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Syrien | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Syrien

Carsten Wieland

/ 10 Minuten zu lesen

Hunderttausende Syrer haben bei der Niederschlagung des friedlichen Aufstands von 2011 ihr Leben verloren, ca. 13 Mio. wurden zu Flüchtlingen. Heute ist Syrien teilweise besetzt und wirtschaftlich am Boden. Der UN-Friedensprozess in Genf stockt, weil es keine internationale Dynamik für einen Friedensschluss gibt.

20.10.2017: Blick auf das zerstörte Rakka. (© picture-alliance/AP)

Die aktuelle Situation

Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen, Oppositionsgruppen und islamistischen Milizen beschränken sich inzwischen hauptsächlich auf die Region Idlib im Nordwesten Syriens. Im Rest des Landes regiert Präsident al-Assad mit harter Hand. Die Bevölkerung leidet unter dem omnipräsenten Geheimdienstapparat, unter willkürlichen Verhaftungen und Folter sowie unter Zerstörung und Vertreibung. Die Perspektiven für Rückkehrer bleiben angesichts der Verfolgung Andersdenkender und der bitteren wirtschaftlichen Not sehr unsicher. Der Unmut selbst in Assad-treuen Teilen der Bevölkerung wächst. Nach vielen Jahren des Leids möchten die Menschen endlich Fortschritte sehen und kritisieren Korruption, fehlende Perspektiven und den Zerfall des Staates, der zur Beute rivalisierender Machtnetzwerke und Milizen geworden ist.

Assad, seine Familiendynastie und das ihn stützende Machtsystem können nicht ohne die militärische Unterstützung Russlands und des Iran überleben. Für die finanzielle Unterstützung eines breit angelegten Wiederaufbaus des Landes verfügen die beiden wichtigsten Verbündeten angesichts eigener gravierender Wirtschaftsprobleme jedoch nicht über die erforderlichen Ressourcen. Moskau und Teheran hoffen auf das Geld aus dem Westen. Die EU und die meisten europäischen Staaten machen jedoch ihr Engagement von politischen Reformen abhängig, die u.a. Sicherheit für die Rückkehr von Flüchtlingen schaffen sollen. Bisher hat die syrische Regierung jedes Entgegenkommen abgelehnt und damit den politischen Prozess in Genf quasi zum Erliegen gebracht.

Seit November 2019 versucht der inzwischen vierte UN-Sondergesandte zu Syrien, Geir Pedersen, zumindest ein syrisch-syrisches Verfassungskomitee zusammenzubringen. Ziel ist, dass Regierung, gemäßigte Opposition und Vertreter der Zivilgesellschaft unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen eine neue Verfassung diskutieren. Wichtige andere Themen der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats vom Dezember 2015 werden mittlerweile ausgeblendet. Dazu gehören u.a. politische Reformen, inklusive fairer Wahlen, sowie eine Reform des Sicherheitssektors und die gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus.

So unübersichtlich die Akteurslandschaft in Syrien geworden ist, so komplex gestalten sich die politischen Bemühungen zur Friedenslösung. Russland, Iran und die Türkei versuchen mit dem Astana-Format, wichtige Bereiche des Friedensprozesses von der UNO abzuziehen und selbst stärker zu beeinflussen. Das begann Anfang 2017 mit der Errichtung von acht "Deeskalationszonen" in Syrien, der Aushandlung von regionalen Waffenstillständen und "Versöhnungsabkommen". Der Prozess wurde 2018 auf politischer Ebene auf einer syrisch-syrischen "Versöhnungskonferenz" im russischen Sotschi fortgesetzt. Die UNO konnte zwar durch harte Verhandlungen in letzter Minute erreichen, dass ein Verfassungskomitee nicht in Sotschi, sondern in Genf unter UN-Führung gegründet wird, sie ist jedoch auf den Willen der drei Astana-Staaten angewiesen, wenn sie überhaupt einen Fortschritt in Verhandlungen zu erzielen möchte.

Situation in Syrien. (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Nachdem sieben "Deeskalationszonen" vom syrischen Regime ohne größeren türkischen, US-amerikanischen oder anderen westlichen Widerstand zurückerobert worden waren, stieß die russisch-türkische Einigkeit Ende 2019 und 2020 in der syrischen Provinz Idlib an ihre Grenzen. Heftige Bombardements der syrischen Armee mit russischer Unterstützung halbierten die letzte "Deeskalationszone" und vertrieben mehrere hunderttausend Zivilisten gen Norden. Die Türkei schloss ihre Grenzen, was zu einer erneuten humanitären Katastrophe führte, die am Ende auch auf Griechenland und die EU überschwappte. Das Idlib-Abkommen zum Waffenstillstand zwischen Ankara und Moskau bleibt ein fragiler Kompromiss. Russland wirft der Türkei vor, nichts gegen die radikalislamische Al-Nusra in Idlib unternommen zu haben, die militärisch und mit einer zivilen Administration zur stärksten Kraft in der Provinz geworden ist. Die meisten moderateren Oppositionsgruppen hat die Türkei als "Nationale Syrische Armee" unter ihr Kommando gebracht. Gleichzeitig unterstützt Ankara auf ziviler Ebene die "Syrische Übergangsregierung", die im türkisch besetzten Norden Syriens ihren Sitz hat und der oppositionellen Nationalen Koalition in Istanbul nahesteht.

Zur komplexen Lage kam im Frühjahr 2020 die Herausforderung durch den COVID-19 Virus. Die medizinische Infrastruktur Syriens ist in den vergangenen Jahren größtenteils von Luftangriffen der eigenen Regierung und Russlands zerstört worden. Die wenigen verbliebenen funktionsfähigen Krankenhäuser verfügen über eine mangelnde Ausstattung an Geräten, Medizin und Personal. Die dicht gedrängten Flüchtlinge, die besonders in Idlib unter desaströsen hygienischen Umständen in Lagern leben, sind der Pandemie schutzlos ausgeliefert.

Ein weiterer Aspekt des Syrien-Konflikts hat im Jahr 2020 Formen angenommen: Weltweit zum ersten Mal steht ein Handlanger des syrischen Präsidenten Assad, dem schwere Folter vorgeworfen wird, im Ausland vor einem Gericht: In Koblenz begann im April 2020 der Prozess gegen einen ehemaligen Geheimdienstchef, der 2014 als Flüchtling nach Deutschland gekommen war. Syrische Menschenrechtler, deutsche und internationale NGOs arbeiten an weiteren Anklagen. Sie wollen in einer Zeit, in der ein politischer Wandel in Syrien aussichtslos erscheint, wenigstens Gerechtigkeit für fast 100.000 Verschwundene, Gefangene oder Gefolterte des Assad-Regimes voranbringen.

Ursachen und Hintergründe

Die Regierungszeit von Baschar al-Assad begann im Jahr 2000 mit einer zaghaften Reform der sozialistischen Planwirtschaft, allerdings ohne mehr politische Freiheiten zu gewähren. In den Debattierclubs des "Damaszener Frühlings" wurden politische Reformen diskutiert. Das Regime ließ jedoch Anfang 2001 die vorwiegend intellektuelle Bewegung niederschlagen. 2006 und Ende 2009 folgten weitere Verhaftungswellen.

Die punktuelle Liberalisierungspolitik verstärkte die sozialen Ungleichheiten, von denen zunehmend auch die syrische Mittelschicht betroffen war. Verschlimmernd wirkten sich zusätzlich die Beutewirtschaft des Assad-Clans und der Zustrom irakischer Flüchtlinge aus, die infolge der US-amerikanischen Intervention 2003 ihr Land verließen. Angesichts der tiefen Unzufriedenheit schwappte zur Jahreswende 2010/2011 der "Arabische Frühling" auf Syrien über. Die Demonstranten forderten die Achtung der Menschenwürde, Freiheiten, Rechtsstaatlichkeit sowie soziale und wirtschaftliche Perspektiven.

Das Regime versuchte, Proteste und Widerstand als das Werk "ausländischer Verschwörer" und "islamistischer Terroristen" zu diskreditieren, um das brutale Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung zu legitimieren. Die ursprüngliche Konfrontation zwischen dem Assad-Regime und großen Teilen der Bevölkerung wird inzwischen von einer Reihe weiterer Konflikte begleitet und überlagert:

  1. Die Auseinandersetzung um das Gesellschaftsmodell des syrischen Staates: Neben moderaten und konservativen islamischen Vorstellungen konkurrieren radikale und pseudo-islamische Vorstellungen. Angezogen durch den Krieg und den Zerfall des Staates, drangen dschihadistische Gruppen aus dem Ausland ein. Viele Syrer sehen ihr jahrhundertealtes tolerantes Gesellschaftsmodell in Gefahr. Doch sie haben derzeit nur die Wahl zwischen einem diktatorischen und wirtschaftlich bankrotten Regime, das sich säkular gibt, und von islamischen Rebellengruppen kontrollierten Gebieten, die meist unter türkischer Kontrolle stehen.

  2. Die Frontstellung zwischen politisch-militärischen Gruppierungen und kriminellen Vereinigungen: Der Zugang zu wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen hat es verschiedenen Milizen ermöglicht, das Land quasi unter sich aufzuteilen und von der Kriegswirtschaft zu profitieren. Diese und der Zerfall des Bildungssystems ruinieren das Land für Generationen.

  3. Der Konflikt zwischen ethnisch-religiösen Gruppen: Der sunnitisch-schiitische Gegensatz hat eine regionale Dimension. Schiitische Milizen werden vom Iran und der Hisbollah unterstützt. Hinter den sunnitischen Fraktionen steht vor allem die Türkei. Kleinere Religionsgemeinschaften, wie Alawiten, Christen oder Drusen, drohen zwischen beiden Lagern zerrieben zu werden.

  4. Der Kurdenkonflikt: Die Türkei hat mit ihrem Einmarsch 2019 in den Nordosten Syriens das kurdische Autonomieprojekt der PYD ("Rojava") weitgehend zerschlagen. Die PYD-geführten Milizen (SDF) mussten in südliche Wüstengebiete ausweichen. Seit 2019 haben die rivalisierenden kurdischen Kräfte der PYD und des pro-oppositionellen Kurdischen Nationalrats (KNR) unter französischer und US-amerikanischer Vermittlung erstmals Gespräche aufgenommen, um innerkurdische Spannungen zu reduzieren.

  5. Der Kampf um die regionale Vorherrschaft: Iran verfolgt mit großem Einsatz die Konsolidierung der schiitischen Präsenz in Syrien (z.B. gezielte Ansiedlung, Kauf von Land und Immobilien). Ziel ist die Aufrechterhaltung der Landverbindung von den schiitischen Gebieten im Irak über Syrien bis hin zum Einflussbereich der schiitischen Hisbollah im Libanon ("schiitischer Halbmond"). Saudi-Arabien, Katar und die Türkei hatten lange versucht, den Einfluss des Iran zurückdrängen. Saudi-Arabien ist inzwischen von seiner harten Position im Syrien-Konflikt abgerückt und sucht nach neuen Allianzen. Die Türkei setzt auf ein Arrangement mit Russland, um ihren Einfluss auf den Norden Syriens zu konsolidieren.

  6. Die Rivalität zwischen den globalen Großmächten: Russland und China stellen sich gegen die Syrien-Politik der USA. Sie wollen den Sturz des Regimes verhindern und haben mehrfach seine Verurteilung wegen Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen auf UN-Ebene verhindert.

  7. Die Flüchtlingskrise: Besonders in den Nachbarstaaten (Libanon, Jordanien, Türkei), aber auch in der EU, entstehen durch den Zustrom von über 6 Mio. syrischen Flüchtlingen neue (innen-)politische Probleme und Fronten bei gleichzeitiger Uneinigkeit darüber, wie und mit welchem politischen und militärischen Einsatz der Syrien-Krieg beendet werden soll.

Syrien ist zum Schlachtfeld von fünf ausländischen Armeen und Milizen geworden: Russland, Iran, die libanesische Hisbollah, die Türkei im Norden und die USA. Als Assad 2013 den Aufstand nicht mehr unter Kontrolle bekam und weite Teile seines Territoriums an die Rebellen verlor, eilte ihm auf Druck des Iran die Hisbollah zu Hilfe. Später entsandte der Iran auch direkte militärische Hilfe in Form der Revolutionsgarden und schiitische Milizen. Russland sprang dem Diktator im Herbst 2015 zur Seite, vor allem mit Luftunterstützung, Militärpolizei und Beratern. Russland und der Iran liefern sich seitdem einen Wettbewerb um den größten Einfluss auf Syriens Politik und Wirtschaft. Auch geopolitisch ist Syrien für beide Staaten interessant. Für Russland steht die Präsenz im östlichen Mittelmeer und für den Iran die Funktion Syriens als Teil des "schiitischen Halbmonds" im Vordergrund. Der Iran ist inzwischen über Syrien und den Libanon bis an die Grenzen Israels vorgerückt.

Die Türkei unterstützte von Anfang an den Aufstand gegen Assad. Inzwischen hat sich ihre Strategie verändert. Eckpunkte sind das Arrangement mit Russland und dem Iran und der Krieg gegen die PKK-freundlichen Kurden in Nordsyrien. Im Kern geht es darum, Einflusszonen in Syrien festzuschreiben. Damit und mit der Errichtung einer Pufferzone für Flüchtlinge rechtfertigte der türkische Präsident Erdogan die Invasion türkischer Truppen im Norden Syriens. In mehreren Etappen wurden seit 2019 die Kurden aus den fruchtbaren Gebieten verdrängt. Unter der türkischen Besatzung wurden die beiden autonomen kurdischen Regionen gezielt zerschlagen.

Dabei spielte Erdogan die plötzliche Ankündigung von US-Präsident Trump in die Hände, das Gros der US-Truppen aus dem Nordosten Syriens abzuziehen. Damit hatte er die von der PYD geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) als Verbündete fallen lassen. Die USA konzentrieren sich nicht mehr auf den Kampf gegen Assad, sondern auf die Eindämmung von Al-Qaida und des IS. Wie Washington dabei agiert, wird in hohem Maße von innenpolitischen Interessen diktiert.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Mit Russland und China hat Syrien gewichtige Schutzmächte, die bisher im UN-Sicherheitsrat sowohl effektive Maßnahmen zur Einhegung des Konflikts als auch Sanktionen gegen das Assad-Regime verhindert haben. Russland hält am syrischen Regime fest, auch um seinen strategischen Zugang zum Mittelmeer nicht zu gefährden. Zudem will Moskau nach der NATO-Intervention in Libyen keinen weiteren, vom Westen militärisch unterstützten Regimewechsel mehr zulassen. Nicht zuletzt sieht Putin im russischen Eingreifen in den Konflikt eine Möglichkeit, seinen Großmachtstatus zu bekräftigen.

Politisch kommen derzeit vor allem folgende Handlungsansätze für die Bearbeitung des Konflikts infrage:

  1. Fortsetzung der Genfer UN-Gespräche auf der Grundlage der UN-Resolution 2254 (2015): Förderlich für Fortschritte wären ein internationales Momentum sowie wirtschaftlicher und politischer Druck, um das syrische Regime zumindest zur Teilnahme am Verfassungsprozess zu zwingen, der in faire Wahlen münden soll. Der politische Wille Russlands und der Türkei sowie eine geduldige und geeinte syrische Opposition sind der Schlüssel, um hier Fortschritte zu erzielen.

  2. Komplementäre Funktion des Astana-Prozesses: Nachdem die Fragen der Einflusszonen überwiegend geklärt sind, kann Astana außerhalb des Genfer Prozesses Impulse setzen und die Konfliktparteien zu Kompromissen zwingen. Einigkeit zwischen Russland und der Türkei ist dabei ausschlaggebend. Die UNO hat vermieden, Astana als Konkurrenz zu deklarieren. Es kommt darauf an, ob der Westen und/oder arabische Staaten ein Gegengewicht bilden können.

  3. Gefahr eines Wiedererstarkens von IS und Al-Qaida: Unter den Umständen extremer menschlicher Not, fehlender Bildung, anhaltender wirtschaftlicher Notlage, fragmentierter Akteure und des Machtvakuums in den weiterhin umkämpften Gebieten besteht die Gefahr, dass die errungenen Siege gegen die Extremisten in Syrien und im Irak nicht von langer Dauer sein werden. Die Frage ist auch, ob sich das Land grundsätzlich beruhigen und befrieden lässt, wenn Assad und seine Geheimdienste weiter an der Macht bleiben.

  4. Politische Stabilisierung und Wiederaufbau: Die Vermeidung eines erneuten Machtvakuums und die Stabilisierung Syriens und des Irak, der zivile Wiederaufbau und die Rückkehr von Vertriebenen werden eine langfristige Herausforderung bleiben. Schon heute wird heftig darüber gestritten, wann die internationale Unterstützung des Wiederaufbaus in Syrien einsetzen soll – schon vor einem politischen Abkommen mit dem Ziel der Stabilisierung oder ausschließlich unter der Bedingung, dass eine wirkliche politische Transition gewährleistet ist. Ansonsten, so warnen Kritiker, wird das Wiederaufbaugeld hauptsächlich in die Kriegswirtschaft und in die Taschen der Machtelite um den Assad-Clan fließen.

Demonstration in der nordsyrischen Stadt Maaret al-Numan am 1. September 2013. (© picture-alliance/AP)

Geschichte des Konflikts

Bis zu Beginn der Unruhen Mitte März 2011 glaubten viele Beobachter nicht an eine Revolte in Syrien. Ideologisch stand das Volk, das jahrzehntelang durch einen anti-israelischen und panarabischen Diskurs beeinflusst wurde, in der Tat näher zum Regime als in den pro-westlichen Autokratien Tunesiens oder Ägyptens. Doch auch in Syrien hatte sich die Wut über Korruption, Willkürherrschaft und schlechte Lebensbedingungen angestaut, und vor allem war durch die Bilder von mutigen Demonstrationen in Tunesien, Ägypten und Libyen die Angst vor dem Regime geschwunden.

Die syrische Gesellschaft vor dem Krieg war ein buntes Mosaik religiöser Gruppen. Der Assad-Clan gehört zur Minderheit der Alawiten (ca. 12%). Auch wenn bei weitem nicht mehr alle Alawiten Assad unterstützen, fürchten viele nun die Rache konservativer und radikaler Sunniten. Im Jahr 1982 hatte Hafez al-Assad, der Vater und Amtsvorgänger des heutigen Präsidenten, in Hama ein Massaker angerichtet, dem viele Tausend Sunniten zum Opfer fielen. Ziel war die Niederschlagung eines aufflammenden Aufstands der Muslimbrüder.

Die übrigen Minderheiten, wie Christen oder Drusen, unterstützten, zumindest in ihrer Mehrheit, ebenfalls das säkulare Baath-Regime, da sie eine Vormacht radikal-islamischer Sunniten fürchten. Das Assad-Regime hatte zwar die gemäßigte sunnitische Handelsklasse an sich binden können, doch begann mit dem Aufstand auch diese Allianz zu bröckeln. Zuletzt haben das Ausmaß an Zerstörung und Leid, die große Angst vor Radikalismus und einer ungewissen Zukunft in Teilen der Bevölkerung den Rückhalt für den Aufstand geschwächt und dem Assad-Regime in die Hände gespielt.

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Dr. Carsten Wieland arbeitet im diplomatischen Dienst des Auswärtigen Amts. Von Dezember 2013 bis Juni 2014 arbeitete er als politischer Berater des UN/AL-Sondergesandten zu Syrien, Lakhdar Brahimi, in der UN in Genf und seit 2016 auch für dessen Nachfolger, den UN-Sondergesandten Staffan De Mistura. Wieland war jahrelang als Journalist, Autor und Politikberater tätig. Als Nahost-Experte hat er zahlreich über Syrien publiziert, wo er auch mehrere Jahre lebte. Wieland hält zudem eine Gastprofessur an der Universidad Rosario in Bogotá und war für die dpa Korrespondent in Tel Aviv, Washington und Kolumbien, wo er auch das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung leitete. Dieser Beitrag stellt die persönliche Meinung des Autors dar. Externer Link: www.carsten-wieland.de