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Spielregeln des Wettbewerbs festlegen | Debatte: Soll sich der Staat aus der Wirtschaft raushalten? | bpb.de

Debatte Debatte: Soll sich der Staat aus der Wirtschaft raushalten?

Markt vor Staat

Spielregeln des Wettbewerbs festlegen

Sarah Necker

/ 5 Minuten zu lesen

Der Staat sollte die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens setzen und öffentliche Güter bereitstellen. In allem übrigen ist der Markt dem Staat weit überlegen, so die Ökonomin Sarah Necker.

Blick auf ein Containerfeld im Hamburger Hafen. (© picture-alliance/dpa, Christian Charisius)

Die Frage, welche Rolle der Staat in der Wirtschaft übernehmen sollte, bildet den Kern eines seit langem geführten wirtschaftspolitischen Diskurses. Die ordoliberale Denkschule, die Anfang der 1930er Jahre an der Universität Freiburg entstand, unterscheidet dafür zwei grundlegende Formen von Wirtschaftspolitik: Interner Link: Ordnungspolitik und Prozesspolitik. Im Rahmen der Ordnungspolitik agiert der Staat als Veranstalter des Wettbewerbs und übernimmt die Rolle eines Schiedsrichters. Er legt die Spielregeln des Wirtschaftsprozesses fest und sorgt dafür, dass diese eingehalten werden, um einen fairen und stabilen Ablauf des Spiels zu gewährleisten. Anders verhält es sich bei der Prozesspolitik: Hier verlässt der Staat seine neutrale Rolle als Schiedsrichter und wird zum aktiven Mitspieler. Er greift gezielt in den Wirtschaftsprozess ein, um auf spezifische Entwicklungen oder Herausforderungen zu reagieren.

Vertreter des Ordoliberalismus propagieren, dass sich der Staat auf die Ordnungspolitik konzentrieren sollte. Walter Eucken, einer der prominentesten Vertreter, beschrieb prägnant, welche Rolle sich die Ordoliberalen für den Staat vorstellen: „Staatliche Planung der Formen – ja; staatliche Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses – nein.“ Im Zentrum der Aktivität des Staats soll die Herstellung und Durchsetzung von Wettbewerb stehen. Angebot und Nachfrage sollen sich frei finden, sodass Preise eine starke Signalfunktion haben. Sofern der Staat aktiv wird, sollen die Eingriffe marktkonform gestaltet sein. Nicht-marktkonform sind Eingriffe, die den Preismechanismus außer Kraft setzen, wie es zum Beispiel bei Höchst- oder Mindestpreisen der Fall ist.

Es gibt zwei zentrale Begründungen dafür, dass der Staat sich auf die Schaffung von Rahmenbedingungen konzentrieren sollte: das Wissensproblem und die Gefahr der Vereinnahmung des Staats durch Einzelinteressen.

Preissignale statt zentraler Steuerung

In einer Wirtschaft ist das relevante Wissen über Bedürfnisse, Ressourcen, Technologien und lokale Bedingungen auf unzählige Individuen und Unternehmen verteilt. So haben beispielsweise die Entscheider im Unternehmen detailliertes Wissen über Betriebsabläufe und können sich rasch an Veränderungen von Nachfrage, Wettbewerbsumfeld oder Technologien anpassen. Diese Dezentralität von Wissen macht es unmöglich, dass eine zentrale Planungsinstanz bessere Entscheidungen treffen kann als die Marktteilnehmer selbst.

In der Marktwirtschaft wird dieses dezentrale Wissen über Preise aggregiert. Preise fungieren als Informationssignale, die die Knappheit von Ressourcen sowie die Präferenzen und Bewertungen der Marktteilnehmer widerspiegeln. Durch die Preisbildung werden knappe Ressourcen dorthin gelenkt, wo sie den höchsten Nutzen erzielen. Preise dienen auch als Feedbackmechanismus. Änderungen in Angebot und Nachfrage führen zu Preisänderungen, die wiederum die Marktteilnehmer veranlassen, ihre Entscheidungen entsprechend anzupassen. Steigen beispielsweise die Preise für Endprodukte wie vegane Lebensmittel, signalisiert dies eine wachsende Nachfrage – für Unternehmen ist das ein Hinweis, das Angebot auszuweiten. Gleichzeitig können steigende Preise, etwa für Energie, ein Anreiz für Unternehmen und Privatpersonen sein, weniger Energie zu verbrauchen. Aufgrund der Informationsfunktion von Preisen ist die Marktkonformität von Eingriffen so wichtig. Sobald Preise durch staatliche Aktivität beeinflusst werden, können sie nicht mehr das dezentrale Wissen widerspiegeln.

Vereinnahmung durch Einzelinteressen?

Zweitens besteht die Gefahr, dass der Staat von Einzelinteressen vereinnahmt wird. Dieses Problem entsteht, wenn bestimmte Gruppen – etwa Unternehmen, Branchen, Gewerkschaften oder politische Akteure – versuchen, staatliche Maßnahmen zu ihren Gunsten zu beeinflussen, häufig auf Kosten des Allgemeinwohls. Beispiele sind die Errichtung von Marktzutrittsbarrieren, um Wettbewerber fernzuhalten, oder von Subventionen, die nicht aus volkswirtschaftlichen Gründen, sondern aufgrund politischer Einflussnahme gewährt werden. Durch die Bevorzugung einzelner Gruppen oder Unternehmen wird der freie Wettbewerb verzerrt. Das ist besonders problematisch, da einmal etablierte Maßnahmen oder Vorteile oft schwer rückgängig zu machen sind.

Der Vereinnahmung des Staats kann entgegengewirkt werden, wenn es klare Regeln gibt, die verhindern, dass Machtkonzentrationen entstehen oder bestehen bleiben. Beispiele sind Interner Link: Wettbewerbs- und Kartellgesetze, die Marktmacht begrenzen und für einen fairen Wettbewerb sorgen sollen. Auch auf staatlicher Seite ist dafür zu sorgen, dass es keine Ballung von Macht gibt. Föderale Systeme verteilen politische Macht auf mehrere Ebenen (Bund, Länder, Kommunen), was der Konzentration von Macht in einer zentralen Instanz begegnet.

Dabei soll der Staat keinesfalls nur ein Interner Link: Nachtwächterstaat sein. Er greift ein, wenn der freie Markt nicht in der Lage ist, eine effiziente und sozial wünschenswerte Verteilung von Ressourcen herzustellen. So kommt dem Staat eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung öffentlicher Güter wie Sicherheit oder Verteidigung zu, da diese Güter typischerweise sonst nicht oder nicht ausreichend angeboten würden. Dies hat zwei Gründe: Einerseits kommen diese Güter allen Bürgerinnen und Bürgern zu Gute. Wenn beispielsweise ein Land in Verteidigung investiert, kann im Verteidigungsfall keiner von dem Nutzen daraus ausgeschlossen werden, auch wenn er oder sie sich nicht an der Finanzierung des Gutes beteiligt. Andererseits können bei öffentlichen Gütern mehrere Menschen davon profitieren, ohne sich gegenseitig im Verbrauch zu behindern. Wenn ein Land ein funktionierendes Verteidigungssystem hat, schützt dieses das gesamte Staatsgebiet und alle Bürger gleichzeitig – ohne dass der Schutz für einzelne Personen reduziert wird. Diese Bedingungen führen dazu, dass Verteidigung im freien Markt nicht effizient bereitgestellt würde, da der Anreiz zur freiwilligen Finanzierung fehlt. Auch externe Effekte wie Umweltverschmutzung rechtfertigen staatliches Handeln. Durch negative externe Effekte entstehen Dritten Kosten, die durch die Handlung eines anderen entstehen. Durch staatliche Maßnahmen können die externen Effekte internalisiert werden, sodass die sozialen Kosten und Nutzen in die Entscheidungsprozesse der Wirtschaftssubjekte einfließen. Wichtig ist, dass diese Aufgaben auf der niedrigsten kompetenten Ebene wahrgenommen werden (Interner Link: Subsidiaritätsprinzip). Was beispielsweise Kommunen erledigen können, sollten sie auch erledigen, und nicht das Land oder der Bund.

Marktkonformität und Subsidiarität

Auch sollte der Staat unter Beachtung der bereits genannten Kriterien Maßnahmen vornehmen, um soziale Teilhabe zu ermöglichen. Elemente der Sozialpolitik sollen dem Subsidiaritätsprinzip folgen und die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Menschen sich selbst helfen können. Daraus ergibt sich eine hohe Bedeutung für Interner Link: Chancengerechtigkeit, also der Herstellung gleicher Startchancen im Leistungswettbewerb durch gute Bildung. Sozialpolitische Eingriffe sollten marktkonform erfolgen, indem sie die Preisbildung möglichst nicht berühren. Dafür geeignet ist Einkommensumverteilung durch ein progressives Steuersystem, verbunden mit staatlichen Transfers für wirklich Bedürftige.

Die Prinzipien des Ordoliberalismus – wie Marktkonformität und Subsidiarität – sind auch heute relevant und bieten Orientierung bei der Lösung der aktuellen Herausforderung, wie der Bekämpfung des Klimawandels, der Digitalisierung oder des demographischen Wandels. Beispielsweise ist CO2-Bepreisung als marktkonformes Instrument zentral zur Reduktion von CO2-Emissionen. In der digitalen Wirtschaft besteht eine hohe Gefahr der Marktkonzentration, die es aufzulösen gilt. Wichtig ist, dass die Prinzipien nicht starr angewendet werden. Vor dem Hintergrund des Gedankens, dass die Wirtschaft für die Menschen da ist, und nicht umgekehrt, soll im Rahmen des Konzepts ein sinnvoller Ausgleich zwischen persönlicher Freiheit, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sicherung und Wachstum angestrebt werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Tübingen 1990.

  2. Vgl. Wilhelm Röpke, Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart, Erlenbach-Zürich 1942.

  3. Vgl. Arnold Müller-Armack, Das gesellschaftspolitische Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 3/1962, S. 7-28.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autor/-in: Sarah Necker für bpb.de

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Prof. Dr. Sarah Necker ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Leiterin des Ludwig Erhard ifo Zentrums für Soziale Marktwirtschaft und Institutionenökonomik in Fürth.