – und zwar im großen Stil.

Zum einen geht es um Waren, die kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum sind oder schon darüber. „Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist eigentlich nur eine Empfehlung“, sagt Nicole Klaski. „Selbst wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, bedeutet das nicht, dass das Lebensmittel nicht mehr verzehrfähig ist.“

Dennoch werden viele dieser Lebensmittel entsorgt. „Das finde ich schade, dass überall Lebensmittel aussortiert werden, nur weil sie eventuell die Farbe verändern könnten oder die Konsistenz verändern. Und das ist noch nicht mal der Fall bei den meisten Lebensmitteln. Das heißt, wir verschwenden unglaublich viele Lebensmittel wegen des Mindesthaltbarkeitsdatums.“

Auch bei The Good Food engagieren sich viele Menschen ehrenamtlich. Insgesamt 180 Personen. Nicole Klaski und drei weitere Personen haben mittlerweile feste Stellen.

Die Diskussion um das Mindesthaltbarkeitsdatum

Zum Teil werden Lebensmittel gerettet, die direkt von Supermärkten, aus dem Großhandel oder von Verpackungsfirmen abgegeben werden. Dazu gehört, dass Nicola Klaski Kontakte aufbaut, für ihre Idee wirbt und auch das Abholen der Lebensmittel über Spediteure organisiert.

Die verpackte Ware landet in einer großen Lagerhalle in Köln. Auf gut 300 Quadratmetern finden sich die unterschiedlichsten Lebensmittel. In der Halle wird auch Saisonware zwischengelagert wie zum Beispiel Schoko-Weihnachtsmänner, die noch nicht über dem Mindesthaltbarkeitsdatum sind, aber nicht mehr im Verkauf angeboten werden.

Durch Nachernte Gemüse retten

The Good Food rettet aber auch direkt auf dem Feld Lebensmittel. Das Team arbeitet mit verschiedenen Bauernhöfen in der Region zusammen. Diese können teils Gemüse, das nicht der EU-Norm entspricht, nicht verkaufen oder der Einzel- und Großhandel nimmt ihnen krumme Möhren oder zu kleine Kartoffeln nicht ab.

Nach der eigentlichen Ernte der Bauern gibt es deshalb eine Nachernte durch ein Team von The Good Food. Je nach Saison werden Radieschen oder Salat geerntet. Aber auch Rote Beete, Lauch und Kohl. Kartoffeln gibt es fast das ganze Jahr.

Die verschiedenen Lebensmittel werden in mittlerweile zwei Läden in Köln verkauft. Statt fixen Preisen gibt es das Prinzip „Zahl, was es dir wert ist“. Damit will The Good Food die Konsumentinnen und Konsumenten zum Nachdenken bringen, wie viel Arbeit, Ressourcen und auch Energie in den Lebensmitteln steckt und welcher Preis fair sein könnte.

Wie viel Eigenverantwortung ist nötig?

Nicole Klaski hat The Good Food über Jahre hinweg aufgebaut. Zugleich wünscht sie sich, dass die Politik andere Regeln schafft, damit das Wegwerfen von Lebensmitteln verboten wird. Denn am besten wäre es, wenn es Unternehmen wie ihres nicht bräuchte.

„Ich möchte schon sagen, dass jede und jeder Einzelne von uns was bewegen kann. Das hilft schon sehr“, sagt Nicole Klaski. „Aber ich denke, das große Ganze muss schon politisch geklärt werden und auch geändert werden.“

Die bib der Dinge in Bochum ebenso The Good Food können für ein energiearmes Leben sensibilisieren, indem sie zeigen, wie sich das Konsumverhalten ändern lässt. Ebenso kann im Kleinen probiert werden, welche Ansätze wie funktionieren. Die Erkenntnisse lassen sich übertragen und skalieren. Dennoch braucht es die Politik, um die Rahmenbedingungen zu gestalten, sagt Johannes Thema. „Kann man die Projekte fördern oder kann man den regulatorischen Rahmen so setzen, dass genau solche Projekte eben zu den Mainstream-Projekten werden. Das ist dann wieder eine Frage von politischen Rahmenbedingungen.“

Weitere Inhalte

Sonja Ernst ist freie Journalistin. Sie berichtet über Themen aus Politik und Gesellschaft, vor allem für den Hörfunk, u.a. Deutschlandradio oder SWR. 2022 gewann sie den Peter Scholl-Latour Preis für ihre Reportage "Kinder aus Kriegsvergewaltigungen – Trauma und Schweigen überwinden".