Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Schwarze Häftlinge und Kriegshäftlinge in deutschen Konzentrationslagern | Afrikanische Diaspora in Deutschland | bpb.de

Afrikanische Diaspora Medien Afrika in den Medien DDR-Comics "Blackface" in DEFA-Filmen Schwarze Deutsche im Film Women of Color im Fernsehen Tic Tac Toe Geschichte Das N-Wort Zuwanderung 1884 - 1945 Nationalsozialismus Konzentrationslager Kolonialgeschichte Angelo Soliman (18. Jh.) Afrikaterminologie Chronologie Politik Weltkonferenz gegen Rassismus Transkulturalität Strukturelle Gewalt Rassismus im Strafrechtssystem Community Schwarze Organisierung ADEFRA Kwanzaa Kulturrevolution Zeitschrift "afro look" Jugendmagazin "Blite" Kunst und Musik Kunst und Globalisierung "Schwarz-Afrika" in der Literatur Coloured Children "Brothers Keepers"-Story Afro-deutsche Rapkünstler Elektronische Club-Musik Redaktion

Schwarze Häftlinge und Kriegshäftlinge in deutschen Konzentrationslagern

Dr. Julia Okpara-Hofmann Julia Okpara-Hofmann

/ 6 Minuten zu lesen

Über die Geschichte schwarzer Kriegshäftlinge in deutschen Konzentrationslagern ist nur wenig bekannt. Viele von ihnen wurden ausgenutzt, misshandelt oder umgebracht. Wie haben sich diese Menschen ihren Lebensalltag hinter Gittern und Stacheldrahtzaun gestaltet?

Mohamed Husen, Schauspieler, wurde ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert, wo er 1944 starb. (© Privatarchiv Paulette Reed-Anderson)

Einführung

Es gibt derzeit nur wenig Literatur in Deutschland, die sich mit dem Thema schwarzer Häftlinge und Kriegshäftlinge in deutschen Konzentrationslagern befasst. Diese Arbeiten behandeln hauptsächlich die schwarzen zivilen Häftlinge, nicht die schwarzen Kriegshäftlinge. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick speziell über die schwarzen Kriegshäftlinge in deutschen Konzentrationslagern.

Zu Beginn der Recherche wurde eine schriftliche Anfrage an alle bekannten deutschsprachigen Gedenkstätten des Nationalsozialismus gesandt, um einen möglichst umfassenden Nachweis zu schwarzen Häftlingen zu erhalten. Hierzu wurden zwischen 1998 und 2001 insgesamt 55 Gedenkstätten angeschrieben. Zehn Gedenkstätten haben auf die schriftliche Anfrage nicht geantwortet. Die Adressen wurden dem Internet entnommen.

Die Schwierigkeiten bei dieser Form der Recherche bestanden unter anderem darin, dass nur in einigen Häftlingszugangsakten die Nationalität dokumentiert bzw. die Häftlinge unter "asozial" und nicht unter ihrer Hautfarbe aufgeführt wurden. Auch haben sich die Städtenamen speziell der Gedenkstätten für die Kriegsgefangenenlager geändert. Weitere Daten wurden bei der Recherche im Archiv des Holocaust Memorial Museums in Washington gefunden. Ein Mitarbeiter dieser Gedenkstätte befasste sich speziell mit dem Thema der schwarzen Menschen im Nationalsozialismus und stellte eine Liste von Quellen zur Verfügung. Des Weiteren wurde die Ausstellung "Kennzeichen Neger" im NS-Dokumentationszentrum in Köln besucht. Als weitere Quellen dienten die Veröffentlichungen der drei Autorinnen, Marianne Bechhaus-Gerst , Katharina Oguntoye und Paulette Reed-Anderson.

Zivile Häftlinge in deutschen Konzentrationslagern

Ein "Stolperstein", gesetzt vom Künstler Gunter Demnig, erinnert an Bayume Mohamed Husen. (© Public Domain)

Die Auswertung der Recherche ergab den Nachweis von 34 schwarzen zivilen Häftlingen, wobei 30 namentlich aufgeführt wurden. Diese schwarzen zivilen Häftlinge waren in den Konzentrationslagern Auschwitz, Bergen-Belsen, Bromberg, Buchenwald, Dachau, Mauthausen, Mittelbau-Dora, Neuengamme, Oranienburg, Ravensbrück, Sachsenhausen und Sandbostel inhaftiert. Zwei Häftlinge waren im Jugendschutzlager Moringen, ein Häftling im Jugendschutzlager Uckermark, ein Häftling im Kinder-Konzentrationslager Lodz, ein Häftling im Internierungslager Kreuzburg und ein Häftling in den Internierungslagern Laufen und Tittmoning inhaftiert, wobei fünf Häftlinge in mehr als einem Lager waren. Die unterschiedlichen Haftgründe waren z.B. "politische Gefangene", "Mischling/Negermischling", "Schutzhaft"; in einem Fall ein Schuhkauf ohne Bezugsschein. Außerhalb von Deutschland gibt es im Holocaust Memorial Museum in Washington beispielsweise über das Konzentrationslager Mauthausen detaillierte Häftlingszugangslisten mit Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Beruf, Haftnummer und Haftgrund "Sch. Franz." (Anm. der Autorin: wahrscheinlich "Schutzhaft Franzose") auf Mikrofilm. 1943 waren einige Häftlinge aus Tunesien und Algerien in diesem Konzentrationslager inhaftiert. Es geht aus den Akten nicht hervor, ob es sich hierbei wirklich um zivile Häftlinge und nicht um ehemalige Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene handelte. Auch die Hautfarbe ist nicht dokumentiert. Es gibt auch einen kurzen Bericht über eine schwarze Aufseherin im Konzentrationslager Auschwitz. Über einige schwarze Häftlinge gibt es Lebensberichte, z.B. über Johnny Nicholas , Josef Nassy und Mohammed Husen.

Schwarze Kriegsgefangene

Stalag VII A, Moosburg. (© Stadt Moosburg a.d. Isar)

Schwarze bzw. "farbige" Kriegsgefangene waren im Juli 1940 in 20 der 40 Stalags (Stammlager) untergebracht. Diese befanden sich in zwölf Wehrkreisen, namentlich Wehrkreis I-Königsberg, II-Stettin, III-Berlin, IV-Dresden, VII-München, VIII-Breslau, IX-Kassel, XI-Hannover, XIII-Nürnberg, XVII-Wien, XX-Danzig und XXI-Posen. Die größten Stalags im Juli 1940 waren das Stalag IID in Stargard mit ca. 4.600 und das Stalag IIIA in Luckenwalde mit 4.000 "farbigen" Kriegsgefangenen. Der Wehrkreis VI-Münster wurde September 1939 von dem Oberkommando der Wehrmacht übernommen und als Kriegsgefangenenlager eingerichtet. Die Recherche ergab, dass "farbige" Kriegsgefangene in vier Stalags, namentlich Stalag VIA in Hemer, Stalag VIB in Versen, Stalag VIC in Bathorn und Stalag VIK in Senne interniert waren. Zusätzlich ist der Wehrkreis X-Hamburg mit dem Stalag XB in Sandbostel zu nennen.

Gefangene des Stalags III A als Statisten im Film "Germanin" (1943). (© Dauerausstellung Heimatmuseum Luckenwalde)

Die Verteilung der Kriegsgefangenen über das gesamte Deutsche Reich von Hamburg bis Wien und von Bathorn bis Posen zeigt, dass es sich hierbei nicht um einzelne kleine Gruppen in einer bestimmten geographischen Region handelte. Das Kriegsgefangenenlager Stalag IIIA in Luckenwalde wurde als eines der ersten und größten im September 1939 errichtet. Der größte Teil der Kriegsgefangenen in den verschiedenen Stalags kam aus französischen (z.B. Algerien, Senegal, Marokko, Elfenbeinküste und Obervolta), englischen (z.B. Sudan, Guinea) und niederländischen Kolonien sowie aus den USA. Des Weiteren wurden auch Seeleute aus Afrika in Internierungslagern inhaftiert. "Mit Wirkung vom 1. Oktober 1944 unterstellte die Reichskanzlei die Bewachung der Kriegsgefangenenlager dem Reichsführer der SS und Befehlshaber des Ersatzheeres Heinrich Himmler."

"Alltag" im Kriegsgefangenenlager

Die schwarzen Kolonialsoldaten durften aufgrund der vorherrschenden Ideologie nicht zum Arbeitseinsatz verwendet werden. Sehr ausführliche Berichte über die Lage der "farbigen" bzw. schwarzen Kriegsgefangenen gibt es aus dem Stalag IIIA in Luckenwalde und dem Stalag VIA in Hemer.

Stalag III A, Luckenwalde bei Berlin. (© Dauerausstellung Heimatmuseum Luckenwalde)

"Die Anordnung des OKW (Anm. der Autorin: Oberkommando der Wehrmacht) vom Februar 1939, die eine "rassische Trennung" der Kriegsgefangenen festlegte, [...] dürfte in besonderem Maß auch für die farbigen Kolonialsoldaten Frankreichs, Belgien und Großbritanniens gegolten haben [...]. Nach der Gefangennahme hatten sie im besetzten Gebiet oft unter Misshandlungen und mangelhafter Versorgung zu leiden und willkürliche Tötungen zu befürchten. [...]. Im Sommer 1940 entließ man bereits 75.000 Mann aus deutscher Gefangenschaft [...]. Im Herbst 1940 wurde ein Großteil der französischen Kolonialsoldaten nach Frankreich verbracht."

In Luckenwalde verblieben ca. 500. 20 sind dort beerdigt. Diese 500 Soldaten waren für tropenmedizinische Studienzwecke vorgesehen. Ende 1941 wirkten 300 als Statisten in Propagandafilmen der UFA mit. Was danach geschah, ist ungewiss. Das alltägliche Leben wird eindrucksvoll im Film über das Lager Hemer gezeigt. Die schwarzen Kriegsgefangenen führen Tänze auf bzw. durchsuchen den Abfall des Lagers nach Essbarem.

Ausblick

Weitere Recherchen über schwarze Menschen im Nationalsozialismus sind notwendig. Über die Gruppe der schwarzen Zivilarbeiter beispielsweise ist kaum etwas bekannt. Gerhard Höpp schreibt in einer aktuellen Veröffentlichung: "Es gibt Belege dafür, dass sich schon Ende 1942 die Lage der bei I.G. Farben in Auschwitz-Monowitz beschäftigten algerischen und marokkanischen Zivilarbeiter jener der dort inhaftierten KZ-Häftlinge angeglichen hatte. Die Sterblichkeit war hoch."

Literatur

1996. A. 351: Renee Schich memoir, page 143 ff., United States Holocaust Memorial Museum Washington.

Bechhaus-Gerst, Marianne: "Afrikaner in Deutschland 1933-1945", in: 1999-Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 12. Jahrgang, 10/1997, Heft 4.

"Besondere Kennzeichen: Neger": Schwarze im NS-Staat: Ein Ausstellungsprojekt des NS-Dokumentationszentrums Köln: Ausstellung vom 08.11.2002 bis 23.02.2003.

Exhibition Catalog: Library of Congress Catalog Number 89-050529.

Film "Kriegsgefangen! Bilder aus dem Lager Hemer", Art. Nr. V045, Landesbildstelle Westfalen.

Höpp, Gerhard: "Im Schatten des Mondes: Arabische Opfer des Nationalsozialismus (1)", in: Sozial. Geschichte: Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jh. – Naher Osten, 4 Seiten.

Kornblum, Aaron: Preliminary Bibliography relating to People of Color and the Holocaust: Persönliche elektronische Mitteilung vom 9. Januar 1998 an Frau Julia Okpara, United States Holocaust Memorial Museum, Washington.

Das Kriegsgefangenenlager Sandbostel. Eine Wanderausstellung des Trägervereins Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel-Begleitbroschüre, Bremervörde 1994.

Mai, Uwe: Kriegsgefangen in Brandenburg: Stalag IIIA in Luckenwalde 1939-1945, Berlin 1999, S. 147-156.

McCann, Hugh Wray u.a.: The Search for Johnny Nicholas, London 1982.

Oguntoye, Katharina: Zur Lebenssituation von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950, Berlin 1997.

Reed-Anderson, Paulette: Eine Geschichte von mehr als 100 Jahren: Die Ausländerbeauftragte des Senats März 1995. Letzte überarbeitete Auflage: Rewriting the Footnotes – Berlin and the African Diaspora: Die Ausländerbeauftragte des Senats, Berlin 2000.

RG-04.006: M, Nazi concentration camps, 1939-1945, Reels 9-10, United States Holocaust Memorial Museum, Washington.

Rothshild-Boros, Monica C.: In the Shadow of the Tower: The works of Josef Nassy, 1942-1945.

Fussnoten

Fußnoten

  1. http://www.dhm.de/ausstellungen/ns_gedenk/name.htm (seit September 2000: http://www.topographie.de/gedenkstatettenforum/uebersicht: 27.10.03).

  2. Aaron Kornblum: Preliminary Bibliography relating to People of Color and the Holocaust: Persönliche elektronische Mitteilung vom 9. Januar 1998 an Frau Julia Okpara, United States Holocaust Memorial Museum, Washington. Internet-Adresse: http://www.ushmm.org.

  3. "Besondere Kennzeichen: Neger": Schwarze im NS-Staat: Ein Ausstellungsprojekt des NS-Dokumentationszentrums Köln: Ausstellung vom 08.11.2002 bis 23.02.2003, Externer Link: http://www.museenkoeln.de/ausstellungen/nsd_0211_schwarze, 09.11. 2003.

  4. Marianne Bechhaus-Gerst: "Afrikaner in Deutschland 1933-1945", in: 1999-Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 12. Jahrgang, Okt. 1997, Heft 4. (5) Katharina Oguntoye: Zur Lebenssituation von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950, Berlin 1997.

  5. Katharina Oguntoye: Zur Lebenssituation von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950, Berlin 1997.

  6. Paulette Reed-Anderson: Eine Geschichte von mehr als 100 Jahren: Die Ausländerbeauftragte des Senats März 1995. Letzte überarbeitete Auflage: Rewriting the Footnotes – Berlin and the African Diaspora: Die Ausländerbeauftragte des Senats, Berlin 2000.

  7. RG-04.006: M, Nazi concentration camps, 1939-1945, Reels 9-10, United States Holocaust Memorial Museum, Washington. Internet-Adresse: Externer Link: http://www.ushmm.org.

  8. 1996. A. 351: Renee Schich memoir, page 143 ff., United States Holocaust Memorial Museum Washington.

  9. McCann, Hugh Wray u.a.: The Search for Johnny Nicholas, London 1982.

  10. Rothshild-Boros, Monica C.: In the Shadow of the Tower: The works of Josef Nassy, 1942-1945.

  11. Siehe M. Bechhaus-Gerst; K. Oguntoye; P. Reed-Anderson.

  12. Uwe Mai, Uwe: Kriegsgefangen in Brandenburg: Stalag IIIA in Luckenwalde 1939-1945, Berlin 1999, S. 147-156.

  13. Ebd.

  14. Das Kriegsgefangenenlager Sandbostel. Eine Wanderausstellung des Trägervereins Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel-Begleitbroschüre, Bremervörde 1994.

  15. Ebd.

  16. Ebd.

  17. Siehe U. Mai, ebd.

  18. Ebd.

  19. Film "Kriegsgefangen! Bilder aus dem Lager Hemer", Art. Nr. V045, Landesbildstelle Westfalen.

  20. Gerhard Höpp: "Im Schatten des Mondes: Arabische Opfer des Nationalsozialismus (1)", in: Sozial. Geschichte: Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jh. – Naher Osten, 4 Seiten, Internet-Adresse: Externer Link: http://www.stiftung-sozialgeschichte.de/naherosten/hoepp.htm, 09.11.2003.

Julia Okpara-Hofmann, geb. 1964, studierte Medizin in Nigeria und promovierte im Fach Hygiene in Heidelberg. Sie ist aktuell als Oberärztin am Institut für Hygiene der medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg tätig und Erste Vorsitzende sowie Gründungsmitglied von "Zebras in Halle e.V." zur Verständigung zwischen Schwarzen und Weißen.