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Zwischen Oslo und Al-Aksa-Intifada | Naher Osten | bpb.de

Naher Osten Editorial Die israelische Haltung im Friedensprozess Zwischen Oslo und Al-Aksa-Intifada Die Politik der Clinton-Regierung im Nahen und Mittleren Osten Ägyptens Rolle im nahöstlichen Friedensprozess Syrien nach Hafiz al-Asad: Zwischen Kontinuität und Wandel Der "Staat Palästina": Herausforderung deutscher Außenpolitik

Zwischen Oslo und Al-Aksa-Intifada Eine siebenjährige Kriegspause im Nahen Osten?

Abdul-Rahman Alawi

/ 15 Minuten zu lesen

Der Friedensprozess im Nahen Osten war von Beginn an asymmetrisch. Die Zugeständnisse Israels in den Abkommen seit 1993 waren eher kosmetischer Natur.

I. Der Friedensprozess seit 1993

Seit dem 28. September herrscht eine Art Kriegszustand im Nahen Osten. Der Besuch des israelischen Politikers Ariel Sharon auf dem Haram Al-Sharif (Tempelberg), begleitet von Hundertschaften israelischer Polizisten und Militärs, provozierte Protestdemonstrationen, die sich aufgrund einer unverhältnismäßig harten militärischen Reaktion Israels in der "Al-Aksa-Intifada" entluden. Die Friedensverhandlungen sind ausgesetzt. Die Osloer Vereinbarungen drohen zu scheitern, ohne die Übergangsperiode erfolgreich zu beenden. Im Heiligen Land herrscht ein Zustand wie zur Zeit der Intifada in den Jahren zwischen 1987-1993.

Für Kenner der Nahostproblematik dürfte der Ausbruch der Gewalt keine Überraschung gewesen sein, und die Kritiker der Osloer Vereinbarungen fühlen sich bestätigt. Die "Prinzipienerklärung über vorübergehende Selbstverwaltung" und die Folgeabkommen stellen in der Tat keine geeignete Grundlage für eine umfassende Lösung der Palästina-Frage dar. "Der Inhalt der Dokumente sowie die Richtung, in der sich die Verhandlungen und die Politik Israels seither bewegen, lassen vermuten, dass es dem Land gelingen wird, die UN-Resolutionen 242 und 338 zu umgehen. Ziel Israels ist es nicht, auf deren Grundlage eine Einigung zu erreichen, sondern auf bilateralem Wege, wo Macht mehr zählt als Recht."

Die Vereinbarungen reflektieren die erdrückende Überlegenheit Israels. Sie sind im Sinne seiner politischen Vorstellungen formuliert und seinem Sicherheitsverständnis entsprechend maßgeschneidert. Sie verschweigen das historische Unrecht, das das palästinensische Volk seit der Gründung des jüdischen Staates 1948 erleiden musste. Israel ignoriert das Palästina-Problem und diktierte deshalb eine Vereinbarung, die sich im Grundsatz mit den Folgen des Krieges von 1967 befasst.

Demnach zieht sich die israelische Armee aus den bevölkerungsreichen Städten und Gebieten zurück und erlaubt eine palästinensische Selbstverwaltung. Israel behält aber weiterhin die Kontrolle über die internationalen Grenzen, die Gebiete und Verbindungsstrassen zwischen den palästinensischen Enklaven und überwacht den Personen- und Warenverkehr. Fazit: Die Palästinenser in der Westbank und im Gazastreifen leben weiterhin unter israelischer Besatzung. Statt einer israelischen Militärverwaltung haben sie eine palästinensische Autonomieverwaltung. "Palästina" ist somit ein israelisches Protektorat. Diese Übergangsregelung wurde von der PLO als ein erster Schritt für eine endgültige Lösung der Kernfragen des Nahostkonfliktes akzeptiert. Ein endgültiger Friedensvertrag zwischen Israelis und Palästinensern müsste sich also mit den Themen Flüchtlinge, Jerusalem und der Gründung eines palästinensischen Staates befassen .

Diese Fragen gehen auf das Jahr 1948 zurück. Sie waren die Ursache für mehrere Kriege - darunter der Krieg von 1967 - zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. Um den nahöstlichen Friedensprozess zum Erfolg zu führen, ist es notwendig, zusätzlich zu den Friedensverträgen mit den arabischen Staaten Frieden mit dem palästinensischen Volk zu schließen. Dies bedeutet, die Lösung der Palästina-Frage mit all ihren Aspekten kann nur auf der Grundlage der UN-Resolutionen und der internationalen Erklärungen erfolgen.

Israel hat permanent versucht, den Übergang zu den Verhandlungen über den endgültigen Status zu unterminieren. Mit Hinhaltetaktik und Verzögerungen hat Israel den Übergangsstatus von fünf auf nun acht Jahre ausgedehnt. Israel hat auch Maßnahmen ergriffen, die die Verhandlungen über den endgültigen Status erschwerten und beeinflussten. Mit der Ausweitung der Grenzen von Jerusalem durch Eingemeindung umliegender Dörfer, der Konfiszierung von Grund und Boden sowie dem Ausbau von jüdischen Siedlungen verletzt Israel die Prinzipienerklärung von Oslo.

In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vom 16. September erklärte Mahmud Abbas: "Uns ist schon seit langem klar, dass Israel den Friedensprozess eigentlich beenden will. Die Israelis sind zu einem wirklichen Frieden noch nicht bereit. Sie wollen den Preis dafür nicht zahlen." Das ist keine aus der Luft gegriffene Behauptung, die als Reaktion auf die aktuelle Entwicklung abzutun ist.

Schon kurz nach der Bekanntgabe der Osloer Prinzipienerklärung wurde die voraussehbare Entwicklung mit ihren Problemen benannt: "Wenn die Frage der Siedlungen, die Rückkehr der Flüchtlinge, Jerusalem, die Eigenstaatlichkeit, die Enteignungen, die Entschädigung u. v. m. in drei Jahren auf der Tagesordnung stehen sollten, verfügt die PLO über keinerlei Druckmittel, um von Israel auch nur Minimalkonzessionen erreichen zu können. Die Palästinenser werden auf den guten Willen Israels angewiesen sein, und dieser zählt in den internationalen Beziehungen wenig, wo es um die Durchsetzung von Interessen geht. Sollte es Arafat nicht gelingen, Ruhe und Ordnung unter seinen Landsleuten herzustellen, hat Israel alle Optionen auf seiner Seite. Für diese Situation hat Ministerpräsident Rabin bereits die Rückkehr Israels (in die Autonomiegebiete, A.-R. A.) angekündigt."

II. Camp David

Artikel 5 der Osloer Prinzipienerklärung über vorübergehende Selbstverwaltung lautet:

1. "Die fünf Jahre dauernde Übergangsperiode wird mit dem Abzug aus dem Gazastreifen und aus Jericho beginnen.

2. Die Verhandlungen über den dauerhaften Status zwischen der Regierung Israels und den Vertretern des palästinensischen Volkes werden so bald wie möglich beginnen, jedoch nicht später als mit Beginn des dritten Jahres der Übergangsperiode.

3. Es besteht Einverständnis darüber, dass diese Verhandlungen die verbleibenden Fragen abdecken sollten, darunter Jerusalem, Flüchtlinge, Siedlungen, Sicherheitsregelungen, Grenzen, Beziehungen und Zusammenarbeit mit anderen Nachbarn sowie andere Fragen von gemeinsamem Interesse.

4. Die beiden Parteien stimmen darin überein, dass das Ergebnis der Verhandlungen über den dauerhaften Status nicht durch Vereinbarungen, die für die Übergangsperiode geschlossen werden, vorweggenommen oder beeinflusst werden darf."

Demnach sollten die Verhandlungen über den endgültigen Status Anfang Mai 1997 beginnen und bis zum 4. Mai 1999 abgeschlossen sein. Aufgrund von Verschiebung, Aussetzung und Neuverhandlung von bereits unterschriebenen Verträgen seitens Israel konnte der Zeitplan nicht eingehalten werden. Termine seien nicht heilig, erklärten hochrangige israelische Politiker. De facto waren für die israelische Regierung auch die Inhalte von abgeschlossenen Abmachungen nicht heilig.

Die vereinbarte Räumung von Gebieten wurde ausgesetzt, der Aus- und Neubau von Siedlungen sowie die Beschlagnahme von palästinensischem Grund und Boden wurden fortgesetzt. Auch die Menschenrechtsverletzungen gegen die Palästinenser hörten nicht auf. Solche Praktiken lassen sich in krasser Weise an den aktuellen Ereignissen in Ostjerusalem veranschaulichen: Ariel Sharon, den die Palästinenser für das Massaker von Sabra und Shatila verantwortlich machen, darf unter massivem Polizeischutz in das Heiligtum der Muslime einmarschieren, die Palästinenser unter 45 Jahre werden dagegen an der Ausübung ihres Freitagsgebetes in der Al-Aksa-Moschee gehindert.

Trotz der Unzulänglichkeiten der Übergangsperiode und der Vertragsverletzungen durch Israel betonte die palästinensische Führung ihr Festhalten am Fortgang der Friedensverhandlungen. Die abermalige Verschiebung der Ausrufung des eigenen Staates ist ein Beispiel dafür. Am 4. Mai 1999 sahen die Palästinenser von der Ausrufung des Staates ab, um die Erfolgschancen von Ehud Barak in den bevorstehenden vorgezogenen Wahlen gegenüber Netanjahu zu verbessern. Barak gewann die Wahlen. Nach dem offiziellen Beginn der Verhandlungen über den endgültigen Status am 13. September 1999 fanden insgesamt vier Verhandlungsrunden, einschließlich einer Geheimrunde in Stockholm statt; ohne Ergebnis.

Die israelischen Positionen bezüglich der Themen des dauerhaften Status blieben im Grundsatz unverändert: Jerusalem bleibt vereint unter israelischer Souveränität, die internationalen Grenzen Palästinas unterliegen israelischer Kontrolle, kein Einlenken in der Flüchtlingsfrage und die jüdischen Siedlungen sind allein israelische Angelegenheit. Luftraum, Küsten und Wasservorräte unterliegen israelischer Hoheit. Ein Staatsgebilde Palästina hat demnach keine Souveränität. Es ist ein Protektorat.

Diese Positionen entsprechen nicht den palästinensischen Vorstellungen. Sie stehen in einem gravierenden Widerspruch zum international anerkannten Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes und seinem Recht auf einen eigenen, unabhängigen Staat. Sie ignorieren das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr, das in der UN-Resolution 194 verankert ist. Jerusalem ist ein schwieriges Thema, die Stadt ist für die arabische sowie islamische Welt genauso heilig wie für die Juden; diese Frage darf nicht politisch überstrapaziert werden, egal von welcher Seite. Das ist der Hintergrund der palästinensisch-israelischen Uneinigkeit. Ist der Friedensprozess an seinem Ende angelangt?

Das war die Lage am Vorabend der Verhandlungen in Camp David. Nach zwei Wochen intensiver Verhandlungen verließen die Delegationen Camp David unverrichteter Dinge. Einen Fortschritt gab es allerdings: Zum ersten Mal lagen alle Themen auf dem Verhandlungstisch. Die Positionen blieben jedoch bis auf kosmetische Änderungen weit voneinander entfernt, trotz des gegenüber den Medien verbreiteten amerikanischen Zweckoptimismus.

Für die in den Medien verbreiteten Berichte, dass der Frieden so nah wie nie zuvor sei, gibt es keinen Beleg. Das Gegenteil ist der Fall. In dem politischen Bericht, den Mahmud Abbas der Tagung des palästinensischen Zentralrates in Gaza vorlegte, gibt es keinen Beleg für eine Annäherung der Standpunkte . In einem Interview mit Palestine TV am 29. September 2000 sagte Mahmud Abbas in Bezug auf Jerusalem und die Flüchtlingsfrage, dass es zu keiner Zeit eine Annäherung gegeben habe. In der Altstadt, innerhalb der Mauern von Ostjerusalem, schlug Israel die Errichtung eines "Präsidialbüros" im islamischen Viertel vor. In der Flüchtlingsfrage wollte Israel das Prinzip "Recht auf Rückkehr" durch Rückkehr im Rahmen einer Familienzusammenführung und aus humanitären Gründen ersetzen. Abbas beschrieb die Atmosphäre in Camp David als sehr gespannt und sprach von einem großen Druck auf Arafat und die palästinensische Delegation .

Die Fernsehbilder, die zu Beginn der Verhandlungen in Camp David in die ganze Welt ausgestrahlt wurden, in denen Arafat und Barak sich an Höflichkeiten überboten, den anderen den Vortritt zu lassen, können auch anders interpretiert werden. Als ich jene Bilder im Fernsehen verfolgte, beschlich mich ein Gefühl der Beklemmung. Für mich als betroffenen Palästinenser sah es eher so aus, als ob Arafat in die Mangel genommen und in die Enge getrieben würde. Clinton wollte scheinbar doch noch vor Ablauf seiner Amtszeit einen internationalen Erfolg verbuchen. Er hat Arafat und die Tragweite eines erzwungenen Abkommens für die gesamte Nahostregion unterschätzt. Mit dem Versuch Clintons, Arafat für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich zu machen, verspielten die USA endgültig ihre Rolle als "ehrlicher Makler".

Die Palästinenser bejubelten die Standhaftigkeit ihres Präsidenten. Das "Nein" Arafats, trotz massiven Drucks der Amerikaner, war für die Palästinenser wie ein Befreiungsschlag. Die arabischen Medien zitierten feierlich die letzten Sätze Jassir Arafats an Clinton, als dieser ihm gegenüber warnende Töne einschlug: "Don't finish, I respect you very much and I realize that you are affected by the Israeli position. I have led my people's revolution and the siege of Beirut was easier on me than the siege in Camp David."

Die Verhandlungen über den endgültigen Status waren bereits zum Scheitern verurteilt, als Barak seine Koalitionsregierung gebildet hatte. Er machte sich zur Geisel der religiösen Rechten und tat wenig dafür, um dem Bedürfnis der israelischen Bürger hinsichtlich eines umfassenden Friedens mit den Palästinensern nachzukommen. Baraks Unfähigkeit, auf die palästinensischen Bedürfnisse einzugehen und mit ihnen eine ausgewogene Lösung auszuhandeln, brachte ihn in innenpolitische Bedrängnis. Sein Versuch, mit militärischen Mitteln zu antworten, entfachte eine unkontrollierbare kriegerische Auseinandersetzung. Die erste Bewährungsprobe hat Barak nicht bestanden, und er wird sie wahrscheinlich auch nicht überstehen. Für die Durchsetzung des Friedens braucht Israel nicht nur eine starke Regierung, sondern starke Führungspersönlichkeiten mit Visionen. Barak muss begreifen, dass die Politik des Säbelrasselns keine Wirkung mehr hat.

Die arabischen Länder brauchten fast 50 Jahre, um das Existenzrecht Israels zu akzeptieren. Dazwischen lagen mehrere Kriege und eine sechsjährige Intifada. Die Anerkennung Israels durch die arabische Welt basiert nicht auf einem 2000-jährigen Anspruch der Juden auf Palästina, sondern auf den Realitäten des 20. Jahrhunderts. Dies muss die israelische Führung einsehen und auch ihrer Bevölkerung klar machen, wenn sie heute - im 21. Jahrhundert - noch glaubt, dass die Gründung des jüdischen Staates der göttlichen Verheißung zu verdanken sei. Das Zeitalter des Kolonialismus verhalf der jüdischen Nationalbewegung, die sich im 19. Jahrhundert im Zuge zunehmender Pogrome gegen die Juden in Europa formierte, zu ihrem eigenen Staat.

Israel entstand mit der Unterstützung des britischen Kolonialismus. Die Existenz des jüdischen Staates und seine Bewahrung wären nicht garantiert, wenn es die Zustimmung und Unterstützung der Weltmächte nicht gefunden hätte. Von Anfang an haben die Westmächte ihr uneingeschränktes politisches Gewicht zu Gunsten des jüdischen Staates eingesetzt und sicherten mit massivsten Waffenlieferungen seine militärische Überlegenheit gegenüber den arabischen Ländern. Auch das damalige sozialistische Lager gestaltete seine Nahostpolitik, trotz seiner seit Mitte der fünfziger Jahre vertieften Beziehungen zu der arabischen Welt, auf der Grundlage der Aufrechterhaltung des Status quo, d. h., auch für den Ostblock war das Existenzrecht Israels unantastbar. Die militärische Stärke und Überlegenheit des jüdischen Staates war daher das Ergebnis der Sonderstellung Israels in der Nahostpolitik der Alliiertenstaaten und ihrer Verbündeten im Zweiten Weltkrieg, auch zu den Zeiten des Kalten Krieges.

1947 beschlossen die Vereinten Nationen die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Die Repräsentanten der zionistischen Bewegung akzeptierten den Teilungsplan, wonach ihnen 50 Prozent des Landes zugesprochen wurde. Damit ist Israel der einzige Staat in der Welt, der durch eine UN-Resolution ins Leben gerufen wurde. Heute darf die israelische Regierung die Zustimmung zu jenem Teilungsbeschluss nicht zurücknehmen. Die Palästinenser haben ein Recht auf ihren eigenen, von Israel unabhängigen Staat. Dieses Recht ist verankert durch die UN-Resolutionen und ist international anerkannt.

Die Gründung des palästinensischen Staates setzt entsprechend den UN-Resolutionen 242 und 338 den Rückzug der israelischen Armee aus der Westbank und dem Gazastreifen voraus. Dieser Staat ist unabhängig, wenn er seine internationalen Grenzen, den Luftraum und die Ressourcen souverän kontrolliert. Alles andere ist eine Selbsttäuschung und einem dauerhaften Frieden und der Stabilität nicht dienlich. Die UN-Resolution 194 bietet eine solide Grundlage für die Lösung der Frage der palästinensischen Flüchtlinge. Israel kann nicht für sich in Anspruch nehmen, dass jeder Jude nach 2000 Jahren jederzeit zurückwandern kann, aber gleichzeitig den Menschen, die 1948 entwurzelt wurden und dabei Häuser, Grund und Boden verloren haben, das Recht auf Rückkehr verwehren.

Die Frage der jüdischen Siedlungen ist lösbar. Die Siedlungen sind völkerrechtswidrig und widersprechen der IV. Genfer Konvention. Sie können aber bestehen bleiben, vorausgesetzt, die Siedler unterwerfen sich der palästinensischen Gesetzgebung. Im Gegenzug bekommen die Palästinenser in Israel den Status einer Minderheit. Die Frage Jerusalems muss entpolitisiert werden. Gemeint ist hier die Altstadt. Sie ist gleichermaßen heilig für Juden, Christen und Muslime. Die Altstadt kann von höchsten Repräsentanten dieser Religionen autonom verwaltet werden: einem Oberrabiner, einem Kardinal und einem Mufti. Mit einer entsprechenden internationalen Garantie kann der freie Zugang für die Gläubigen der drei monotheistischen Religionen gesichert werden.

West- bzw. Ostjerusalem sind zwei Teile einer Stadt, die nichts Gemeinsames haben. Westjerusalem ist hauptsächlich von Juden bewohnt, Ostjerusalem von Palästinensern. Trotz 33 Jahre dauernder Besatzung sind beide Teile durch eine unsichtbare Mauer getrennt. Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass jeder Stadtteil für sich die Hauptstadt des jeweiligen Staates ist.

III. Der palästinensische Staat

Das Historische an Oslo 1993 war, dass der seit 1948 herrschende Kriegszustand beendet wurde. Die Unzulänglichkeiten der Osloer Vereinbarungen rührten aus dem Ungleichgewicht der Kräfteverhältnisse der Parteien und führten den gesamten Friedensprozess in eine Sackgasse. Jetzt herrscht im Nahen Osten ein "Gleichgewicht der Abschreckung". Auf der einen Seite Israel, das mit modernsten Waffen ausgerüstet ist, auf der anderen Seite hochmotivierte palästinensische Jugendliche der "Al-Aksa-Intifada", ausgerüstet mit Steinen und flankiert von Millionen erzürnter Araber und Muslimen.

Die Fortsetzung der Konfrontation zwischen der israelischen Armee und den mit Steinen bewaffneten palästinensischen Aufständischen droht die gesamte Region in eine Spirale der Gewalt zu stürzen. Ein konventioneller Krieg zwischen der militärisch überlegenen israelischen Armee und den Armeen arabischer Länder ist zur Zeit höchst unwahrscheinlich, aber auch sinnlos. "Ein weiterer israelisch-arabischer Krieg wäre ein überflüssiger Krieg. Er wäre mit vielen Opfern auf beiden Seiten verbunden, mit schlimmem Blutvergiessen sowie wirtschaftlichen und ökologischen Schäden, die weite Teile unserer Region in ein Wüste verwandeln könnten." Die Gefahr besteht in der Destabilisierung der Region durch Ausweitung und Eskalation der antiisraelischen und antiamerikanischen Proteste in der arabischen Welt.

Dennoch sind die Chancen für den Frieden greifbar. Die Voraussetzungen dafür haben sich verbessert. Die Krise befreite Arafat aus dem Diktat der Osloer Abmachungen und stärkte die Verhandlungsposition der Palästinenser. Das ist von Vorteil für einen gerechten Frieden. Der neue amerikanische Präsident kann aus dem Debakel der Clinton-Administration eine Lehre ziehen und mit einer Initiative aufwarten, die das kollektive nationale Bewusstsein des palästinensischen Volkes berücksichtigt und seinen nationalen Rechten Rechnung trägt. Eine klare Mehrheit in Israel wünscht den Frieden mit den Palästinensern, und dazu braucht Israel eine starke Regierung.

Die Palästinenser sehen in der Gründung eines eigenen Staates die Lösung ihres Problems. Die "Judenfrage" wurde mit der Entstehung des jüdischen Staates 1948 gelöst. Die dadurch entstandene Palästina-Frage, die den Kern des Nahostkonfliktes bildet, ist genauso zu lösen, nämlich indem ein Staat für die Palästinenser geschaffen wird, in dem sie ihre Unabhängigkeit und Souveränität ausüben können. Die Ausrufung eines palästinensischen Staates entspricht dem Verlangen der Palästinenser nach Eigenstaatlichkeit und befriedigt deren Recht auf Selbstbestimmung. Die Gründung des Staates löst für die Palästinenser definitiv ihr Identitätsproblem. Die Zerstreuung des palästinensischen Volkes nach der Vertreibung aus seinem Heimatland bekommt eine neue Definition. Der Palästinenser ist dann nicht mehr Flüchtling, sondern Emigrant. Die "provisorische" Loyalität dem jeweiligen Gastland gegenüber wird ab- bzw. festgelegt. Die totale oder eingeschränkte Rechtlosigkeit wird damit beendet. Die Palästinenser in der Diaspora, die bereits in anderen Ländern integriert sind, gewinnen die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob sie in dem jeweiligen Land bleiben oder in den palästinensischen Staat zurückkehren wollen.

Die Weigerung Israels, einen palästinensischen Staat zu akzeptieren, ist rein taktischer Natur und reflektiert die Schwächen seiner Innenpolitik. Die israelische Führung hat es versäumt, die historische Dimension des Friedensprozesses der eigenen Bevölkerung klar zu vermitteln. Obwohl die ausgehandelten Osloer Abkommen inhaltlich und formal völlig den israelischen Positionen entsprachen, unterließen es die israelischen Politiker und Parteien, diesen Tatbestand als historischen Erfolg darzulegen. Israel ist bisher der eigentliche Gewinner des Friedensprozesses. Nach Oslo entstand eine Welle internationaler Anerkennung. Die Tore der Hauptstädte in Asien und Afrika, darunter die der Volksrepublik China und Indonesiens, standen offen für die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit Israel.

Der palästinensische Staat stellt weder militärisch, ökonomisch noch politisch eine Bedrohung für den israelischen Staat dar. Im Gegenteil, die verspätete Gründung des palästinensischen Staates auf der Grundlage der UN-Resolutionen und im Rahmen des Friedensprozesses legitimiert das Existenzrecht Israels in gesicherten und anerkannten Grenzen. Im Rahmen eines Friedens auf der Grundlage "Land für Frieden" kann die Sicherheit Israels effektiver gestaltet werden. Neben seiner militärischen Überlegenheit, die über Jahre durch die USA gesichert ist, und seiner atomaren Vormachtstellung kann sich Israel auf eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen wie etwa demilitarisierte Zonen, Satelliten- und Flugzeugüberwachung sowie Abrüstung mit den betroffenen Parteien einigen. Ein regionales Abkommen über ein gemeinsames Sicherheitssystem, unterstützt von der internationalen Gemeinschaft durch Überwachung von UN-Truppen, kann die Sicherheitsbedürfnisse Israels, aber auch seiner Nachbarstaaten garantieren. Die Spielräume für Gewaltanwendung und Terroraktionen werden erheblich vermindert. Durch die Rückgabe der besetzten Gebiete würde solchen Aktionen die Legitimation bzw. die Rechtfertigung entzogen.

Der Ausweg aus dem aktuellen Krisenzustand kann nur über die Rückkehr zur internationalen Legalität auf der Grundlage von UN-Resolutionen des Sicherheitsrates und der Prinzipien des Völkerrechts erfolgen mit dem Ziel, einen gerechten, umfassenden und dauerhaften Frieden im Nahen Osten zu realisieren. Diese Chance darf nicht verspielt werden. Besetzung und Unrecht schüren Hass und Feindschaft. Die Verhandlungen sollten zu einem gemeinsamen, gerechten Frieden führen und nicht dazu dienen, taktische Siege zu erringen. Ein Frieden, den einer der Parteien als aufgezwungen, ungerecht und demütigend empfindet, hält langfristig nicht.

Ein gemeinsamer Frieden ergibt sich fast von selbst. Es wird jedoch keinen wirklichen Frieden geben, bevor nicht zwischen Israel und allen seinen unmittelbaren Nachbarn Frieden geschlossen ist. Solange Palästinenser auf der Westbank und in Gaza unter israelischer Besatzung leben und syrische Gebiete von Israel besetzt bleiben, bestehen keine Erfolgsschancen für den Friedensprozess. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und eine gemeinsame Entwicklung der Region setzen Frieden auf allen Fronten voraus. Die Nahostregion benötigt einen umfassenden und gerechten Frieden. Er bildet die Grundlage für Sicherheit und Stabilität. Sie sind die Voraussetzungen für eine friedliche Entwicklung, wirtschaftliche Prosperität und politische Integrität.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ludwig Watzal, Friedensfeinde - Der Konflikt zwischen Israel und Palästina in Geschichte und Gegenwart, Berlin 1998, S. 90. Vgl. auch ders., Peace Enemies. The Past and Present Conflict between Israel and Palestine, Jerusalem 1999.

  2. Vgl. Ilan Pappe, Von Lausanne nach Oslo - Zur Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B14/98, S. 30-38.

  3. Der Spiegel, Nr. 42 vom 16. 10. 2000, S. 244.

  4. Ludwig Watzal, Frieden ohne Gerechtigkeit? Israel und die Menschenrechte der Palästinenser, Köln - Weimar - Wien 1994, S. 9.

  5. Dieser politische Bericht wurde in der arabischen Tageszeitung Al-Hayat vom 11. September 2000 veröffentlicht.

  6. Der Wortlaut des Interviews ist dokumentiert in englischer Sprache auf der Homepage Palästinas: (www.pna. org).

  7. Jasser Arafat, in: Al-Hayat und Al-Ayyam vom 9. 8. 2000.

  8. Schimon Peres, Die Versöhnung. Der neue Nahe Osten, München 1996, S. 80.

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geb. 1945; 1983-1994 Leiter des PLO-Büros in den Niederlanden, Norwegen und Dänemark; seit 1994 freier Journalist; seit 1997 Korrespondent der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa für Deutschland und die skandinavischen Länder.

Anschrift: Vogelsanger Platz 4, 50858 Köln.
E-Mail: A-R.Alawi@t-online.de

Veröffentlichungen zu Fragen des Nahostkonfliktes.