Ein direkter Weg von der Spassguerilla zum Terrorismus?
Aktions- und Gewaltformen in der Protestbewegung
Im April 1967 waren die "Waffen" der Kommune I Rauchkerzen, Farbbeutel, Pudding und Mehl. Doch im Laufe der Zeit radikalisierten sich Teile der Bewegung – vor allem durch den Besuch des Schahs und nach der Erschießung Benno Ohnesorgs.Viele Kritiker der Protestbewegung unterstellen ihr bis heute, von zivilem Ungehorsam und symbolischen Gewaltaktionen führe ein direkter Weg zu manifester Gewalt bis hin zum terroristischen Mord. Go-ins und verbale Provokationen sowie das 'Entlarven' von Traditionen oder das 'Umfunktionieren' von Veranstaltungen gelten demnach als Gewalt, zumindest als Frühformen davon.[1]
Diese interessengeleitete Vereinfachung widerlegt ein unvoreingenommener Blick auf die Protestbewegung, die sich schon in ihrer vitalsten Phase selbst kritisierte und ironisierte, wie die beiden folgenden Zitate belegen. Wolfgang Lefèvre, prominentes Berliner SDS-Mitglied und im Beirat des SDS-Bundesvorstandes, schrieb 1966: "Jede Veranstaltung oder Demonstration muss so erfinderisch geplant sein, dass sie für Studenten im ganz gewöhnlichen Sinne spannend ist und Spaß macht."[2] Ein halbes Jahr später überbot ein Flugblatt der legendären Kommune I, die für spektakuläre Inszenierungen und provozierende Aktionen sorgte, den Spaß mit dem ironischen Ratschlag an die Kommilitonen, die Dinge denn doch nicht zu übertreiben: "Denkt immer dran, daß eure Großmutter euch beobachten könnte! Tretet euch die Schuhe ab, TRETET LIEBER LEISE."[3] Die lautesten und radikalsten Protestler raten also den moderaten zu Anstand und Vorsicht. Sie verhöhnten damit zugleich die mediale Ausschlachtung des Protests, denn durch die Dauerpräsenz des Fernsehens und anderer Medien ist die Kommune I erst zu dem geworden, was sie war. Zwischen dem hedonistischen Appell Lefèvres und dessen Verhöhnung durch die Kommune I gibt es interne Verbindungen, aber keine zur Parole im RAF-Grundsatzpapier von 1971: "Die RAF organisiert die Illegalität als Offensiv-Position für revolutionäre Intervention."[4] Damit wurde der Weg für voluntaristische Feindbestimmungen herbeigeredet – für Entführungen, Geiselnahmen, Sprengstoffanschläge, Banküberfälle und gemeine Morde wie im Fall eines amerikanischen Soldaten, um in den Besitz von dessen Ausweispapieren zu gelangen.

Theodor Ebert, später Mitarbeiter am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, untersuchte in seiner Erlanger Dissertation von 1965 den gewaltfreien Aufstand des 'Congress of Racial Equality' (CRE), eines Vorläufers der Bürgerrechts- und Free Speech-Bewegung. Die vom CRE seit den 1940er Jahren angewandte Strategie, Wirte zur Bedienung Schwarzer zu zwingen, beschrieb Ebert – Sit-In übersetzend – als "Sitz-Hinein-Methode".[5] Das SDS-Mitglied Michael Vester analysierte nach einem Studienaufenthalt in den USA 1963 "die Wiederbelebung der Kategorie Aktion" durch die amerikanische Bürgerrechtsbewegung und die entstehende New Left sowie die Übertragbarkeit des Konzepts auf die BRD.[6] In die Diskussion über die politische Linie des SDS griff Vester zwei Jahre später mit einem Beitrag über die "Strategie der direkten Aktion" ein, die er nicht in der anarchistischen Tradition begriff, sondern als eine Aufgabe von Intellektuellen und Bevölkerung, die Chancen und die Notwendigkeit des Engagements für die Demokratie zu erweitern. Diese Methode zur Aufklärung der Bevölkerung und zur Selbstaufklärung der Protestierenden hieß in den USA 'teach-in', und Vester führte den Begriff in die deutsche Diskussion ein.[7] Von Berlin aus kommend, wo am 22. Juni 1966 im Rahmen einer Demonstration für die Demokratisierung der Universität das erste Sit-In stattfand, breiteten sich die Begriffe Sit-In, Go-In und Teach-In schnell aus und gingen in die Umgangssprache ein. Das SDS-Mitglied Ekkehart Krippendorff übersetzte 1967 das "Manual for direct ", das unter dem Titel "Anleitung zum Handeln – Taktik der direkten Aktion" bei der Berliner Oberbaumpresse erschien.
Andere Protest- und Demonstrationstechniken stammen von der Münchner Künstlergruppe SPUR (1959–1962) bzw. aus dem französischen Situationismus, der seinerseits Wurzeln im Dadaismus und Surrealismus, aber auch in einem undogmatischen Marxismus besitzt. Den Mitgliedern der Gruppe SPUR gemeinsam war eine radikale Absage an die bestehende Gesellschaft wie an derenMoralund Sexualvorstellungen, die sie ironisch, satirisch und sarkastisch verhöhnten. Im Januar-Manifest der Gruppe SPUR von 1961 lautete der erste Satz: "Wer in Politik, Staat, Kirche, Wirtschaft, Militär, Parteien, sozialen Organisationen keine Gaudi sieht, hat mit uns nichts zu tun."[8] Die Gruppe agierte im Dreieck von subversivem Aktionismus, politischem Surrealismus und schroffer Antipolitik. Zur Gruppe gehörte auch Dieter Kunzelmann, der 1962 die Subversive Aktion gründete mit Ablegern in München, Berlin und Nürnberg. Die Subversive Aktion verband Kritik und Aktion zu radikaler Opposition gegen das Bestehende: "Kritik muss in Aktion umschlagen. Aktion entlarvt die Herrschaft der Unterdrückung."[9] Der Berliner Gruppe traten zwei Jahre später auch Rudi Dutschke und Bernd Rabehl bei, die sich freilich weniger mit ästhetischen Fragen befassten als mit politischen und die vor allem den SDS auf einen radikaleren politischen Kurs bringen wollten. Teile der Subversiven Aktion, die sich auch Anschlaggruppe oder – nach dem 1965 gedrehten Film von Louis Malle – Viva Maria-Gruppe nannten, gründeten am 1. Januar 1967 die Kommune I in einer Wohnung, deren Hauptmieter der Rechtsanwalt Otto Schily war. Der Gruppe gehörten u. a. Dieter Kunzelmann, Fritz Teufel, Hans-Joachim Hameister und Rainer Langhans an.
Schon vor der Gründung machte die Gruppe mit spektakulären Aktionen von sich reden. Am 26. November 1966 sprengten sie eine Diskussion über die Hochschulreform – was deren faktisches Ende ankündigte, bevor sie ernsthaft begonnen wurde – mit der Verlesung eines Flugblattes, in dem sie dazu aufriefen, sich zu weigern, sich weiterhin "von professoralen Fachidioten zu Fachidioten ausbilden zu lassen".[10] Die Polizei nutzte den juristisch unergiebigen Vorfall zur Durchsuchung des SDS-Büros und befeuerte damit die Protestbewegung.
Die SDS-Demonstration gegen den Vietnamkrieg kurz vor Weihnachten 1966 verwandelten die Akteure der Kommune I in ein Happening mit Sprechchören wie 'Weihnachtswünsche werden wahr, Bomben made in USA'. Am verkaufsoffenen Sonntag vor Weihnachten inszenierten sie eine Spaziergangsdemonstration auf Berliner Bürgersteigen und verursachten damit ebenso Staus wie die Festnahme von Unbeteiligten wegen Behinderung des Fußgängerverkehrs. Die bislang unbekannten, harten Polizeieinsätze trafen viele Passanten, denn die Protestierenden versteckten ihre obligat langen Haare unter Mützen. Am Vorabend des Staatsbesuchs des amerikanischen Vizepräsidenten Hubert Horatio Humphrey im April 1967 wurden die Mitglieder der Kommune I festgenommen wegen des Verdachts, ein Attentat zu planen. Tatsächlich hatten sie nur Rauchkerzen, Farbbeutel, Pudding und Mehl besorgt und mussten schnell wieder freigelassen werden. Das Vorhaben ist als Pudding-Attentat in die Geschichte eingegangen, und die Berliner Presse ("FU-Studenten fertigen Bomben mit Sprengstoff aus Peking", so die Berliner Morgenpost) sowie die Polizei setzten sich dem Spott und der Lächerlichkeit aus. Ein Hamburger SDS-Schulungsbrief empfahl damals als "Waffen" gegen "polizeilichen Übereifer: Konfetti, Luftschlangen, Bonbongeschosse, Wasserpistolen und homerisches Gelächter".[11]