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Neue Modelle: Die Idee eines Paritätsgesetzes in Deutschland

Prof. Dr. Ulrike Lembke

/ 8 Minuten zu lesen

Zeigt die Geschichte von Frauen als Wählerinnen und Politikerinnen nicht, dass das Frauenwahlrecht wichtig war, aber für eine adäquate Vertretung von Frauen in der Politik nicht ausreicht? Welche anderen Instrumente könnte es für eine paritätische Vertretung geben?

Aktion des Landesfrauenrates Baden-Württembergs für die Gleichstellung von Männern und Frauen. Seit Jahren wird in Deutschland darüber diskutiert, ob den Parteien nicht verbindliche Vorgaben für die geschlechterparitätische Gestaltung ihrer Wahllisten gemacht werden müssten. (© dpa)

Mit der Wahl 2017 ist der Anteil von Frauen im Bundestag auf 30,7 Prozent gesunken. Weniger als ein Drittel der Abgeordneten im Deutschen Bundestag sind nun Frauen. Dies hat Diskussionen darum belebt, ob mehr für die politische Partizipation von Frauen getan werden muss, beispielsweise durch ein "Paritégesetz" nach französischem Vorbild.

Politische Partizipation von Frauen in Deutschland

Das starke Absinken des Frauenanteils im Bundestag mit der letzten Wahl führte zum schlechtesten Ergebnis seit 20 Jahren, zeigt aber auch einen Trend an.Frauen sind in allen Wahlämtern in der Bundesrepublik deutlich unterrepräsentiert. 2017 lag der Frauenanteil in den Parlamenten der Bundesländer zwischen 24,5 Prozent (Baden-Württemberg) und 40,6 Prozent (Thüringen). Immerhin 37,5 Prozent der Regierungsmitglieder in den Ländern waren 2015 Frauen, durch die letzten Landtagswahlen ist dieser Anteil aber gesunken. Der Frauenanteil in den kommunalen Vertretungen liegt bei durchschnittlich 27 Prozent, wobei es sehr große Unterschiede zwischen Bundesländern und einzelnen Kommunen gibt. Nur 10 Prozent aller Oberbürgermeister*innen und Landrät*innen sind Frauen.

Mit einem Anteil von nur 30,7 Prozent weiblichen Abgeordneten steht Deutschland auch im internationalen Vergleich nicht besonders gut da. In Lateinamerika nähern sich viele Parlamente der 50 Prozent-Marke an oder überschreiten diese. Auch in Europa sind andere Parlamente deutlich besser aufgestellt, so in Belgien und Island mit 38 Prozent Frauenanteil, in Frankreich und Spanien mit 39 Prozent, in Norwegen mit 41 Prozent, in Finnland mit 42 Prozent und in Schweden 44 Prozent Frauenanteil.

Der Frauenanteil im deutschen Bundestag steht in unmittelbarem Zusammenhang dazu, wie Parteien ihre Listen aufstellen. Eine signifikante Erhöhung des Anteils weiblicher Abgeordneter gab es erst, als 1983 Externer Link: die Grünen mit ihren quotierten Listen in den Bundestag einzogen. Der Anteil weiblicher Abgeordneter stieg in anderthalb Jahrzehnten rasant an, stagniert seitdem aber bei um die 30 Prozent. Die Grünen, die Linke und die SPD haben seit vielen Jahren parteiinterne Quoten und dementsprechend auch im Bundestag ab 2017 einen Frauenanteil unter ihren Abgeordneten von 42 Prozent bis 58 Prozent. Dagegen weisen die Fraktionen der CDU/CSU, FDP und AfD einen Anteil weiblicher Abgeordneter zwischen 10,9 Prozent und 23,8 Prozent auf. Es liegt also nicht fern, über quotierte Listen nachzudenken, um die gleichberechtigte politische Partizipation von Frauen zu gewährleisten.

Parité: Vorbild Frankreich

In Interner Link: Frankreich wurde 1999 die Verfassung geändert, um den gleichen Zugang von Frauen und Männern zu Wahlmandaten und auf der Wahl beruhenden Ämtern zu fördern und hierfür auch die politischen Parteien in die Pflicht zu nehmen. Ein Paritätsgesetz (la loi sur la parité) aus dem Jahr 2000 verpflichtete die Parteien zur Aufstellung geschlechterparitätischer Wahllisten für die Europawahl sowie die kommunalen und regionalen Wahlen. Eine Abweichung von dieser Vorgabe führt zu Kürzungen bei der staatlichen Parteienfinanzierung oder finanziellen Sanktionen, die 2007 nochmals verschärft wurden.

In den Bereichen, in den die Pflicht zur paritätischen Listenaufstellung gilt, war das Gesetz offensichtlich erfolgreich: 44,4 Prozent der Europaabgeordneten, 47,6 Prozent der Mitglieder von Regionalparlamenten und 48,5 Prozent der Mitglieder von kommunalen Parlamenten sind weiblich. Doch nur 18,5 Prozent der Abgeordneten in der Volksversammlung und 15,8 Prozent der Mitglieder des Senats sind Frauen. In den Versammlungen der Departments sind es 13 Prozent. Die Quotierung greift also, bleibt aber auf die lokale und regionale Ebene (bzw. das Europaparlament) beschränkt.

Neben Frankreich haben auch Belgien, Portugal, Spanien und Slowenien in ihren Wahlgesetzen Vorschriften zur paritätischen Besetzung von Wahllisten verankert. Diese gehen teils über die kommunale Ebene hinaus und sehen in unterschiedlichen Regelungsformen Geschlechterquoten zwischen 40 Prozent und 50 Prozent vor.

Überlegungen zu Paritätsgesetzgebung in Deutschland

Seit etlichen Jahren wird in Deutschland an verschiedenen Stellen darüber diskutiert, ob den Parteien nicht verbindliche Vorgaben für die geschlechterparitätische Gestaltung ihrer Wahllisten gemacht werden müssten, da sich der Frauenanteil in den Parlamenten anderenfalls niemals der 50 Prozent -Marke annähern werde. Die letzte Bundestagswahl 2017 gibt diesen Diskussionen Auftrieb.

Das Aktionsbündnis "Parité in den Parlamenten" fordert geschlechterparitätisch besetzte Wahllisten und Wahlkreise für EU, Bund, Länder und Kommunen. Hierzu müsste das Wahlrecht geändert und die gesetzliche Pflicht zur Aufstellung geschlechterparitätischer Wahllisten eingeführt werden. Nur damit könne das Versprechen demokratischer Gleichheit und der effektiven Einflussnahme des ganzen Volkes auf die Gesetzgebung erfüllt werden. Wahllisten, welche nicht diesen Vorgaben entsprechen, sollen nicht zur Wahl zugelassen werden. Andere Stimmen schlagen finanzielle Sanktionen wie in Frankreich vor, dagegen spricht, dass es zum Markenkern einer Partei werden könnte, sich Frauendiskriminierung auch finanziell "leisten" zu können.

Einige Parteien haben bereits verbindliche interne Quotenregelungen. Bündnis 90/Die Grünen und die Linke sehen mit 50 Prozent stets paritätische Wahllisten vor, die SPD nähert sich mit 40 Prozent an. In der CDU und CSU gibt es unverbindliche Regelungen, dass 30 Prozent Frauenanteil erreicht werden sollen, die nicht nur bei der Wahl 2017 weit verfehlt wurden. Schon die Einführung der parteiinternen Quoten in den 1980er und 1990er Jahren rief große Widerstände hervor. Die Idee eines Paritätsgesetzes mit verbindlichen Vorgaben wird im juristischen Diskurs auch heute weit überwiegend abgelehnt.

So lehnte auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof mit Urteil vom 26. März 2018 eine Klage des Aktionsbündnisses "Parité in den Parlamenten" auf Einführung geschlechterparitätischer Wahllisten und Wahlvorschläge ab. Das Demokratieprinzip verlange keine geschlechterparitätische Besetzung von Wahllisten oder Parlamenten, bei der Umsetzung des Gleichberechtigungsauftrages habe der Gesetzgeber einen sehr weiten Spielraum und ein Paritätsgesetz würde ganz radikale Änderungen im Wahlrecht verlangen. Es ist gut nachvollziehbar, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof nicht im Alleingang das Wahlrecht ändern will, seine Überlegungen zu Gleichheitsgebot und faktischer Diskriminierung sind es allerdings nicht.

Repräsentation unabhängig vom Geschlecht?

Gegen die Pflicht zur geschlechterparitätischen Aufstellung von Wahllisten werden im Wesentlichen zwei Argumente vorgebracht: Zum einen greife dies unzulässig in die freie Wahl ein, da die "soziale Diskrimination von Wahlkandidaten" gerade das Recht aller Wahlberechtigten sei. Zum anderen sei die Quotierung auch nicht begründbar, da politische Repräsentation eben von den persönlichen Eigenschaften unabhängig ist. Der Bundestag spiegele auch in vielen anderen Aspekten (Alter, Bildung, Beruf etc.) nicht die wahlberechtigte Bevölkerung wider.

Das Argument der Wahlfreiheit ist insofern überraschend, als in Deutschland vorwiegend über Listensysteme gewählt wird. Dabei haben Wähler*innen grundsätzlich keinen Einfluss auf die personale Besetzung, müssen also die Liste der von ihnen gewählten Partei hinnehmen. Die Stimme für eine Partei ist immer auch eine Stimme für Personen, die man selbst vielleicht nicht ausgewählt hätte. Eine rechtlich relevante Verletzung der Wahlfreiheit hat darin bisher niemand gesehen.

Interessanter ist das andere Argument: Jeder und jede Abgeordnete soll Vertreter*in des "ganzen Volkes" sein. Dazu müssen Abgeordnete von allen persönlichen Vorlieben und Eigenschaften absehen, da in deutschen Parlamenten sehr viele gesellschaftliche Gruppen (fast) gar nicht vertreten sind. Tatsächlich bedingt die ausgeprägte Ähnlichkeit und damit Homogenität der Abgeordneten, dass viele Themen und Aspekte gar nicht gesehen werden und das Parlament dadurch schlechter arbeitet. Seit Bestehen des Bundestages bringen Frauen aller Fraktionen durchgängig mehr frauenspezifische Interessen und Themen ein als männliche Abgeordnete. Pluralisierung verbessert also die Qualität parlamentarischer Arbeit. (Und wer dann gleich alle unterrepräsentierten Gruppen ins Spiel bringt, sollte nicht Marginalisierte gegeneinander ausspielen, sondern sich ernsthaft für mehr Pluralität einsetzen.)

Geschlechtergerechtigkeit in Wahlämtern

Für mehr Geschlechtergerechtigkeit in Parlamenten spricht aber nicht nur – und vielleicht nicht einmal zuerst – dass diese dann besser arbeiten, wie Beispiele von gemischtgeschlechtlichen Gruppen zeigen. Vielmehr spricht dafür, dass politische Teilhabe von Frauen die Grundlage dafür ist, dass auch weitere Geschlechtsdiskriminierungen in Recht und Gesellschaft abgebaut werden und dass Frauen ihre staatsbürgerlichen Rechte wirklich genießen können. Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten sind weiblich – dies sollte sich auch in den Volksvertretungen widerspiegeln. Der Ausschluss der Frauen von politischen Entscheidungen hat eine sehr lange Geschichte und ist mit der Einführung des Frauenwahlrechts 1919 keineswegs beendet worden. Diskriminierende Regelungen, gesellschaftliche Vorurteile und Stereotypen, aber auch überholte männerbündische Strukturen in den Parteien selbst machen das passive Frauenwahlrecht weitgehend zu einem Recht auf dem Papier.

Bereits 1990 hat Kathrin Eulers ausführlich erläutert, dass Wahlgleichheit nicht formal zu verstehen ist, sondern die Garantie tatsächlich gleicher Zugangschancen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen meint. Demokratie unter dem Grundgesetz erfolge durch auf Wahlen beruhende Repräsentation, für die sich relevante gesellschaftliche Gruppen im Parlament wiederfinden müssten. Diese pluralistische Repräsentation stelle sich aber weder von selbst noch durch formale Wahlen ein, sondern sei eine fortwährende staatliche Aufgabe. Bezogen auf Geschlechterparität kann hier mühelos an bekannte wie aktuelle Erkenntnisse angeknüpft werden: Auch Geschlechtergerechtigkeit entsteht nicht einfach von selbst oder durch formale Regeln, sondern nur durch effektive Maßnahmen gegen faktische Diskriminierung.

Deshalb ist auch der geringe Frauenanteil in den politischen Parteien keine Entschuldigung für die Unterrepräsentanz von weiblichen Abgeordneten, sondern eine zu bewältigende Herausforderung. Der Ausschluss von Frauen aus Politik, Macht und Öffentlichkeit ist tief in der deutschen Geschichte und Kultur verwurzelt und nicht leicht zu ändern. Seit vielen Jahren funktionierende Quotierungen in einigen politischen Parteien zeigen aber, dass gleichberechtigte politische Partizipation möglich ist.

Frauenquoten in den Parteien

Angesichts des Ergebnisses der letzten Bundestagswahl beginnen nun auch Parteien, die (zumindest internen) Regelungen zur Geschlechterparität bisher ablehnend gegenüberstanden, umzudenken. In der FDP machen sich im Frühjahr 2018 männliche Spitzenpolitiker öffentlich für wirksame Selbstverpflichtungen zur Erhöhung des Frauenanteils stark, auch wenn sie diese nicht Quote nennen wollen. Bereits Anfang 2018 hatte die Berliner CDU begonnen, über Regelungen nachzudenken, um den Frauenanteil unter ihren Abgeordneten zu erhöhen.

Noch im März 2018 hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer einen Shitstorm geerntet, als er bekanntgab, dass er nur männliche Staatssekretäre ausgewählt hatte. Anlässlich des 70. Geburtstags der Frauen-Union im Mai 2018 forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Partei auf, den Frauenanteil wesentlich zu erhöhen. Dafür reiche die unverbindliche parteiinterne Regelung nicht mehr aus: "Wenn die Bevölkerung in der Partei nicht repräsentiert ist, wird es natürlich immer schwieriger, die Wünsche einer Mehrheit der Bevölkerung auszudrücken, zu artikulieren und zu erkämpfen." Die Kanzlerin erläuterte auch die Bedeutung: "Deshalb ist das nicht irgendeine Frage von Frauen, die gerne Karriere machen wollen, sondern es ist eine Existenzfrage der Volkspartei."

Das Versprechen des Frauenwahlrechts einlösen

Das Frauenwahlrecht in Deutschland ist hart erkämpft. Als es 1919 endlich eingeführt wurde, war dies für manche Frauen ein großer Fortschritt, für andere aufgrund ihrer sozialen Situation oder eines weiterhin patriarchalen Familienrechts, welches verheiratete Frauen faktisch entmündigte, eine wenig relevante, formale Änderung. Nach Gründung der Bundesrepublik spielten Frauen in der Politik zunächst kaum eine Rolle, der Kampf um Frauenrechte wurde ab den 1960er Jahren außerhalb der Parlamente weitergeführt. Mit den Verfassungsänderungen im Zuge der Externer Link: deutschen Einheit wurde klargestellt, dass der Staat für die tatsächliche Umsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter verantwortlich ist. Zugleich wirken die Mechanismen fort, die Frauen von politischen Ämtern und politischer Partizipation fernhalten. Eine Kanzlerin macht noch keine Geschlechtergerechtigkeit. Es ist Zeit, das Versprechen auf Geschlechterdemokratie, welches mit dem Frauenwahlrecht 1919 erstmals verbindlich gegeben wurde, nun auch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit einzulösen.

Weitere Inhalte

Studium der Rechtswissenschaften sowie Teilstudium der Politikwissenschaften und Anglistik (Gender Studies), rechtstheoretische Promotion 2008. 2009 bis 2015 Juniorprofessorin für Öffentliches Recht und Legal Gender Studies an der Universität Hamburg, 2017 bis 2018 Professorin für Gender im Recht an der FernUniversität in Hagen, seit Oktober 2018 Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2011 Expertin im European Equality Law Network.