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Klimaschutz durch Innovation und Marktwirtschaft | bpb.de

Klimaschutz durch Innovation und Marktwirtschaft

Johannes Müller-Salo Rupert Pritzl

/ 12 Minuten zu lesen

Klimapolitik muss den Kriterien Effizienz und Gerechtigkeit genügen. Anstatt immer ehrgeizigere Klimaziele auszurufen, sollte die Politik die Instrumente und deren gesellschaftliche Kosten hinterfragen und offen diskutieren.

Der klimapolitische Diskurs in Deutschland erscheint paradox: Nahezu alle politischen Akteure suchen sich zu überbieten, wenn es um die stetige Verschärfung der Klimaziele und um die Verkürzung des Zeitrahmens geht, ohne zugleich die geeigneten Instrumente zur Erreichung dieser ehrgeizigen Ziele kritisch zu diskutieren. So hat auch die grundsätzliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom April 2021, die "ausreichende Vorkehrungen" zur Zielerfüllung anmahnt, in der Politik nur zu neuen Debatten um Zielvorgaben geführt. In der klimapolitischen Diskussion scheinen die Akteure in ihrer eigenen Vorstellungswelt gefangen sowie zwischen selbstbekundetem moralischem Anspruch und tatsächlicher ökonomischer Realität hin- und hergerissen zu sein.

Den klimapolitischen Diskurs in Deutschland prägen moralische Argumente und eine emotionale, mit katastrophischen Bildern und ökologischer Apokalyptik arbeitende Sprache. Die passenden klimapolitischen Instrumente, ihre Vor- und Nachteile, ihre Zieltauglichkeit und ihre gesamtwirtschaftlichen Kosten geraten darüber aus dem Blick. Vor diesem Hintergrund verstehen wir unsere Ausführungen als einen Beitrag zur Versachlichung der klimapolitischen Debatte, in der ein politischer Moralismus oft eine ehrliche und transparente Diskussion unterbindet. Wir sind davon überzeugt, dass eine nachhaltige und mehrheitsfähige Klimapolitik Forderungen der Gerechtigkeit ebenso genügen muss wie Forderungen der Effizienz.

Gerechtigkeit

Klimaschutz ist moralisch zuerst aus Gründen der Gerechtigkeit gefordert: Keiner Generation steht das Recht zu, die natürlichen Ressourcen im Übermaß für sich zu nutzen und späteren Generationen ungebührliche Lasten aufzuerlegen. In der mit Klimaproblemen befassten ethischen Gerechtigkeitsdebatte konkurrieren unterschiedliche normative Modelle – etwa ein liberaler Egalitarismus in der Tradition von John Rawls, eine utilitaristische Zukunftsethik und ein auf die Sicherung eines Grundniveaus an zukünftigem Wohlergehen abzielender "Suffizientarismus". Fraglos lässt sich jede dieser Positionen zur Begründung umfassender Klimaschutzpflichten heranziehen.

Vorstellungen von Gerechtigkeit besitzen jedoch die unbequeme Eigenschaft, dass sie nicht nur auf Zustände und Ergebnisse, sondern auch auf Verfahren und Prozesse bezogen werden können, die zu entsprechenden Ergebnissen führen. Die normative Logik verlangt, Ergebnis und Verfahren zusammenzudenken: Wenn "die Gegenwart" moralisch verpflichtet ist, für "die Zukunft" vorzusorgen und effektiven Klimaschutz zu betreiben, dann kann es moralisch nicht irrelevant sein, wie "die Gegenwart" die Kosten verteilt.

Klimagerechtigkeit hat also zwei Seiten, die es verdienen, in der öffentlichen Debatte gleichermaßen thematisiert zu werden. Die intergenerationelle Perspektive zeigt auf, welcher Klimaschutz gerecht ist, welcher Klimaschutz zukünftigen Generationen moralisch geschuldet ist – und die intragenerationelle Perspektive zeigt auf, wie Klimaschutz in der Gegenwart gerecht zu organisieren ist und wie eine gerechte Verteilung der gegenwärtigen Kosten für den Klimaschutz auszusehen hat.

Das Erreichen der politisch beschlossenen Klimaziele bringt erhebliche Einschränkungen und Veränderungen der Konsum- und Produktionsaktivitäten und somit erhebliche gesellschaftliche Kosten mit sich. Eine weitere Verschärfung der klimapolitischen Anforderungen in Deutschland durch Vorziehen der Klimaneutralität von 2050 auf 2045, wie im von der damaligen Bundesregierung hastig überarbeiteten und im Juni 2021 beschlossenen Klimaschutzgesetz vorgesehen, treibt diese Kosten weiter in die Höhe. Es ist ein Gebot politischer Aufrichtigkeit, dies klar zu kommunizieren. Wer Kosten gesamtgesellschaftlich gerecht verteilen will, muss sie zuallererst transparent offenlegen. Dazu gehört auch, dass die politischen Parteien alternative Politikarrangements klar konturieren, um so der demokratischen Wählerschaft eine echte Auswahl und damit Entscheidungsmacht zu geben. Anders formuliert: "Letztlich steht und fällt eine zielführende Klimapolitik mit der Fähigkeit der Politik, sich gegenüber den Bürgern glaubwürdig zu einer Klimapolitik zu bekennen." Eine offene Kommunikation der Klimaschutzkosten sollte damit eine Grundbedingung im klimapolitischen Diskurs sein.

Zielkonflikte

Viele Vertreter einer ambitionierten Klimapolitik sind implizit der Auffassung, dass dem Klimaschutz der höchste Stellenwert gegenüber allen anderen politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Zielen einzuräumen ist. Eine solche Haltung lässt außer Acht, dass die Vereinten Nationen 2015 17 Entwicklungsziele verabschiedet haben, die die menschlichen Bedürfnisse umfassend widerspiegeln und gemeinsam erreicht werden sollen. Andere Länder greifen den Gedanken pluraler Entwicklungsziele in ihrer Klimaschutzpolitik auf. Dies gilt beispielsweise für Südafrika, welches in seinem nationalen Rahmenplan zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von der "overriding priority to address poverty and inequality" spricht, das Ziel des Klimaschutzes somit eng an das Ziel der Armutsbekämpfung koppelt. Auch umfasst Nachhaltigkeit die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales, die gesellschaftlich miteinander in Einklang gebracht werden müssen.

Selbstredend können diese Ziele miteinander in Konflikt geraten. Darauf reagierende politische Prozesse der Konfliktlösung sollten als wesentliches, geradezu unverzichtbares Medium der Herstellung intragenerationeller Gerechtigkeit angesehen werden. Wo alles unhinterfragt dem Klimaschutz untergeordnet wird, wird der dringend nötigen öffentlichen Debatte über gegenwärtige Klimagerechtigkeit, das heißt Klimaschutzkostengerechtigkeit, aus dem Weg gegangen. Es drohen "neue Ungerechtigkeiten (…) im Gewand des Umweltschutzes".

Wer alle Gesetze unter einen klimapolitischen Vorbehalt stellt und pauschal wirtschaftliche Aktivitäten in klimaförderlicher Absicht als "gut" oder "böse" kategorisiert, der muss sich die Frage nach seinem Gerechtigkeitsverständnis gefallen lassen: Warum sollte etwa eine klimapolitische Maßnahme zu billigen sein, deren Kosten die am schlechtesten Gestellten der Gegenwart in besonderem Maße belasten?

Effizienz

Gerechtigkeit und Effizienz haben weitaus mehr miteinander zu tun als gemeinhin angenommen. Wo das Ziel – der Klimaschutz – moralisch gefordert ist, ist von einer Gesellschaft zunächst einmal zu verlangen, dass sie ihren Beitrag zum Erreichen dieses Ziels leistet. Wie sie das tut, ist ihre demokratische Entscheidung. Wenn eine Gesellschaft einen stark ineffizienten Weg zum Erreichen des moralisch Gebotenen einschlägt, können sich Menschen mit Recht über Ungerechtigkeit beklagen: Jeder von ihnen muss mehr zahlen, als zum Erfüllen der moralischen Norm erforderlich wäre, würden die Mittel nur effizient eingesetzt. Die Ungerechtigkeit steigt in dem Maße, in dem Einzelne schlechter gestellt sind und selbst nur über begrenzte Ressourcen verfügen. Eine ineffiziente und ineffektive Klimapolitik hat besonders regressive Verteilungswirkungen und schädigt die unteren Bevölkerungsschichten überproportional. Unerwünschte Verteilungswirkungen und eine soziale Schieflage der bisherigen politischen Maßnahmen sind unübersehbar: So belastet die EEG-Umlage auf den Stromverbrauch die unteren Einkommensgruppen verhältnismäßig stark, die staatlichen Förderung der Elektromobilität kommt besonders den kaufkräftigen Einkommensbeziehern und Dienstwagennutzern zugute und von der umfangreichen energetischen Gebäudeförderung profitieren die Eigenheim- und Wohnraumbesitzerinnen. Klimapolitik aber wird nur dann nachhaltig und erfolgreich sein, wenn sie von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung auch als sozial gerecht empfunden wird.

Eben aus diesem Grund ist Effizienz dort, wo der Gegenwart im Sinne intergenerationeller Gerechtigkeit Forderungen auferlegt werden, selbst ein normatives Gebot. Es geht um eine kosteneffiziente Klimapolitik, die nur dadurch erreicht werden kann, dass es zu einem marktlichen Ausgleich der Grenzvermeidungskosten in allen Bereichen und allen Sektoren und in allen Wirtschaftsräumen kommt. Klimaneutrale Produktions- und Konsumaktivitäten zu erreichen, erfordert enorme Anstrengungen in der Forschung und Entwicklung sowie in der wirtschaftlichen Umsetzung. Das ist freilich nur in einer marktwirtschaftlichen Ordnung durch den "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" zu gewährleisten und nicht durch klimadirigistische Interventionen und staatliche Verbote. Nur durch die bewusste Indienstnahme des Marktes und des Systems der relativen Preise und nicht durch Ablehnung oder Abschaffung der sozialen Marktwirtschaft wird Klimaneutralität effektiv und effizient erreicht werden können. Denn die Erreichung dieses Ziels hängt von neuen Technologien und innovativen Lösungen ab. Welche das sein werden, weiß heute niemand, ehrlicherweise auch kein Politiker. Wo Politiker glauben, das Ergebnis von innovativen Entwicklungsprozessen vorhersagen zu können, findet eine "Anmaßung von Wissen" (von Hayek) statt. Es sind vielmehr die Märkte, die einen offenen wettbewerblichen Such- und Auswahlprozess vorantreiben und welche die technisch und wirtschaftlich Erfolgreichen mit Gewinnen belohnen. Marktliche Prozesse sind schon deswegen unverzichtbar, da sie Kostendruck erzeugen, der dazu führt, dass sich die preiswertesten Lösungen durchsetzen. Darauf sind wir angewiesen, denn der klimaneutrale Umbau der Gesellschaft wird in jedem Fall teuer genug und Deutschland sieht sich schließlich noch mit anderen, ebenfalls sehr kostspieligen Herausforderungen wie dem Aufbau einer zeitgemäßen digitalen Infrastruktur konfrontiert.

Technologieoffenheit

Der "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" bedeutet aber noch weitaus mehr: Energiesparmaßnahmen, Verbesserungen der Energieeffizienz und eine nachhaltigere Lebensweise werden sicher zu den Klimaschutzzielen beitragen. Es steht aber zu erwarten, dass es Innovationen und Technologien der Zukunft sind, die den wesentlichen Beitrag zur Klimaneutralität leisten. Als Gamechanger sind sie effizienter in der Zielerreichung und, entsprechend des Zusammenhangs von Effizienz und Gerechtigkeit, auch gerechter. In seinem 2021 erschienenen Buch zum Klimaschutz illustriert Bill Gates diesen Zusammenhang am unmittelbar einleuchtenden Beispiel der gerechten und klimafreundlichen Stromversorgung in Entwicklungsländern. Ohne neue Technologien, die entsprechende Effizienzsprünge erlauben, wird diese Forderung der Gerechtigkeit – die ärmeren Staaten haben einen begründeten Anspruch auf genügend und genügend billigen Strom – nicht zu verwirklichen sein. Und auch der Zukunftsrat der bayerischen Wirtschaft hat in seiner grundlegenden Handlungsempfehlung betont, dass die Klimaschutzanstrengungen in Deutschland darauf zielen müssen, nachhaltige Innovationen und Technologien zu entwickeln und in die wirtschaftliche Umsetzung zu bringen.

Mit seinem Alleingang beim Ausstieg aus der Kernenergie ist Deutschland kein Vorbild für andere Länder. Kein anderes Land hat – im Nachgang zur Katastrophe von Fukushima 2011 – eine ähnlich radikale Entscheidung getroffen. Deutschland setzt mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz seit 2000 (fast) ausschließlich auf den verstärkten Einsatz von politisch ausgewählten erneuerbaren Energien (Photovoltaik, Wind- und Bioenergie) und lehnt es ab, andere neue oder alternative Technologien zu erforschen und auch anzuwenden. So werden in Deutschland etwa die Carbon-Capture-Storage (CCS) und die Carbon-Capture-Utilization (CCU) ignoriert. Mit dem nationalen Kernenergieausstieg sind auch sämtliche Weiterentwicklungen von Fusionsreaktoren kategorisch ausgeschlossen – und alternative Energieformen und -quellen wie zum Beispiel alternative Antriebe oder synthetische Treibstoffe werden eher stiefmütterlich behandelt. Andere Länder hingegen setzen auf einen offenen Mix verschiedener Formen der Energiegewinnung und einen technologieoffenen Ansatz, der auch die Kernenergie berücksichtigt, für die sich insbesondere Frankreich innerhalb der EU stark macht. Auch weisen viele Schwellenländer enorme Steigerungsraten des gesamtwirtschaftlichen Energiebedarfs auf, die letztlich nur mit allen Formen der Energiegewinnung befriedigt werden können.

Das "Wall Street Journal" bezeichnete die deutsche Energiewende im Januar 2019 als die "dümmste Energiepolitik der Welt". Wenn es entscheidend ist, wie die "deutsche und europäische Klimapolitik die klimapolitischen Anstrengungen anderer Länder beeinflusst", sollte Deutschland nicht weiter in einer klimapolitischen "Realitätsillusion" verharren, sondern zu der Erkenntnis kommen, dass eine von "Denkverboten" gekennzeichnete und national ausgerichtete Klimapolitik sicher nicht zum Vorbild der Welt gereicht. Es gibt gute Gründe, die im deutschen Klimaschutzdiskurs fest verankerte, von früheren Umweltbewegungen geerbte Technologieskepsis zu überwinden.

Internationale Zusammenarbeit

Wer das eingangs beschriebene Doppelgebot der Gerechtigkeit ernst nimmt, wird schließlich an der grundlegenden Problemstruktur der Klimafrage nicht vorbeikommen: Der Schutz des Klimas ist ein internationales nicht-ausschließbares Gemeinschaftsgut. Dies bedeutet, dass es für alle Länder rational ist, sich nicht an der Bereitstellung des öffentlichen Gutes Klimaschutz zu beteiligen, wenn nicht auch (fast) alle anderen Länder sich angemessen daran beteiligen. Der Sachverständigenrat Wirtschaft hat daher der internationalen Kooperation aller Staaten eine zentrale Bedeutung für eine nachhaltige Klimapolitik beigemessen. Es reicht eben nicht aus, wenn sich ein einziges Land wie Deutschland mit einem Anteil von rund zwei Prozent an den weltweiten Treibhausgasemissionen ohne abgestimmtes und koordiniertes Verhalten selbst ambitionierte nationale Klimaschutzziele setzt und sich damit enorme gesellschaftliche Kosten auferlegt.

Auch dies ist zuallererst eine Frage der Gerechtigkeit: Niemand kann von einem Menschen erwarten, enorme Ressourcen für ein nicht zu erreichendes Ziel aufzubringen. Dieses Ansinnen bedeutet aus wirtschaftsethischer Sicht eine "Selbstaufopferung Deutschlands". Mit welchem Recht sollte ein Fischer dazu gezwungen werden können, bei Gefahr für Leib und Leben auf das stürmische Meer hinauszufahren, wenn von vornherein klar ist, dass er allein keine Chance hat, Menschen vom in Seenot geratenen Fährschiff am Horizont zu retten?

Es erscheint damit sowohl als Gebot der Gerechtigkeit wie auch der Effizienz, dass Deutschland zuallererst mit anderen relevanten Ländern über ein gemeinsames und praktisch wirksames Vorgehen verhandelt. Eine wirksame Klimapolitik für Deutschland muss zuallererst Klimaaußenpolitik sein, wie sie auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung programmatisch verankert ist.

Gesellschaftliche Akzeptanz

Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, Probleme der intragenerationellen Gerechtigkeit und Fragen der Effizienz in der klimapolitischen Debatte endlich zusammenzudenken. Ohne eine gerechte und damit hinreichend effiziente Verteilung der Klimaschutzkosten wird es schwer sein, demokratische Mehrheiten für das Jahrhundertprojekt des Klimaschutzes zu finden. Der massive Strukturwandel hin zur klimaneutralen Gesellschaft ist auf breite gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen. Der Umbau der Gesellschaft hat gerade erst begonnen, der größte Anteil der Kosten wird in Zukunft zu entrichten sein. Mit den Kosten werden auch die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Kostenverteilung zunehmen und damit zwangsläufig Fragen nach Gerechtigkeit und Effizienz aufwerfen. Mit gutem Grund hat der Bundesrechnungshof jüngst die durch die Ineffizienzen hervorgerufenen enormen Kosten der Energiewende deutlich als Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland und als Bedrohung für die gesellschaftliche Akzeptanz der Klimawende herausgestellt. Die politischen Parteien sollten die Diskussion eröffnen, aus der einmal ein hinreichend großer gesellschaftlicher Konsens über die Frage, wie der Wandel gerecht und effizient zu gestalten ist, erwachsen kann.

Schlussbemerkungen

Wer eine Klimapolitik will, die den Anforderungen der Gerechtigkeit ebenso genügt wie denen der Effizienz, sollte mehr auf Vernunft und weniger auf Panik setzen. Eine zielführende, rationale Klimapolitik beginnt mit einer ebenso offenen wie ehrlichen Diskussion, in der die verschiedenen, nicht zuletzt innovationsgestützten Optionen ebenso zur Sprache kommen wie die mit ihnen verbundenen Kosten. Angesichts der Größe der klimapolitischen Herausforderung ist es geradezu politisch fahrlässig, die Klimapolitik auf die medienwirksame Verabschiedung immer ambitionierterer Klimaziele zu konzentrieren, ohne die Effizienz und Wirksamkeit der gegenwärtig hauptsächlich zum Einsatz kommenden Instrumente kritisch zu hinterfragen.

Die deutsche Politik muss sich auf internationaler Ebene für ein funktionierendes Emissionshandelssystem einsetzen, das auf Wechselseitigkeit beruht, damit die hierzulande erzielten Erfolge in der Emissionsreduktion nicht durch massiv steigende CO2-Emissionen in anderen Teilen der Welt zunichtegemacht werden. Nur so ist ein weltweit effektiver und effizienter Klimaschutz möglich. Und nur so wird deutsche Klimapolitik mehrheitsfähig bleiben. Dabei ist immer zu bedenken: Der Weg zur Klimaneutralität ist ein Marathon und kein Sprint. Die Gesellschaft kann diesen Marathon nur durchhalten, wenn einer breiten Mehrheit auf Dauer zu vermitteln ist, dass die Klimapolitik ebenso effizient wie gerecht ist und damit der beste Weg zum geforderten Ziel der Klimaneutralität gewählt worden ist.

Der Beitrag basiert auf dem Text "Gerechtigkeit und Effizienz. Zentrale Aspekte der gesellschaftlichen Akzeptanz der Energiewende", in: Wirtschaftsdienst 12/2021, S. 971–976.

Fussnoten

Fußnoten

  1. "Der Gesetzgeber hat (…) Grundrechte verletzt, weil er keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen hat, die – wegen der gesetzlich bis 2030 zugelassenen Emissionen in späteren Zeiträumen möglicherweise sehr hohen – Emissionsminderungspflichten grundrechtsschonend zu bewältigen." Entscheidung des BVerfG vom 24.3.2021, Rn. 182.

  2. Vgl. Joachim Weimann, Wissen wir, was wir tun? Die deutsche Energiepolitik zwischen moralischem Anspruch und ökonomischer Realität, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Diskussionspapier 10/2015.

  3. Vgl. dazu Johannes Müller-Salo, Klima, Sprache und Moral. Eine philosophische Kritik, Stuttgart 2020, Kap. 4.

  4. Die Kosten der Klimaneutralität Deutschlands bis 2045 werden mittlerweile auf bis zu sechs Billionen Euro geschätzt. Vgl. Prognos AG, Beitrag von Green Finance zum Erreichen von Klimaneutralität in Deutschland, Frankfurt/M. 2021, S. XI–XIII.

  5. Vgl. Rupert Pritzl/Fritz Söllner, Der politische Moralismus in der deutschen Klima- und Energiepolitik, 22.4.2021, Externer Link: http://www.ludwig-erhard.de/orientierungen/rationales-verhalten/der-politische-moralismus-in-der-deutschen-klima-und-energiepolitik.

  6. Vgl. Kirsten Meyer, Was schulden wir künftigen Generationen? Herausforderung Zukunftsethik, Stuttgart 2018; Bernward Gesang, Klimaethik, Frankfurt/M. 2011; Axel Gosseries/Lukas H. Meyer (Hrsg.), Intergenerational Justice, Oxford 2009.

  7. Am deutlichsten wird das mit Blick auf die Frage, auf welcher Grundlage eigentlich die Klimaschutzkosten in der Gegenwart verteilt werden sollen. Die wissenschaftliche Klimaethik diskutiert als mögliche grundsätzliche Antworten auf diese Frage etwa die Prinzipien der Verursachung und der Leistungsfähigkeit. Vgl. als Überblick Dieter Birnbacher, Klimaethik. Nach uns die Sintflut?, Stuttgart 2016, S. 107–122.

  8. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR), Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik: Sondergutachten, Berlin 2019.

  9. Vgl. Vereinte Nationen, Ziele für nachhaltige Entwicklung, Bericht 2021, New York 2021.

  10. Maria Jernnäs/Björn-Ola Linnér, A Discursive Cartography of Nationally Determined Contributions to the Paris Climate Agreement, in: Global Environmental Change 2/2019, S. 73–83, hier S. 77.

  11. Siehe hierzu auch den Beitrag von Susanne Dröge in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  12. Papst Franziskus, Laudato si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus, Stuttgart 2015, Abschnitt 170, S. 145.

  13. Vgl. Joachim Weimann, Die Zukunft der Klimapolitik: CO2-Steuer, Emissionshandel oder weiter wie bisher?, Kurzgutachten für den Bundesverband Die Familienunternehmer e.V./Die jungen Unternehmer, Berlin 2019.

  14. Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft, Energiepreise und effiziente Klimapolitik, Berlin 2019.

  15. Vgl. Heike Göbel, Der Markt als Verbündeter im Klimaschutz, in: APuZ 47–48/2019, S. 26–29.

  16. Vgl. Bill Gates, Wie wir die Klimakatastrophe verhindern, München 2021, S. 80ff.

  17. Vgl. Zukunftsrat der bayerischen Wirtschaft, Handlungsempfehlung: Nachhaltige Innovationen, München 2020.

  18. Vgl. Bruno Le Maire, Aufruf: Warum Europa Kernenergie braucht, in: Die Welt, 11.10.2021, S. 7.

  19. World’s Dumbest Energy Policy: After Giving Up Nuclear Power, Germany Now Wants to Abandon Coal, 29.1.2019, Externer Link: http://www.wsj.com/articles/worlds-dumbest-energy-policy-11548807424.

  20. Axel Ockenfels/Christoph Schmidt, Die Mutter aller Kooperationsprobleme, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 2/2019, S. 122–130, hier S. 124.

  21. Rupert Pritzl, Realitätsillusion der deutschen Klimapolitik, in: Wirtschaftsdienst 9/2020, S. 701–706.

  22. Vgl. ders./Fritz Söllner, Rationale Klimapolitik – ökonomische Anforderungen und politische Hindernisse, in: List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik 46/2021, S. 423–444.

  23. Vgl. Christian Conrad, Der deutsche Alleingang im Klimaschutz ist sinnlos, 19.5.2021, Externer Link: http://www.welt.de/debatte/kommentare/plus231236389.

  24. Vgl. SPD/Bündnis90/Die Grünen/FDP, Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021–2025, Berlin 2021, S. 63.

  25. Vgl. Bundesrechnungshof, Bericht nach §99 BHO zur Umsetzung der Energiewende im Hinblick auf die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit bei Elektrizität, Bonn 2021.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Johannes Müller-Salo, Rupert Pritzl für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Leibniz Universität Hannover.
E-Mail Link: johannes.mueller-salo@philos.uni-hannover.de

ist im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie tätig und Lehrbeauftragter an der FOM Hochschule in München.
Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.
E-Mail Link: rupert.pritzl@stmwi.bayern.de