Freitag frei? Vier Tage im Job, drei Tage frei. Das klingt wie der Traum vieler Arbeiter. Ein Tag mehr Zeit für Kinder, Freizeit, Pflege von Angehörigen, Hobbys, ehrenamtliche Arbeit, Sport, Hausarbeit. Laut einer Umfrage von Forsa wünschen sich sieben von zehn Deutschen ein Recht auf eine Vier-Tage-Woche. Knapp die Hälfte der Arbeitgeber könnte sich vorstellen, das in ihrem Unternehmen auszuprobieren.
Auch Betriebe profitieren
Dass eine Vier-Tage-Woche mehr Freiheit für Arbeitnehmer bringt, ist offensichtlich. Geht die Vier-Tage-Woche mit einer kürzeren Wochenarbeitszeit einher, kommen wirtschaftliche Vorteile dazu: Die Beschäftigten bleiben gesünder. Ein zusätzlicher Tag Erholung verbessert die Regeneration, senkt den Stress. Die Menschen kommen montags ausgeruhter zurück. Das schlägt sich in den Statistiken nieder: Krankenstände werden seltener, Fehlzeiten weniger. Die Zahl der Arbeitnehmer im Burn-out sinkt.
Betriebe mit kürzeren Arbeitszeiten haben Vorteile im Wettbewerb um Fachkräfte. Jobs mit der Möglichkeit zur Vier-Tage-Woche sind attraktiver für Bewerber, Stellen lassen sich rascher besetzen. Eine österreichische Internet-Marketing Agentur verzehnfachte mit einer 30-Stunden-Woche die Bewerberzahl. Die Personalfluktuation sank, die Mitarbeiter blieben beim Unternehmen.
Viele Menschen wollen einen Teil ihres Wohlstandes nicht in Form von mehr Konsum in Anspruch nehmen, sondern weniger arbeiten. Und die wirtschaftlich wohlhabendsten Länder schaffen es, die Arbeitszeit am stärksten zu senken. Deutschland hat aufs Jahr gerechnet eine der kürzesten Arbeitszeiten unter den 27 Ländern der Europäischen Union, die (ärmeren) Griechen und Rumänen die längsten.
Manche behaupten, eine kürzere Arbeitszeit bedeute automatisch, dass weniger produziert wird. Doch das ist nicht zwingend der Fall. Die Produktivität der Arbeitnehmer:innen in vielen Betrieben steigt zum Ausgleich – sie erledigen in kürzerer Zeit mehr. Wer für seinen Beruf Motivation braucht, geht mit mehr Elan an seine Aufgaben heran, bringt mehr Aufträge herein. Der Effekt ist unterschiedlich stark ausgeprägt je nach Branche und Beruf. Manches Unternehmen kann seinen Umsatz trotz der Arbeitszeitverkürzung zur Gänze halten. Die Betriebe organisieren sich neu. „Unnötige“ Arbeitszeit fällt weg. Stundenlange Besprechungen werden in einer E-Mail abgehandelt. Lange Kaffeepausen reduziert. Das Paradebeispiel dafür: Als Microsoft seinen Angestellten in Japan einen Tag frei gab, erhöhte sich die Arbeitsleistung nach Unternehmensangaben um 40 Prozent. Selbst Branchen mit vermeintlich wenig Chance auf eine höhere Produktivität erweisen sich als erstaunlich anpassungsfähig. Als nach Corona der Gastronomie die Arbeitskräfte fehlten, führte die Branche zusätzliche Ruhetage ein, verringerte aber leerstehende Tische durch mehr Reservierungspflicht.
International sind Pilotstudien für weniger Arbeitszeit inzwischen an der Tagesordnung. In Großbritannien führten beispielsweise 61 Betriebe eine Vier-Tage-Woche ein. Die allermeisten Betriebe blieben nach Ende des Experiments bei der kürzeren Arbeitszeit, auch weil sie ihren Umsatz und damit ihr Geschäft halten konnten. In Island fand – mit Fokus auf den öffentlichen Dienst – 2015 ein Pilotversuch mit jedem hundertsten Arbeitnehmer statt. Eine kürzere Wochenarbeitszeit, auf den Bedarf der Organisation abgestimmt. Das Experiment nahmen die Gewerkschaften zum Anlass, kürzere Arbeitszeiten zu verhandeln. Sechs Jahre später hatten 86 Prozent der Isländer ihre Arbeitszeit reduziert oder zumindest einen Anspruch darauf.
Mehr Gleichheit und Gerechtigkeit
Ungleich ist in fast allen Ländern die Verteilung der (bezahlten) Arbeit zwischen Mann und Frau. Männer arbeiten in Deutschland im Schnitt 37,3 Stunden in der Woche und damit eher Vollzeit, Frauen mit 30 Stunden öfter Teilzeit. Eine Fünf-Tage-Woche in Vollzeit für beide ist mit kleinen Kindern nur schwer zu stemmen. Selbst wenn man wollte: Es fehlt an Kita-Plätzen im Land.
Frauen zahlen dafür den vollen Preis: Sie leisten um 44 Prozent mehr unbezahlte Arbeit, und bekommen gleichzeitig ein niedrigeres Gehalt sowie später eine kleinere Rente. Eine kürzere Vollzeit im Rahmen einer Vier-Tage-Woche kann mehr Gleichheit erreichen: Die 35-Stunden-Woche im Frankreich der späten 1990er Jahre ermöglichte viele Frauen, ihre Arbeitszeit auf Vollzeit aufzustocken.
Auch für Deutschland zeigen die Wunscharbeitszeiten: Mütter und Neu- oder Wiedereinsteigerinnen möchten gerne mehr arbeiten, ebenso Menschen mit geringen Einkommen. Eine Arbeitszeitverkürzung würde die Unternehmen zwingen, stärker auf benachteiligte Gruppen zurückzugreifen. Das könnte die Ungleichheit der Einkommen im Land etwas senken. Gerade auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten hat eine Arbeitszeitverkürzung Potenzial. Sie kann die Arbeitslosigkeit verringern, weil sich die Arbeit in einem Betrieb auf mehr Beschäftigte aufteilt. Die Vier-Tage-Woche hilft zudem beim Klimaschutz. Weil der Arbeitsweg für einen Tag wegfällt, fahren weniger Autos. Das spanische Valencia etwa probierte die Vier-Tage-Woche aus: Ein Zehntel weniger Verkehr brachte bessere Luft und weniger CO2-Ausstoß.
Läuft nun alles auf die Vier-Tage-Woche zu? Nicht zwingend. Mit dem explodierenden Wohlstand der letzten 150 Jahre halbierte sich zwar die geleistete Wochenarbeitszeit pro Arbeitnehmer von knapp 70 Stunden im Jahr 1880 auf 2023 gut 35 Stunden. Doch die Geschichte der Arbeitszeitverkürzung war nie eine geradlinige. Sie ist ein Kampf zwischen der Arbeiterbewegung, etwa den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie, und den Industriellen und Unternehmensbesitzern. Konfrontiert mit Forderungen nach weniger Arbeitszeit malten Arbeitgeber schon immer den Teufel an die Wand, spannten etwa 1885 den damaligen Reichskanzler Bismarck ein: Der warnte vor weniger Arbeitszeit mit dem Argument, die Exportindustrie dürfe keinesfalls „konkurrenzunfähig mit dem Auslande“ werden. Ein Argument, dass man heute noch in Zeitungen liest. Eingetreten ist freilich stets das Gegenteil. Der Wohlstand wuchs, die Löhne stiegen, die Gewinne der Unternehmen sprudelten. Jeweils in Zeiten hohen Wirtschaftswachstum und niedriger Arbeitslosigkeit hatten die Gewerkschaften eine bessere Machtposition und damit den Trumpf in der Hand. Mit Streiks und Verhandlungen setzen sie niedrigere Arbeitszeiten durch. Rückschritte hin zu mehr Arbeitszeit gab es auch: während beider Weltkriege. Zuerst durch die kaiserliche Militärdiktatur, anschließend durch die Nationalsozialisten, die im Zweiten Weltkrieg die Arbeitszeit auf bis zu 70 Stunden in der Woche erhöhten.
Ab den 1950ern drückte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) aufs Tempo, forderte statt sechs nur fünf Tage Arbeit und setzte das bis in die 70er Jahre weitestgehend durch. Das Kampagnensujet des DGB 1956 war ein Foto eines kleinen Jungen mit dem Slogan „Samstags gehört Vati mir“. Die Forderung knapp 70 Jahre später hat sich weiterentwickelt. Nun ist es die 32-Stunden-Woche oder die Vier-Tage-Woche. Mit steigender Produktivität und steigendem Wohlstand lässt sich jedenfalls schrittweise eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit in den nächsten Jahren realisieren. Dann gehören „Vati“ und „Mutti“ vielleicht auch einmal am Freitag den Kindern.