Zivilgesellschaftliches Engagement für Flüchtlinge und lokale "Willkommenskultur"
Die Reaktionen auf die wachsende Zahl von Flüchtlingen[1] in Deutschland sind gespalten: Gewalt gegen Flüchtlinge nimmt zu, gleichzeitig steigt das zivilgesellschaftliche Engagement für Flüchtlinge an. In diesem Beitrag beleuchte ich die Rolle des zivilgesellschaftlichen Engagements für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Insbesondere geht es um dessen Einfluss auf die lokale "Willkommenskultur", also die Offenheit und Akzeptanz, mit der Anwohnerinnen und Anwohner Flüchtlingen begegnen. Zivilgesellschaftliches Engagement verbessert nicht nur entscheidend Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen, sondern beeinflusst auch die Einstellungen gegenüber Flüchtlingen vor Ort positiv.Länder und insbesondere Kommunen in Deutschland stehen vor großen Herausforderungen. Logistische und finanzielle Engpässe erschweren die Arbeit; es gibt weder genug Unterkünfte noch ausreichend Personal für die Betreuung von Flüchtlingen. Viele der Unterkünfte, die in den frühen 1990er Jahren genutzt wurden, wurden im Zuge des Rückgangs der Asylantragszahlen zwischen 1993 und 2008 geschlossen. Die Erschließung neuer Unterkünfte braucht Zeit, sodass vielerorts zu Behelfslösungen gegriffen wird. Das führt oft zu prekären Unterbringungsbedingungen – in Zelten, umfunktionierten Turnhallen oder Containern – sowie zu mangelnder Betreuung.[2]
Ehrenamtliche fangen einen Großteil der anfallenden Aufgaben auf und verbessern die Situation deutlich. Dies betrifft sowohl die Erstversorgung – wie Hilfe bei Aufbau und Einrichtung von Notunterkünften oder bei der Ausstattung mit den nötigsten Kleidungsstücken und Hygieneartikeln – als auch die längerfristige Betreuung. Gegenwärtig wird die Betreuung von Flüchtlingen zu einem großen Teil von Ehrenamtlichen getragen.[3]
Strukturen, Tätigkeiten, Motive
Was zeichnet die ehrenamtlichen Unterstützungsstrukturen in der Flüchtlingsarbeit aus?[4] Das Engagement für Flüchtlinge hat in den vergangenen Jahren zugenommen: Viele der derzeitig Aktiven haben nach 2011 begonnen, sich für Flüchtlinge zu engagieren.[5] In diesem Kontext wurden viele neue Initiativen gegründet. So sind 42 Prozent der Engagierten jenseits von Vereins- und Verbandsstrukturen und in Initiativen oder selbstorganisierten Gruppen engagiert – im Vergleich zu anderen Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements ein hoher Anteil.[6] Diese werden zum Teil von Personen ins Leben gerufen, die zuvor weder politisch noch ehrenamtlich aktiv waren. Aber auch auf bestehende Strukturen wie antirassistische oder kirchlich-karitative Gruppen wird zurückgegriffen. Zudem verzeichnen auch etablierte Organisationen der Flüchtlingsarbeit einen Anstieg des ehrenamtlichen Engagements um bis zu 74 Prozent.[7] Eine Befragung von Ehrenamtlichen in München ergab, dass fast die Hälfte neben ihrem Engagement für Flüchtlinge auch in anderen Bereichen ehrenamtlich aktiv ist, vor allem in Politik, Kultur und Sport.[8] Im Vergleich zu anderen ehrenamtlichen Bereichen sind darüber hinaus mehr Frauen (über zwei Drittel) als Männer in der Flüchtlingsarbeit aktiv, weniger Menschen mittleren Alters und deutlich mehr Engagierte mit Migrationshintergrund (29 Prozent).[9]Ehrenamtliche übernehmen eine Vielfalt an Tätigkeiten in der Flüchtlingsarbeit.[10] Zu den häufigsten gehören die Begleitung bei Behördengängen und die Kommunikation mit Behörden, besonders mit Ausländerbehörden, Sozialämtern und Schulen.[11] Einen weiteren wichtigen Bereich in der Flüchtlingsarbeit stellen Sprachunterricht und Übersetzungsarbeiten dar.[12] Zudem leisten Ehrenamtliche häufig Sozial- und Integrationsberatung und bieten praktische Hilfen an wie die Unterstützung bei der Wohnungssuche oder Fahrdienste. Aufgaben, die eine professionelle Ausbildung voraussetzen – wie medizinische und psychologische Betreuung – werden deutlich seltener übernommen.[13] Aufgrund des hohen Anteils kleiner Initiativen in der Flüchtlingsarbeit fließt zudem ein beachtlicher Teil der Zeit in die Selbstorganisation – vor allem in Verwaltungsaufgaben und Öffentlichkeitsarbeit.[14]
Was motiviert die Ehrenamtlichen? Wie in anderen Bereichen des zivilgesellschaftlichen Engagements lassen sich auch bei Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit verschiedene Motive vorfinden.[15] Während einige Ehrenamtliche eher karitativ motiviert sind (Flüchtlingen helfen), steht bei anderen die gesellschaftspolitische Kritik und der Wunsch, Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken, im Vordergrund.[16] In der Flüchtlingsarbeit sticht jedoch besonders das Motiv hervor, die Gesellschaft mitgestalten zu können.[17]
Nicht nur das Bewusstsein über den Krieg und seine Folgen in Syrien, sondern auch eine veränderte Sicht auf Deutschland als Einwanderungsland scheint sich auf die Zunahme des Engagements auszuwirken. Wie Umfragen zeigen, sind die Offenheit gegenüber Migrantinnen und Migranten und das Bewusstsein darüber, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, seit 2012 gestiegen.[18] Zudem wird zunehmend die Einsicht geteilt, dass gelingende Integration und erfolgreiche Teilhabe von Migrantinnen und Migranten Vorleistungen und Hilfestellungen vonseiten der Aufnahmegesellschaft erfordert, wie beispielsweise Hilfen beim Arbeitsamt.[19] Besonders gegenüber Flüchtlingen gibt es eine große Bereitschaft, zu helfen: Über die Hälfte der Befragten einer Umfrage 2014 gab an, zu Sachspenden im Prinzip bereit zu sein. Ein knappes Drittel zeigte sich grundsätzlich bereit, Flüchtlingen zu helfen, Deutsch zu lernen, und sie bei Behördengängen zu begleiten.[20]