Seit Beginn der Interner Link: Aussiedleraufnahme im Jahr 1950 sind über 4,5 Millionen (Spät-)Aussiedler einschließlich Familienangehörigen, darunter auch Kinder und Jugendliche, nach Interner Link: Deutschland zugewandert. Alleine zwischen 1997 und 2009 sind ca. 59.130 Kinder unter sechs Jahren und 182.141 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und achtzehn Jahren mit ihren Eltern aus den Staaten der ehemaligen Interner Link: Sowjetunion nach Deutschland migriert.
Welche Besonderheiten weisen "junge Russlanddeutsche" gegenüber anderen Migrantengruppen auf, wie positionieren sie sich zwischen ihrem Herkunfts- und Aufnahmeland und wie konstruieren sie sich ihre Identität und Heimat?
Die wissenschaftlichen Argumente in diesem Beitrag basieren auf einer qualitativen Studie, die zwischen 2009 und 2013 an der Universität Trier durchgeführt wurde.
Als "junge Russlanddeutsche" werden hier die Personen bezeichnet, die eine primäre Sozialisation in ihrem Herkunftsland (ehemalige Sowjetunion) erfahren haben und als Kleinkinder oder Teenager ohne Mitsprache oder eigene Entscheidung von ihren Eltern in das ihnen fremde Deutschland "mitgenommen" wurden. In Bezug darauf wird im anglo-amerikanischen Forschungsraum von der "Generation 1.5" gesprochen.
Eine spezifische Migrantengruppe
Interner Link: Russlanddeutsche unterscheiden sich in zweifacher Hinsicht von anderen Migranten (z.B. türkische, griechische, russische etc.): zum einen durch ihren Status als Deutsche und die deutsche Passnationalität, die vom ersten Moment der Aufnahme in Deutschland die rechtliche Inklusion gewährleistet. Interner Link: (Spät-)Aussiedler aus Interner Link: Russland können auch die Interner Link: doppelte Staatsbürgerschaft beantragen, d.h. sie behalten die russische neben der deutschen. Diese Voraussetzung fördert die Pendelmigration zwischen Herkunfts- und Zielland. Zum anderen ist die Identitäts- und Heimatfrage für Interner Link: Russlanddeutsche eine andere: Im Gegensatz zu anderen Migrantengruppen sind (Spät-)Aussiedler ethnische Deutsche und kehren in ihre historische Heimat Deutschland zurück, die sich ihnen unter Umständen als fremd erweisen kann.
Auch innerhalb der Gruppe der Russlanddeutschen gibt es Unterschiede, beispielsweise zwischen der älteren und der jüngeren Generation. Die ältere Generation von Russlanddeutschen aus den Ländern der Interner Link: Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) träumte von der fernen Heimat, kam in ihrer neuen Heimat dann aber häufig trotzdem nicht an, wurde von Heimweh geplagt und wird deshalb als "zu Hause Fremde" charakterisiert.
Ein wichtiger Faktor für eine transnationale Lebensform dieser Zielgruppe ist Interner Link: Bildung. Zwar kann ein Russlanddeutscher auch ohne Bildung transnational leben. Bildung erhöht jedoch die Chancen der Mobilität in einer modernen, transnationalen Welt. Bildung ist Sozialkapital, sie eröffnet jungen Russlanddeutschen Karrierewege über Grenzen hinweg. So zeigen die Ergebnisse der qualitativen Studie, dass junge, bildungserfolgreiche Russlanddeutsche mittels akademischer Kompetenzen nicht nur erfolgreich auf transnationale Karrierewege gelangen – wie z.B. durch Praktikum, Studienaustausch, Arbeitsaufnahme in transnationalen Unternehmen in Russland. Sie können sich darüber hinaus positiv auf kulturelle Diversität einstellen und sich in transnationalen Migrationsprozessen schneller in eine fremde Gesellschaft integrieren. Transnationalität kann deshalb als ein wichtiges Charakteristikum junger, bildungserfolgreicher Russlanddeutscher bezeichnet werden.
Transnational leben zwischen Herkunfts- und Zielland
Die Entscheidung für ein transnationales Leben wird möglich, da gerade die Gruppe der jungen, bildungserfolgreichen Russlanddeutschen über die erwähnten Ressourcen verfügen, die Mobilität fördern: doppelte Passnationalität, Multilingualität, akademische Kompetenzen. Es gibt viele Gründe, warum sich junge Russlanddeutsche für einen transnationalen Bildungs- und Karriereweg entscheiden.
Zum einen geht es um symbolische Einflussfaktoren, die vor allem Fragen der mehrfach wechselnden Identitätszuschreibungen und -konstruktionen in den Vordergrund rücken. Hier spielt die Suche nach der Identität und Herkunft, nach kulturellen Wurzeln eine zentrale Rolle. Zum zweiten geht es um individuelle und soziale Einflussfaktoren wie ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital. Zum zweiten geht es um individuelle und soziale Einflussfaktoren (ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital). Ein Teil der jungen Russlanddeutschen entscheidet sich für eine temporäre Rückkehr ins Herkunftsland, um Karriere- und Berufsperspektiven zu verbessern. Gerade diese Gruppe neigt zu häufigem Pendeln zwischen Russland und Deutschland. Zum dritten geht es aber auch um strukturelle makropolitische und ökonomische Einflussfaktoren (wie beispielsweise wirtschaftlicher Boom, politische Stabilisierungen, rechtliche Verbesserungen in den Herkunftsländern), die günstige Bedingungen für die Transnationalität von Russlanddeutschen schaffen.
Für die Gestaltung der transnationalen Bildungs- und Karrierewege spielen transnationale soziale Netzwerke eine zentrale Rolle, die sich nicht nur zwischen Russland und Deutschland aufspannen, sondern sich auch über mehrere Nationalgrenzen, Kontinente (Europa, Amerika, Mittelasien) und Kulturen hinweg erstrecken können. Im Gegensatz zur älteren Generation sind diese Netzwerke bei jüngeren Russlanddeutschen nicht ausschließlich familienzentriert
Multiple Identitäten und Beheimatungsstrategien junger, bildungserfolgreicher Russlanddeutscher
Transnationale Migrationsprozesse haben einen starken Einfluss auf Identitäts- und Interner Link: Beheimatungsstrategien von jungen Russlanddeutschen. Während das Konzept der "Heimat" für die ältere Generation noch eine wichtige Rolle spielt und sie Deutschland als ihre "Heimat" bezeichnen, rücken die ethnischen Zugehörigkeitsgrenzen zwischen Deutschland und Russland für die jüngere, bildungserfolgreiche Generation eher in den Hintergrund.
Für die jungen, bildungserfolgreichen Russlanddeutschen der Generation 1.5 stellt "Heimat" keinen geographischen Ort dar, sondern wird sehr individuell und unterschiedlich definiert. Häufig verbinden sie mit dem Begriff "Heimat" die familiären Nahbeziehungen, Kindheitserinnerungen und emotionale Verbindungen. Es wird versucht, Bezüge sowohl zum Herkunftsland als auch zu Deutschland herzustellen, sich von starren Identitätsbegriffen zu lösen und an mehreren Orten beheimatet zu sein. Die Selbstwahrnehmung der jungen, bildungserfolgreichen Russlanddeutschen als "Europäer" oder "Weltbürger" kann als eine solche Positionierung im transnationalen Raum angesehen werden.
Ist Transnationalität junger, bildungserfolgreicher Russlanddeutscher eine Beheimatungsstrategie?
Diese Frage lässt sich nicht für alle jungen Russlanddeutschen eindeutig beantworten. Forschungsergebnisse zu bildungserfolgreichen Russlanddeutschen machen jedoch deutlich, dass die multiple Identität und Beheimatung nicht nur eine beliebige Bezugnahme auf die Herkunfts- und Aufnahmekultur, auf Russland und Deutschland, nicht nur eine vorgefundene Mischung und ein Übergangsmodell zur temporären Positionierung und Verortung darstellt, sondern auch eine individuelle Leistung zur Bewältigung von Identitätskrisen ist.
Somit wird Transnationalität als Selbstkonzept und Erfolgsgeschichte im eigenen Lebensentwurf erklärt und zum spezifisch modernen Konzept der Individualisierung. Transnationale Beheimatung bedeutet nicht einfach Leben mit Migrationshintergrund, sondern die bewusste und gewollte Bezugnahme auf zwei oder mehrere Kulturen.
Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: Russlanddeutsche.
- Interner Link: Dossier Russlanddeutsche
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