Erinnern in Europa
Der Holocaust ist in der europäischen Erinnerungskultur verankert. Aber kann man auch von einem gemeinsamen europäischen Gedächtnis sprechen? Welche nationalen Unterschiede gibt es?Schon seit mehr als zwei Jahrzehnten ist in vielen Gesellschaften Europas eine auffallend starke "Konjunktur des Gedächtnisses", teilweise sogar ein ausgesprochener Memory Boom zu beobachten. Meist standen hierbei der nationalsozialistische Völkermord sowie die Erinnerung an die deutsche Besatzungsherrschaft sowohl im Osten als auch im Westen Europas im Mittelpunkt eines breiten öffentlichen Interesses. Obwohl es sich hierbei um ein transnationales Phänomen handelt, behielten jedoch fast überall die nationalen Varianten der Gedenkkultur die Oberhand. Dass dies zunächst in den ersten Jahrzehnten nach 1945 gar nicht anders hatte sein können, wurzelt in den sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Erinnerungen sowohl von Individuen, größeren sozialen Gruppen als auch ganzen Nationen. Schon bald darauf entfaltete jedoch ebenso die öffentliche Gedenkpraxis ihr eigenes Gewicht, so dass jeweils nationale Deutungen sich tief in den Erinnerungshaushalt der Nationen eingraben konnten. Ohne Zweifel war hierbei auch das bereits ältere Erbe aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wirksam, war doch schon in der Zwischenkriegszeit über die Schulen und eine immer weiter ausgreifende Nationalisierung der Erinnerungskulturen die entsprechende Richtung vorgezeichnet worden.