Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Kanadas Migrations-, Flüchtlings- und Asylpolitik: Entwicklungen seit 2015 | Kanada | bpb.de

Kanada Entwicklungen seit 2015 Hintergrund Entwicklung Einwanderungsströme Einwandererbevölkerung Ethnische Zugehörigkeit Staatsbürgerschaft Integrationspolitik Multikulturalismus Irreguläre Migration Flucht und Asyl Aktuelle Entwicklungen Literatur

Kanadas Migrations-, Flüchtlings- und Asylpolitik: Entwicklungen seit 2015

Shaina Somers

/ 11 Minuten zu lesen

Seit 2015 hat die liberale Regierung von Justin Trudeau die kanadische Migrations-, Flüchtlings- und Asylpolitik reformiert. Was bedeuten diese Änderungen vier Jahre (und eine bevorstehende Wahl) später?

Kinder halten am Vancouver International Aiport vor einem Bildschirm mit Justin Trudeau Schilder mit "Welcome to Canada" und "Welcome Kurdi Family" hoch. (© picture-alliance/AP, AP Photo/Canadian Press)

2015: Antritt der Trudeau-Regierung

Als die Liberale Partei 2015 die kanadische Parlamentswahl gewann, endete nach fast zehnjähriger Amtszeit die Ära von Stephen Harpers Konservatismus. Unter der Führung von Justin Trudeau, dem Sohn des verstorbenen langjährigen Premierministers Pierre Elliott Trudeau, setzte sich die Liberale Partei nachdrücklich für eine großzügigere Einwanderungspolitik ein. Im Vorfeld der Wahlen sorgte das Foto von Alan Kurdis leblosem Körper an einem türkischen Strand für heftige Diskussionen. Die Familie hatte versucht, in Kanada, wo bereits Familienangehörige lebten, Asyl zu beantragen, um dem Interner Link: Krieg in Syrien zu entkommen. Als das nicht gelang, floh sie in einem Boot über die Ägäis – eine Reise, die dem zweijährigen Alan, seinem fünfjährigen Bruder und seiner Mutter das Leben kosten sollte. Die Externer Link: kanadische Verbindung des Alan Kurdi-Fotos machte die Einwanderung für einen Großteil der Wähler_innen zu einem zentralen Wahlthema. Trudeaus Regierung schien die während ihres Wahlkampfs gemachten Zusagen zunächst zu erfüllen, indem sie bis Ende Dezember 2015 – in den ersten beiden Monaten nach ihrem Wahlsieg – 25.000 syrische Flüchtlinge in Kanada aufnahm.

Die liberale Regierung schien entschlossen zu sein, Politik anders zu betreiben als ihre Vorgängerin. Eine der ersten Änderungen war die Umbenennung der Staatsbürgerschafts- und Einwanderungsbehörde (Citizenship and Immigration Canada (CIC)) in Einwanderungs-, Flüchtlings- und Staatsbürgerschaftsbehörde (Immigration, Refugees and Citizenship Canada, IRCC). Dadurch wurde das Engagement der neuen Regierung für Flüchtlinge als Teil des Mandats der Behörde hervorgehoben. 2017 ernannte Trudeau Ahmed Hussen zum neuen Einwanderungsminister. Unter Hussen begann die Einwanderungsbehörde, mehrjährige Pläne zu Zielgrößen für die Zulassung von Einwanderer_innen zu erstellen. Dies bedeutete eine Abkehr von den Einjahresplänen der konservativen Vorgängerregierung. Er stellt damit eine Abkehr von der auf Flüchtlinge ausgerichteten Politik dar, die ein starkes Element von Trudeaus Wahlkampagne im Jahr 2015 war. Während der vier Jahre, die die Trudeau-Regierung bislang im Amt war, gab es Änderungen in allen Bereichen der Einwanderungspolitik und -gesetzgebung.

Tabelle 1: 2019-2021 Plan zu Zielgrößen für die Einwanderung (Immigration Levels Plan)

201920202021
Projizierte Zahl aufzunehmender Einwander_innen330.800341.000350.000
Projizierte Zulassungsgrößen – SpektrumNiedrigHochNiedrigHochNiedrigHoch
Einwanderung zum Zweck der Erwerbstätigkeit (Staatliche Kategorien wirtschaftlicher Einwanderung und im Rahmen der Einwanderungsprogramme von Provinzen und Territorien nominierte Personen)142.500176.000149.500172.500157.500178.500
Von Quebec ausgewählte qualifizierte ArbeitskräfteNoch festzulegenNoch festzulegenNoch festzulegenNoch festzulegenNoch festzulegenNoch festzulegen
Familienzusammenführung83.00098.00084.000102.00084.000102.000
Flüchtlinge, geschützte Personen, humanitäre und andere Gründe43.00058.50047.00061.50048.50064.500
Gesamt 310.000 350.000 310.000 360.000 320.000 370.000

Quelle: Immigration, Refugees and Citizenship Canada (2018): 2018 Annual Report to Parliament on Immigration, S. 12. Online abrufbar:
Externer Link: https://www.canada.ca/content/dam/ircc/migration/ircc/english/pdf/pub/annual-report-2018.pdf
(Zugriff: 21.8.2019).

Fakten auf einen Blick

  • In Interner Link: Kanada gibt es verschiedene Aufnahmekategorien, die es Einwanderer_innen ermöglichen, dauerhaft im Land zu bleiben: die Wirtschaftskategorie, die Kategorie zur Einwanderung aus familiären Gründen, die Kategorie der Flüchtlinge und Schutzbedürftigen sowie schließlich humanitäre Bestimmungen, die im Einzelfall gewährt werden können.* Die Hauptherkunftsländer von Menschen, die über eine dieser Kategorien nach Kanada einwandern, sind die Philippinen, Indien, China, Iran, Pakistan, die Vereinigten Staaten und Syrien.**

  • Die Interner Link: kanadische Staatsbürgerschaft erhalten Personen, die auf kanadischem Hoheitsgebiet geboren werden (jus soli). Sie kann einmalig an die nächste Generation vererbt werden (jus sanguinis).

  • Seit 1988 fordert das offizielle kanadische Multikulturalismus-Gesetz (Multiculturalism Act) den Erhalt und die Stärkung des Interner Link: Multikulturalismus in Kanada.*** Im Rahmen dieser Politik wird Multikulturalismus als wesentlicher und grundlegender Bestandteil des kanadischen Erbes und der kanadischen Identität verstanden und somit durch das Gesetz geschützt und gefördert.

  • Die Integration von Zugewanderten wird durch Niederlassungsprogramme (settlement programs) unterstützt, die teilweise von der Regierung finanziert werden. Diese Programme fördern unter anderem Orientierung, Sprachkenntnisse und Zugang zum Arbeitsmarkt.

* Canadian Justice Laws (2019): Immigration and Refugee Protection Act. Zuletzt aktualisiert am 26. Juli 2019. Externer Link: https://laws.justice.gc.ca/eng/acts/i-2.5/fulltext.html (Zugriff: 3.9.2019).

** Statistics Canada (2017): Immigrant Population in Canada, 2016 Census of Population. Zuletzt aktualisiert am 25. Oktober 2017. Externer Link: https://www150.statcan.gc.ca/n1/pub/11-627-m/11-627-m2017028-eng.htm (Zugriff: 20.6.2019).

*** Canadian Justice Laws (2019): Canadian Multiculturalism Act. Externer Link: https://laws-lois.justice.gc.ca/eng/acts/c-18.7/ (Zugriff: 20.6.2019).

Änderungen der Wirtschaftskategorie: Ländlicher und nördlicher Fokus

In Kanada wird Einwanderung häufig als Mittel der wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung betrachtet. Kanadas bekanntes Punktesystem bevorzugt hochqualifizierte ausländische Arbeitskräfte. Das System weist Personen, die über die Wirtschaftskategorie einwandern wollen, Punkte nach sechs Auswahlfaktoren zu: Kenntnisse der Amtssprache (Englisch und/oder Französisch), Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Stellenangebot in Kanada und Anpassungsfähigkeit. Je mehr Punkte erzielt werden, desto höher ist die Chance, dass eine Person im Rahmen des staatlichen Programms für qualifizierte Arbeitskräfte (Federal Skilled Worker Program) nach Kanada einwandern darf.

Im März 2019 kündigte die Trudeau-Regierung eine neue Initiative für die Wirtschaftskategorie an: das Rural and Northern Community Pilot Program. Dieses Pilotprogramm hilft kleineren Gemeinden in ländlichen Regionen und im Norden des Landes, Wirtschaftsmigrant_innen zu rekrutieren, um ihre wirtschaftlichen und arbeitsmarktbezogenen Bedürfnisse zu befriedigen. Für Neueinwandernde scheinen größere Städte wie Vancouver, Toronto und Montreal häufig einen besseren Zugang zu Dienstleistungen und Arbeitsmarktchancen zu bieten. Die Konzentration auf ländliche und nördliche Gemeinden könnte eine Verlagerung hin zu einer Dezentralisierung der Einwanderungspolitik bedeuten. Lokale Gemeinschaften haben jetzt eine Stimme bei der Gestaltung einer Einwanderungspolitik, die sich an der wirtschaftlichen Nachfrage ausrichtet und nicht nur kompetenzorientiert ist.

Familienzusammenführung und Bürgschaft: Neues Jahr, neuer Plan

Kanadische Staatsangehörige und dauerhafte Einwohner_innen können für Familienmitglieder bürgen und ihnen so im Rahmen der Familienkategorie die Einwanderung ermöglichen. Lebenspartner, Ehepartner, Eltern, Großeltern und unterhaltsberechtigte Kinder gelten als zuwanderungsberechtigte Familienangehörige, nicht jedoch Geschwister, Cousins und Cousinen, Tanten oder Onkel. Seit 2015 haben sich die Regeln zur Zuwanderung über die Bürgschaften für Eltern und Großeltern geändert. Diese Zuwanderung wurde lange im Rahmen eines Papierantragssystems geregelt, das nach dem Prinzip "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" betrieben wurde. 2017 wurde es durch ein Online-Lotteriesystem ersetzt. Im neuen Lotteriesystem wählte die Einwanderungsbehörde nach dem Zufallsprinzip 10.000 Anträge aus, die dann in den Aufnahmeprozess überführt wurden. Dieses Lotteriesystem war umstritten und wurde von Bürgen (sponsors), Einwanderungsanwält_innen und Politiker_innen anderer kanadischer Parteien als unfair und "Externer Link: auf Glück basierend" kritisiert.

Das Programm zur Familienzusammenführung änderte sich 2018 erneut, als die Einwanderungsbehörde bekannt gab, dass sich Kanada in den nächsten zwei Jahren zur Aufnahme von 40.000 Eltern und Großeltern verpflichten würde. Damit ging auch die Nachricht einher, dass das System wieder nach dem alten "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst"-Prinzip verfahren würde. Die 27.000 im Jahr 2019 verfügbaren Plätze für den Familiennachzug wurden innerhalb weniger Minuten nach Öffnung des Bewerbungsportals am 28. Januar 2019 besetzt.

Asylsuchende: #WelcometoCanada?

Abbildung 1: Einwanderung nach Kanada nach Einwanderungskategorie 2015-2017, Hauptantragstellende und engste Familienangehörige. (Interner Link: Grafik zum Download) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Nachdem US-Präsident Donald Trump im Januar 2017 ein Einreiseverbot gegen mehrere Länder angekündigt hatte, in denen mehrheitlich Muslime leben, twitterte Justin Trudeau: "An diejenigen, die vor Verfolgung, Terror und Krieg fliehen: Kanadier werden Sie ungeachtet Ihres Glaubens willkommen heißen. Vielfalt ist unsere Stärke. #WelcometoCanada". Der Tweet zeigt, wie sich politische Veränderungen in den USA auf Kanada auswirken. Eine dieser Änderungen war die Entscheidung der US-Regierung, die Aufenthaltserlaubnisse nicht zu verlängern, die die USA vielen Haitianer_innen nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti im Jahr 2010 erteilt hatte und die sie berechtigten, vorrübergehend in den USA zu leben und zu arbeiten. Diese Ankündigung führte zu einem Anstieg der Zahl der Haitianer_innen, die aus den USA nach Kanada einreisten. Viele von ihnen überquerten die Landgrenze zwischen beiden Staaten an inoffiziellen Einreisestellen und beantragten in Kanada Asyl. Im Vergleich zu den mehr als 8.000 Asylanträgen haitianischer Staatsangehöriger, die Kanada im Jahr 2017 registrierte, sind die Zahlen in den Jahren 2018 und 2019 zurückgegangen. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass sich kanadische Regierungsvertreter_innen an die in den USA lebenden haitianischen Gemeinschaften wandten und über das Asylverfahren in Kanada informierten. Die Chancen, in Kanada einen Schutzstatus zu erlangen, waren nicht besonders hoch. Nur jeder vierte haitianische Asylantrag war erfolgreich.

Zahl der von der Kanadischen Zoll- und Grenzschutzbehörde (Canada Border Services Agency, CBSA) registrierten Asylantragstellenden 2011-2018. (Interner Link: Grafik zum Download) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Im Jahr 2018 erreichte die Zahl der in Kanada registrierten Asylanträge den höchsten Stand seit 1989 – trotz des Rückgangs der Zahl haitianischer Asylsuchender. Diese Entwicklung hat Trudeaus Regierung veranlasst, ihre großzügige Haltung zu überdenken. Im April 2019 brachte die Regierung eine Änderung des Einwanderungs- und Flüchtlingsschutzgesetzes (Immigration and Refugee Protection Act, IRPA) ein, um "Externer Link: Asyl-Shopping" zu verhindern. Demnach sollen Geflüchtete in Kanada keinen Asylantrag mehr stellen oder keine Asylanhörung mehr erhalten können, wenn sie bereits in einem der anderen "Fünf-Augen"-Länder (Five Eyes countries) Asyl beantragt haben. Neben Kanada zählen zu diesen Ländern die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich, Australien und Neuseeland. Diese Länder teilen Geheimdienstinformationen.

Wenn eine Person ausschließlich in Kanada einen Asylantrag gestellt hat, wird sie vom Einwanderungs- und Flüchtlingsausschuss (Immigration and Refugee Board, IRB) zu einer Anhörung geladen. So soll festgestellt werden, ob die antragstellende Person die Voraussetzungen für den Flüchtlingsstatus erfüllt. Wird der Asylantrag abgelehnt, können die Betroffenen Berufung einlegen.

Im Mai 2019 kündigte die Einwanderungsbehörde an, dass Kanada die Richtlinie für designierte Herkunftsländer (Designated Countries of Origin, DCO) aufheben werde. Es handelte sich dabei um eine Liste mit über 40 Ländern, von denen sich viele in West- und Mitteleuropa befinden, die aber auch Mexiko und die Five Eyes-Länder umfasst. Die Politik designierter Herkunftsländer zielte darauf, einen potenziellen Missbrauch des Flüchtlingssystems durch Personen aus als sicher eingestuften Ländern zu verhindern. Asylanträge aus diesen Ländern sollten schneller bearbeitet werden, da davon ausgegangen wurde, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit unbegründet waren. Die kanadische Regierung stellte allerdings fest, dass die Einstufung als designiertes Herkunftsland weder abschreckend wirkte noch zu kürzeren Bearbeitungszeiten für Asylanträge von Bürger_innen aus diesen Ländern führte.

Obwohl die Richtlinie über designierte Herkunftsländer außer Kraft gesetzt wurde, bleibt das separate Abkommen über sichere Drittstaaten (Externer Link: Safe Third Country Agreement, STCA), das seit 2004 zwischen den USA und Kanada existiert, in Kraft. Es legt fest, dass Geflüchtete keine Asylanträge in Kanada stellen können, wenn sie zuerst in die USA eingereist sind. Gleiches gilt für die USA: Wenn Geflüchtete zuerst in Kanada ankommen, können sie kein Asyl in den USA beantragen. Es gibt jedoch ein Schlupfloch in diesem Abkommen, von dem einige Asylsuchende Gebrauch machen: Wenn sie an inoffiziellen Einreisestellen an der Landgrenze zwischen den USA und Kanada Asyl beantragen, fallen sie nicht unter die Sichere-Drittstaats-Regelung und können ihre Asylanträge in Kanada bearbeiten lassen.

Gruppen, die sich für die Interessen von Flüchtlingen einsetzen, wie der Kanadische Flüchtlingsrat (Canadian Council for Refugees, CCR), fordern die Abschaffung der Regelung über sichere Drittstaaten. Der Kanadische Flüchtlingsrat ist der Ansicht, dass Menschen, die sich in einer Notlage befinden und um ihr Leben fliehen, alles tun und in Kauf nehmen werden, um eine Chance auf Sicherheit zu erhalten – einschließlich des Überschreitens nicht markierter Landgrenzen und dem Risiko, verhaftet zu werden. Asylanträge, die Geflüchtete nach ihrer Einreise in Kanada stellen, spielen jedoch im humanitären Schutz eine untergeordnete Rolle im Vergleich zur Neuansiedlung von Flüchtlingen (Resettlement).

Resettlement: Verschiedene Wege

Die Trudeau-Regierung verpflichtete sich, mehr Flüchtlinge über Resettlement aufzunehmen. In Kanada existieren drei Resettlement-Wege: staatlich unterstütztes Resettlement (Government Assisted), private Flüchtlingspatenschaften (Private Sponsoring) und das sogenannte Blended Visa-Office Referred, bei dem sowohl der Staat als auch zivilgesellschaftliche Akteure für die Flüchtlingsaufnahme aufkommen. Staatlich unterstützte Flüchtlinge erhalten Umsiedlungshilfe von der Bundesregierung. Die Aufnahme von Flüchtlingen, die über private Flüchtlingspatenschaften nach Kanada kommen, wird von zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Gruppen von Personen, die die kanadische Staatsangehörigkeit besitzen oder über ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Kanada verfügen, finanziert. Das Blended Visa-Office Referred-Programm wurde von der kanadischen Regierung als Reaktion auf große Flüchtlingsströme eingeführt. Die Kosten und mit der Neuansiedlung verbundene Pflichten werden dabei von privaten Flüchtlingspat_innen und der Regierung gemeinsam getragen. Obwohl sich die Trudeau-Regierung 2015 dazu verpflichtet hat, insgesamt 25.000 syrische Flüchtlinge über diese Wege in Kanada aufzunehmen, spielen seit 2016 private Flüchtlingspatenschaften die Hauptrolle im Hinblick auf das Resettlement von aus Syrien stammenden Flüchtlingen.

Private Flüchtlingspatenschaften sind ein einzigartiges Modell, das es in Kanada seit 40 Jahren gibt. Die kanadische Regierung stützt sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen auf das Mobilisierungspotenzial der Zivilgesellschaft. Unternehmen, zivilgesellschaftliche Gruppen, Glaubensgemeinschaften oder Gruppen von mindestens fünf Personen sind berechtigt, Flüchtlingspatenschaften zu übernehmen. Sie verpflichten sich, mindestens zwölf Monate lang die Kosten für Nahrung, Unterkunft und andere Ausgaben zu tragen, die bei der Aufnahme eines Flüchtlings anfallen. Zudem unterstützen sie bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt, beim Sprachunterricht, in der Schule und bei anderen Maßnahmen zur sozialen Integration. In der Vergangenheit wurden private Flüchtlingspatenschaften insbesondere während des Vietnamkrieges intensiv genutzt, um Flüchtlinge in Kanada aufzunehmen. 2016 gründete die kanadische Regierung zusammen mit einer Reihe anderer gemeinnütziger Organisationen und den Vereinten Nationen die Externer Link: Global Refugee Sponsorship Initiative (GRSI). Diese Initiative zielt darauf ab, das Modell der privaten Flüchtlingspatenschaften in anderen Ländern zu verbreiten. Ursprünglich war die Politik der privaten Flüchtlingspatenschaften lediglich als Ergänzung der staatlich unterstützten Flüchtlingsaufnahme gedacht. Heute spielt sie jedoch eine Schlüsselrolle im Flüchtlingsschutz in Kanada. Das positive öffentliche Image der Übernahme von Flüchtlingspatenschaften durch die Zivilgesellschaft ermöglicht es dem Staat, das Modell als Möglichkeit für kanadische Staatsangehörige und dauerhafte Einwohner_innen anzupreisen, sich für Flüchtlinge und ihre Belange einzusetzen. Der Staat ist jedoch weiterhin primär für die Aufnahme und Unterstützung von Flüchtlingen verantwortlich. Der Ausbau privater Flüchtlingspatenschaften sollte nicht zu einer Verlagerung der Verantwortung des Staates auf die Zivilgesellschaft führen.

2019: Was nun?

Abbildung 3: Im Rahmen von Resettlement aufgenommene Flüchtlinge und Personen mit Schutzstatus in Kanada 1980-2016. (Interner Link: Grafik zum Download) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Wie in vielen Ländern der Welt ist Einwanderung auch in Kanada zu einem Schwerpunktthema in nationalen Wahlen geworden. Nach vier Jahren werden kanadische Wähler_innen im Oktober 2019 an die Urnen gehen, um ein neues Parlament zu wählen. Trudeau setzte sich 2015 im Wahlkampf für eine liberale Einwanderungspolitik ein und verfolgte eine solche in den Anfangsjahren seiner Regierung. In den vergangenen eineinhalb Jahren hat er sich jedoch vorsichtig von diesem großzügigen Ansatz distanziert. Trudeau und Ralph Goodale, Minister für öffentliche Sicherheit und Notfallvorsorge (Public Safety and Emergency Preparedness), pflegen das Image Kanadas als Land, in dem Recht und Ordnung herrschen – eine Rhetorik, die in der Diskussion um die Einwanderungspolitik eine herausragende Rolle gespielt hat. Sie richtet sich insbesondere an Asylantragstellende, um sie an die kanadischen Werte von Recht und Ordnung zu erinnern. Trudeau betont, dass das Land kein schwaches Einwanderungssystem habe, das Einzelpersonen dazu ermutigt, Asylanträge in Kanada zu stellen. Vielmehr sei es die globale Instabilität die eine höhere Anzahl von Asylbewerber_innen verursache. #WelcometoCanada gilt nicht bedingungslos: Migrant_innen sind willkommen, solange sie die Regeln beachten.

In den letzten vier Jahren, die die liberale Regierung von Justin Trudeau nun im Amt ist, hat die kanadische Einwanderungspolitik eine Reihe von Entwicklungen und Veränderungen durchlaufen, nachdem die Liberale Partei 2015 mit der Aufnahme von mehr Personen über die Familienzusammenführung und die Flüchtlingskategorie geworben hatte. Wenn die Wahl im Oktober 2019 kommt, werden die Kanadier_innen auch darüber abstimmen, ob sie diesen migrationspolitischen Weg mit der Trudeau-Regierung fortsetzen wollen.

Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel

Weitere Inhalte

Shaina Somers hat einen Masterabschluss im Studiengang Immigration and Settlement Studies der Ryerson Universität, Kanada, und war Austauschstudentin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.