Migration und Entwicklung
In vielen Industrieländern wird derzeit über Migration und Entwicklung diskutiert. Dabei geht es um zwei unterschiedliche Aspekte: Einerseits um das innenpolitische Ziel der Bewältigung des zunehmenden Zuwanderungsdrucks und insbesondere um die Reduzierung der irregulären Zuwanderung.
Die Erwartungen und Einschätzungen, die in diesen Debatten geäußert werden, sind allerdings oft unrealistisch oder blenden unerwünschte Befunde aus. So gibt es bislang keinen wissenschaftlichen Konsens über die entwicklungspolitischen Auswirkungen von Migration auf die Herkunftsländer. Es gibt vielmehr Anzeichen dafür, dass die Wirkungen ambivalent sind, und dass Entwicklung unter bestimmten Umständen Migration verstärken kann. Aus- und Rückwanderungen können für den betreffenden Staat, die Kommunen und die betroffenen Familien jeweils positive oder negative Wirkungen haben (Wachstumsimpulse durch engere Beziehungen zu Aufnahmeländer vs. Humankapitalverlust; Reduzierung von Arbeitslosigkeit vs. Verlust von qualifizierten Arbeitskräften; Know-how-Transfer durch Rückwanderung vs. Vergrößerung der sozialen Ungleichheit in den Heimatgebieten; etc.).
Das gleiche gilt für die Rücküberweisungen von Migranten in ihre Herkunftsländer. Diese haben unterschiedliche Folgen für die jeweiligen Akteure: Die Haushalte können den Rücküberweisungen profitieren, weil diese unter Umständen zur Verbesserung des Lebensstandards und der Ausbildung der Kinder beitragen. Zudem können Überweisungen einen Schutz gegen Verarmung und eine Risikoversicherung für Betriebe und kleine Unternehmen darstellen, von der vor allem ländliche Haushalte profitieren. Rücküberweisungen können Investitionen in die Selbstständigkeit absichern und die Gründung von Kleinbetrieben unterstützen. In den Kommunen können Rücküberweisungen den Ausbau von Infrastrukturen unterstützen und stagnierenden Kommunen einen Dynamikimpuls verpassen. Andererseits können Rücküberweisungen in den Kommunen neue Spannungen schüren, wenn die Ungleichheit zwischen denen, die über Rücküberweisungen verfügen, und denen, die dies nicht können, zunehmen. Für die Volkswirtschaften der Herkunftsländer lassen sich zur Zeit noch keine generellen Wirkungen von Rücküberweisungen feststellen. Einige Länder haben sich trotz hoher Rücküberweisungen nur schwach entwickelt, andere hingegen gut. Diese Unterschiede sind eher mit schwachen Märkten und schlechtem Regieren zu erklären.
Für die Entwicklungswirkungen von Migration ist ferner entscheidend, ob die Migration in geregelter oder ungeregelter Form stattfindet. Geregelte Formen von Wanderungen erfordern eine Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern. Diese greift daher in der Regel auch entwicklungspolitische Aspekte auf, und sie muss auf einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und Aufnahmestaaten beruhen, wenn sie nachhaltige Wirkungen erzielen sollen.
Die EU- Kommission tritt seit längerem für eine Migrationspolitik ein, die solche Entwicklungsaspekte beinhaltet. Sie hat einen "Globalen Ansatz" in der Migrationspolitik vorgeschlagen, der die positiven Entwicklungswirkungen der Migration für Herkunfts- und Aufnahmeländer stärken soll. Die Mitgliedstaaten haben diesem Ansatz zugestimmt, die Formulierung und Umsetzung einer solchen Politik steht aber noch aus.
Es ist zu erwarten, dass entwicklungspolitische Aspekte in der Migrationspolitik künftig noch an Bedeutung gewinnen werden, weil die positiven Potenziale von Migration nur genutzt werden können, wenn negative Erscheinungen wie der Braindrain reduziert werden können. Hierzu sind aber entwicklungspolitische Instrumente notwendig.