Hedwig Dohms "Die Antifeministen"
Antifeminismus im Kaiserreich
Um 1900, verstärkt ab 1908,[6] waren frauenbewegte Stimmen und Aktivitäten in der gesamten Gesellschaft deutlich wahrzunehmen. Die nahezu flächendeckende Präsenz von Frauenvereinen und -organisationen brachte deren Anliegen und Bestrebungen verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Die noch wenigen Akademikerinnen (wie Ärztinnen oder Juristinnen), die im Ausland (so etwa in Zürich) bereits ein Studium absolvieren konnten, bevor dieser Weg für Frauen in Deutschland offiziell möglich wurde, äußerten sich nicht nur im Kontext frauenbewegter Öffentlichkeit zu Fragen der Gesundheit, des Rechts oder der Bildung. Auf die bereits erreichten – ebenso wie auf die geforderten, aber noch lange nicht verwirklichten – Öffnungen und Veränderungen in der gesellschaftlichen Geschlechterordnung reagierten sogenannte Antifeminist_innen mit starken Ressentiments; eine Veränderung der Stellung von Frauen in der Gesellschaft, vor allem aber den Anspruch von Frauen auf umfassende gesellschaftliche Teilhabe lehnten sie ab. "Obrigkeit ist männlich; das ist ein Satz, der sich eigentlich von selbst versteht", so bringt es der preußische Historiker Heinrich von Treitschke auf den Punkt.[7]Die soziale Zusammensetzung antifeministischer Kreise erstreckte sich vom Großbürgertum über die Mittelschichten (vor allem Lehrer und Angestellte) bis in den agrarischen Bereich hinein ("Bund der Landwirte"). Großgrundbesitzer gehörten ebenso dazu wie Wissenschaftler, Beamte, Juristen, Ärzte, Politiker und Kleriker. Zu einem organisatorischen Kristallisationspunkt wurde schließlich der "Deutsche Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation", dessen 1912 erfolgte Gründung auf Akteur_innen des "Alldeutschen Verbandes"[8] zurückgeht (dort wiederum sammelten sich vor allem National-Konservative und völkisch Gesinnte). Mit seinem Motto "Wahre Männlichkeit für den Mann, wahre Weiblichkeit für die Frau" konnte der "Bund" auch ein weibliches Publikum ansprechen: Ein Viertel seiner Mitglieder waren Frauen (überwiegend aus der bildungsbürgerlich-adligen Oberschicht); das sind mehr, als zeitgleich in der Sozialdemokratie organisiert waren. Gezielt wurde überdies "der anständige und denkende Arbeiter" adressiert, dem ebenfalls eine kritische Haltung in Bezug auf Frauenemanzipation unterstellt wurde.[9]
Die Resonanzräume antifeministischen Denkens reichten weit über eine solch einzelne Organisation wie den "Bund" hinaus. Wo bevölkerungspolitische Fragen verhandelt wurden, wo die Bedeutung der "deutschen Nation" hervorgehoben wurde, wo mit der "Gesundheit des Volkskörpers" argumentiert wurde, da war ein antifeministisches Ressentiment in der Regel nicht weit.[10]
Eine der antifeministischen Schreckensvisionen war die "Feminisierung" der Politik – für viele auch verbunden mit der Ablehnung demokratischer Staatsformen. Abgewehrt werden mussten demnach nicht nur die revolutionären Bestrebungen der Arbeiterklasse, sondern auch die Ambitionen demokratisch gesinnter bürgerlicher Kräfte. Ute Planert zeigt auf, wie sich in den antifeministischen Artikulationen antimodernistische und antidemokratische mit antisemitischen (und auch antislawischen) Motiven verknüpfen. Als besonders gern bemühtes diskursives Muster arbeitet Planert in diesem Zusammenhang die Idealisierung des "privaten Raumes" heraus, der anscheinend gegen die unliebsamen "Modernisierungseffekte" abgeschirmt werden muss:[11] "Dem Mann der Staat, der Frau die Familie", nur so scheint die Welt in (Geschlechter-)Ordnung zu sein.
Auch jenseits dezidiert antifeministischer Positionen wird die um 1900 von unterschiedlichen Akteur_innen formulierte "Zivilisationskritik in den Chiffren von Weiblichkeit und Männlichkeit"[12] verhandelt. Die imaginierten Bedrohungsszenarien beziehen sich durchaus auf historische Prozesse und gesellschaftliche Erfahrungen, auch wenn diese häufig nur verzerrt angesprochen werden und damit das in ihnen enthaltene soziale Konfliktpotenzial wieder verdeckt wird – so etwa die, zunächst insbesondere von Lehrern und Angestellten befürchtete Konkurrenz durch (aus)gebildete Frauen.
Es geht um Rechte und Pflichten (etwa in Ehe, Familie, im Unterhaltsrecht), um den Zugang zu gesellschaftlichen Institutionen, zu qualifizierten Berufen, um Schutz vor sexualisierter Gewalt. Nicht von ungefähr werden gerade die Rechtsforderungen der Frauenbewegung zu einem Hauptangriffspunkt des "Bundes", der von 1912 bis 1914 eine Art "Pressekrieg" gegen den "Bund deutscher Frauenvereine" (BDF) führt. Im BDF, der 1894 gegründeten Dachorganisation der bürgerlichen Frauenbewegung, sind zu dieser Zeit etwa eine halbe Million Frauen organisiert. Interessanterweise erfolgen die Attacken der Antifeminist_innen gegen die gemäßigt(er)en Akteurinnen der Frauenbewegung, die bereits eine gewisse Unterstützung für ihre Anliegen durch das "bürgerliche Publikum" erreichen konnten.
Mit Kriegsbeginn 1914 verändert sich die Situation: Frauenbewegte Akteurinnen organisieren mit dem "Nationalen Frauendienst" (NFD) die "Heimatfront" und sorgen so mit dafür, dass der Krieg geführt werden kann.[13] "Modernere" antidemokratische und antifeministische Strömungen laufen dem "Bund" mehr und mehr den Rang ab.[14] Mit Inkrafttreten der Weimarer Verfassung 1919 erhalten Frauen das Wahlrecht und stellen Abgeordnete im ersten Parlament der Republik. Der Fokus des politischen Antifeminismus verschiebt sich laut Planert nun mehr und mehr auf Familie und Bevölkerungspolitik im Kontext des Wohlfahrtsstaats, und mit Erstarken der nationalsozialistischen Bewegung wird die Utopie des "Männerbundes"[15] zum neuen Gegenmittel in Bezug auf Frauenemanzipation und die beschworene Feminisierung der Politik in der Demokratie.
Zeitgenössische Polemik und Analyse
Mit ihrer 1902 erschienenen Essay-Sammlung[16] prägt Hedwig Dohm den Begriff "Antifeminismus" analog zum Begriff "Antisemitismus"[17] und dekonstruiert die damit verbundenen Denkweisen. Sie wendet sich entschieden gegen "denjenigen, der meine Entrechtung für alle Ewigkeit festhalten will, der das Weib nur als Durchgang zum eigentlichen Menschen – als Gebärerin des Mannes – gelten lässt".[18] Dabei macht sie als "Alltagswissen" oder "geistiges Allgemeingut" getarnte antifeministische Meinungen kenntlich und reißt sie aus ihrer "Selbstverständlichkeit".[19] Die Antifeministen begründen, so Dohm, "ihre Gegnerschaft mit der geistigen und körperlichen Minderwertigkeit der Frau, oder sie decken sie mit der erhabenen Mission des Weibes als Priesterin des häuslichen Herdes mit ihrer mimosenhaften Zartheit und ähnlichem Flügelschmuck".[20] Dohm entlarvt in vielen ihrer politischen Schriften die sogenannte Natur der Frau als soziales Konstrukt und formuliert eine radikale Kritik am Geschlechterdualismus: "Gleichgültig, ob ich Mann, Weib oder Neutrum bin – vor allem bin ich Ich, eine bestimmte Individualität, und ein bestimmter Wert beruht auf dieser Individualität."[21]Dohm greift die Argumente und Denkfiguren, auch die sprachlichen Wendungen der Gegner_innen jeder Frauenemanzipation auf und treibt deren Denken sozusagen auf die Spitze, um zu zeigen, was es damit auf sich hat. Das Denken der Antifeministen zur Kenntlichkeit entstellen, das ist ihre Strategie – eine viel genutzte Strategie scharfer politischer Satire. Und das macht ihre Position auch heute wieder interessant. Hedwig Dohm ist eine Art Vordenkerin der Frauenbewegungen ihrer Zeit;[22] vor allem dem frauenbewegten Mainstream ist sie ein deutliches Stück voraus. Sie setzt sich in ihren Polemiken mit Autor_innen unterschiedlicher Provenienz auseinander, darunter "wissenschaftliche" Autoren wie etwa Paul Julius Möbius, der in einer zeitgenössisch viel gelesenen und bemühten Schrift den "Physiologischen Schwachsinn des Weibes"[23] zu belegen sucht, indem er Messungen zu Gehirnumfang und Gehirngewicht als eindeutigen Beleg dafür ins Feld führt, warum "das Weib" "qua Natur" "schwachsinnig", also schwachen Sinnes sei – für viele ein Argument gegen die Bildungsfähigkeit, die Denkfähigkeit von Frauen.