Integrationstheorien und ihr Einfluss auf Integrationspolitik
Was ist eigentlich "Integration" und wie funktioniert sie? Ein Überblick über zentrale Integrationstheorien und ihren Einfluss auf die Integrationspolitik.
Eine für die Migrationsforschung zentrale Problemstellung ist die Integration von Migrant_innen. Dabei stützt sie sich auf unterschiedliche Theorien und Begriffe. Gegenwärtig werden neben dem Konzept der Assimilation, das der Inkorporation oder die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion verwendet.[1] Auf welche Weise Integration dabei gefasst wird, trägt wesentlich dazu bei, wie Migration und ihre Folgen wahrgenommen und welche politischen Mittel für ihre Bearbeitung gefordert werden.
Von Assimilationstheorien...
Die ersten theoretischen Erklärungsversuche der Migrationsforschung nehmen ihren Ausgang in der Auseinandersetzung mit den großen Einwanderungsbewegungen in die USA im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Das Einfügen von Zuwanderer_innen in die Aufnahmegesellschaft wurde – ganz in der Tradition sozialwissenschaftlicher Evolutionstheorien – als ein fortschreitender Prozess gefasst, an dessen Ende die vollständige Anpassung (Assimilation) steht.[2] Später entstanden stärker ausdifferenzierte Assimilationsmodelle.[3] Assimilation verläuft in diesen Modellen nicht mehr linear und unvermeidlich; sie ist auch abhängig von der Bereitschaft im Zuwanderungsland, die gesellschaftliche Partizipation der Migrant_innen zuzulassen.[4]...zum Modell des 'ethnischen Pluralismus'
Das Leitbild der Assimilation ist vor allem aufgrund seiner ethnozentristischen, homogenisierenden Grundhaltung kritisiert worden, die faktisch eine einseitige Anpassung von Migrant_innen an eine 'Kerngesellschaft' fordert. In den 1960er Jahren verloren Assimilationsmodelle, ausgelöst durch die Bürgerrechtsbewegungen, schrittweise ihre Bedeutung und wurden durch das Gegenmodell des 'ethnischen Pluralismus'[5] verdrängt. Dieses Modell geht von einer Beibehaltung ethnischer Besonderheiten von Gruppen in modernen Gesellschaften aus. Auf diesen Konzepten beruhen integrationspolitische Ansätze, die die Anerkennung und den Schutz ethnischer und kultureller Unterschiede betonen und sich gegen einen "Druck" zur Assimilation wenden. Von einer solchen explizit multikulturellen Integrationspolitik haben inzwischen Staaten wie beispielsweise die Niederlande Abstand genommen. In der Migrationsforschung steht der Ansatz in der Kritik, weil er ethnische und kulturelle Gemeinschaften als homogene Gruppen versteht. Diese essentialistische Vorstellung dient z. B. auch rechtsnationalen Bewegungen als argumentative Grundlage einer ausgrenzenden Identitätspolitik.[6]Integrationssoziologische Ansätze der deutschsprachigen Migrationsforschung
In der deutschsprachigen Migrationsforschung wurden erstmals in den 1970er Jahren und frühen 1980er Jahren umfassende Konzepte einer Migrations- bzw. Integrationssoziologie vorgelegt. Sie griffen auf Konzeptionen der US-amerikanischen Soziologie zurück und modifizierten diese. Zu den Pionierarbeiten zählen vor allem die Veröffentlichungen von Hoffmann-Nowotny (1973) und Esser (1980).Von Hoffmann-Nowotny stammt unter anderem die Unterschichtungsthese, die heute zum Alltagsvokabular der wissenschaftlichen oder politischen Auseinandersetzung mit Migrations- und Integrationsfragen gehört. Unterschichtung meint, dass Migrant_innen in die untersten Positionen des sozialen Schichtungsgefüges eintreten, während die 'Einheimischen' neue, höhere Positionen besetzen. Zu beobachten sind solche "Fahrstuhleffekte" beispielsweise am Arbeitsmarkt. Anders als die prominente Unterschichtungsthese sind Hoffmann-Nowotnys theoretischen Ansätzen zur Erklärung von Migration und Integration in den Hintergrund geraten.[7] Deutlich mehr Einfluss auf das in der deutschen Integrationspolitik herangezogene Verständnis von Integration hatte die Theorie des Mannheimer Soziologen Hartmut Esser. Essers handlungstheoretisches Modell orientiert sich an einer kognitiven Theorie des Handelns und Lernens von Individuen.[8] Entsprechend versteht er Handlungen als rationale Entscheidungen von Akteur_innen, die ihren individuellen Nutzen maximieren wollen. Die mit Migration verbundenen Problemstellungen (wie z.B. der Erwerb von Sprachkompetenz und Bildungsqualifikationen oder die Beteiligung am primären Arbeitsmarkt) versteht er somit als individuelle Anpassungsleistung. Im Prozess der Assimilation unterscheidet Esser zwischen vier Dimensionen:
- kulturelle Assimilation (Übernahme von Wissen, Fertigkeiten, Sprache),
- strukturelle Assimilation (Übernahme von Rechten, Statuspositionen über Bildung und Arbeitsmarkt),
- soziale Assimilation (Aufnahme sozialer Beziehungen, Netzwerke) und
- emotionale Assimilation (Übernahme von Werthaltungen und Loyalitäten).
Typen der Sozialintegration nach Esser
Sozialintegration Aufnahmegesellschaft | |||
---|---|---|---|
ja | nein | ||
Sozialintegration in der Herkunftsgesellschaft/ ethnische Gemeinde | ja | Mehrfachintegration | Segmentation |
nein | Assimilation | Marginalität |
Quelle: Esser, Hartmut (2001): Integration und ethnische Schichtung. Arbeitspapiere – Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, Nr. 40, S. 19.