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Leichte Sprache – Ein Schlüssel zu "Enthinderung" und Inklusion | Leichte und Einfache Sprache | bpb.de

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Leichte Sprache – Ein Schlüssel zu "Enthinderung" und Inklusion

Valentin Aichele

/ 17 Minuten zu lesen

Die inklusive Gesellschaft ist ein fernes Ziel. Mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, UN-BRK) hat Deutschland einen Schub in die richtige Richtung erhalten: Menschen mit Behinderungen sollen ihre Menschenrechte gleichberechtigt ausüben und die volle und wirksame Teilhabe in der Gesellschaft genießen. In Leichter Sprache lassen sich die Ziele der Konvention wie folgt zusammenfassen:

  • Frauen, Männer und Kinder mit Behinderungen dürfen nicht schlechter behandelt werden.

  • Sie haben die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen.

  • Überall auf der Welt.

  • Menschen mit Behinderungen sollen ihre Rechte nutzen.

  • Deshalb sollen sie selbst über ihr Leben bestimmen.

  • Deshalb sollen sie überall dabei sein.

  • Deshalb sollen Menschen mit Behinderungen die Unterstützung und Hilfe bekommen, die sie brauchen.

Der Staat hat sich zu geeigneten Schritten verpflichtet, die Rechte von Menschen mit Behinderungen einzuhalten, umzusetzen und den erforderlichen gesellschaftlichen Wandel zu organisieren. Auf dem Weg zur "enthinderten" und inklusiven Gesellschaft sind zahlreiche Barrieren abzubauen und mehr Möglichkeiten für echte gesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Bei der Enthinderung und Inklusion spielt auch Leichte Sprache eine wichtige Rolle. Zahlreiche Menschen, darunter auch Menschen mit Behinderungen, verstehen schwere Sprache nicht – ihnen kann Leichte Sprache wie ein Schlüssel die Tür zum Verständnis öffnen.

Leichte Sprache bezeichnet eine verständliche Sprache, die bestimmte Anforderungen erfüllt. Leichte Sprache gibt es in Wort und Schrift. Sie folgt bestimmten Regeln, nutzt einfache Worte und kurze Sätze. Bilder dienen als Unterstützung. Menschen mit Behinderungen prüfen diese Texte vor ihrer Veröffentlichung auf ihre Verständlichkeit. Leichte Sprache richtet sich nicht an eine gesellschaftlich abgrenzbare Gruppe, sondern an alle Menschen. Die Idee ist, die deutsche Sprache so zu verwenden, dass sie von allen besser verstanden wird. Texte in Leichter Sprache erfreuen sich allgemein wachsender Beliebtheit.

Für einige Personengruppen indes bietet Leichte Sprache entscheidende neue Möglichkeiten, um sich Zugänge zu gesellschaftlichen Bereichen zu verschaffen. Das gilt eben nicht nur für Menschen mit Behinderungen wie beispielsweise Menschen mit Lernschwierigkeiten, mit Lern- oder einer geistigen Behinderung, wie auch immer sie sich selbst bezeichnen mögen, sondern auch für Menschen mit eingeschränkten Deutschkenntnissen oder Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, ältere Menschen und Jugendliche. Auch manche gehörlose Menschen berichten von den großen Vorteilen, die Leichte Sprache für sie hat.

Leichte Sprache hat mit der UN-BRK Rückenwind erfahren. Doch die Grundlagen, auf denen heute Leichte Sprache weiterentwickelt wird, liegen zeitlich vor der Konvention und wurden von Menschen mit Lernschwierigkeiten vor über zehn Jahren selbst angestoßen. Über die Jahre hinweg hatten sie für die Verwendung und Verbreitung von Leichter Sprache geworben und dabei auf ihre Bedeutung für Selbstbestimmung und Inklusion verwiesen. Sie haben Regelwerke entwickelt und damit die Standardisierung der verständlichen Sprache hin zur Leichten Sprache vorangebracht. Ein wichtiger Baustein ist außerdem das vom Netzwerk Mensch Zuerst herausgegebene "Neue Wörterbuch für Leichte Sprache". Begleitend hat sich, ohne dass eine bestimmte Art von Illustrationen für Leichte Sprache erforderlich wäre, in den vergangenen Jahren eine relativ einheitliche Bebilderung für Texte in Leichter Sprache durchgesetzt.

Im Bundesgebiet haben sich im Anschluss an das erste "Büro für Leichte Sprache" der Lebenshilfe Bremen weitere Dienstleister etabliert. Diese bilden heute das "Netzwerk Leichte Sprache". Die Büros selbst sind auch Unternehmen, die Aufträge annehmen und schwere Texte in Leichte Sprache übertragen. Für diese Übertragung braucht es eine Spezialkompetenz, ähnlich der Übersetzungsleistung von einer Sprache in eine andere. Darüber hinaus bietet die "Versprachlichung der Welt" in Leichte Sprache Menschen mit Behinderungen Arbeit und Einkommen, da sie im Übertragungsprozess eine zentrale Rolle spielen. Einige der Unternehmen führen auch Schulungen und Trainings durch.

Schwere Sprache – eine Hürde im Alltag

Alle Menschen stoßen bei Sprache irgendwann an die Grenze von Verständnis und Verständigung. Es muss nicht gleich die Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant oder eine wissenschaftliche Abhandlung der Relativitätstheorie sein. Auch das alltägliche "Beamtendeutsch" gehört der schweren Sprache an und ist oftmals kaum verständlich: Wer hat es nicht schon erlebt, dass Formulare, die zum Beispiel Behördenvorgänge erläutern, sich einem nicht erschließen? Unklar bleibt, wohin man sich in solchen Fällen wenden kann.

In vielen Lebensbereichen müssen wir heute mit schwerer Sprache zurechtkommen. Dinge werden schwer gesagt und schwer geschrieben, obwohl sie auch leicht gesagt und leicht geschrieben werden könnten. Etwa bei der gesundheitlichen Aufklärung, wenn der Arzt oder die Ärztin komplizierte medizinische Begriffe benutzt, oder wenn uns der Beipackzettel eines Medikaments über Risiken und Nebenwirkungen im Unklaren lässt, weil wir den Text nicht verstehen. Gebrauchsanleitungen von Haushaltsgeräten sind häufig in Minimalgröße gedruckt und in vielen Fällen verwirrend. Texte aus der Wissenschaft oder Fachvorträge sind kompliziert und langatmig. Den Nachrichten des Tages zu folgen oder die überregionale Tageszeitung zu lesen, ermüdet – schon deshalb, weil Medienschaffende häufig viele Fremdwörter bemühen. Schwere Sprache ist also für viele Menschen eine nahezu unüberwindbare Hürde, Inhalte eines Textes zu verstehen. Das schränkt ihre Handlungsmöglichkeiten ohne Not ein. Leichte Sprache dagegen ist ein Ansatz, um diese Grenzen des Verständnisses von Informationen nicht künstlich eng zu halten, sondern auszuweiten und neue Zugänge zu erschließen.

Zugänge zu Information und barrierefreie Kommunikation

Die UN-BRK verpflichtet Deutschland, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten (Artikel 4). Dem Zugang zu Information und der barrierefreien Kommunikation kommt in der Konvention insgesamt ein großer Stellenwert zu. Gemeint ist damit, dass Information und Kommunikation die spezifischen Bedarfe von Menschen mit Behinderungen aufnehmen. Dazu gehört auch die Leichte Sprache.

Zu dieser allgemeinen Verpflichtungsebene treten spezifische staatliche Verpflichtungen hinzu. So haben auch Menschen mit Behinderungen das Recht, sich Informationen zu beschaffen, zu empfangen oder weiterzugeben (Artikel 21 UN-BRK). Das Recht auf Zugang betrifft insbesondere die für die Allgemeinheit bestimmten Informationen, die rechtzeitig und ohne zusätzliche Kosten in zugänglichen Formaten und Technologien für Menschen mit Behinderungen in ihrer Vielfalt zur Verfügung gestellt werden sollen. Im Umgang mit Behörden, so die Konvention weiter, sollen die von Menschen mit Behinderungen selbst gewählten Kommunikationsmittel akzeptiert und gefördert werden. Auch Massenmedien in privater Trägerschaft sollen durch den Staat dringend aufgefordert werden, ihre Informationen und Dienstleistungen in Formaten zur Verfügung zu stellen, die für Menschen mit Behinderungen zugänglich und nutzbar sind.

Die Konvention formuliert darüber hinaus die Verpflichtung, systematisch Barrieren abzubauen (Artikel 9). Das zugrunde liegende "Enthinderungs-Gebot" bezieht sich auf alle Lebensbereiche, wie bauliche Anlagen in Bezug auf Wohnen, Arbeit und Mobilität, aber auch ausdrücklich auf den Zugang zu Information und Kommunikation wie "zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit (…) offenstehen oder für sie bereitgestellt werden". Hierzu gehören auch Maßnahmen, die Barrieren zu sprachlich vermittelten Inhalten senken sowie Informationen in verständlicher Sprache verbreiten. Hier können viele Faktoren, wie überkomplexe und lange Satzkonstruktionen, Fremdwörter oder Wortschöpfungen, jenseits der schweren Sprache Zugänge verschließen, die insgesamt abgebaut werden sollen.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Das deutsche Recht bietet bislang nicht viele Regelungen für Leichte Sprache. Während es für private Akteure noch keine Vorgaben gibt, existieren für den staatlichen Bereich wenige, teils weiche Vorgaben. Hier finden sich einige Anknüpfungspunkte etwa im Regelungszusammenhang Barrierefreiheit. Behindertengleichstellungsgesetze in Bund und Ländern betreffen den Kontakt zwischen Menschen mit Behinderungen und Behörden. Diese buchstabieren Anforderungen an Barrierefreiheit in Bezug auf die Verwaltungspraxis aus.

Gesetzlich ist Leichte Sprache durch die enthaltenen Definitionen von Barrierefreiheit inhaltlich zufriedenstellend abgedeckt. Jedoch wurde die praktische Relevanz Leichter Sprache für die Verwaltung bis vor dem Inkrafttreten der UN-BRK nur selten erkannt. Diese schwache Wirkung der gesetzlichen Regelung, Leichte Sprache innerhalb der Verwaltungspraxis zu fördern, mag ein Grund sein, warum auf Bundesebene das Behindertengleichstellungsgesetz derzeit evaluiert wird. Einige Bundesländer planen bereits eine Ergänzung ihrer Gesetze, um der Verwaltung klare Vorgaben für den Umgang mit Leichter Sprache zu machen.

Was die Internetangebote der Bundesbehörden betrifft, so stärkt die Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung, BITV 2.0) den Gebrauch von Leichter Sprache. Als Neuerung gibt die BITV 2.0 vor, dass Internetauftritte und -angebote der Bundesbehörden eine Zusammenfassung des Inhalts und eine Hilfe zur Navigation in Leichter Sprache enthalten müssen. Im Anhang 2 der Verordnung werden konkrete Vorgaben dafür gemacht.

Für den Rundfunk- und Medienbereich, der länderübergreifend organisiert wird (etwa ARD, ZDF, Deutschlandfunk), ist der aktuelle Rundfunkstaatsvertrag einschlägig. Zwar bietet dieser keinen ausdrücklichen Hinweis auf Leichte Sprache. Jedoch deckt die allgemeine Formulierung "barrierefreie Angebote", die nach der neuen Fassung vermehrt mit aufzunehmen sind, auch Leichte Sprache ab. Zeitliche Vorgaben werden nicht gemacht.

Positiver Trend

Seit ihrem Inkrafttreten 2009 entfaltet die UN-BRK in Deutschland eine starke Dynamik. Seitdem ist beispielsweise kein Koalitionsvertrag in Bund und Ländern geschlossen worden, ohne die UN-BRK aufzunehmen und damit konkrete politische Vorhaben zu deren Umsetzung zu verbinden. Ein Ergebnis dieser Entwicklungen besteht auch darin, dass zunehmend mehr Texte in Leichter Sprache angeboten werden. Leichte Sprache wird von immer mehr Akteuren entdeckt, und Texte und Materialien in Leichter Sprache erfreuen sich einer wachsenden Beliebtheit.

Zu den Texten in Leichter Sprache gehört nicht zuletzt die UN-BRK selbst. Die gedruckte Fassung veröffentlichte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unmittelbar nach ihrem Inkrafttreten. Heute gibt es die Konvention in Leichter Sprache auch in einer interaktiven Version im Internet, die vom Deutschen Institut für Menschenrechte entwickelt wurde. Staatliche Akteure wie Bund, Länder, Gemeinden und auch Organisationen im nichtstaatlichen Bereich haben Aktionspläne oder Maßnahmenpakete zur Umsetzung der Konvention verabschiedet, und einige wiederum haben diese auch in Leichter Sprache veröffentlicht.

Manche staatliche Stellen haben darüber hinaus in den vergangenen Jahren größere Vorhaben in Leichter Sprache realisiert. Es können in diesem engen Rahmen nur wenige exemplarisch aufgeführt werden: Die Bundesregierung hat 2013 in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Leichte Sprache einen Ratgeber erstellt. Dieser richtet sich ausdrücklich an Ämter und Behörden und soll eine praktische Orientierung für das Abfassen von Texten in Leichter Sprache bieten. Damit sollen ausdrücklich Personen einbezogen werden, die nicht so gut lesen oder nicht so gut Deutsch sprechen können. Auch die Bundesländer haben die Aufgabe, Leichte Sprache zu verbreiten, auf höchster politischer Ebene aufgegriffen. So hat die Arbeits- und Sozialministerkonferenz 2013 beschlossen, Texte aus Behörden und Ministerien künftig häufiger nach den Regeln der Leichten Sprache zu formulieren. Die Bundesländer wollen dazu beitragen, dass Menschen mit Lese- und Verständnisschwierigkeiten behördliche Informationen besser verstehen. Einzelne Bundesländer haben dafür Modellprojekte ins Leben gerufen.

Außerdem sind Anstrengungen unternommen worden, um Informationen im Bereich der politischen Bildung in Leichter beziehungsweise verständlicher Sprache bereitzustellen. So erklärt der Deutsche Bundestag auf seiner Webseite in Leichter Sprache, was er tut und wie die Kanzlerin gewählt wird. Insbesondere vor der Bundestagswahl 2013 wurden zahlreiche Materialien für die politische Bildung und die Vorbereitung der Wahlen in Leichter Sprache zugänglich gemacht. Alle größeren Parteien haben ihre Parteiprogramme zusätzlich in Leichter beziehungsweise Einfacher Sprache präsentiert.

Seit Anfang 2013 bietet das Onlineportal "Nachrichten leicht" Nachrichten in Einfacher Sprache an; es ist auf die Bedarfe von Menschen mit Behinderungen weitaus besser eingestellt als viele andere Nachrichtenportale. Es handelt sich dabei um ein Internetangebot des Deutschlandfunks, das jeden Samstag die wichtigsten Nachrichten veröffentlicht. Das Programm achtet über die sprachliche Darstellung hinaus auch zunehmend auf die Barrierefreiheit (wie die technische Zugänglichkeit). Das Angebot von Nachrichten in leichter Fassung schließt die enorme Lücke im Bereich der Information allerdings nur ansatzweise. Im Rahmen einer Studie aus dem Jahr 2013 wurden private Internet-Nachrichtenportale auf Barrierefreiheit hin untersucht. Die Studie stellte großen Handlungsbedarf in Bezug auf Barrierefreiheit, also auch für Leichte Sprache, fest.

Auch nichtstaatliche Akteure fördern Leichte Sprache. Dazu gehört die Aktion Mensch, die sich dafür einsetzt, dass das Internet für alle zugänglich wird. Sie würdigt zum Beispiel im Rahmen des Wettbewerbs barrierefreies Webdesign ("BIENE") Seiten in Leichter Sprache. Ein weiteres Beispiel ist die Monitoring-Stelle zur UN-BRK, deren Publikationsreihe "Positionen" im Wendeformat erscheint, das heißt in einer Printform kombiniert aus schwerer und Leichter Sprache. Die Bibliothek des Deutschen Instituts für Menschenrechte hat zudem eine Sammlung deutsch- und englischsprachiger Dokumente in Leichter Sprache angelegt und in ihren Bestand aufgenommen. Andere nichtstaatliche Organisationen erklären die Fußballregeln in Leichter Sprache, was im Jahr der Fußballweltmeisterschaft nicht fehlen darf.

Aufgaben und Herausforderungen

Der Trend hin zu mehr Leichter Sprache ist positiv. Doch sowohl im staatlichen als auch im gesellschaftlichen Bereich bestehen noch große Herausforderungen. Wo liegen aus der Sicht der UN-BRK weitere Aufgaben für die Zukunft?

Bereits heute besteht ein großer Bedarf nach amtlichen Informationen in Leichter Sprache, der vermutlich zunehmen wird, je stärker Nutzerinnen und Nutzer den Gewinn erkennen. Wesentliche Behördeninformationen sollten in Leichter Sprache verfügbar sein, wie Behördenführer der Stadt für Menschen mit Behinderungen, aber auch allgemeine Informationen, die nicht ausschließlich Menschen mit Behinderungen adressieren, wie gesetzliche Regelungen oder Antragsformulare mit Erläuterungen.

Darstellungen in Leichter Sprache sind nicht gleichzeitig barrierefrei. Hinzu kommt die technische Zugänglichkeit von Texten in elektronischen Formaten oder im Internet, sodass etwa eine Person, die eine computergestützte Vorlesevorrichtung ("Screen-Reader") nutzt, sich den Text ohne technische Schwierigkeiten vorlesen lassen kann. Die Verordnung BITV 2.0 auf Bundesebene setzt hier gewisse Standards. Allerdings gelten diese nur für Bundesbehörden. In den Ländern sind, soweit diese sich nicht der BITV 2.0 angeschlossen oder vergleichbare Vorgaben haben, deshalb entsprechende Regelungen notwendig; auch sollten die rechtlichen Anforderungen auf öffentlich-rechtliche wie auch private Medien ausgeweitet werden. Der Rundfunkstaatsvertrag, der nur für ARD, ZDF und Deutschlandfunk gilt, genügt mit lediglich einer abstrakten Formulierung für die Entwicklung einer inklusiven Medienwelt hierfür in keiner Weise.

In Bezug auf den Behördenverkehr gibt es noch viele Chancen für die Modernisierung der Verwaltung. Das derzeitige Verwaltungsverfahren gibt Anlass, den Stellenwert der Leichten Sprache gesetzlich zu stärken. Hier ist die direkte Kommunikation etwa bei der Anhörung im Verfahren oder der Begründung von Entscheidungen tägliche Praxis. Bescheide ("Verwaltungsakte"), für welche die Behörden heute in vielen Fällen Textbausteine in schwerer Sprache verwenden, könnten ohne Weiteres auch durch Bausteine in Leichter Sprache ersetzt oder in einem Anhang mit Ausführungen in Leichter Sprache ergänzt werden. So wären beispielsweise die Entscheidung, die Begründung oder die Rechtsbehelfsbelehrung in Leichter Sprache sicherlich ein Fortschritt. Hier sollten die notwendigen Änderungen im Rahmen der laufenden Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes (und analog auf Landesebene) auch im Hinblick auf Leichte Sprache geprüft werden.

Nicht zuletzt ist geboten, die angemessenen Vorkehrungen zu gewährleisten. Angemessene Vorkehrungen sind Maßnahmen, die im Einzelfall den Zugang zu Informationen sichern und Kommunikation gewährleisten (Artikel 2 in Verbindung mit Artikel 5 UN-BRK). Solange es noch keine allgemeinen Regeln oder Textbausteine in Leichter Sprache gibt, ist die Verwaltung im Sinne dieses konzeptionellen Ansatzes schon heute verpflichtet, im Rahmen ihrer Möglichkeiten bedarfsorientierte Lösungen zu entwickeln. In diesem Zusammenhang darf Leichte Sprache nicht vergessen werden.

Die Bedarfe für die Übertragung in Leichte Sprache werden in den kommenden Jahren für verschiedene Sektoren der Verwaltung zunehmen. Daher drängt sich die Überlegung auf, ob sie innerhalb der eigenen Strukturen Übersetzungsstellen einrichtet und damit ihre zentralen Dienste erweitert. Noch offene Fragen sind, welche wesentlichen Rechtsvorschriften in Leichte Sprache überführt und zusammengefasst werden und in welchem Umfang die Gerichtsbarkeit in Zukunft Leichte Sprache nutzen sollte.

Für den nichtstaatlichen Bereich höchst relevant ist der Zugang zu Gütern und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen, der oftmals von Leichter Sprache abhängt. Mit Gütern und Dienstleistungen sind weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens angesprochen, in denen Leichte Sprache bislang wenig oder noch überhaupt nicht genutzt wird. Dazu gehören zum Beispiel Produktinformationen für Haushaltsgeräte und Medikamente oder Informationen im Versicherungswesen sowie in Bezug auf Gebrauchsgegenstände (Stichwort "universelles Design"). Die Europäische Union hat deshalb angekündigt, für diesen übergreifenden Bereich von Gütern und Dienstleistungen einen Entwurf für neue allgemeine Regelungen vorzulegen, die der Verpflichtung zu "Zugänglichkeit" Rechnung tragen.

Auch nichtstaatliche Stellen (wie Unternehmen, Selbstständige) haben die Aufgabe, allgemeine Informationen verständlich bereitzustellen und den Zugang dazu zu gewährleisten. Dazu gehört insbesondere die Beratung in Leichter Sprache, die in vielen unterschiedlichen Lebenslagen relevant werden kann: Bei der Arztsuche oder beim Arztbesuch, etwa wenn eine Patientin mit einer geistigen Behinderung über die Schwangerschaftsverhütung aufgeklärt werden möchte; bei der Suche nach einem Rechtsbeistand oder der Rechtsberatung durch die Anwaltschaft. Es wäre deshalb wünschenswert, dass die verschiedenen Berufsgruppen ihre Arbeit besser auf die spezifischen kommunikativen Bedarfe von Menschen mit Behinderungen einstellen und Leichte Sprache wie selbstverständlich in ihre professionelle Praxis integrieren. Die Verbände sollten ihre Mitglieder informieren und sensibilisieren, Trainingsprogramme und professionelle Hilfe anbieten und Zugänge zu wichtigen Informationen in Leichter Sprache bereithalten. Hier liegen auch Chancen, neue Zielgruppen zu erreichen.

Ein besonderer Stellenwert bei Menschen mit Behinderungen kommt der eigenständigen Entscheidung in rechtlichen Angelegenheiten zu. Die Entmündigung von Erwachsenen wurde in Deutschland zwar vor über 20 Jahren abgeschafft; auch Menschen etwa mit eingeschränkter Sprachkompetenz sind seitdem im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches voll geschäftsfähig. Doch das Menschenrecht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht fordert darüber hinaus, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu Unterstützung erhalten, die sie brauchen, um eine freie und gut informierte Entscheidung zu treffen. Die UN-BRK gibt dem persönlichen rechtlichen Handeln Vorrang vor Fremdbestimmung und der Entscheidung durch Dritte. Hier steht die Berufsgruppe der gesetzlichen Betreuerinnen und Betreuer vor der Herausforderung, Betroffene in allen Fällen in Bezug auf rechtliches Handeln verständlich zu beraten. Gerade im Feld des rechtlichen Handelns sind Informationen in Leichter Sprache unabdingbar, wie etwa Vertragsformulare in Leichter Sprache, Informationen über die gesetzlichen Regelungen der Eheschließung oder Vordrucke und Erklärungen zu wichtigen Angelegenheiten des Lebens wie Patientenverfügungen oder Organspendeausweise.

Fazit

Alle Menschen, ob mit oder ohne Behinderungen, stoßen immer wieder an die Grenzen des sprachlichen Verständnisses. Leichte Sprache versucht, die Grenzen, die schwere Sprache bisweilen für das Verständnis setzt, nicht künstlich eng zu halten, sondern auszuweiten. Leichte Sprache bietet daher für Menschen mit Behinderungen – nicht für alle, aber für eine nicht zu vernachlässigende Größe – ein enormes Potenzial, ihnen einen verbesserten Zugang zu Informationsinhalten und zu mehr Kommunikation zu verschaffen. Leichte Sprache ist damit ein Schlüssel zur Enthinderung der Gesellschaft und zu mehr Selbstbestimmung. Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft ist ein wichtiger Beitrag für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. Schwere Sprache stellt mitunter eine unüberwindbare Hürde für das Verständnis und den Zugang zu Informationsinhalten dar. Leichte Sprache ist daher von lebenspraktischer Wichtigkeit und Bedingung für ein selbstbestimmteres Leben. Das Problem ist nicht schwere Sprache an sich, sondern vielmehr, dass es nach wie vor zu wenige Informationen in Leichter Sprache gibt und dass sich Kommunikation noch zu selten den Anforderungen der Leichten Sprache stellt.

Damit soll schwere Sprache nicht an sich kritisiert werden. Sicherlich kann schwere Sprache gesellschaftliche Elitenbildung und undemokratische Strukturen befördern, die Exklusivität von Wissen und Wissenschaft erhalten, Machterhalt sichern oder auch zum Zwecke sozialer Repression instrumentalisiert werden. Trotzdem behält schwere Sprache in all ihren Varianten ihren berechtigten Platz in einer vielfältigen Gesellschaft, schon alleine wegen ihrer Bedeutung in der Lyrik, Philosophie oder Wissenschaft.

In Deutschland ist seit einigen Jahren ein positiver Trend zu mehr Leichter Sprache zu beobachten. Viele Akteure haben zur Bekanntmachung und Verbreitung der Leichten Sprache beitragen. Es ist mehr als wünschenswert, dass diese Entwicklung fortgesetzt und durch rechtliche Regelungen gefördert wird. Dies gilt vor allem für den privaten Bereich, der Leichte Sprache bislang noch kaum als Aufgabe und Chance für sich entdeckt hat. Verpflichtende Regelungen für Leichte Sprache fehlen, und nachhaltige Initiativen sind für viele Lebensbereiche, Berufsfelder und Themen erforderlich.

Der jüngste Koalitionsvertrag im Bund enthält (neben anderen Bezügen zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen) unter der Überschrift "UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen" folgende Passage: "Auf dem Weg zur inklusiven Gesellschaft ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) bei politischen Entscheidungen, die die Menschen mit Behinderungen betreffen, zu berücksichtigen. Gemeinsam mit den Menschen mit Behinderungen und deren Organisationen werden wir den Nationalen Aktionsplan weiterentwickeln. Wichtige Etappenziele sind mehr Teilhabe, Selbstbestimmung und Barrierefreiheit im Alltag. Der leichtere Zugang für Menschen mit Behinderungen zu Transportmitteln, Informationen und Kommunikation sowie zu Einrichtungen und Diensten ist unabdingbar." Diese Passage lässt Menschen mit Behinderungen, die nach mehr gesellschaftlicher Teilhabe streben, hoffen, dass aus der Politik bald weitere Impulse zur Verbreitung von Leichter Sprache kommen.

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