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Feminismus & Filme, gestern & heute Interview mit Helke Sander

/ 4 Minuten zu lesen

Helke Sander ist der Name, der in Deutschland fällt, wenn es um feministische Filme geht. Was sagt sie zum Feminismus gestern und heute?

Auf die Frage "Wie erleben Sie Feminismus heute?" antwortet Helke Sander knapp "Gar nicht". Das klingt nach vier Jahrzehnten gelebten Feminismus enttäuscht. Sie hat als Filmemacherin und Autorin die Frauenbewegung in Deutschland gestaltet: "Mit Themen wie der Doppelbelastung der Frau, den Widersprüchen zwischen politischem Bewusstsein und persönlichem Handeln, vor allem der lange verschwiegenen Geschichte von Vergewaltigungen am Ende des Zweiten Weltkriegs erntete die unbequeme Filmemacherin sowohl begeisterte Zustimmung als auch empörte Kritik – und versiegende Fördergelder", schreibt das Institut für Frauen-Biographieforschung über sie.

Geboren wurde Helke Sander 1937 in Berlin. Sie arbeitete als junge Frau als Regisseurin in Finnland und gründete nach ihrer Heimkehr in Berlin den "Aktionsrat zur Befreiung der Frauen", der die Kinderläden erfand. Sie schrieb sogar zusammen mit einer Tomate Geschichte: 1968 hielt sie vor dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) eine Rede und als die männlichen SDS-Funktionäre diese gerade ignorieren und stillschweigend zur Tagesordnung übergehen wollten, flog eine Tomate quer durch den Saal – sie machte die Konferenz berühmt und wurde zum Auslöser der deutschen Frauenbewegung. Die Filme, die Helke Sander in den folgenden Jahrzehnten drehte, blieben ihr verpflichtet. Trotz der vielen Preise und Ehrungen bekam die unbequeme Künstlerin oft nicht die nötigsten Gelder für ihre Projekte. 2007 feierte sie ihren 70. Geburtstag und auf die Frage, ob sie sich immer noch für die politischen Ideale der 1968er interessiert, antwortet sie kurz mit einem bestimmten "Ja."

Wie würden Sie jemandem aus einer anderen Kultur "Feminismus" erklären?

Helke Sander: Als Einsatz dafür, dass Frauen mit Kindern gleichberechtigt alle gesellschaftlichen Belange mit bestimmen.

Weltweit wurden Sie mit Ihren Filmen bekannt, die Sie als "feministische Filme" einordnen. Warum? Was macht einen Film feministisch?

Helke Sander: Ich benutze diese Begriffe in der Kunst nicht. Ich habe höchstens gesagt, dass ich Filme feministisch mache, nicht, dass ich feministische Filme mache.

Was ist für Sie typisch am deutschen Feminismus? Wann wurde er öffentlich, wer waren die Hauptakteurinnen ... ?

Helke Sander: Die Frauenfrage begann 1968 mit der Kinderfrage. Es gab hunderte von Akteurinnen, die auf den unterschiedlichsten Gebieten arbeiteten und ihre Auseinandersetzungen über Jahre in den verschiedensten Medien führten.

Was hat der Feminismus in Deutschland bewegt?

Helke Sander: Ich beschreibe das in meinem Film-Essay Mitten im Malestream Richtungsstreits in der neuen Frauenbewegung. Da geht es hauptsächlich um die vergessene Kinderfrage.

Was zählen Sie zu den Niederlagen des Feminismus?

Helke Sander: Die Niederlage besteht darin, dass die Mainstreammedien die Frauenbewegung 1971 mit der 218-Kampagne beginnen lässt, was den Blick dafür verstellt, auf welche Weise eine soziale Bewegung entsteht und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hat. Die Frauenbewegung war von Anfang an sehr heterogen und nicht auf einen Nenner zu bringen. Darüber weiß man aber heute kaum etwas und das, was man wissen könnte, ist für die meisten zu mühselig herauszufinden. Das liegt zum großen Teil daran, dass Alice Schwarzer und ihre Anschauungen seit ungefähr Mitte der siebziger Jahre öffentlich mit der Frauenbewegung assoziiert werden, sich aber genau deswegen auch sehr viele Frauen aus den ersten Gruppen daraus zurückgezogen hatten, weil sie diese neue Frauenbewegung als unpolitisch, zu privat, mit zu vielen falschen Feindbildern etc., empfand.

Es wird unterschlagen, dass sich die Frauenbewegung im Grunde nach der 218-Kampagne als gemeinsame und politische Aktion auflöste und in viele widersprüchliche Gruppen zerfiel, die hauptsächlich durch eine neue Praxis, aber nicht mehr durch Theorie gekennzeichnet waren. Schon Ende der siebziger Jahre waren die Anfänge nahezu vergessen. Nur deshalb konnte zum Beispiel die berühmte "Mittäterschaftstheorie" von Christina Thürmer-Rohr bei den auch theorieinteressierten Frauen so einschlagen und als etwas ganz Neues empfunden werden. Tatsache ist aber, dass die Berliner Anfänge 1968 sich immer wieder genau mit diesen Fragen befassten. Die Thesen von Frau Thürmer-Rohr zum Opfer-Täterverhalten sind nicht falsch, aber sie sind keineswegs neu. Sie beziehen sich auf eine Frauenbewegung, wie sie Mitte der siebziger Jahre existierte und sich den neu Hinzugekommenen präsentierte. Diese Frauenbewegung unterschied sich aber fast grundlegend von den Anfängen 1968, denn in den siebziger Jahren wurde tatsächlich von Teilen der Frauenbewegung, die sich medial am meisten durchsetzten und durchgesetzt wurden, tatsächlich die Frau als Opfer und der Mann als Feind kreiert. Diejenigen, die das Geschlechterverhältnis auch damals schon differenzierter sahen, wurden von der Presse bis heute nicht gerne wahrgenommen. Das muss ich hier zur Ehrenrettung ausdrücklich betonen. Darum ist die Geschichtsklitterung, die schon kurz nach den Anfängen beginnt, eins der größten Probleme überhaupt.

Wie beurteilen Sie die Politik der Frauenministerin Ursula von der Leyen?

Helke Sander: Ich begrüße die Initiative zur Schaffung von mehr Kindergärten und Krippen und erkenne an, dass Frau von der Leyen es geschafft hat, das Thema fest als politische Frage mit all ihren Widersprüchen zu verankern, nachdem ich seit vier Jahrzehnten schon verfolge, dass andere das nicht geschafft haben. Frau von der Leyen verabschiedet sich damit von der CDU-Familienpolitik, die sie seit Beginn der Bundesrepublik betrieb, nachzulesen besonders gut und ausführlich in dem Buch Geschützte Mütter von Robert Moeller.

Tut es Deutschlands Frauen gut, eine Kanzlerin zu haben? Und konkret Angela Merkel?

Helke Sander: Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass Frauen alle politischen – und die meisten anderen - Ämter besetzen. Nur dadurch werden sie auch kritisierbar und korrigierbar.

Das Interview führte Christine Sommer-Guist (Journalistin und Autorin mit den Schwerpunkten Umwelt und Soziales).

Quelle: Externer Link: Goethe-Institut, Dossier: Wendepunkt 1968

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