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Gehorsam und Gewissen | Kirche in Deutschland | bpb.de

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Gehorsam und Gewissen Eine erste Bilanz des Synodalen Wegs

Daniel Deckers

/ 17 Minuten zu lesen

Mit dem Verständigungsprozess des „Synodalen Wegs“ der katholischen Kirche sind unterschiedliche Reformvorhaben, Forderungen, Konflikte und Kompetenzfragen verbunden, die über Deutschland hinausgehen.

An die Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) des Jahres 1999 erinnerte sich Reinhard Marx nur ungern. "Nie wieder Lingen" – auf diese Formel hatte der damals 45 Jahre alte Geistliche das absehbare Ende des Streits unter den Bischöfen über Ausstieg oder Verbleib der katholischen Kirche in der gesetzlichen Schwangerschaftskonfliktberatung gebracht. Was war geschehen?

In dem emsländischen Ort hatten sich die nach außen hin gerne geschlossen auftretenden Bischöfe so heftig gestritten wie noch nie. Eine Minderheit um den Kölner Kardinal Joachim Meisner und Erzbischof Johannes Dyba aus Fulda sahen die Zeit gekommen, den wiederholten Aufforderungen von Papst Johannes Paul II. und seinem Spiritus Rector Joseph Kardinal Ratzinger Folge zu leisten. Fortan sollten in kirchlichen Einrichtungen keine Bescheinigungen über eine Schwangerschaftskonfliktberatung mehr ausgestellt werden. Die Mehrheit unter Führung des Vorsitzenden der DBK, des Mainzer Bischofs Karl Lehmann, ahnte, dass sich die Geduld des Papstes und seiner Entourage mit den renitenten Bischöfen in Deutschland dem Ende zuneigte.

Drei Jahre lang hatten Lehmann und seine Mitstreiter schriftlich und mündlich alle möglichen Argumente zugunsten eines Verbleibs vorgebracht, allen voran, dass mehrere tausend Frauen im Jahr trotz eines "Scheins", der seit 1996 eine der Bedingungen für eine "rechtswidrige, aber straffreie" Abtreibung war, nachweislich von einer Abtreibung Abstand nähmen. In Rom wurden die Bischöfe behandelt wie Schuljungen, wenn man ihnen überhaupt zuhörte. Denjenigen hingegen standen alle Türen offen, die den Konflikt unter den deutschen Bischöfen in den Vatikan getragen hatten und sich als Kämpfer gegen eine "Kultur des Todes" des päpstlichen Wohlwollens sicher sein konnten.

Wenige Monate nach der Frühjahrs-Vollversammlung 1999 verfügte der Papst das Ende der Mitwirkung der katholischen Kirche in der gesetzlichen Schwangerschaftskonfliktberatung. Alle Bischöfe gehorchten, die einen sofort, die anderen früher oder später. Ihr Gewissen zählte nichts mehr, Papsttreue stand am Ende über allem.

Es schlug die Stunde der Laien. Aus der Mitte des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) heraus wurde unter seinem aus der DDR stammenden Präsidenten Hans-Joachim Meyer im Herbst 1999 Donum vitae gegründet. Als katholisch geprägte, aber kirchlich nicht anerkannte Organisation arbeitet sie bis heute nach dem Beratungskonzept, das das Bundesverfassungsgericht auch unter dem Einfluss der katholischen Kirche entwickelt hatte. Von kirchenspalterischen Tendenzen war damals die Rede, auch fehlte es nicht an Stimmen aus der "Weltkirche", die die deutschen Katholiken des Verrats an Werten wie dem Lebensschutz und der Papsttreue bezichtigten.

Nach dem Tod von Johannes Paul II. trat der Streit über die Konfliktberatung und die angebliche Staatshörigkeit der deutschen Katholiken allmählich in den Hintergrund. Doch noch unter Papst Benedikt XVI. (2005–2013), einst Joseph Kardinal Ratzinger, stieg keiner der Weihbischöfe zum Ortsbischof auf, der für den Verbleib in der Konfliktberatung eingetreten war. Marx, der 1999 aufseiten des Papstes gestanden hatte und für den Ausstieg gewesen war, wurde 2001 Bischof von Trier und sechs Jahre später Erzbischof von München und Freising.

Sexueller Missbrauch als Auslöser

Nie wieder Lingen? Zwanzig Jahre nach dem ungewohnt offenen Streit waren die annähernd siebzig katholischen Diözesan- und Weihbischöfe aus den 27 (Erz-)Bistümern abermals im Emsland zu Gast – und wieder sollte es hoch hergehen. Ein halbes Jahr zuvor hatten Wissenschaftler aus Mannheim, Heidelberg und Gießen die nach den Anfangsbuchstaben der drei Universitätsstädte benannte MHG-Studie über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland veröffentlicht. Die Bischöfe selbst hatten sie in Auftrag gegeben, wie die US-amerikanischen viele Jahre zuvor beim John Jay College of Criminal Justice. Und wie in den Vereinigten Staaten, aber auch in dem von Missbrauchsenthüllungen unvorstellbaren Ausmaßes geschockten Irland, warf auch die MHG-Studie einen düsteren Schatten auf die Reputation der katholischen Kirche in Deutschland.

Die Bischöfe mussten sich nicht länger nur ihre sattsam bekannte "moralische Lethargie" im Umgang mit Tätern und Betroffenen nachsagen lassen. Die Analyse tausender Personalakten hatte darüber hinaus zu erkennen gegeben, dass es in der Verfassung der Kirche angelegte, mithin systemische Ursachen dafür gab, dass Geistliche zu Tätern werden konnten. Derweil ging den Bischöfen und ihren leitenden Mitarbeitern, darunter nicht wenigen Laien, der Schutz der Institution trotzdem über alles.

Doch welche Konsequenzen ziehen? Selbst nach den Enthüllungen über sexuelle Gewalt am renommierten Canisius-Kolleg der Jesuiten in Berlin hatte 2010 nicht die Stunde der Laien geschlagen. Für das ZdK unter Führung von Unionspolitikern wie Hans-Joachim Meyer (1997–2009), Alois Glück (2009–2015) und Thomas Sternberg (2015–2021) war sexuelle Gewalt in der Kirche kein Thema. Sich selbst als Teil der Institution Kirche zu sehen, in der Missbrauch auch in den im ZdK repräsentierten Sozial- und Jugendverbänden, im Bereich der Caritas oder der Geistlichen Gemeinschaften vorkommen könne, kam damals nur wenigen Mitgliedern des Zentralkomitees in den Sinn. Ebenso wenigen dämmerte es bis 2018, dass die Begünstigung von sexuellem Missbrauch in den kirchlichen Machtstrukturen selbst angelegt sein könnte und man schon deswegen auf Veränderungen dringen müsse, vor allem auf das Aufbrechen der männerbündischen Mentalitäten durch die Öffnung des Weiheamtes für Frauen.

Andere Gründe für Reformen gab es für das ZdK zuhauf. Hatte der Vatikan im Verein mit der Bischofskonferenz nicht viele Voten der "Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland" in Würzburg (1972–1975) ignoriert, allen voran die Forderungen, das Amt des Diakons für Frauen zu öffnen und verheiratete Männer zu Priestern zu weihen? Hatte das ZdK seit den neunziger Jahren nicht immer wieder darauf gedrungen, auch andere Getaufte als nur Kleriker an der Bestellung der Bischöfe mitwirken zu lassen? Das schikanöse kirchliche Arbeitsrecht zu reformieren? Und war es nicht höchste Zeit, die Stigmatisierung von Lebensformen zu beenden, die mit den Maßgaben der lehramtlichen Biopolitik nicht zu vereinbaren waren?

An Themen wie diesen hatte sich das ZdK über Jahrzehnte mehr oder weniger erfolglos abgearbeitet. Die Bischöfe gaben sich gerne machtlos, was mit den innerkirchlichen Machtverhältnissen während des langen Pontifikates von Johannes Paul II. (1978–2005) und seines Nachfolgers Benedikt XVI. erklärt wurde. Doch das vermeintliche "Nicht-Können" war nicht selten eine Maskierung für das "Nicht-Wollen". Niemand hätte einen Bischof daran hindern können, mit der Etablierung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit für ein Minimum an Rechtskultur in der Kirche zu sorgen. Doch das Wohlwollen auch der gemeinhin als "liberal" titulierten Bischöfe kam umso häufiger an seine Grenzen, je mehr sich das ZdK gerierte wie ein kirchlicher Gesamtbetriebsrat. Das entsprach insofern der Realität, als die Mehrheit der Mitglieder des Zentralkomitees, das im Revolutionsjahr 1848 mit dem Ziel gegründet worden war, Politik und Gesellschaft mit dem christlichen Ethos zu durchdringen, mittlerweile aus kirchlich besoldeten Laien bestand und nach wie vor besteht.

Auftakt zum Synodalen Weg

Nun aber kam nicht nur die MHG-Studie, sondern im Februar 2019 "wieder Lingen": Nach mehreren Phasen ergebnislosen Beratens führte der anscheinend vom Saulus zum Paulus gewandelte Reinhard Kardinal Marx, der seit 2014 Vorsitzender der DBK war, wenige Minuten vor Ende der Frühjahrs-Vollversammlung handstreichartig einen Beschluss herbei, wonach die Bischöfe gemeinsam mit dem ZdK über Reformen beraten sollten. Die Laien ließen sich nicht lange bitten. Da aber bald auch alle kirchlichen Berufsgruppen ein Mitspracherecht reklamierten, wurde aus dem "Synodalen Weg", wie das Projekt bald getauft wurde, eine Art Ständeversammlung mit weit mehr als 200 Mitgliedern. Nur Missbrauchsbetroffene waren nicht eingeladen. An sie hatten Bischöfe und Laien zu diesem Zeitpunkt nicht gedacht.

Im Frühjahr 2019 nahmen vier "Vorbereitungsforen" zu den Themenfeldern "Macht, Partizipation, Gewaltenteilung", "Sexualmoral", "Priesterliche Lebensform" sowie "Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche" die Arbeit auf. Geleitet wurden sie paritätisch von je einem Mitglied der Bischofskonferenz und des ZdK, den Ton setzten indes kleine, gut organisierte Gruppen von Theologieprofessoren. Im Herbst 2019 wurden inhaltliche Konturen und der Zeitplan des Reformprojektes vorgelegt, Bischofskonferenz und ZdK stimmten zu.

Ein Gutteil der Diözesanbischöfe schwankte zwischen Wohlwollen und Skepsis, eine Minderheit, darunter nicht wenige Weihbischöfe, gab sich misstrauisch bis offen ablehnend. Damit gestaltete sich die Stimmungslage wie seit Jahren üblich – allerdings mit dem Unterschied, dass viele Themen auf der Agenda standen, bei denen die Bischofskonferenz keine eigenen Entscheidungskompetenzen hatte. Wie also auf einem Feld agieren, das durch Festlegungen im Katechismus, durch Einlassungen von Päpsten und nicht zuletzt durch das weltweit geltende Kirchenrecht derart vermint war, dass Themen wie Frauenordination oder Homosexualität über Jahrzehnte einer Todeszone glichen? Konflikte mit dem Vatikan, aber auch mit vielen anderen der schon immer konservativen Bischofskonferenzen, etwa in den Vereinigten Staaten, waren somit vorprogrammiert. Die wenigen Kirchenrechtler, die das Projekt nicht von vorneherein stillschweigend abschrieben oder als "Potemkinsches Synodal-Dorf" geißelten, boten eine Lösung an: Anstatt sich auf das aussichtslose Unterfangen einzulassen und das 1983 in Kraft gesetzte universalkirchliche Rechtsbuch in entscheidenden Teilen neu zu fassen, sollten sich die Bischöfe kollektiv verpflichten, die ihnen aufgrund "göttlichen Rechts" zustehenden autokratischen Kompetenzen an mehr oder weniger demokratisch legitimierte Gremien zu delegieren und sich an deren Beschlüsse zu halten.

Diesem Ansatz, so schien es schon zu Beginn der ersten Vollversammlung des Synodalen Wegs Anfang Februar 2020 in Frankfurt am Main, wollten viele Ortsbischöfe folgen, aber nicht alle. Das tat der guten Stimmung keinen Abbruch. In den beengten Räumlichkeiten des ehemaligen Dominikanerklosters saßen die weit mehr als zweihundert Synodalen wie einst in Würzburg in den siebziger Jahren alphabetisch gereiht. Bei so viel ungewohnter körperlicher Nähe war denn auch schnell vergessen, dass die Vorbereitungsphase entgegen dem in der Öffentlichkeit sorgsam gepflegten Bild unter keinem guten Stern gestanden hatte. Die Amtszeiten sowohl des langjährigen DBK-Sekretärs, Hans Langendörfer SJ, als auch seines Gegenübers im ZdK, Stefan Vesper, waren abgelaufen. Für beide waren Nachfolger nicht in Sicht. Somit war auch niemand da, der sich für den Erfolg oder Misserfolg des Projekts hätte verbürgen und für ein Maximum an prozeduraler Rationalität und organisatorischer Professionalität hätte sorgen müssen. Marx, der Initiator des Synodalen Wegs, war von seinen multiplen Funktionen als Erzbischof und Vorsitzender der Bischofskonferenz sowie als Mitglied des päpstlichen K-9-Beratungsgremiums und als Chefaufseher der Vatikanfinanzen absorbiert. Er hatte weder die Autorität noch hielt er es für das Gelingen des Reformprojektes für notwendig, unter den unwilligen "Mitbrüdern", die sich um den Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki scharten, zu werben. Auch im Vatikan war es um das Ansehen des teutonisch-robust auftretenden Kardinals nicht zum Besten bestellt.

Kritik aus dem Vatikan

Bewusste Missverständnisse und notorisch böswillige Interpretationen, wie sie im Vatikan gegenüber fast allem, was aus Deutschland kam, Tradition hatten, waren daher von Beginn an die Begleitmusik des Synodalen Wegs. Trotzdem hielt es die Bischofskonferenz nicht für nötig, die Spielräume ihrer oftmals deutschen Widersacher in der Kurie durch intensive und verbindliche Kommunikation so eng wie möglich zu machen. Als überflüssig galt auch die strukturelle Einbindung der Kirchen aus den west- und osteuropäischen Nachbarländern. Die Strategen des Weges hielten es scheinbar für ausreichend, "Beobachter" zu den Sitzungen einzuladen, damit sie als Zaungäste einem Geschehen beiwohnen konnten, mit dem die Deutschen Geschichte schreiben wollten.

Was Papst Franziskus von dem unkonventionellen Arrangement hielt, zeigte sich schon im Frühsommer 2019: nichts. Der sich gerne unkonventionell gebende Argentinier schrieb dem (katholischen) "pilgernden Volk Gottes" hierzulande einen Brief. Die darin enthaltene Mahnung, sich vor Ort bitte schön der "Evangelisierung" anzunehmen, war aber nicht nur ein Echo einer Minderheit der Bischöfe, die diesem Thema ein eigenes, fünftes Synodalforum widmen wollten. Der Papst, der große Teile der kirchlichen und weltlichen Öffentlichkeit mit hypermoralischen Tiraden gegen Kapitalismus und Klerikalismus für sich eingenommen hatte, verstand keinen Spaß, wenn sich Laien und Bischöfe in Deutschland verbündeten, um auf eigene Faust den unchristlichen Ausgeburten ebenjenes Klerikalismus zu Leibe zu rücken.

Im Verein mit den Laien gab sich die Mehrheit der Bischöfe unbeeindruckt. In wohlgesetzten Worten ließ man den Papst schriftlich wissen, er habe das Anliegen nicht richtig verstanden. Würde man sich für die von ihm doch so geschätzte Evangelisierung nicht gerade dadurch einsetzen, indem man die lebens- und glaubensfeindlichen Strukturen und Mentalitäten in der katholischen Kirche beseitigte?

Doch wie lange würde der Widerstand durchzuhalten sein? Und würden, wenn es wieder hart auf hart käme, nicht wieder viele Bischöfe den Gehorsam über ihr Gewissen obsiegen lassen?

Der Kölner Kardinal Woelki eröffnete derweil eine andere Kampfzone. Noch bevor die erste Synodalversammlung zu Ende ging, wähnte sich der Rheinländer in einem "quasi protestantischen Kirchenparlament". Woelki konnte bei seiner implizit auch anti-ökumenischen Tirade nicht nur den päpstlichen Botschafter Nikola Eterović in Berlin auf seiner Seite wissen. 2021 ätzte der Papst höchstselbst: "In Deutschland gibt es eine sehr gute evangelische Kirche. Wir brauchen nicht zwei davon." Und weil er Woelki wohl bis zum Ende als Stachel im Fleisch des Synodalen Wegs brauchte, musste dieser für sein verheerendes Agieren im Zuge der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln keine ernsthaften Konsequenzen seitens des Vatikans fürchten.

Apropos protestantisch: Keine andere Kirche in Europa verfügt im Guten wie im Schlechten über so viel Erfahrung mit synodalen Strukturen wie die protestantische. Aber sich dieses Wissen etwa über Prozessdynamiken oder einen fairen Umgang mit Minderheiten in ökumenischer Verbundenheit anzueignen, hielten die Wortführer des Synodalen Wegs nicht für notwendig. Ebenso wenig waren die Vordenker des Reformprojektes dafür zu gewinnen, der ebenso legitimen wie unvermeidlichen Meinungsvielfalt unter den Synodalen durch die Möglichkeit differenzierter Zustimmung beziehungsweise Ablehnung einzelner Reformprojekte Rechnung zu tragen. Eine andere Methode als "Ganz oder gar nicht" hätte es einer Minderheit aus Bischöfen und Laien schwerer gemacht, sich als Opfer einer robust agierenden Mehrheit zu fühlen, die sich auf der einzig richtigen Seite der Geschichte wähnte.

Forderungen und Konflikte

Eine grundstürzende Reform leitete die DBK derweil im Schatten des mit großem medialem Interesse bedachten Synodalen Wegs in die Wege: Das kirchliche Arbeitsrecht wurde im November 2021 vom Kopf auf die Füße gestellt. Nach der neuen "Grundordnung des kirchlichen Dienstes", die von allen Diözesanbischöfen in Kraft gesetzt wurde, soll nicht mehr die persönliche Lebensführung in Übereinstimmung mit den biopolitischen Vorgaben der Kirche bei der Einstellung oder dem Verbleib der rund 800000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Raum der Kirche und ihrer Caritas den Ausschlag geben. Die "Katholizität" einer Schule, eines Kindergartens oder eines Krankenhauses soll sich künftig vielmehr an deren christlichem Profil erweisen.

Diese Umkehr der "katholischen" Beweislast hin zu einem "institutionenorientierten" Ansatz hatte sich seit einigen Jahren abgezeichnet. Doch wie viel Leid die Kirche bis zuletzt in Kauf genommen hatte, wurde in der Aktion "Out in Church" deutlich. Mehrere hundert hauptamtliche, ehemalige und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche in Deutschland gaben sich Anfang 2022 öffentlich als homosexuell oder auf andere Weise als nicht-heterosexuell zu erkennen. Von der großen Mehrheit der Mitglieder des Synodalen Wegs wurde diese Initiative enthusiastisch begrüßt.

Auf dem Synodalen Weg schon früher sichtbar geworden waren indes die Betroffenen von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Drei Sprecher des 2020 von der Bischofskonferenz eingerichteten Betroffenenbeirates erhielten zwar keinen Sitz mit Stimmrecht. Ihre Präsenz wie ihre Wortmeldungen verliehen den Reformen gleichwohl je länger, desto mehr jene Legitimation, auf die man anfangs glaubte verzichten zu können.

Auf dem Weg verloren gegangen waren derweil indes nicht wenige andere Schrittmacher des Verständigungsprozesses. Kardinal Marx hatte sich 2020 angesichts ungewisser Aussichten auf eine Wiederwahl nach nur einer Amtszeit nicht wieder als Vorsitzender der Bischofskonferenz zur Verfügung gestellt. Seine Stelle im Präsidium des Synodalen Wegs nahm sein Nachfolger an der Spitze der DBK, der Limburger Bischof Georg Bätzing, ein. Thomas Sternberg hatte derweil das Amt des Präsidenten des ZdK mit dem der Kunststiftung NRW getauscht. An die Stelle des vormaligen CDU-Landespolitikers trat im November 2021 die pensionierte Caritas-Führungskraft Irme Stetter-Karp aus dem Bistum Rottenburg-Stuttgart.

Trotzdem: Der Korb mit den Früchten des Reformprojektes, den die beiden gleichberechtigten Präsidenten im Februar 2023 präsentierten, war so voll, wie es 2019 kaum jemand zu hoffen gewagt hatte – zu groß war damals die Ungewissheit, ob die Mehrheit der Bischöfe diesmal bereit wäre, ihr Gewissen über den Gehorsam zu stellen. Anders als im Konflikt über die Schwangerenberatung waren die meisten auch dann standhaft geblieben, als der Druck seitens des Papstes und seiner Gefolgsleute fast übermächtig wurde.

Seit dem ersten Brief des Papstes vom Juni 2019 hatte sich der Strom an direkten und indirekten Warnungen vor einem deutschen "Sonderweg" und einem Zerwürfnis mit der "Weltkirche" stetig verstärkt. Kardinäle und Bischöfe aus nahezu allen Kontinenten glaubten zu wissen, dass die Deutschen auf dem Weg seien, die Kirche zu spalten. Selbst ganze Bischofskonferenzen wie die "Nordische" polemisierten gegen die DBK.

Fruchtlos geblieben waren auch alle Bemühungen, die Protagonisten des Synodalen Wegs einschließlich der Mehrheit der deutschen Bischöfe mithilfe römischer Interventionen von ihrem "Irrweg" als angebliche Geisterfahrer der Weltkirche abzubringen. Die Ankündigung einer "Weltsynode" über das Thema Synodalität, mit der Papst Franziskus Freund wie Feind im Oktober 2021 überraschte, war der letzte Versuch, die Deutschen zu stoppen und gleichzeitig jeden weiteren Versuch im Keim zu ersticken, in einer Ortskirche ähnliche Wege zu bestreiten. Die Vorkämpfer der "deutschen Synode" drehten ein weiteres Mal den Spieß um und erklärten sich ihrerseits zur Speerspitze von Synodalität in der Kirche.

Lässt man die Enthaltungen außen vor, wurde mit Zweidrittelmehrheit die Einrichtung eines Synodalen Rates ab 2026 samt eines vorbereitenden Synodalen Ausschusses ab November 2023 beschlossen, der "als Beratungs- und Beschlussorgan über wesentliche Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft" beraten soll – und damit – entgegen anderslautenden Beteuerungen – die DBK wie auch das ZdK in ihrer bisherigen Form überflüssig machen dürfte.

Auch sollen die Gläubigen künftig "an den Prozessen zur Bestellung des Diözesanbischofs adäquat beteiligt" werden – an der Bestellung der Weihbischöfe offenkundig aber nicht. Dass diese geplante "Musterordnung" kirchliches Recht bricht und staatskirchenrechtliche Verträge berührt, wurde in dem Beschluss souverän ignoriert. Über den Zölibat der Diözesanpriester heißt es, der Papst solle die Verbindung von Zulassung zur Weihe und Verpflichtung zur Ehelosigkeit durch die Weltsynode prüfen lassen. Vorab soll der Papst die Weihe von bewährten (verheirateten) Männern erlauben.

Die Forderung nach einer Zulassung von Frauen zum Priesteramt war nur implizit erhoben worden – als ausdrückliches Votum hätte sie wohl die erforderliche Mehrheit verfehlt. Allerdings sollen sich die deutschen Bischöfe dafür einsetzen, dass Frauen in allen Teilkirchen, die dies wünschen, zum Diakonat zugelassen werden. Gleichfalls dem Papst vorgelegt werden soll eine sogenannte Partikularnorm, die es Laien und damit auch Frauen erlaubt, in der Eucharistiefeier zu predigen. Unabhängig vom Willen des Papstes sollen "zeitnah" Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare und wiederverheiratete Geschiedene eingeführt werden. Dem Papst wiederum empfohlen wird, eine "Neubewertung und Präzisierung von Homosexualität" sowie Bisexualität als "Variante sexueller Präferenzstrukturen von Menschen" vorzunehmen, wie es in einer im Juli 2023 verbreiteten Zusammenfassung der Ergebnisse des Synodalen Wegs heißt.

Wie verhärtet die Fronten zwischen dem Vatikan und den als "deutsche Christen" (so eine auf den Nationalsozialismus abhebende Anspielung des Schweizer Kurienkardinals Kurt Koch) perhorreszierten Bischöfen waren, zeigte sich beim turnusmäßigen Rapport der DBK im November 2022 in Rom. Ein "Gespräch", in dem mehrere Kurienkardinäle die Beschlüsse des Synodalen Wegs als im Wesentlichen unvereinbar mit der Lehre und dem Recht der Kirche erklärten, mündete in eine derart vehemente Verteidigung des Projektes, dass der Papst zu einem am darauffolgenden Tag angesetzten Treffen mit der DBK nicht erschien.

Wenige Woche später ließ Franziskus den Bischöfen in Deutschland verbieten, einen Synodalen Rat einzurichten. Wiederum fühlte sich die Mehrheit nicht zu Gehorsam verpflichtet. Sie ließ sich auch nicht aus dem Konzept bringen, als vier der Bischöfe sich Ende Juni 2023 weigerten, Mittel für die Finanzierung des mehr als siebzig (!) Mitglieder zählenden Synodalen Ausschusses bereitzustellen.

Ungewisse Perspektiven

Wie lange die "Koalition der Willigen" Bestand hat, wird sich weisen. Bei der anstehenden Neubesetzung mehrerer wichtiger Bischofsstühle dürfte der Papst wie weiland seine Vorgänger nach dem Konflikt über die Schwangerschaftskonfliktberatung versucht sein, Geistliche zu bevorzugen, die den Reformanliegen keine Sympathie entgegenbringen. Freilich ließe diese Strategie den Kreis der Kandidaten noch stärker schrumpfen. Der Bedarf an Persönlichkeiten, die auch nur formal für Leitungsaufgaben qualifiziert wären, ist in der katholischen Kirche auf allen Ebenen längst größer als das Angebot.

Den Protagonisten des Synodalen Wegs müssten noch andere Entwicklungen zu denken geben. So hat das Reformprojekt die Entfremdung eines stetig wachsenden Teils der katholisch getauften Bürger in Deutschland von der Kirche nicht verlangsamt, geschweige denn gestoppt. Im Gegenteil: Im Jahr 2022 traten mehr als 522.000 Katholiken aus ihrer Kirche aus – im "Missbrauchs-Jahr" 2010 waren es "nur" 180.000 gewesen. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen und womöglich durch noch so viele innerkirchliche Reformen nicht mehr zu bremsen.

Zum Bild einer implodierenden Kirche gehört aber auch, dass man als Beobachter des Synodalen Wegs den Eindruck gewinnt, die Kirche bestehe zu fast hundert Prozent aus in Deutschland geborenen Männern und Frauen. Dabei haben in den Ballungsräumen, aber auch zunehmend im ländlichen Raum, mittlerweile mehr als ein Drittel der Katholiken einen Migrationshintergrund – je jünger, desto wahrscheinlicher. So verschieden dieser in Abhängigkeit von der Herkunft aus Mitteleuropa, aus Südeuropa, dem Balkan, aus Afrika oder Asien auch ist, so wenig sind die kulturellen und religiösen Einstellungen der katholisch geprägten Migranten mit denen der "altdeutschen" Funktionseliten identisch. Die beiden (!) Repräsentanten der "Katholiken anderer Muttersprache" in der Synodenvollversammlung machten darauf aufmerksam, dass die Reformemphase und Konfliktfreudigkeit des deutschen Mehrheitskatholizismus von den vielen konservativ geprägten Katholiken mit Migrationshintergrund nicht geteilt werden. Folgen für das Problembewusstsein der Protagonisten des Reformprojektes hatte dies indes nicht.

Entsprechend überrascht waren die deutschen Teilnehmer des "kontinentalen Vorbereitungstreffens" auf die Weltsynode, das im Februar 2023 Repräsentanten der Ortskirchen aus allen Teilen Europas in Prag zusammenführte. Mit ihren Reformwünschen stießen sie mehrheitlich auf zurückhaltende, wenn nicht schroff ablehnende Reaktionen. Entsprechend gedämpft sind denn auch die Erwartungen an die Weltsynode, die im Oktober 2023 eröffnet wird und zwölf Monate später mit einer weiteren Vollversammlung beendet werden soll. Würden die deutschen Beschlüsse den gut vierhundert Mitgliedern und Beobachtern aus aller Welt vorlegt, so fände wohl kaum einer eine Mehrheit, soweit er Fragen der Lehre und der Disziplin berührt.

Zwar treibt Kritik an den Zulassungsbedingungen zum Weiheamt, der Stellung der Frau in der Kirche und am Missbrauch von Macht nicht allein Katholiken in Deutschland um. Doch wie realistisch ist die Vorstellung, dasjenige umstandslos zur universalen, für etwa 1,4 Milliarden Katholiken weltweit geltenden Norm zu erheben, von dem sich die Mehrheit der Katholiken hierzulande eine neue Gestalt von Kirche erhofft? Der Hinweis auf die Nicht-Vermittelbarkeit von Anliegen wie denen des Synodalen Wegs in den Kirchen des Globalen Südens kann jedoch kein Argument sein, um Reformprojekte per se als illegitim zu bezeichnen. Vielmehr wäre zu fragen, wie es um die Glaubwürdigkeit einer Kirche bestellt ist, in der sich Laien, Bischöfe oder auch Päpste mit Geschlechter- und Machtverhältnissen in Gesellschaften arrangieren, die von patriarchalen und/oder tribalistischen Logiken dominiert werden. Noch sinnvoller wäre es aber, einen Lösungsvorschlag pro tempore zu skizzieren. Als Frage formuliert: Könnte die Spannung zwischen Diversität und Identität nicht so aufgelöst werden, dass man sich gemeinsam über einen common ground verständigt, also über das, was als unveräußerlicher Teil einer gemeinsamen Identität gelten muss? Und gleichzeitig den Kirchen in den verschiedenen Kulturräumen jenen Freiraum zugesteht, der für eine christliche Zeitgenossenschaft erforderlich ist?

ist verantwortlicher Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und assoziierter Wissenschaftler an der Hochschule Geisenheim University.
E-Mail Link: d.deckers@faz.de