Demokratisierung der Suche?
Von der Kritik zum gesellschaftlich orientierten Design
Um die uneingeschränkte Macht von Suchmaschinen zu kontrollieren, schlägt Bernhard Rieder vor, Drittparteien die Möglichkeit zu verschaffen, Suchergebnisse neu zu reihen. Dies würde einer Vielfalt von Akteuren die Möglichkeit geben, die riesige Infrastruktur der Suchmaschinen zu nutzen, gleichzeitig aber alternative Ranking-Methoden einzusetzen.
Seit die Techniker der Digital Equipment Company 1995 AltaVista einführten, die erste große Suchmaschine für das World Wide Web, hat sich vieles verändert. 2009 ist das Web die zentrale Plattform für alles, was mit Information und Kommunikation zu tun hat: es bietet Raum für eine Vielfalt von Aktivitäten und Vorgängen, die früher über zahlreiche verschiedene Kanäle verteilt waren.
Mit 1,5 Milliarden Nutzern, mehr als einer Trillion Seiten und einer Palette von Services, die von der einfachen Darstellung von Text-basierter Information bis zu hoch entwickelten Applikationen und Multimedia-Technologien reichen, ist das Web der Gegenwart ein Informationsgigant und außerdem zentraler Bestandteil einer kapitalistischen Ökonomie, die sich von einem industriellen zu einem kognitiven Produktionsmodus entwickelt.(1) Da das Web kein eigenes Index- oder Katalogsystem mitbringt, liegt es an den Suchmaschinen, die unübersichtliche Struktur des Web den Nutzern zu erschließen. Obwohl Suchmaschinen komplexe Werkzeuge sind, ist ihre Handhabung überraschend einfach: Eine aus einem oder mehreren Wörtern bestehende Suchanfrage führt zu einer geordneten Liste von Seiten, welche die angegebenen Begriffe enthalten. Es ist kein Wunder, dass Suchmaschinen zu den beliebtesten Internet-Diensten gehören.(2)
Diese zentrale Rolle der Suchmaschinen hat ein beträchtliches Maß an kritischer Aufmerksamkeit auf sich gezogen, ebenso wie die Firmen, die solche Dienste anbieten. Trotz seines beruhigenden (informellen) Unternehmensmottos don´t be evil hat der unbestrittene Marktführer Google Inc.(3) offenbar Microsoft als beliebtestes Ziel für die Recherchen und die Kritik von Internet-Forschern und -Aktivisten abgelöst. Was anfangs wie ein rein technisches Thema aussah, das nur Informatiker und Informationswissenschaftler betraf, ist zu einer umfangreichen Debatte geworden,(4) die soziale, politische, kulturelle, ökonomische und sogar philosophische Aspekte hat. Die Theoriedebatten über die Suche werden zunehmend unter den Gesichtspunkten Repräsentation(5) und Macht,(6) Privatsphäre, Gleichheit, Pluralität und Kommerzialisierung geführt. Auf den tieferen Ebenen der normativen Debatte steht jedoch noch viel Arbeit an. Dieser Beitrag befasst sich daher mit zwei Problemen. Obwohl erstens ein Großteil der Kritik an Suchmaschinen auf einer bestimmten Werteskala beruht, ist der Diskurs selten sehr explizit, wenn es darum geht, diese Werte in einem breiteren normativen Rahmen zu verankern. Die vorgebrachten Argumente erscheinen daher bisweilen bezugslos. Zweitens bleiben Empfehlungen für Design und Politik daher oft vage und unspezifisch. Dies liegt zum Teil auch daran, dass technisches Fachwissen über die Web-Suche in den Geisteswissenschaften kaum vorhanden ist. Die "zwei Kulturen" C.P. Snows sind nach wie vor voneinander getrennt. Es ist aber auch mit dem ersten Problem verbunden: Ohne klaren normativen Standpunkt ist es schwierig, Empfehlungen zu formulieren, wie eine Suche funktionieren sollte. Nach einer kurzen Zusammenfassung der gängigen Kritik der Websuche und einer Darstellung der zwei vorherrschenden Werte, die in den heutigen Universalsuchmaschinen verkörpert sind, nämlich Beliebtheit und Komfort, werde ich daher eine explizit normative Position entwickeln, die für Pluralität, Autonomie und Zugang als alternative Leitprinzipien für Politik und Design steht. Die abschließenden Empfehlungen nähern sich der Frage an, wie diese Prinzipien in der Praxis umgesetzt werden könnten.
Die Websuche als normative Technologie
Wie das Fragezeichen im Titel andeutet, ist das Thema "Demokratisierung der Suche" keineswegs trivial, und dieser Essay wird notwendigerweise von den Werten und Haltungen seines Autors beeinflusst. Er versteht sich als Beitrag zur politischen Debatte über Web-Suchen. Der notwendige Ausgangspunkt ist daher ein Blick auf häufig vorgebrachte Argumente.Die gängige Kritik
Es fällt sofort auf, dass die Diskussionen um die Websuche ausgesprochen kritisch sind. Doch obwohl viele der wichtigsten Fragen in zwei frühen Beiträgen diskutiert wurden, war die Stabilisierung klarer Kritiklinien ein längerer Prozess.(7) Heute lassen sich drei Themenbereiche unterscheiden, auf die sich die Auseinandersetzungen konzentrieren:
- Die Tatsache, dass Suchmaschinen laufend personenbezogene Daten ihrer vielen Nutzer speichern, hat zu einem Interesse am Thema Privatsphäre und ihrem Gegenstück, der Überwachung, geführt. Die Zusammenarbeit von Suchmaschinen mit totalitären Regimes in Sachen Unterdrückung und Zensur, die Politik der Datenspeicherung (und Datenlöschung), und das Problem der Datenbank-übergreifenden Profilerstellung bildeten die Kernthemen dieser Kritik. Wie wichtig diese Probleme auch sein mögen, sie sind nicht spezifisch für Suchmaschinen, sondern betreffen alle Systeme, in denen personenbezogene Daten gespeichert werden. Ich werde sie daher hier beiseitelassen.
- Als die Suchmaschinen in den 1990er-Jahren bezahlte Links in ihre Ergebnisseiten aufnahmen, wurde die Anzeigenpolitik schnell zu einem wichtigen Thema, welches 2002 zur Offenlegungsempfehlung der US Federal Trade Commission (FTC) führte. Diese verlangt, dass "bezahlte Resultate von nicht-bezahlten unterschieden werden".(8) Die Spannung zwischen öffentlichem Interesse und wirtschaftlichen Vorteilen ist nach wie vor ein Thema, vornehmlich jedoch im letzteren Bereich.(9)
- Die Frage des Ranking, der Ordnung der Suchergebnisse, war sicher das am meisten diskutierte Thema. Winkler hat früh angemerkt, dass Suchmaschinen das Web in "Haupt- und Nebenstraßen" aufteilen,(10) und Introna und Nissenbaum haben die Auffassung vertreten, dass sie wirtschaftliche Interessen im Web begünstigen, da sie die Aufmerksamkeit vorzugsweise auf große Seiten anstatt auf kleine Websites lenken.(11) Hindman et al. prägten den Begriff Googlearchy, mit dem sie ein Web beschreiben, das von wenigen, hoch gerankten Seiten dominiert wird.(12) Die Frage der Hierarchie steht im Zentrum der Suche und bildet auch den Mittelpunkt dieses Beitrags.
Hinter jedem dieser fünf Punkte lauert eine normative Debatte, deren Rahmen die politischen Konflikte des Kapitalismus der Gegenwart bilden. Dazu gehört auch die Frage des Ausgleichs zwischen öffentlichen und privaten Interessen. Wie sollen gleiche Rechte der Teilnahme und des Ausdrucks gewährleistet werden? Wie werden multinationale Konzerne kontrolliert? Und wie soll der Wettbewerb auf den Märkten erhalten werden? Etablierte politische Positionen spielen auch in Diskussionen über die Websuche eine Rolle, und die Frage lässt sich nicht von größeren informationspolitischen Fragestellungen trennen.
Gleichzeitig ist die Websuche Teil einer spezifischen Forschungstradition, nämlich der Informationsgewinnung (information retrieval, IR). Um die normativen Dilemmata zu begreifen, vor denen wir stehen, müssen wir einige der Eigenheiten dieser Tradition näher betrachten.