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Entwicklung statt Wachstum | bpb.de

Entwicklung statt Wachstum

Rainer Land

/ 14 Minuten zu lesen

Statt einen Rückbau der Wirtschaft braucht es eine ökologische Wirtschaftsentwicklung, mit der durch umweltkompatible Innovationen und nachhaltige Ressourcenbewirtschaftung eine wirkliche sozial-ökologische Transformation erreichbar ist.

Mit dem Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit "Grenzen des Wachstums" aus dem Jahr 1972 begann die öffentliche Diskussion über die Notwendigkeit einer grundlegenden Transformation der Wirtschaftssysteme. Heute ist allgemein bekannt, dass die natürlichen Ressourcen endlich sind und in absehbarer Zeit erschöpft sein werden: fossile Energien, viele Rohstoffe – Gold, Blei, Kupfer, Zink, Nickel, Bauxit und Uran noch in diesem Jahrhundert, Eisen und Kali im kommenden. Die Aufnahmefähigkeit der Ökosysteme für Abprodukte (Abgase, Abwässer, Müll und Schadstoffe) ist vielerorten deutlich überschritten.

Die Erdsysteme und die Biosphären können sich wahrscheinlich an einen Klimakollaps und eine für uns vergiftete Atmosphäre, vergiftete Ozeane und Böden anpassen. Die Erhaltung der menschlichen Zivilisation setzt aber Ökosysteme voraus, die den derzeitigen weitgehend ähneln. Ohne einen grundlegenden Pfadwechsel droht die Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschen. Wie aber ist diese ökologische Krise der menschlichen Produktionsweise zu überwinden?

Es gibt dazu zwei Ansätze. Die eine Richtung ist die des Postwachstum und Degrowth. Die andere ist das Konzept der ökologischen Wirtschaftsentwicklung, ein Ansatz, den auch ich vertrete. Zu dieser Richtung gehören verschiedene Varianten des Green New Deal und des selektiven oder grünen "Wachstums".

Beide Ansätze setzen sich kritisch mit dem ökonomischen Mainstream des marktgetriebenen technischen Fortschritts und zwanghaften Wirtschaftswachstums auseinander und streben eine Transformation des Wirtschaftssystems an. Der ökonomische Mainstream hielt lange Zeit einen grundlegenden ökologischen Umbau der kapitalistischen Produktionsweise für nicht notwendig. Dadurch wurden im Ergebnis mehr als drei Jahrzehnte verschenkt. Derzeit wankt das neoklassische Wachstumsmodell unter dem Druck der ökologischen und sozialen Krisen und neuer politischer Bewegungen wie Fridays for Future.

Inzwischen wird die Notwendigkeit einer ökologischen Neuausrichtung auch im ökonomischen Mainstream anerkannt, wenigstens punktuell. Die Auseinandersetzung zwischen den drei Grundrichtungen – (1) Weiter so mit einzelnen ökologischen Korrekturen (Mainstream), (2) Postwachstum oder (3) ökologischer Umbau durch ein anderes Modell wirtschaftlicher Entwicklung – betrifft vor allem die Methoden. Der Mainstream setzt auf einzelne Marktinstrumente wie einen CO2-Preis. Degrowth und Postwachstum meinen, geringere Wachstumsraten, Nullwachstum oder negative Wachstumsraten des BIP seien die entscheidende Lösung. Ein verändertes Regime wirtschaftlicher Entwicklung, eine gelenkte Marktwirtschaft mit ökologischer Regulation generiert hingegen andere Richtungen wirtschaftlicher Entwicklung. Die italienisch-amerikanische Ökonomin Mariana Mazzucato spricht diesbezüglich von einem missionsorientierten Ansatz.

Warum weniger oder kein Wachstum keine Lösung ist

Die Postwachstums-Bewegung hat sich seit den 1960er Jahren stark ausdifferenziert. Ein Höhepunkt war die internationale Degrowth-Konferenz 2014 in Leipzig. Das Spektrum von Kritik und Alternativen ist breit und umfasst radikal-ökologische Positionen, Kapitalismuskritik, feministische Ansätze, traditionelle linke Positionen, aber auch konservative oder libertäre Wachstumskritik.

Für die Postwachstumstheorie ist der kapitalistischen Produktions- und Wirtschaftsweise ein Wachstumszwang immanent, da er in den Produktionsverhältnissen und der Sozialstruktur begründet sei. Die heutigen ökologischen Probleme seien Folge dieses Wachstumszwangs. Weiter sei das Wachstum des BIP zwingend mit steigendem Ressourcenverbrauch verbunden, eine Entkopplung sei aufgrund des Rebound-Effekts, bei dem durch Effizienzsteigerungen freigesetzte Ressourcen durch zusätzliche Produktion direkt wieder gebunden werden, nicht oder nur in engen Grenzen möglich. Folglich könne ein sinkender Ressourcenverbrauch nur durch weniger Wachstum, streng genommen nur durch negatives Wachstum erreicht werden. Die Einstellung unnötigen Luxuskonsums, ein reduzierter allgemeiner Konsum und eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung mit mehr freier Zeit für Eigenarbeit seien mögliche Wege.

Sinkende oder negative Wachstumsraten scheinen allerdings nur auf den ersten Blick eine plausible Antwort. Ein genauerer Blick zeigt, dass damit keine Lösung der ökologischen Probleme verbunden ist. Geringeres Wachstum oder Nullwachstum würden den laufenden Ressourcenverbrauch nicht reduzieren. Der Verbrauch an Ressourcen, die CO2-Emissionen und die Menge an Abprodukten und Schadstoffen, die die Ökosysteme sowie die Biodiversität zerstören, sie würden zwar nicht mehr wachsen, aber auf dem gegenwärtigen Niveau bleiben. Der Klimawandel verlangt aber, die CO2-Emissionen binnen 20 oder maximal 30 Jahren auf null zu reduzieren. Etwas Schrumpfung würde kaum nutzen, und eine Halbierung des BIP würde eine schwere wirtschaftliche und soziale Krise auslösen, die ökologische Krise aber nur herauszögern.

Eine künftige Wirtschaft muss also ganz ohne Entnahme sich erschöpfender Rohstoffe und ohne Emission schädlicher Abprodukte auskommen. Es geht nicht um Nullwachstum, sondern um eine grundsätzlich umweltkompatible Produktions- und Konsumtionsweise. Diese ist nicht durch Wachstumsbeschränkungen, sondern nur durch grundsätzlich andere, umweltkompatible Verfahren und Produkte zu erreichen, durch einen Umbau des Wirtschaftssystems, durch technologische Innovationen, durch verändertes Konsumverhalten und eine andere sozialökonomische und politische Regulation wirtschaftlicher Entwicklung.

Der Abbau von Luxuskonsum und unnötigem Ressourcenverbrauch ist ein zu unterstützender Vorschlag. Immerhin verursacht der Konsum der Superreichen global fast 16 Prozent der Klimagasemissionen. Damit schädigen sie "das Klima mehr als die ärmsten 50 Prozent der Weltbevölkerung". Steuern auf sehr hohe Einkommen, Vermögen und auf Luxuskonsum könnten helfen. Aber das wäre nicht genug. Den größten Anteil am Verbrauch haben die mittleren und unteren Einkommensschichten. Die meisten Menschen in ärmeren Ländern und den Niedriglohnsektoren der entwickelten Länder können und werden nicht auf Teile ihres Einkommens verzichten. Zudem wird die Weltbevölkerung weiter auf voraussichtlich über zehn Milliarden Menschen wachsen. Ein ökologischer Umbau ist nur möglich, wenn er mit der Verbesserung der Lebenssituation für die Bevölkerungsmehrheit verbunden wird, vor allem für die Unter- und Mittelschichten und die ärmeren Länder.

Ökologischer Umbau und evolutorische Ökonomie

Nötig ist ein ökologischer Umbau der Produktions- und Lebensweise, der einerseits zu einem absolut sinkenden Ressourcenverbrauch und andererseits zu wachsenden Einkommen der einkommensschwachen Bevölkerungsmehrheit führt. Eine evolutorische Ökonomie muss und kann diesen Entwicklungspfad aufzeigen.

Er erfordert den Umbau der gesamten Produktion, Konsumtion und Infrastruktur binnen zwei oder drei Generationen, also innerhalb von 50 bis 75 Jahren – einem Zeitraum, in dem auch in der Vergangenheit alle Produktionsmittel, Infrastrukturen, Gebäude und Konsumstrukturen mindestens einmal ersetzt oder transformiert wurden. Es geht also um mittel- und langfristig veränderte Entwicklungsrichtungen, nicht um einen Umsturz von heute auf morgen. Ökologischer Umbau bedeutet, Innovationen primär unter ökologischen Kriterien zu selektieren und alle Verfahren, Produkte und Infrastrukturen unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten zu erneuern. Dabei müssen die prekären Bereiche – die Emission von Treibhausgasen und der Umbau der Energiesysteme, die Zerstörung der Biodiversität, der Plastikmüll, die Wasserkreisläufe – zuerst, also in den nächsten 10 bis 20 Jahren bearbeitet werden.

Unter ökologischen Gesichtspunkten müssen Innovationen zuallererst umweltkompatibel sein. Das heißt, alle neuen Produkte und Verfahren dürfen bei der Herstellung, Anwendung und bei der Entsorgung die Ökosysteme der Erde nicht schädigen. Alle Energiesysteme sind auf erneuerbare Energien umzustellen, ohne Rohstoffe zu verbrauchen oder schädliche Abprodukte zu emittieren. Künftige Verkehrssysteme müssen auf Verfahren aufbauen, die keine Klimagase emittieren, umweltkompatibel und komplett recyclingfähig sind. Für alle prekären Rohstoffe und Abprodukte müssen Stoffkreisläufe unter Zuhilfenahme natürlicher Ökosysteme aufgebaut werden. Für Materialien wie Metalle und Baustoffe sind geschlossene industrielle Kreisläufe zu gestalten. Nach und neben dem Umbau der Energiesysteme sollte der Aufbau eines umfassenden Stoffstrommanagements die zweite wichtige Komponente des ökologischen Umbaus sein. Essenziell ist aber auch der Umbau der Industrie: Sie braucht eine Umstellung auf erneuerbare Energien, in der chemischen Industrie auf grünen Wasserstoff als Energieträger. Ferner muss sie künftig umweltkompatible und recyclingfähige Produkte und Verfahren gestalten. Die Entnahme von Rohstoffen und die Abgabe von Abprodukten soll tendenziell gegen null reduziert werden, beginnend mit prekären Ressourcen. Schließlich müsste ein Drittel oder sogar die Hälfte der Erde (Landmassen wie Ozeane und Meere) von der wirtschaftlichen Nutzung ausgeschlossen werden und als Naturschutzgebiet ausschließlich der Regeneration und Erhaltung der Ökosysteme dienen.

Regulation des ökologischen Umbaus

Die skizzierten Entwicklungsrichtungen des ökologischen Umbaus erfordern eine gelenkte Marktwirtschaft. So geht etwa Mariana Mazzucato davon aus, dass der Staat nicht nur wirtschaftliche Rahmenbedingungen sicherstellen soll, sondern durch Wissenschaft, Forschung und Entwicklung, durch öffentliche Investitionen und Innovationen wirtschaftliche Entwicklung aktiv gestalten muss. Wie es gehen könnte, zeigt sie am Beispiel des Apollo-Programms der Kennedy-Regierung in den 1960er Jahren. Die Vorstellung neoklassischer Ökonomen, der Markt könne sinnvolle Entwicklungstrends selektieren, ist grundlegend falsch. Eine gelenkte Marktwirtschaft ist eine Marktwirtschaft, die Allokation von Ressourcen und die Preisbildung erfolgen im Wesentlichen auf Märkten. Aber es werden gesellschaftliche Entwicklungsziele gesetzt, private wie staatliche Unternehmen werden durch Rahmenbedingungen und geeignete Mittel, vor allem durch öffentliche und private Investitionen, in gewollte Bahnen gelenkt. Dabei dürfen nicht die Finanzmärkte den Trend bestimmen; sie müssen der realwirtschaftlichen Entwicklung dienen.

Schon John Maynard Keynes hatte ausführlich begründet, warum eine Marktwirtschaft keine stabile wirtschaftliche Entwicklung generiert, sondern einer makroökonomischen Regulation bedarf, insbesondere der Löhne, der öffentlichen Ausgaben, des Welthandels und der Währungssysteme. Ihm ging es um Stabilität und Vollbeschäftigung. Das Konzept der gelenkten Marktwirtschaft geht darüber hinaus: Es geht um die Lenkung der Entwicklungsrichtungen. Es geht um die demokratische Konsensbildung über Entwicklungsziele in der Bevölkerung, die Interessen der Arbeiter, der Unternehmer, der Verbraucher. Es geht um Ziele, die die natürlichen und sozialen Lebensbedingungen der Menschen langfristig erhalten. Der Markt wird benötigt, um den aktuellen Zustand des Wirtschaftssystems abzubilden, aber er kann nicht die Ziele künftiger Entwicklung bestimmen. Sie müssen durch einen gesellschaftlichen Kommunikationsprozess erstritten und erarbeitet werden. Es ist durchaus offen, ob dies in den gespaltenen westlichen Gesellschaften gelingen kann. Ein Grundkonsens zum ökologischen Umbau ist derzeit nicht absehbar, weil dieses Thema seit Jahrzehnten für wirtschaftliche und politische Machtkämpfe und für die Umverteilung von Einkommen von unten nach oben missbraucht wurde und wird. Gleichwohl wäre ein solcher Konsens die eine notwendige Voraussetzung für eine Lenkung marktwirtschaftlicher Entwicklung. Die andere betrifft die Instrumente, mit denen gelenkt werden soll.

Ressourcenbewirtschaftung

Das wichtigste ökologische Instrumentarium ist die Bewirtschaftung aller prekären ökologischen Ressourcen. Für jede bewirtschaftete Ressource, seien es Böden, Gewässer, Senken oder Rohstoffe, muss ein Verfahren und eine öffentlich kontrollierte Verwaltung aufgebaut werden, je nach Charakter der Ressource lokal, regional, national oder multinational. Auf wissenschaftlicher Grundlage werden eine Tragfähigkeitsgrenze und, wenn diese überschritten ist, ein Absenkungspfad (jährliche Verringerung der Nutzung) festgelegt. Die Nutzung bewirtschafteter Ressourcen setzt dann den Erwerb von Nutzungsrechten voraus. Im Rahmen des gesetzten Nutzungsvolumens und der Nachfrage nach Nutzungsrechten wird ein Preis gebildet. Die Preisbildung muss politisch kontrolliert werden, Spekulationen und der Handel mit Nutzungsrechten sind auszuschließen. Nutzungsrechte dürfen nur an die ausgebende Stelle zurückgegeben werden, bei Nichtnutzung darf nur der Ausgabepreis erstattet werden. Entscheidend ist nicht die Bepreisung, wie neoliberale Deutungen gern nahelegen, sondern die strikte Begrenzung der Nutzungsvolumina. Der gesetzte Gesamtrahmen darf nicht überschritten und die Nutzung muss öffentlich überwacht werden.

Kreditfinanzierte Investitionen

Gleichzeitig mit der Ressourcenbewirtschaftung oder sogar im Vorlauf dazu müssen Alternativen zur bisherigen Nutzung prekärer Ressourcen entwickelt und angeboten werden. Nur dann haben potenzielle Nachfrager die Möglichkeit, auf Substitute zu wechseln, andere Verfahren oder Materialien anzuwenden, neue umweltkompatible Produkte zu entwickeln und auf Ressourcen zu verzichten, statt für deren Nutzung zu bezahlen. Ressourcenbewirtschaftung ohne breit angelegte Erforschung und Entwicklung neuer umweltkompatibler Technologien und Unternehmensstrategien würde keinen neuen Entwicklungspfad, sondern eine Wirtschaftskrise zur Folge haben. Zu einer missionsorientierten Entwicklung gehört daher die umfassende Finanzierung von Innovationen und Investitionen. Im Vorgriff auf die Ressourcenbewirtschaftung müssen diese Entwicklungen durch Kreditaufnahme finanziert werden. Durch kreditfinanzierte Investitionen in Innovationen und neue Anlagen und Infrastrukturen entsteht eine zusätzliche Nachfrage, die den Nachfragerückgang durch steigende Preise bei Nutzungsentgelten ausgleicht. So können depressive Wirkungen der Ressourcenbewirtschaftung vermieden werden. Mit zunehmender Wirksamkeit der Ressourcenbewirtschaftung und der kreditfinanzierten Forschung und Entwicklung können Einnahmen aus Nutzungsentgelten zur Refinanzierung der Kredite eingesetzt werden.

Interventionen

Hinzu kommen weitere Instrumente einer gelenkten Marktwirtschaft, die nicht nur im ökologischen Kontext relevant sind. Eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte ist nötig, damit die inhaltlich gesetzten Entwicklungsziele nicht durch Selektionen auf steigende Marktwerte von Finanzanlagen konterkariert werden, die zudem zu Blasen und Finanzkrisen führen können. Die Geldpolitik muss sicherstellen, dass die kreditfinanzierten Innovations- und Investitionsprogramme mit einem stabilen Konjunkturverlauf einhergehen. Die Lohnpolitik muss sicherstellen, dass die Löhne im Maße der Produktivität plus der Zielinflationsrate steigen und keine anhaltenden Handelsbilanzdivergenzen auftreten. Zudem geht es darum, dass steigende Einkommen mindestens die Preissteigerungen für ökologische Ressourcen ausgleichen – soweit dies Verbraucherpreise betrifft. In der Finanzpolitik müssen alle staatlichen Ausgaben als kompatibel mit dem ökologischen Umbau gestaltet werden – quasi durch einen "ökologischen Vorbehalt" in der Haushaltspolitik. Die Wechselkurspolitik muss sicherstellen, dass kooperatives Verhalten der Handelspartner im Hinblick auf den ökologischen Umbau begünstigt wird, keine Trittbrettfahrerei erfolgt und ungleiche Lasten ausgeglichen werden. Es bietet sich an, eine Reihe wichtiger ökologischer Programme multinational zu organisieren.

Es ist in diesem Rahmen nicht möglich, alle möglichen Instrumente einer gelenkten Marktwirtschaft darzustellen. Es geht um das Prinzip: Geteilte, gesellschaftlich gesetzte wirtschaftliche Entwicklungsziele sollen durch entsprechende politische Instrumente im Rahmen der Marktwirtschaft umgesetzt werden. Dabei muss es eine demokratische öffentliche Kontrolle und Teilhabe der Zivilgesellschaft geben, damit neue ökologische Lenkungsorgane nicht zu Mitteln des Ausbaus verselbstständigter Macht des Staates, der Parteien, einzelner Lobbyorganisationen oder Unternehmen werden. Mit einer ökologisch ausgerichteten gelenkten Marktwirtschaft ist es möglich, den Verbrauch von Naturressourcen, insbesondere die Emissionen von Klimagasen, Abwassern und Müll sowie den Abbau endlicher Rohstoffe absolut und, wo es erforderlich ist, auf null oder unter wissenschaftlich begründete Tragfähigkeitsgrenzen abzusenken.

Evolution statt Wachstum

Die Ökosysteme der Erde funktionieren seit mehr als drei Milliarden Jahren mit einer konstanten Stoffmenge (Wasser, Minerale, Kohlenstoff) und einem weitgehend konstanten Zu- und Abstrom von Energie (der Sonne). Alle Stoffe werden in geologischen oder biologischen Kreisläufen laufend umgewälzt, ihre Menge wächst dabei nicht. Trotzdem war und ist die Evolution einer unbegrenzten Vielfalt biologischer Arten, Populationen und Lebewesen möglich – ohne eine wachsende Stoffmenge und bei konstantem Energiestrom. Auf einem endlichen Planeten ist kein endloses Wachstum möglich, aber sehr wohl endlose Evolution. An diesem Modell sollte sich auch die Entwicklung der menschlichen Gesellschaften und ihrer Wirtschaftssysteme orientieren: endlose Entwicklung bei endlichen Stoffkreisläufen und Energieströmen. Es ist fatal, wenn man Entwicklung mit Wachstum gleichsetzt.

Die Bewirtschaftung aller prekären ökologischen Ressourcen limitiert den Verbrauch unterhalb von Tragfähigkeitsgrenzen. Die zweite Komponente, ein kreditfinanziertes Programm für Innovationen und Investitionen, erzeugt das Reservoir, auf dem die Selektion neuer umweltkompatibler Produkte und Verfahren aufbauen kann. Beides zusammen ermöglicht wirtschaftliche Entwicklung bei absolut sinkendem Verbrauch von Naturressourcen. Zumindest theoretisch könnte auf diesem Weg eine umweltkompatible Produktionsweise entstehen. Auch bei absolut sinkendem Verbrauch von Naturressourcen würde der wirtschaftliche Wert der Weltproduktion beziehungsweise die Preissumme aller von allen Volkswirtschaften erzeugten Produkte und Leistungen aus drei Gründen wachsen.

Erstens wären die steigenden Innovationsleistungen und die Produktion der Investitionsgüter für den ökologischen Umbau Teil der Wertschöpfung und würden den Wert der nationalen BIP erhöhen. Dabei wäre darauf zu achten, dass diese neue zusätzliche Produktion weitgehend und möglichst bald vollständig mit erneuerbaren Energien und umweltkompatiblen Produkten, Investitionsgütern und Materialien in geschlossenen oder offenen Stoffströmen hergestellt wird, weil nur dann ein steigendes BIP mit sinkendem Ressourcenverbrauch erreicht werden kann.

Zweitens würde der Wert des BIP steigen, weil die Weltbevölkerung noch einige Jahre weiterwachsen wird, also mehr Nahrung, Kleidung, Wohnungen, Bildung und so weiter produziert werden müssen.

Drittens kann der Wert des Produktionsoutputs auch steigen, wenn die neuen Produkte aufgrund von Qualitätsverbesserungen einen höheren Wert haben. Ein wachsendes BIP bei sinkendem Verbrauch hält die Postwachstumsökonomie für unmöglich. Die meisten empirischen Daten zeigen tatsächlich, dass BIP und Ressourcenverbrauch in der Vergangenheit parallel wuchsen. Das ist leicht zu erklären: In einem Wirtschaftssystem, in dem es keine Mengenbegrenzung ökologischer Ressourcen gab, keine Regulierung, keine Bewirtschaftung, und bis heute kaum gibt, können alle ökologischen Ressourcen bis zur Erschöpfung ausgebeutet werden. Jede freie Ressource wird ergriffen. Das erklärt den sogenannten Rebound-Effekt. Es gibt aber keinen zwingenden Zusammenhang zwischen dem physischen Verbrauch von Naturressourcen und dem Wachstum des in Geld ausgedrückten Wertes des BIP, es muss also auch nichts "entkoppelt" werden. Aber erst Mengenbegrenzungen und Ressourcenbewirtschaftung führen zu einer Selektion von Innovationen mit Blick auf Umweltkompatibilität und sinkenden Naturverbrauch.

Ist ökologischer Umbau politisch machbar?

Das skizzierte Modell eines evolutorischen ökologischen Umbaus mit konsensualen Zielen, Selektionskriterien und Instrumenten wirtschaftlicher Entwicklung ist ein zu diskutierendes Konzept, das Möglichkeiten, Entwicklungspfade und Grenzen aufzeigen soll. Es gibt keinen politischen Akteur, der dies in Gänze umsetzen könnte. Vor allem fehlt der für eine gelenkte Marktwirtschaft erforderliche gesellschaftliche Grundkonsens. Wir haben es mit gegeneinander agierenden Akteursgruppen zu tun, die ihre Interessen häufig auf Kosten anderer durchzusetzen versuchen und sich keinen Gemeininteressen unterordnen. Die heute übliche Beschwörung gemeinsamer Werte hilft nicht. Abstrakte Werte sind keine geteilten Entwicklungsziele, sondern auf Abgrenzung und Gefolgschaft zielende Ideologie.

Trotzdem ist eine ökologische Entwicklung nicht chancenlos. Es wäre denkbar, dass über mehrere Schritte, beginnend mit einer von der Klimabewegung erzwungenen Anpassung der Energiesysteme, nach und nach neue Entwicklungen beginnen. Ansätze gibt es. Mit solchen noch unzureichenden Schritten könnten Verbesserungen der sozialen Lage und der Lebenswelt einhergehen, die soziale Spaltungen verringern. Dann wäre ein neuer ökologischer und sozialer Grundkonsens denkbar. Es besteht aber auch ein Risiko. Wenn die zu erwartenden ökologischen Probleme, vor allem der Klimawandel, zur Verschlechterung der sozialen Lage großer Bevölkerungsteile und zu wachsenden Flüchtlingsströmen führte, dann ist ein Kollaps wahrscheinlich.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Dennis Meadows et al., Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Stuttgart 1987.

  2. Vgl. Rainer Land, Ökokapital. Bedingungen der Möglichkeit eines neuen Regimes wirtschaftlicher Entwicklung. Ein systemtheoretischer Bauplan, Düsseldorf 2018, S. 29, Externer Link: http://fgw-nrw.de/fileadmin/user_upload/FGW-Studie-NOED-12-Land_2019_02_04-komplett-web.pdf.

  3. Vgl. Politische Ökologie 4/2019: Green New Deal. Fassadenbegrünung oder neuer Gesellschaftsvertrag?

  4. Den Terminus "Wachstum" benutze ich in diesem Kontext nicht, weil ich Entwicklung von Wachstum unterscheiden will.

  5. Vgl. Mariana Mazzucato, Mission: auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft, Frankfurt/M.–New York 2021, insbes. Kap. 5 und 6.

  6. Vgl. dazu auch den Blog Externer Link: http://www.postwachstum.de.

  7. Vgl. dazu Mathias Binswanger, Der Wachstumszwang: Warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben, Weinheim 2019.

  8. Vgl. Nico Paech, Grundzüge einer Postwachstumsökonomie, 2009, Externer Link: http://www.postwachstumsoekonomie.org/html/paech_grundzuge_einer_postwach.html. Zu Rebound-Effekten siehe auch den Beitrag von Thomas Döring in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  9. Vgl. Paech (Anm. 8) .

  10. "Eine kleine Elite gönnt sich einen Freifahrtschein", 5.11.2021, Externer Link: http://www.spiegel.de/a-c40397d4-8b21-4b16-b274-916f1bd2f385.

  11. Vgl. ausführlicher Land (Anm. 2), S. 168ff.

  12. Für den ÖPNV sind schienengebundene Verkehrssysteme die vorzügliche Lösung, ergänzt durch Elektrofahrzeuge, die besonders im ländlichen Raum nötig sein werden. Vgl. Rainer Fischbach/Stefan Kissinger, Für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands, 8.2.2019, Externer Link: http://www.makroskop.eu/spotlight/no-way-out/fur-die-zukunftsfahigkeit-deutschlands; Volker Quaschning, Elektroauto, Diesel oder Wasserstoff – Womit stoppen wir die Klimakrise?, 28.2.2020, Externer Link: http://www.youtube.com/watch?v=WBqNS0nQzPY.

  13. Vgl. Matthias Glaubrecht, Das Ende der Evolution, München 2019, Teil 3, Kap. 5.

  14. Vgl. Mazzucato (Anm. 5).

  15. Vgl. dazu die Ausführungen über die verheerenden Auswirkungen des von Finanzmärkten dominierten Kapitalismus der vergangenen Jahrzehnte von Joseph E. Stiglitz, Der Preis des Profits. Wir müssen den Kapitalismus vor sich selbst retten, München 2020.

  16. Eine gelenkte Marktwirtschaft gab es in der Nachkriegszeit. Sie entstand aus der Kombination der Regulationen des US-amerikanischen New Deal, den durch Kreditaufnahme finanzierten Investitionen der USA im Zweiten Weltkrieg und vor allem im anschließenden Wiederaufbau in Westeuropa und Japan. Diese Form der gelenkten Marktwirtschaft, verklärt "soziale Marktwirtschaft" benannt, lenkte wirtschaftliche Entwicklung in Richtungen, die mit wachsendem Wohlstand, geringer Arbeitslosigkeit, sozialer Sicherheit und militärischer Überlegenheit gegenüber den kommunistischen Ländern verbunden waren. Sie verfügte allerdings über (fast) keine ökologische Regulation und hat daher zu den gravierenden Umweltproblemen geführt, die seit den 1970er Jahren ins Zentrum der Kapitalismuskritik rückten.

  17. Hier ist ein Wort zu den im Postwachstumsdiskurs wichtigen Rebound-Effekten zu sagen. Solange es keine Bewirtschaftung prekärer Ressourcen gibt, muss es zwangsläufig dazu kommen, dass durch Effizienzsteigerung freigesetzte Ressourcen durch zusätzliche Produktion wieder gebunden werden. Eine Absenkung des absoluten Ressourcenverbrauchs kann es dann nicht geben. Das ist aber sofort anders, wenn das Gesamtvolumen der Nutzung gedeckelt ist beziehungsweise durch einen Absenkungspfad jährlich zurückgeht. Daraus folgt: Ohne Ressourcenbewirtschaftung ist ökologischer Umbau nicht möglich.

  18. Vgl. Mazzucato (Anm. 5).

  19. Mit Qualitätsverbesserungen einhergehende nicht-inflationäre Preissteigerungen werden bei der Berechnung des BIP statistisch berücksichtigt und sind im revidierten Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen verbindlich. Vgl. Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen. Methoden der Preis- und Volumenmessung, Wiesbaden 2017, Kap. 1. Schätzungen besagen, dass in entwickelten Volkswirtschaften mindestens die Hälfte der Wertsteigerung des BIP nicht auf Mengenwachstum, sondern auf Qualitätsverbesserungen beruht und jährlich etwa ein bis zwei Prozent Wachstum, Tendenz steigend, ausmachen dürfte. Vgl. Marina Giese, Die Entwicklung des Qualitätswachstums als Bestandteil des BIP-Wachstums, Diplomarbeit, Universität zu Köln 2011, S. 2, S. 20, S. 25ff.

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ist Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler am Thünen-Institut für Regionalentwicklung e.V. in Schlemmin.
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