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Migration: Die Nationalstaaten, die EU und der Europawahlkampf | Themen | bpb.de

Migration: Die Nationalstaaten, die EU und der Europawahlkampf

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Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben Regelungskompetenzen im Bereich der Migrationssteuerung an die supranationalen Institutionen der Gemeinschaft übertragen. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen aber, dass nationalstaatliche Interessen weiterhin dominieren. Im Europawahlkampf spielt das Thema Migration bislang keine zentrale Rolle.

Bulgarische Grenzstation zur Türkei. (© picture-alliance, JOKER)

Nationalstaaten haben die Hoheit, darüber zu bestimmen, wer, wie lange und aus welchem Grund legal Zugang zu ihrem Territorium erhält und welche Rechte und gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten damit verbunden sind. Damit berührt Migration zentrale Kernbereiche staatlicher Souveränität. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) haben Teile ihrer Souveränität im Hinblick auf die Steuerung von Migration an die supranationalen EU-Institutionen übertragen. Zwar zählte eine gemeinschaftliche Regelung der Einwanderung und des Asyl- und Flüchtlingswesens nicht zu den ursprünglichen Zielen der Europäischen Gemeinschaft. Eine Harmonisierung der Migrations- und Asylpolitik erschien allerdings aus drei zentralen Gründen notwendig: der Schwierigkeit, Zuwanderung auf nationaler Ebene zu regeln, der Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen und die dadurch verstärkte Notwendigkeit der Kooperation zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten sowie der demografischen Entwicklung in Europa. Der 1999 in Kraft getretene Interner Link: Vertrag von Amsterdam legte den Grundstein für die Vergemeinschaftung dieser Politikbereiche. Er überführte sie in die supranationale erste Säule der Gemeinschaft.

Hauptziele der EU-Migrationspolitik



Zu den Hauptzielen der europäischen Politik im Hinblick auf die Steuerung der Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen zählen

  1. die ”Bekämpfung” von illegaler Migration und Menschenhandel (Instrumente sind unter anderem Grenzschutz, Visa-Politik, Rückführung, Dokumentensicherheit),


  2. die (temporäre) Aufnahme von Schutzbedürftigen (Asyl), und


  3. die Förderung von legaler Migration (Arbeitsmigration, Familienzusammenführung).

Die Vergemeinschaftung des Asylwesens ist bislang am weitesten fortgeschritten. Bereits 1990 einigten sich die Mitgliedstaaten darüber, welches Land für die Bearbeitung eines Asylantrags verantwortlich ist. Nach jahrelangen Verhandlungen wurde 2013 schließlich ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) verabschiedet. Auch die Entwicklung eines europäischen Grenzregimes zur Sicherung der EU-Außengrenzen und zur Interner Link: Bekämpfung illegaler Migration hat in den letzten Jahren konkrete Formen angenommen.

Hinsichtlich der legalen Migration von Drittstaatsangehörigen ist die Harmonisierung dagegen weniger weit fortgeschritten. Zwar haben sich Europäisches Parlament und EU-Kommission bereits mehrfach für einen gemeinsamen und umfassenden Ansatz in Einwanderungs- und Integrationsfragen ausgesprochen. Die Mitgliedstaaten stehen dem aber weiterhin skeptisch gegenüber und treten in diesen Bereichen nur ungern Kompetenzen an die EU ab. Damit bleibt die (Arbeits-)Migration ein Bereich, der von den EU-Staaten weiterhin weitgehend individuell geregelt wird, das heißt sie setzen beispielsweise nationale Quoten fest oder erteilen langfristige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse.

Wer macht was? Akteure der EU-Migrationspolitik



Die zentralen europäischen Akteure im Bereich der Migrationspolitik sind die Europäische Kommission, der Ministerrat für Justiz und Inneres, der Europäische Rat und das Europäische Parlament. Der Europäische Rat gibt über die Fünf-Jahres-Programme Leitlinien für die Weiterentwicklung der gemeinsamen EU-(Migrations-)Politik vor (aktuell: Interner Link: Stockholmer Programm 2010-2014). Die Kommission bringt Gesetzesinitiativen zur Umsetzung der Fünf-Jahres-Programme auf den Weg. Das Europäische Parlament erlässt gemeinsam mit dem Europäischen Rat Rechtsakte und ist durch das Mitentscheidungsverfahren am Gesetzgebungsprozess beteiligt. Der Ministerrat für Justiz und Inneres erlässt Richtlinien und Verordnungen. Damit fällt auch die Zusammenarbeit in Migrations-, Grenzschutz- und Asylfragen in seinen Verantwortungsbereich. Zwei Interner Link: Europäische Agenturen, die im Migrationsbereich eine wichtige Rolle spielen, sind die 2005 ins Leben gerufene Interner Link: Grenzschutzagentur Frontex und seit 2010 das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO).

Migration - Ein kontroverses Thema in den Mitgliedstaaten



Flucht und Asyl

Bilder von Flüchtlingskatastrophen vor der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa oder Berichte über desolate Zustände in griechischen Aufnahmeeinrichtungen finden regelmäßig den Weg in die Medien. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied im Dezember 2011, dass Asylbewerber nicht in einen EU-Mitgliedstaat überstellt werden dürfen, der die Einhaltung ihrer Grundrechte nicht gewährleisten kann. Die an der EU-Außengrenze gelegenen südeuropäischen Länder fühlen sich mit dem ”Migrationsdruck” allein gelassen. Im Rahmen seiner Ratspräsidentschaft (1. Januar bis 30. Juni 2014) setzt sich Griechenland für mehr Solidarität unter den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die innereuropäische Verteilung der Asylbewerber ein.

Schutz der Außengrenze und Kontrollen an den Binnengrenzen

Auf Beschluss der EU im Oktober 2013 dürfen Interner Link: Schengen-Staaten ab Herbst 2014 wieder temporär Kontrollen an ihren Staatsgrenzen vornehmen, wenn sie ihre innere Sicherheit aufgrund von Defiziten beim Schutz der Schengen-Außengrenze gefährdet sehen. Insbesondere Deutschland hatte sich für diese ”Notfallklausel” eingesetzt. Bereits 2011 hatte Dänemark auf Druck der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei (DVP) eigenmächtig wieder Kontrollen an seinen Grenzen eingeführt, um illegale Migration und organisierte Kriminalität aus Osteuropa zu verhindern. Angesichts dieser Entwicklungen befürchten Kritiker eine Aushöhlung der kontrollfreien Freizügigkeit innerhalb der EU und damit eine Gefährdung einer der vier Grundfreiheiten der Union.

Freizügigkeit

Die Personenfreizügigkeit war zuletzt auch angesichts steigender Zuzugszahlen aus Bulgarien und Rumänien in mehreren EU-Staaten diskutiert worden. Unter dem Leitspruch ”Wer betrügt, fliegt” forderte CSU-Chef Horst Seehofer Maßnahmen gegen den ”Missbrauch der europäischen Freizügigkeit durch Armutszuwanderung”. Auch in anderen Mitgliedstaaten wie Dänemark und Großbritannien wird über den Anspruch von EU-Bürgern auf Sozialleistungen debattiert. Den Vorstoß des britischen Premierministers David Cameron (Conservative Party), die Freizügigkeit von Unionsbürgern aus ärmeren EU-Staaten grundsätzlich einschränken zu wollen, wies die EU zurück. Schwedens Premierminister Fredrik Reinfeldt (Moderate Sammlungspartei) äußerte sich besorgt über die Äußerungen seines britischen Amtskollegen. Der von Cameron beschworene Sozialtourismus sei in Schweden nicht nachweisbar. Auch in Deutschland sprechen die Fakten dagegen.

Das Thema Migration im Europawahlkampf



2011 lebten 33,3 Millionen Ausländer/-innen in der EU: 20,5 Millionen Drittstaatsangehörige und 12,8 Millionen Unionsbürger, Interner Link: die innerhalb der EU mobil waren. Im selben Jahr stellten rund 300.000 Personen einen Asylantrag in einem EU-Mitgliedstaat. Diese wenigen Zahlen sowie die kurz skizzierten Debatten in den EU-Mitgliedstaaten belegen die Bedeutung des Themas Migration in der EU. Im Europawahlkampf spielt es bislang allerdings eine untergeordnete Rolle. Beim Thema Migration dominieren die nationalstaatlichen Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten. Von europäischer Solidarität – auch wenn diese ab und an gefordert wird – ist zumeist wenig zu spüren.