Themen Mediathek Shop Lernen Veranstaltungen kurz&knapp Die bpb Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen Mehr Artikel im

Ein aktiver Staat schützt das Klima und verhindert Wirtschaftskrisen | Debatte: Soll sich der Staat aus der Wirtschaft raushalten? | bpb.de

Debatte Debatte: Soll sich der Staat aus der Wirtschaft raushalten?

Der Markt kann es nicht

Ein aktiver Staat schützt das Klima und verhindert Wirtschaftskrisen

Achim Truger

/ 5 Minuten zu lesen

Der Markt versagt ständig, das wird vor allem bei der "Externalisierung" von Umweltkosten deutlich. Der Staat muss die Versäumnisse der Märkte ausbügeln, so der Wirtschaftsweise Achim Truger.

Wald im nordrhein-westfälischen Hilden. (© picture-alliance, blickwinkel/M. Woike)

Die Frage, ob sich der Staat möglichst aus der Wirtschaft heraushalten sollte, ist etwas irreführend. Durch sie kann der Eindruck entstehen, es sei eine Wirtschaft denkbar, die ganz ohne Staat existieren könne. Das ist aber nicht der Fall. Die staatliche Bereitstellung öffentlicher Güter wie innere und äußere Sicherheit, das Rechtssystem und die staatlich gesicherte Währung bilden vielmehr den Rahmen, in dem eine Wirtschaft überhaupt erst funktionieren kann. Über die Notwendigkeit dieser staatlichen Rahmensetzung dürfte es unter Ökonominnen und Ökonomen einen sehr weitreichenden Konsens geben.

Wenn der Markt versagt

Strittiger wird es bei der Frage, inwieweit es über diesen Rahmen hinaus wirtschaftspolitischer Maßnahmen bedarf. Auch hier gibt es mit der sogenannten Theorie des Interner Link: Marktversagens immerhin einen weithin geteilten Ausgangspunkt. Staatliche Eingriffe können demnach gerechtfertigt sein, wenn der Markt bei der Bereitstellung bestimmter Güter wie Kitas und Energie oder Bahninfrastruktur oder bei der Erreichung wichtiger gesellschaftlicher Ziele versagt. Ein Marktversagen wird zum Beispiel auch bei negativen externen Effekten diagnostiziert. Das sind Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns auf Dritte, deren Kosten im Kalkül der verursachenden Person oder des verursachenden Unternehmens nicht berücksichtigt werden. Prominentestes Beispiel sind die externen Kosten, die beim Nutzen fossiler Energieträger in Form von Umweltverschmutzung und insbesondere in Form des Klimawandels entstehen. Ohne staatlichen Eingriff wird die betreffende Aktivität zu stark ausgedehnt, weil in den privaten Kalkülen die gesellschaftlichen Kosten als Nebenwirkung nicht berücksichtigt werden. Die Aufgabe des Staates besteht dann abstrakt gesprochen darin, die externen Effekte zu internalisieren, also dafür zu sorgen, dass Unternehmen und Personen die gesellschaftlichen Kosten möglichst berücksichtigen. Allerdings bestehen sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, wie der Staat dies konkret tun sollte.

Marktliberale Ökonominnen und Ökonomen bevorzugen hier tendenziell eine staatliche Rahmensetzung und vertrauen in diesem Rahmen dann wieder ganz auf die Marktkräfte von Angebot und Nachfrage. So ist das Lieblingsinstrument der Marktliberalen im Klimaschutz der CO2-Preis, bei dem der Ausstoß von CO2 über eine Besteuerung oder über einen CO2-Zertifikatehandel verteuert wird. Weil die Preise nach dieser Korrektur gewissermaßen die ökologische Wahrheit sagen, erfolge der Klimaschutz quasi automatisch über die Märkte. Denn alle passten sich nun individuell optimal und kostengünstig an die neuen Preise an. Demgegenüber werden staatliche Verbote klimaschädlicher Verhaltensweisen ebenso wie die Subventionierung klimafreundlicher Verhaltensweisen oder Technologien als teuer und riskant eingestuft, weil der Staat gar nicht wissen könne, welche Technologien sich am Ende im Klimaschutz als wirtschaftlich sinnvoll erwiesen.

Allerdings greift die marktliberale Sichtweise viel zu kurz. Märkte funktionieren nicht so leicht und harmonisch, dass die Klimaziele allein über Bepreisung und dadurch wirkende Marktkräfte reibungslos und kostengünstig erreicht werden können. Damit die Anpassung gelingen kann, bedarf es vielmehr zahlreicher unterstützender und lenkender Eingriffe des Staates. Das heißt: Die Preissteuerung bedarf zumindest wesentlicher Ergänzungen – wenn nicht gar eines Ersatzes – durch Regulierungen, Infrastrukturpolitik und Förderprogramme.

Wie der Staat wirken kann

So können bei Mietwohnungen CO2-Preise gar nicht richtig wirken, weil ihn die Mieterinnen und Mieter über die Heizkostenrechnung bezahlen, aber nur die Vermieterinnen und Vermieter die nötigen Investitionen tätigen können. Hier muss durch Regulierung oder Förderprogramme eingegriffen werden. Im Verkehrsbereich hängt es wesentlich von der Infrastruktur ab, wie sich die Menschen anpassen können. Wenn der öffentliche Personenverkehr und die notwendige Infrastruktur gut ausgebaut sind, fällt ein Verzicht auf Autofahrten leichter. Bleibt er aus, steigen die individuellen Anpassungskosten und können insbesondere ärmere Menschen leicht überfordern.

Im Bereich neuer Technologien kann eine Anschubfinanzierung oder die Bereitstellung etwa von E-Ladesäulen die Markteinführung von Elektroautos unterstützen. Die staatliche Entscheidung für oder gegen bestimmte Technologien kann die Unsicherheit reduzieren, sodass Unternehmen sich überhaupt erst trauen, die notwendigen Investitionen in den Aufbau von Produktionsanlagen für E-Autos und ihre Komponenten zu tätigen. In diesem Sinne bietet das „Verbrenner-Aus“ eine wichtige Orientierung für die Industrie. Stellt die Politik diese Entscheidung infrage, erhöht sie die Unsicherheit und verzögert die notwendigen Investitionen. Schließlich braucht ein CO2-Preis eine industriepolitische Flankierung, weil sonst strategisch wichtige energieintensive Produktionen wie die Stahlindustrie ihre Wettbewerbsfähigkeit verlören und abzuwandern drohten.

Der Verkehrssektor ist übrigens auch ein Beispiel dafür, dass ein von staatlichen Eingriffen freier Markt so gut wie nirgends existiert. So hat der Autoverkehr nicht durch das freie Spiel der Marktkräfte die Bedeutung erlangt, die er heute hat. Vielmehr konnte er nur deshalb so wichtig werden, weil der Staat ein dichtes Netz an Straßen gebaut hat und öffentlichen Raum für Parkplätze zur Verfügung stellt.

Der Staat als Korrektiv für instabile Märkte

Eine weitere strittige Frage lautet: Ist eine gesamtwirtschaftliche Stabilisierungspolitik nötig, insbesondere eine kreditfinanzierte Finanzpolitik, die sich Konjunktureinbrüchen und steigender Arbeitslosigkeit entgegenstellt? Marktliberale vertrauen auch hier wieder auf die Selbstheilungskräfte des Marktes. Sie zweifeln daran, dass expansive Finanzpolitik über kreditfinanzierte höhere Staatsausgaben oder Steuersenkungen die Nachfrage und die Wirtschaft ankurbeln kann und befürchten Nebenwirkungen wie Inflation und ausufernde Staatsverschuldung. Daher setzen sie eher auf Begrenzungen der Staatsverschuldung, etwa in Gestalt der deutschen Schuldenbremse. Demgegenüber betonen keynesianisch orientierte Ökonominnen und Ökonomen, dass es ein Wesensmerkmal der Marktwirtschaft ist, instabil zu sein - aufgrund von Unsicherheit und schwankender Unternehmenserwartungen. Sie halten daher insbesondere die kreditfinanzierte Stärkung der Nachfrage für ein wirkungsvolles Instrument zur Krisenbekämpfung. Und sie stehen damit in der Tradition des britischen Ökonomen John Maynard Keynes, der in der Weltwirtschaftskrise nach 1929 die moderne makroökonomische Theorie erfand.

Interner Link: Wer Recht hat, lässt sich aufgrund der Komplexität der Realität nicht eindeutig belegen, allerdings sprechen die Erfahrungen der letzten beiden Jahrzehnte eher für die keynesianische Sichtweise. In der Finanzkrise von 2007 bis 2010 zeigte sich erstmals wieder nach dem zweiten Weltkrieg unübersehbar die Instabilität des marktwirtschaftlichen Systems. Damals drohte aufgrund der Finanzkrise in den USA die gesamte Weltwirtschaft in den Abgrund zu stürzen. Expansive Finanzpolitik über Konjunktur- und Investitionsprogramme sowie in Deutschland das Instrument der Kurzarbeit trugen schnell zur Stabilisierung bei – und schon 2010 war die Krise in vielen Staaten wieder beendet. Auch in der Coronapandemie zeigte sich, wie entschlossenes finanzpolitisches Handeln die Krisenfolgen abfedern und Massenarbeitslosigkeit verhindern kann.

Ganz anders lief es in der Eurokrise von 2010 bis 2015, als viele Euroländer – vornehmlich in Südeuropa – von EU-Institutionen wie der EZB und der EU-Kommission unter maßgeblicher Beteiligung der deutschen Bundesregierung in eine krisenverschärfende Kürzungspolitik getrieben wurden. Das Resultat war eine Krise gewaltigen Ausmaßes, Massenarbeitslosigkeit, vielfach soziales Elend und politische Polarisierung.

In Deutschland schließlich zeigt sich, wie eine marktliberale Ordnungspolitik, die die Senkung der Staatsverschuldung durch die Politik der „Schwarzen Null“ zur obersten Priorität erklärt hat, zur Vernachlässigung und zum Verfall der Infrastruktur führte, unter der heute das ganze Land leidet.

Weitere Meinungen zur Debatte

Markt vor Staat

Spielregeln des Wettbewerbs festlegen

verfasst von Achim Truger

Der Staat sollte die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens setzen und öffentliche Güter bereitstellen. In allem übrigen ist der Markt dem Staat weit überlegen, so die Ökonomin Sarah Necker.

Gesamten Artikel lesen

Prof. Dr. Achim Truger ist Professor für Sozioökonomie mit Schwerpunkt Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen. Seit 2019 ist er Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.