Cornelia Jabs und Helmut Müller-Enbergs Cornelia Jabs Helmut Müller-Enbergs
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Der 2014 verstorbene Polizist Karl-Heinz Kurras, der den Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 in Berlin erschoss, war Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi. Das beweisen Unterlagen der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU).
"Der Tod des Demonstranten" heißt ein Bronzerelief, das von Alfred Hrdlicka 1971 geschaffen und das 1990 vor der Deutschen Oper aufgestellt wurde. An seinem Fuß ist eine Gedenktafel angebracht, auf der es heißt: "Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg im Hof des Hauses Krumme Straße 66 während einer Demonstration gegen den tyrannischen Schah des Iran von einem Polizisten erschossen. Sein Tod war ein Signal für die beginnende studentische und außerparlamentarische Bewegung, die ihren Protest gegen Ausbeutung und Unterdrückung besonders in den Ländern der Dritten Welt mit dem Kampf um radikale Demokratisierung im eigenen Land verband."
Die Bestürzung in der Gesellschaft in Ost- und Westdeutschland sowie insbesondere unter den Studenten war ungemein. Ohnesorg, sagte Knut Nevermann auf der Beerdigung, "wurde getötet als einer von uns ... Es hätte jeden anderen von uns treffen können." Der Schuss aus ca. eineinhalb Metern Entfernung in den Hinterkopf, dessen Hergang im Übrigen nie zweifelsfrei geklärt werden konnte und folglich dem Polizisten aus Mangel an Beweisen für einen schuldhaften Tötungsvorsatz einen Freispruch einbrachte, war für die "68er-Bewegung" das Fanal schlechthin.
Davon wollte auch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) profitieren, sie bekundete vielfach ihre Solidarität mit dem Toten. So begleiteten etwa, als am 8. Juni sein Leichnam auf der Transitstrecke von West-Berlin nach Hannover überführt wurde, den Sarg Hunderte Fahrzeuge, und an den beiden Grenzübergängen, an den Seiten der Autobahn grüßten Betriebsdelegationen, Bürger und Aufgebote der Freien Deutschen Jugend (FDJ) den Konvoi.
Unter den Genossen der SED war die Stimmung einhellig: Es war Mord, der Täter ein Verbrecher. Nur wenige teilten diese Auffassung nicht. Einer davon wird eher ein Missbehagen mit solchen Deutungen empfunden haben, namentlich Genosse Karl-Heinz Kurras. Immerhin gehörte er schon mehrere Jahre der Partei an, seitdem er am 15. Dezember 1962 den Aufnahmeantrag in "ehrlicher Überzeugung" gestellt hatte, "daß die SED mit ihrer Zielsetzung den wahren demokratischen Willen verkörpert, ein demokratisches Deutschland zu schaffen". "Er erklärte, daß er sich der Bedeutung dieses Schrittes voll bewusst ist und seine ganze Kraft für die Partei einsetzen wird". Der DDR hätte er gern als Volkspolizist zur Seite gestanden, doch hatte sich das zerschlagen. Seine nächsten Genossen vertrauten ihm dennoch, bürgten für ihn vor der Partei: So die Österreicherin Charlotte Müller, Altkommunistin und im KZ Ravensbrück inhaftiert, die einen ebenso zweifelsfreien Ruf hatte wie Werner Eiserbeck, der das vollste Vertrauen seines Staates DDR genoss.
Nach der Kandidatenzeit wurde er mit Zustimmung des Zentralkomitees als Mitglied in die SED aufgenommen. Die SED-Kreisleitung VII a bestätigte das und händigte das Mitgliedsbuch 2.002.373 aus. Kurras' Parteibiografie war und blieb makellos, wenn von dem kritischen Einwurf vom Juni 1964 abgesehen wird, wonach er Leser des Spiegel war. Ansonsten galten seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit als "bewiesen": "Die gestellten Aufgaben werden von ihm gewissenhaft erfüllt. Bei der Erfüllung seiner Aufgaben zeigt der K. Mut und entwickelt die notwendige Initiative ... er (steht) treu zur Deutschen Demokratischen Republik". Und sie auch zu ihm: Als es erforderlich war, die Verbindung zu Kurras zu dessen eigener Sicherheit zu "unterbrechen ", gab es offenkundig kein Parteiverfahren. Keine Rüge oder andere Strafe ist vermerkt. Es wurden nur keine Beitragsmarken mehr in sein Mitgliedsbuch geklebt. Dabei bedurfte es nicht viel, um aus der SED ausgeschlossen zu werden. Die Erschießung Benno Ohnesorgs durch den Genossen Kurras bot scheinbar keinen hinreichenden Anlass.
In der Tat verdankte die Partei ihm viel, mehr noch aber das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Mit 22 Jahren trat Karl-Heinz Kurras im März 1950 in den Dienst der Polizei in West-Berlin, arbeitete als Polizei-Meister bei der Polizei-Inspektion in Berlin- Charlottenburg. Im April 1955 hat er, heißt es in seiner Akte, den Wunsch, in die DDR überzusiedeln und der Deutschen Volkspolizei zu dienen. "Sein Wunsch war von vornherein in den demokratischen Sektor zu kommen und es bedurfte einer gründlichen Aussprache, um ihn von der Wichtigkeit seiner Arbeit bei der Stummpolizei zu überzeugen." Statt die Einbürgerung zu erhalten, wird er wenig später als inoffizieller Mitarbeiter (IM) "Otto Bohl" von Fritz Redlin angeworben, der bei der Abteilung IV der Groß-Berliner Staatssicherheit arbeitete, jener Linie IV, die in dieser Zeit insbesondere durch das Briefbombenattentat auf den saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann auffiel und bis heute den Ruf behielt, für unfeine Dinge zuständig gewesen zu sein. Karl-Heinz Kurras verpflichtete sich am 26. April 1955 schriftlich zur Kooperation, arbeitete weiter bei der West-Berliner Polizei mit dem Auftrag, dort in die wichtigste Abteilung I zu gelangen, in der
alle Fäden in Sachen Staatssicherheit, Spionage und Überläufer in West-Berlin zusammenliefen, die auch mit dem Landesamt für Verfassungsschutz und den alliierten Sicherheitsoffizieren kooperierte. Ein Ziel, das von seinem Stellenwert her mit dem eines Rainer Rupp ("Topas") in der NATO, Gabriele Gast ("Gisela ") oder Heinz Felfe beim Bundesnachrichtendienst (BND) ebenbürtig gewesen ist. Es wurde beinahe im April 1960 mit seinem Eintritt in die Kriminalpolizei und vollends im Januar 1965 erreicht. Er gehörte dort als Kriminalmeister einer Sonderermittlungsgruppe an, die sich mit der "Suche nach Verrätern in den eigenen Reihen" befasste, also die "intimste Stelle" innerhalb der Polizei.
Die durch Karl-Heinz Kurras für das MfS, das ihn später durch Werner Eiserbeck von der für die Polizei zuständigen Linie VII des MfS führen ließ, bewirkte Transparenz der Abteilung I dürfte die kühnsten Erwartungen übertroffen haben. Er lieferte detailliert Erkenntnisse über Mitarbeiter, Ausbildung, Arbeitsweise und Personalveränderungen, Befehle, Dienstpläne und Einsatzpläne, zur Tätigkeit der Alliierten, der Ausstattung und Standorte – meist in dokumentarischer Form. Er war verantwortlich für die Asservate und die Auswertung des Funkverkehrs des MfS (A-3-Verkehr). Das MfS hatte bald eine umfangreiche Kenntnis über alle Aktivitäten der West-Berliner Polizei gegen das Ministerium. Er schlüsselte Festnahmen von IM auf, berichtete von Überläufern, Quellen des amerikanischen Geheimdienstes, Entführungsfällen aus West-Berlin oder Flüchtlingen wie Peter Fechter. Er gab das Wissen über besondere Kennzeichen bei West-Berliner Ausweisen ebenso weiter wie Verdachtsfälle gegen IM, Namen von V-Leuten des Verfassungsschutzes oder dessen Mitarbeitern, ferner über Fluchthelfer und Tunnel wie den in der Wollankstraße. Überdies nahm er im Auftrag des MfS Personenermittlungen in der KfZ-Kartei, im Fahndungsbuch und beim Einwohnermeldeamt vor und machte das MfS mit Förderkadern der Polizei bekannt, die im Falle einer Wiedervereinigung im "Osten" zum Zuge kommen sollten.
Wozu Karl-Heinz Kurras bereit war, erschließt sich beispielsweise aus seinem Vorgehen im November 1965, als er für die Verhaftung eines Kriminalmeisters der Kriminalinspektion Neukölln, des IM "Heinrich Schwarz", eines alten Kommunisten, und dessen Ehefrau zuständig war. Seine Kurierin notierte: "'Bohl' äußerte gewisse Bedenken, daß er mithelfen muß, Verhaftungen vorzunehmen von Leuten, die für die DDR arbeiten. Ich erwiderte darauf: er soll seine Arbeit ordnungsgemäß durchführen, auch wenn Festnahmen notwendig sind, und erinnerte an Dr. [Richard] Sorge, der auch gegen seine Einstellung Arbeiten durchführen mußte, um wichtige Informationen zu erhalten". Das wird er eingesehen haben, denn später hieß es, er habe "keine Hemmungen mehr", wenn es darum ging.
Zuvor versuchte er das Ehepaar noch über die gemeinsame Kurierin zu warnen, was nicht unbemerkt blieb, da die Gattin geständig war. Seiner Kurierin sagte er: "Das Material ... ist sehr schwach. Man hat keine Beweise für den Verdacht und hofft durch die Hausdurchsuchung welche zu erhalten". Kurras erhielt den Auftrag, "daß jetzt seine große Bewährung bevorsteht. Er muß die Vernehmung ... sehr ordentlich durchführen, auch wenn es sich um einen alten Kommunisten handelt". Den Verrat der Gattin nahm Kurras ihr übel, er beschrieb die mit ihr geführten Vernehmungen mit "sehr groben Schimpfwörtern". Kurras sagte, so sein Führungsoffizier Werner Eiserbeck: "Gebt mir den Auftrag, die würde ich umbringen, so eine Verräterin". An anderer Stelle heißt es, dass Kurras am 12. Januar 1967 "die Meinung" vertreten habe, "daß man gegen solche Verräter scharf vorgehen muß". Solche Zitate deuten zumindest die signalisierte Bereitschaft zum Töten an. Die Lorbeeren für die Verurteilung des Ehepaares konnte sich Kurras aufsetzen. Er wurde im September 1966 Kriminalobermeister und zuvor mit einer Ausbildung bei der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamts (BKA) in Bonn ausgezeichnet.
Überdies schien Kurras Nerven zu haben. Seine Kurierin notierte anlässlich der Übergabe einer Aktentasche mit Originaldienstunterlagen: "'Bohl' war äußerst ruhig und machte einen sehr sicheren Eindruck. Scherzhaft sagte er dann: Wenn wir wollen, können wir auch den ganzen Panzerschrank holen". Oder, als er während seines Dienstes auf die polizeiliche Ermittlungsakte gegen seinen ersten Führungsoffizier Redlin stieß, die wesentlich auf Angaben ehemaliger IM basierte und auch ihm bekannte Trefforte vermerkte: "Nach Meinung von 'Bohl' stimmen diese Angaben. 'Bohl' war darüber nicht besonders berührt. Er sagte, daß so etwas passieren kann".
Gemäß seiner Bedeutung für das MfS wurde das Verbindungswesen mit Kurras ständig optimiert. Bereits eine Woche vor dem Mauerbau war der Kontakt über beidseitigen Funkverkehr vorgesehen, jeweils sonntags gegen 15.30 Uhr (später samstags ab 12 Uhr) erhielt Kurras Anweisungen. Einen gefälschten Ost- Berliner Ausweis für den Aufenthalt in der DDR erhielt er im Oktober 1961. Den persönlichen Kontakt zu ihm unterhielt seine Parteibürgin Charlotte Müller, die ihm als Kurierin "Lotte Schwarz" zur Verfügung stand. Beliebter Treffort war das Schleusen-Café in Berlin-Tiergarten, als "Trude" bezeichnet. Jeweils eine Minoxkamera wurde ihm im Januar 1959 und im August 1962 geliefert, die er im Wandbrett für den Blumentopf im Flur seiner Wohnung verstecken sollte. In Ost-Berlin fanden über längere Zeit alle drei Monate Treffs statt. Briefe sollte er mit Geheimschreibtinte (Verfahren "Helin") verfassen und an eine Deckadresse ("Zentrum") senden. Ein Erkennungszeichen, ein Taschentuch, gab es auch, das noch heute aufgefaltet in der Akte liegt.
Der Aufwand wurde Karl-Heinz Kurras vergütet: Im Jahre 1955 erhielt er lediglich 550 DM, 1956 schon 800 DM, ein Jahr später 850 DM und mit zunehmender Qualität seiner Informationen stieg die Entlohnung: 1958 auf 1.400 DM, 1959 auf 1.900 DM, 1960 auf 2.310 DM, 1961 auf 2.200 DM und 1962 sogar auf 2.450 DM. Im Laufe des Jahres 1966 gab es 4.500 DM und in den ersten beiden Monaten des Jahres 1967 allein 2.000 DM, und bei einem Treff am 17. Mai 1967 erhielt er 1.000 DM.
Eine Frage liegt auf der Hand: Hat das MfS Kurras' "charakterliche Schwäche" ausgenutzt und ihn aufgefordert, die Schusswaffe anzuwenden? Ein Beleg dafür findet sich in der 17-bändigen Akte nicht, die bis in das Frühjahr 1967 überwiegend vorbildlich geführt, danach aber erkennbar ausgedünnt wurde. Ein Auftragsmord scheint auch wenig wahrscheinlich. Dennoch wirft die Akte Fragen auf.
Waffen, scheint es, waren für Karl-Heinz Kurras das Leben. Als Minderjähriger war er während der NS-Zeit "Sachbearbeiter für Schießwesen"; eine aus den Kriegstagen behaltene Waffe brachte ihm von 1946 bis 1950 Haft in Sachsenhausen ein. Kurras gehörte dem Vorstand des Polizeisportvereins und dem Jagdverein West-Berlins an, wo er jeweils als leidenschaftlicher Schütze galt. "Als Sportschütze hat er bereits einige Erfolge erzielt und ist dadurch beim großen Teil der westberliner Polizei bekannt", wusste das MfS. Ferner hatte es Kenntnis davon, dass Kurras als "bester Schütze" ausgezeichnet worden war und eine "besondere Neigung zum Schießsport" hat. "Den überwiegenden Teil seiner Freizeit", notierte das MfS, "verbringt er auf dem Schießstand. Ebenso gibt er einen großen Teil seines Geldes für seine sportlichen Interessen aus". Die Schießleidenschaft wurde nicht gerade dadurch abgebremst, dass das MfS Kurras am 20. Juli 1961 die Waffe Radom Nr. E 3757 (9 mm) aushändigte, der dafür im Gegenzug eine Waffe ablieferte, und ihm im August 1965 600 DM gab, damit er sich die gewünschte Waffe Typ P 38 mit Kleinkalibervorsatz kaufen konnte. Er verwendet, heißt es beim MfS, den "überwiegenden Teil seines Verdienstes und der finanziellen Zuwendungen durch das MfS" für seine "umfangreiche Waffensammlung" und gebe monatlich 300 – 400 DM für Munition aus. Mithin räumte auch das MfS am 8. Juni 1967 intern ein, dass man von dieser "charakterlichen Schwäche" gewusst habe. Es wird zwar deutlich, dass "Otto Bohl" nicht irgendeiner der vielen IM des MfS war. Er war eine Spitzenquelle mit besonderen Talenten. Er "ist bereit", vermerkte das MfS, "jeden Auftrag für das MfS durchzuführen. Er besitzt Mut und Kühnheit, um schwierige Aufgaben zu lösen". Von seiner Offerte, auch jemanden "umzubringen", war bereits die Rede.
Das MfS war durch Kurras am 17. Mai 1967 bei einem Treff detailliert über die Absichten der Polizei bei den nächsten Demonstrationen in West-Berlin informiert, am 1. Juni 1967 setzte er einen Funkspruch ab, der nächste konnte – da stets nur samstags – erst am 8. Juni erfolgen.
Am 8. und 9. Juni 1967 wurde innerhalb des MfS seine Akte umfassend analysiert und festgestellt, dass Kurras stets ehrlich und zuverlässig war. Der Kontakt wurde zunächst aufrechterhalten. Das MfS funkte ihm: "Material sofort vernichten. Vorerst Arbeit einstellen. Nach Abschluß der Untersuchungen selbständig melden. Betrachten Ereignis" – den tödlichen Schuss auf Benno Ohnesorg – "als sehr bedauerlichen Unglücksfall". Kurras funkte zurück: "Zum Teil verstanden – alles vernichtet – Treff bei Trude" – also am Schleusen-Café in Berlin-Tiergarten – "jetzt – fünfzehnten [Juni] – benötige Geld für Anwalt". Noch am 17. Juni 1967 ging ein weiterer umfänglicher chiffrierter Funkspruch beim MfS ein, der aus der Akte entfernt worden ist. Eiserbeck notierte in diesen Tagen: "Zur vorläufigen Regelung der Verbindung" zu Kurras "wird vorgeschlagen: 1. Die Verbindung ... wird vorläufig abgebrochen. Aus Gründen der Sicherheit ... und im Interesse der Einhaltung der Wachsamkeit und Konspiration, wird zur Zeit keine Verbindung ... aufgenommen."
Zumindest ein Kontakt zwischen dem MfS und Kurras ist noch belegt. Sein Führungsoffizier Eiserbeck traf ihn in Ost-Berlin am 24. März 1976. Kurras, weiterhin im Polizeidienst, zeigte sich offenbar an einer Fortsetzung der Kooperation interessiert. Eiserbeck: "Das MfS wird sich vorbehalten, ob und wann ein erneutes Ansprechen erfolgt. Der Kurras erwiderte darauf, daß er seine Meinung zum MfS nicht geändert hat und mit einer erneuten Zusammenarbeit einverstanden wäre". Weiter notierte Eiserbeck: "Das Gespräch wurde ... in einer sehr vertraulichen Form geführt. Der Kurras verhielt sich so, als ob das letzte Zusammentreffen erst vor wenigen Tagen stattgefunden hat". "Die Bereitschaft zu einer erneuten Zusammenarbeit mit dem MfS wurde vom Unterzeichnenden nicht kommentiert, sondern nur zur Kenntnis genommen". "Zu bemerken wäre noch, daß der Kurras die Telefonnummer der KD [Kreisdienststelle des MfS in] Lichtenberg im Gedächtnis hatte", wo Eiserbeck später tätig war, und was mithin andeutet, dass es zuvor schon weitere, aber nicht dokumentierte Treffen gegeben hat. Eiserbeck schien daran interessiert zu sein, die Kooperation fortzusetzen und "[d]ie Verbindung ... schrittweise wieder aufzubauen". Zugleich kam die Rede auf den 2. Juni 1967. Kurras wird so wiedergegeben: "Die Situation wurde zu einer reinen Existenzfrage, zu der Frage, ob Leben oder Tod. Aus diesem Grunde hat er so gehandelt. Sein Leben war durch das Angreifen der Radikalen mit einem offenen Messer gefährdet. Der Kurras sagte sinngemäß, daß er sich nichts vorzuwerfen hatte und nichts bereut. ... Seine Darlegungen zum bekannten Vorkommnis trug er sehr impulsiv vor. Aus der Art und Weise und seinen Bemerkungen kann geschlußfolgert werden, daß der Kurras von der Richtigkeit seiner Handlungsweise überzeugt ist, kein Mitleid in irgendeiner Form hat und die Handlungen der anderen beteiligten Personen verurteilt".
Eine Distanzierung des MfS von seinem IM "Otto Bohl" war das wohl nicht zu nennen, auch wenn es zu keinen weiteren dokumentierten Treffen gekommen ist. Gleichwohl gab es MfS-intern schon zuvor Zweifel an Kurras' Darstellung, konnte doch ein bis heute wohl unbekannter Zeuge gefunden werden, der den Tathergang recht plausibel darstellen konnte, doch störten das MfS einige Widersprüche in dessen Darstellung. Immerhin dürfte es neue Fragen geben.
Was auch immer die weitere Diskussion ergibt, eines dürfte unstrittig sein: Mit Karl-Heinz Kurras hat ein Genosse der SED und ein IM des MfS den Studenten Benno Ohnesorg erschossen – ein Polizist also, der allein auf Wunsch der Staatssicherheit seinen Dienst bei der West-Berliner Polizei versah. Welches Signal wäre das gewesen, wenn der beginnenden studentischen und außerparlamentarischen Bewegung das im Juni 1967 bekannt geworden wäre?
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