Neue Museen - neue Geschichte?
Sinn und Zweck der jüngsten deutschen Erinnerungspolitik zeigen Konzeptionen für historische Ausstellungen und Gedenkstätten. Die Verordnung eines Geschichtsbildes ist in unserer pluralistischen Gesellschaft jedoch nicht möglich.Einleitung
Zum wiederholten Male bescherte ein Historiendrama dem Fernsehen einen Quotenhit: Als die ARD im März 2007 den Zweiteiler "Die Flucht" ausstrahlte, verfolgten durchschnittlich fast 11 Millionen Zuschauer den Fernsehfilm über den deutschen Exodus aus Ostpreußen im Winter 1944/45. Die hohe Zuschauerzahl freute nicht nur die Programmverantwortlichen des Senders, auch die deutschen Vertriebenenverbände zeigten sich zufrieden, war doch das große Zuschauerinteresse an der Leidensgeschichte der Heimatvertriebenen der vermeintliche Beweis dafür, dass der langjährige, von Verbandsseite erbrachte Einsatz für ein "Zentrum gegen Vertreibungen" im Einklang mit den Erinnerungswünschen der Bundesbürger stünde. Erfolgsquoten für ein mit Herzschmerz und dosierter Action beladenes Eventmovie wurden zum schlagenden Argument gegen "alle, die sich immer noch sträubten, ein sichtbares Zeichen zur Erinnerung an die Leiden der Deutschen durch Flucht und Vertreibung zuzulassen."[1]Dabei war soviel argumentativer Einsatz gar nicht mehr nötig. Die Politik hatte in der Frage eines möglichen Zentrums gegen Vertreibungen schon längst entschieden: Nach jahrelanger Debatte über das Für und Wider einer solchen Einrichtung hatte sich die Große Koalition im Jahre 2005 "zur gesellschaftlichen wie historischen Aufarbeitung von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung" bekannt und darauf verständigt, "im Geiste der Versöhnung in Berlin ein sichtbares Zeichen zu setzen".[2] Inzwischen hat diese Absichtserklärung konkretere Züge angenommen: Unter Federführung des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien soll in Berlin ein Erinnerungsort gestaltet werden, dessen "wesentlicher Bestandteil eine Dauerausstellung sein wird".[3] Damit offenbart sich einmal mehr jenes Merkmal, das (nicht nur) in Deutschland den öffentlichen Umgang mit der Vergangenheit zu bestimmen scheint: Die Politik wird zum Auftraggeber für die Herstellung und Pflege von historischer Erinnerung. Sie zielt auf ein Wachhalten von historischen Ereignissen und Entwicklungen im Bewusstsein der Bevölkerung und beeinflusst, ja steuert auf diese Weise die Erinnerungskultur.[4]
Eine zentrale Aufgabe zur Konservierung von Erinnerung - diesen Rückschluss lässt das obige Beispiel zu - übernimmt hierbei die historische Ausstellung. Als "erinnerungskulturelle Ressource"[5] scheint das Geschichtsmuseum für die Politik von besonderem Interesse zu sein, bieten doch historische Ausstellungen die Möglichkeit zur Instrumentalisierung der Vergangenheit, zur Nutzbarmachung von Geschichte für Gegenwartszwecke: Auf dem Wege einer musealen Präsentation von Vergangenheit kann bestimmten, im Einklang mit der jeweiligen politischen Überzeugung stehenden Geschichtsbildern Wirkungsmacht verliehen werden. Solche Geschichtsbilder sollen bei den Museumsbesuchern - in der Regel wird dabei unabhängig von Bildung und sozialer Herkunft auf die Gesamtheit der Bürger gezielt[6] - ein historisches Bewusstsein schaffen, das die Identifikation mit jenen Traditionsbeständen ermöglichen soll, die im Sinne der politischen Auftraggeber als erinnerungswürdig und sinnstiftend für Gegenwart und Zukunft gelten können. Als Medium einer solchen Erinnerungspolitik wird das Museum letztlich selbst zu einem Bestandteil der "politics of memory",[7] zu einem spezifischen Ausdruck bundesrepublikanischen Traditions- und Staatsbewusstseins. Der geschichtspolitische Impetus musealer Arbeit ist unübersehbar.[8]
Doch welche konkreten Ziele verfolgt die von der Politik auf den Weg gebrachte museale Vermittlung von Geschichte in Deutschland? Handelt es sich dabei tatsächlich um den Versuch, für die Gegenwart eine Kontinuität mit einer positiv besetzten Vergangenheit aufrechtzuerhalten, also um jene bewusst betriebene "invention of tradition", die der britische Historiker Eric Hobsbawm als ein wesentliches Merkmal einer Nation im Umgang mit ihrer Vergangenheit betrachtet hat?[9] Und stützen historische Ausstellungen nicht ebenso das Konzept der sog. "imagined communities", jene Vorstellung des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Benedict Anderson, die den Zusammenhalt des Nationalstaates durch ein künstlich erzeugtes Gemeinschaftsgefühl bewahrt sieht; einen Gemeinsinn, der die Identität auch von Menschen erlaubt, die nicht mehr nur in direkten persönlichen Beziehungen zueinander stehen?[10] Sind es nicht die verschiedenen Institutionen der Erinnerung, Museen wie Gedenkstätten, die mit einer zur Schau gestellten ausgewählten Geschichte die Gültigkeit des Prinzips von der "Erfindung der Nation" beweisen?[11] Und wenn dem wirklich so ist, welche Geschichte soll überhaupt wie erinnert werden, damit sich die Deutschen der Gegenwart als zusammengehörig empfinden? Dient etwa ein Spickzettel, mit dessen vermeintlicher Hilfe der Torhüter der deutschen Fußballnationalmannschaft beim Elfmeterschießen im Viertelfinale der Fußball-WM 2006 die entscheidenden Schüsse parierte, tatsächlich noch der Herstellung eines nationalen Gemeinschaftsgefühls oder wird hier die Geschichte nur mehr bloß als Erlebnis besucherorientiert und unterhaltsam präsentiert?[12]
Ein Blick auf die in der Bundesrepublik in der jüngeren Vergangenheit stattfindenden Diskussionen um Museen und historische Ausstellungen soll helfen, die Frage nach der Rolle politischer Akteure und ihrer Ziele, aber auch nach deren tatsächlichen Einflussmöglichkeiten in der museal vermittelten Erinnerungskultur zu beantworten. So steht die Frage im Mittelpunkt, ob mit den jüngsten Plänen von Museumsgründungen in Deutschland auch ein neues Geschichtsbild verbreitet werden soll.
Zunächst aber sollen die Rahmenbedingungen von Kulturpolitik in Deutschland skizziert werden, jenes Politikfeld, das für Ausbau und Entwicklung staatlich geförderter Erinnerungsorte verantwortlich zeichnet:[13] Gemäß dem Grundgesetz ist Kulturpolitik in der Bundesrepublik zwar größtenteils Ländersache, jedoch übernimmt der Bund vor dem Hintergrund seiner gesamtstaatlichen Verantwortung die Zuständigkeit für Aufbau und Förderung gesamtstaatlich bedeutsamer kultureller Einrichtungen sowie für die Bewahrung und den Schutz des kulturellen Erbes. Wahrgenommen werden diese Aufgaben von dem Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Mit dem Bundesbeauftragten korrespondiert der vom Deutschen Bundestag eingesetzte Ausschuss für Kultur und Medien; dieser legt dem Parlament - sofern der Ausschuss federführend und nicht bloß mitberatend ist - eine Beschlussvorlage vor, welche die Grundlage für die abschließende Abstimmung im Plenum bildet. Nun darf man sich allerdings nicht vorstellen, die Beratungen würden bis zur Beschlussfindung hinter verschlossenen Türen und nur im Kreise von Berufspolitikern verlaufen. Gerade in Fragen der geschichtlichen Aufarbeitung ziehen der Bundesbeauftragte und der Ausschuss regelmäßig Experten zu Rate. Deren Empfehlungen, meist über einen längeren Zeitraum in einer extra dafür eingesetzten Kommission erarbeitet, sollen die - keineswegs verbindliche - Grundlage für den weiteren Meinungsaustausch bis zum endgültigen Entschluss des Parlaments bilden. Eine besondere Transparenz soll der Entscheidungsfindungsprozess zudem durch öffentliche Anhörungen sowie die Diskussion von ausgewählten Schwerpunktthemen in öffentlichen Sitzungen erhalten.