Zur Geschichte von Black America
One-drop rule
So umstritten zentrale Fragen zur Sklaverei auf dem nordamerikanischen Festland auch sein mögen, in zwei Problemkomplexen, die für das Verhältnis von schwarzen und weißen US-Amerikanern von bleibender Bedeutung sind, herrscht weitgehend Konsens: Erstens handelte es sich bei der Sklaverei in den britischen Kolonien und den USA um chattel slavery, also eine Form der Sklaverei, die sich von älteren Formen der Leibeigenschaft und Hörigkeit nicht nur durch die Adaption von globalisierten kapitalistischen Produktionsweisen und Marktverhältnissen auszeichnete, sondern die obendrein an der Rechtsfiktion festhielt, dass Sklaven keine humane Personalität besäßen, sondern reine Sachen wären.[9]Damit verband sich zweitens der strikt rassistische Charakter der Sklaverei im Süden der USA.[10] Mit dem Auslaufen der indentured servitude von Weißen im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden die Konzepte "schwarz" und "Sklave" weithin identisch, obwohl es, insbesondere in früheren französischen Kolonialgebieten, etwa dem Louisiana-Territorium, noch bis in die 1860er Jahre freie schwarze Sklavenhalter gab. Dies hing mit den unterschiedlichen Rassenordnungen in lateinisch-katholischen und nordeuropäisch-protestantischen Kolonialgebieten zusammen. Während in katholischen Territorien ein komplexes Kastensystem galt, in das man je nach Herkunft und Färbung der Haut eingegliedert wurde, und es stellenweise durchaus wohlhabende freie Schwarze gab,[11] kannten Briten und Niederländer nur die binäre Unterscheidung von schwarz und weiß, wobei jede noch so geringe Variante von Farbigkeit sozial disqualifizierend wirkte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts verfestigte sich diese zuvor traditionale Rassenordnung zur legalen one-drop rule, wonach jeder als schwarz galt, der mindestens zu einem Achtel, also von einem Urgroßelternteil, "schwarzes Blut" aufwies. Dieses Blutquantum sollte bis weit in das 20. Jahrhundert seine gesetzliche Gültigkeit behalten.
Im Laufe der 1840er und 1850er Jahre etablierte sich eine essenzialistische Zuschreibung fester Rassencharakteristika in den USA – im Norden und Süden. Schwarze, die zuvor wegen angeblicher kultureller Defizite als bloß rückständig und unzivilisiert gegolten hatten, wurden nun als minderwertige Menschen zweiter Klasse definiert. Selbst eine bessere Bildung, wie sie die Aufklärer des späten 18. Jahrhunderts für angebracht gehalten hatten, erschien mithin als vergebliche Liebesmüh. Einzig wenige evangelikale Sklavenhalter hielten es im Interesse des jenseitigen Seelenheils ihrer Sklaven für angebracht, ihnen gegen das Gesetz das Lesen der Bibel beizubringen, während sich im Gegensatz dazu viele südstaatliche evangelikale Pfarrer weigerten, schwarze Kinder zu taufen. Als biblische Begründung diente die Verfluchung Hams und Kanaans durch Noah in Genesis 9,25.[12] Protestantische Kirchengemeinden waren folgerichtig strikt rassisch segregiert. Allerdings war die religiöse Begründung meist sekundär gegenüber der vordarwinistischen naturwissenschaftlichen Lehre von der Polygenese, nach der Schwarze einer separaten "Menschenrasse" entstammten, die von Natur aus primitiver gewesen sei als die "weiße Rasse", allen voran als die Angelsachsen.
Ab den 1860er Jahren fiel dem Sozialdarwinismus die Begründungsfunktion für den weltanschaulichen Rassismus zu. Mit der Lehre von den unabänderlichen Rassecharakteristika setzte sich im Süden die Vorstellung vom naturhaft devoten "Sambo"[13] oder dem treudoofen, aber loyalen "Onkel Tom"[14] durch. Im Norden hingegen, wo im Ausgang des 18. Jahrhunderts die Sklaverei abgeschafft worden war und freie Schwarze die Regel waren, galten – gerade für die Demokratische Partei – die schwarzen Männer als besonders gewalttätig und als potenzielle Vergewaltiger weißer Frauen. Hier herrschte das Stereotyp vom black perpetrator ("schwarzer Verbrecher") vor, das in Verbindung mit den Ängsten in den Südstaaten vor einem blutigen Sklavenaufstand wie dem auf Santo Domingo (Haiti) um 1791 die Wahlkämpfe der Demokraten ab den 1840er Jahren dominierte.[15]
Aber selbst die Gegner der Sklaverei, viele Liberale, aufgeklärte Philanthropen, vor allem aber radikale nordstaatliche Evangelikale und Quäker (die ersten Abolitionisten überhaupt), blieben nicht frei von rassistischen Vorurteilen und Stereotypen. Sie strebten zwar aus religiösen, ethischen und wirtschaftlichen Gründen ein Ende der Sklaverei an, viele von ihnen aber hätten es nur zu gerne gesehen, wenn im Anschluss an die künftige Emanzipation alle Schwarzen nach Afrika "zurückgekehrt" wären. Die Gründung des liberianischen Freistaates an der Westküste Afrikas in den 1820er Jahren durch die American Colonization Society, der auch viele Sklavenhalter angehörten, verdankte sich dieser Hoffnung.[16]