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Migration in Chile | Regionalprofil Südamerika | bpb.de

Südamerika Einwanderung und Auswanderung Personenfreizügigkeit Argentinien Vom Sklavenhandel zum Auswanderungsland: Brasilien Chile Kolumbien Kolumbien: Umgang mit Einwanderung Venezuela

Migration in Chile

Sandra Leiva Marcela Tapia Ladino

/ 11 Minuten zu lesen

Die Geschichte Chiles ist von grenzüberschreitender Migration geprägt. Bis heute bevorzugt die selektive chilenische Migrationspolitik weiße europäische Migrantinnen und Migranten. Dominiert wurde die Zuwanderung aber immer schon durch Menschen aus lateinamerikanischen Staaten.

Venezolaner/-innen fotografieren eine Bekanntmachung der chilenischen Botschaft in Caracas zur Ausstellung von Visa für eine temporäre Niederlassung in Chile, 16.04.2018. Im Dezember 2019 stammten gut 30 Prozent aller Ausländer/-innen in Chile aus Venezuela. (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com | Roman Camacho)

QuellentextIn Kürze

In der Zeit der Eroberung und Kolonisierung Chiles im 16. bis 18. Jahrhundert erlebte das Land umfangreiche Zuwanderung aus Spanien. Die Eingewanderten vermischten sich mit der einheimischen Bevölkerung. Nachdem sich Chile 1818 unabhängig erklärte, förderten die Regierungen Einwanderungsprogramme, die hauptsächlich weiße Europäer/-innen, darunter auch Deutsche, ins Land brachten. Derartige Programme zielten darauf, das Land zu "zivilisieren" und zu entwickeln. Am umfangreichsten war jedoch immer die Migration aus den angrenzenden Ländern Peru, Bolivien und Argentinien. Ab den 1990er Jahren änderte sich die Zusammensetzung der Migration: Chile zog zunehmend Einwanderer/-innen aus anderen lateinamerikanischen und karibischen Staaten an, wie Kolumbien, Ecuador, Kuba, Venezuela, der Dominikanischen Republik und Haiti, was als "neue Migration" bekannt wurde.

Jahrelang verfügte Chile über ein veraltetes Einwanderungsgesetz, das aus dem Jahr 1975 stammte. Es wurde während der Interner Link: Diktatur unter Führung von Augusto Pinochet (1973-1990) verkündet und sah Ausländer/-innen als Bedrohung an – gemäß der zum Entstehungszeitpunkt geltenden nationalen Sicherheitsdoktrin, die marxistische Weltanschauungen bekämpfte. Während der Regierungen von Michelle Bachelet (erste Amtszeit 2006-2010; Interner Link: zweite Amtszeit 2014-2018) zielte die Migrationspolitik auf eine bessere Integration von Migranten/-innen in die chilenische Gesellschaft ab. Während der Amtszeiten von Sebastián Piñera (erste Amtszeit 2010-2014; zweite Amtszeit 2018-2022) wurde dieser neue Politikansatz wiederum ins Gegenteil verkehrt. Im Dezember 2020 verabschiedete schließlich das Parlament ein neues Migrationsgesetz. Migrantenorganisationen, Organisationen, die mit Migrant/-innen arbeiten, und Migrationsforschende kritisieren es massiv.

Geschichte der Ein- und Auswanderung in Chile

Bevor Interner Link: Chile 1818 seine Unabhängigkeit erklärte, war es mehr als 250 Jahre eine spanische Kolonie. Als der erste Spanier 1536 in Chile eintraf, gab es dort etwa zwanzig indigene Völker, darunter die Mapuche, Aymara, Quechua und Osterinsulaner. Die Migration von Spanier/-innen nach Chile, Interner Link: wie auch allgemein nach Lateinamerika, erfolgte nicht spontan, sondern wurde vom spanischen Königshaus durch eigens dafür geschaffene Organisationen implementiert und gesteuert. Deren Auftrag lautete, die Gebiete für die spanische Krone zu erobern und zu kolonisieren. Dabei handelte es sich hauptsächlich um unverheiratete Männer, was eine schnelle Vermischung mit der indigenen Bevölkerung begünstigte. Dadurch entstand eine Bevölkerung, die sich aus sogenannten Mestizen zusammensetzte. Neben der spanischen Einwanderung kamen in viel geringerem Umfang auch Menschen aus Afrika, die als Interner Link: Sklav/-innen zur Arbeit im Bergbau und in der Landwirtschaft auf den Kontinent gebracht wurden. In den ersten Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit bestand das chilenische Territorium aus weiten Landstrichen, in denen der Staat kaum präsent war, und einigen wichtigen Städten, darunter die Hauptstadt Santiago und die Stadt Concepción sowie die Häfen von Valparaíso und Talcahuano.

Um die Unabhängigkeit Chiles zu konsolidieren und die Souveränität des jungen Staates zu stärken, wurde eine Strategie zur Besiedlung des Landes entwickelt. Mehrere Gesetze dienten dem Zweck, Migrantinnen und Migranten ins Land zu locken, darunter ein Gesetz von 1824, das Einwandernden Land im Süden Chiles sowie eine Befreiung von der Steuerpflicht für zehn Jahre gewährte. Ein Besiedlungsprogramm von 1845 sollte vor allem weiße Europäer/-innen zur Einwanderung bewegen. Ähnliche Programme folgten. Vor allem Deutsche, Italiener/-innen, Schweizer/-innen, Ir/-innen, Schott/-innen, Engländer/-innen, Französinnen und Franzosen sowie Spanier/-innen wurden zur Einwanderung ermuntert. Andere Gruppen kamen spontan ins Land, darunter Engländer/-innen und Kroat/-innen.

Hinter dieser Politik steckte zum einen die Idee, Gebiete zu erschließen, die als "unbewohnt" galten. Zum anderen sollten auf diese Weise Vorstellungen von Fortschritt(lichkeit) in Chile Einzug halten. Unbewohnt waren diese Gebiete jedoch nicht, da dort Ureinwohner/-innen lebten, die als Bedrohung galten. Die Einwanderung aus Europa führte zu Konflikten mit der indigenen Bevölkerung, die immer weiter nach Süden verdrängt und auf Reservate verteilt wurde. In den nördlichen Gebieten Chiles gab es große Salpeter-Vorkommen, die vor allem mit ausländischem, hauptsächlich britischem Kapital sowie chilenischen und Arbeitskräften aus Grenzgebieten, meist aus Bolivien und Peru, ausgebeutet wurden. Die boomende Industrie ließ die Zahl der Einwandernden in den Jahren 1880-1930 rasch anwachsen, darunter befanden sich viele Italiener/-innen, Französinnen und Franzosen, Chines/-innen und Menschen aus dem Gebiet des späteren Jugoslawiens.

Trotz der hochselektiven Einwanderungsgesetze dominierte weiterhin eine spontane (ungeregelte) Migration. Daher versuchten die Obrigkeiten im 19. und 20. Jahrhundert immer wieder mit neuen Verordnungen die europäische Einwanderung zu begünstigen und Siedlungsgebiete für sie vorzuhalten. Die Nationale Gesellschaft für Landwirtschaft (Sociedad Nacional de Agricultura) verwaltete sie. Eine Kolonisationsagentur warb direkt in Europa Siedler/-innen an. Aufgrund der Einwanderung wuchs die Bevölkerung Chiles Ende des 19. Jahrhunderts auf über 2,5 Millionen Menschen an. Laut der Volkszählung von 1907, die die Bevölkerung auf 3.231.496 Menschen bezifferte, waren vier Prozent der Bevölkerung Chiles Ausländer/-innen (siehe Tabelle 1). Dies war allerdings nicht nur eine Folge der Einwanderung, sondern auch des "Salpeterkriegs" (spanisch: Guerra del Pacífico) (1879-1884). In diesem wurden die ehemals peruanische Region Tarapacá und die ehemals bolivianische Region Antofagasta in das chilenische Staatsgebiet eingegliedert, was die peruanischen und bolivianischen Bewohner/-innen dieser Gebiete zu Ausländer/-innen machte. Die chilenische Staatsangehörigkeit erhielten sie nicht.

Die deutsche Präsenz in Chile

In der Migrationsgeschichte Chiles lassen sich mehrere Phasen verstärkter deutscher Einwanderung ausmachen: zwischen 1846 und 1875, zwischen 1882 und 1914 und in den Jahren nach 1918. Die Deutschen der ersten beiden Phasen ließen sich im Süden Chiles nieder und widmeten sich dem Handel, der Landwirtschaft und der Industrie. Diejenigen, die nach 1918 kamen, siedelten demgegenüber hauptsächlich in den Städten. Später kamen jüdische Deutsche auf der Flucht vor dem Interner Link: Nationalsozialismus , nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schließlich Nationalsozialisten. Für beide Einwanderergruppen gibt es keine verlässlichen Zahlen.

Einer der deutschen Einwanderer war Paul Schäfer, der 1961 in der Region Maule die "Wohltätigkeits- und Erziehungsgesellschaft Würde" (Sociedad Benefactora y Educacional Dignidad) gründete. Dort wohnten rund 230 Deutsche, die eine abgeriegelte Enklave bildeten, in der unter dem Deckmantel der Nächstenliebe Menschen misshandelt und erniedrigt wurden. Während Interner Link: Pinochets Militärdiktatur war die sogenannte Interner Link: Colonia Dignidad ein Haft- und Folterzentrum.

Doch die Migration zwischen Chile und Deutschland verlief auch in umgekehrter Richtung: Während der Militärdiktatur nahm die Bundesrepublik Schätzungen zufolge zwischen 3.000 und 4.000 chilenische Flüchtlinge auf; fast 2.000 Chilen/-innen, die die Regierung von Interner Link: Salvador Allende unterstützt hatten, flohen in die DDR. Mit Blick auf dieses Kapitel deutscher Geschichte gab es ein weiteres umstrittenes Ereignis: die Ankunft des ehemaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Interner Link: Erich Honecker in Chile, nachdem er 1991 in der chilenischen Botschaft in der ehemaligen UdSSR Zuflucht gesucht hatte. Später wurde er strafrechtlich verfolgt und in Deutschland inhaftiert (1992/93), aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes aber wieder freigelassen. Er kehrte 1993 nach Chile zurück. Dies führte vorübergehend zu diplomatischen Spannungen zwischen Deutschland und Chile.

Bis heute sind die Spuren deutscher Einwanderung im Süden Chiles sichtbar. Ein breites Netz an Bildungs-, sozialen und kulturellen Organisationen sorgt dafür, dass bis in die Gegenwart hinein Vorstellungen von deutscher Identität unter den Nachfahren der Eingewanderten gepflegt werden.

Gegenwart der Migration in Chile

Heute ist Chile eines der Hauptzielländer von Migrant/-innen aus südamerikanischen und karibischen Staaten. Diese Zuwanderung hat seit Anfang der 1990er Jahre zugenommen und zu einem deutlichen Anstieg der Zahl der in Chile lebenden ausländischen Staatsangehörigen beigetragen, der vor allem im letzten Jahrzehnt (2010-2019) erfolgt ist (siehe hierzu Tabelle 1). Im Dezember 2019 wurde die Zahl der Ausländer/-innen auf 1.492.522 Personen beziffert, was 7,8 Prozent der Gesamtbevölkerung Chiles entspricht und den höchsten Wert in der jüngeren Geschichte des Landes bedeutet. Der starke Anstieg der südamerikanischen Migration erklärt sich zum einen durch die wirtschaftliche und politische Stabilität Chiles, zum anderen durch Konflikte oder Erwerbslosigkeit in Herkunftsländern wie Kuba, Haiti, Interner Link: Kolumbien und Interner Link: Venezuela. Darüber hinaus wird die Mobilität der Bürger/-innen südamerikanischer Staaten durch Interner Link: Regelungen zur Freizügigkeit erleichtert, die zwischen den Mitgliedsländern der regionalen Organisation MERCOSUR bestehen. All diese Aspekte tragen dazu bei, dass heute die meisten Einwandernden aus einem südamerikanischen oder karibischen Land kommen. Im Dezember 2019 stammten die größten Ausländergruppen in Chile aus Venezuela (30,5 Prozent aller ausländischen Staatsangehörigen), Peru (15,8 Prozent), Haiti (12,5 Prozent), Kolumbien (10,8 Prozent) und Bolivien (8 Prozent).

Ausländische Staatsangehörige in Chile 1854-2019

JahrGesamt-
bevölkerung
Gesamtzahl
ausländischer
Staatsangehöriger
Prozentualer Anteil
ausländischer Staatsangehöriger
an der Gesamtbevölkerung Chiles
1854 1.439.12019.6691,4
1865 1.819.22321.9821,2
1875 2.075.97125.1991,2
1885 2.507.00587.0773,5
1895 2.695.62579.0562,9
1907 3.231.496132.3124,1
1920 3.731.593114.1173,1
1930 4.287.445105.4632,5
1940 5.023.539107.2732,1
1952 5.932.995103.8781,8
1960 7.374.115104.8531,4
1970 8.884.76890.4411,0
1982 11.329.73684.3450,7
1992 13.348.401105.0700,8
2002 15.116.435184.4641,2
2017 17.574.003746.4654,2
2018 18.751.4051.251.2256,7
2019 19.107.2161.492.5227,8

Tabellenbeschreibung

In den Daten für 2018 und 2019 gilt als Ausländer/-in jede im Ausland geborene Person, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Chile hat oder die eine Aufenthaltserlaubnis im Land beantragt hat.

Quellen: Für die Jahre 1854 bis 1940: Cano, M., Soffia, M. und Martínez, J. (2009): Conocer para legislar y hacer política: los desafíos de Chile ante un nuevo escenario migratorio. Santiago de Chile, CEPAL; für die Jahre 1952 bis 2017: Volkszählungen des Nationalen Statistikinstituts (Instituto Nacional de Estadísticas). Für die Jahre 2018 und 2019: Nationales Statistikinstitut (Instituto Nacional de Estadísticas) und Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten (Departamento de Extranjería y Migración) (2019, 2020).

Geographisch konzentriert sich die ausländische Bevölkerung in Chile auf die zentral gelegene Metropolregion Santiago, wo 65,2 Prozent aller Ausländer/-innen leben. In insgesamt vier Regionen macht die ausländische Bevölkerung mehr als fünf Prozent der gesamten Wohnbevölkerung aus: Arica und Parinacota (8,2 Prozent), Metropolregion Santiago (7,0 Prozent); Tarapacá (13,7 Prozent) und Antofagasta (11,0 Prozent) – bis auf die Metropolregion Santiago alle im Norden Chiles gelegen.

Migrationspolitik in Chile

Das chilenische Parlament hat im Dezember 2020 ein neues Migrationsgesetz verabschiedet, das aber bislang (Stand: 02.03.2021) noch nicht in Kraft getreten und umstritten ist (siehe unten). Das Gesetz soll das bislang gültige Migrationsgesetz ablösen, das noch aus der Zeit der Militärdiktatur stammt.

Mit der Verabschiedung des Migrationsgesetzes von 1975 hatte die Militärregierung die Figur des unerwünschten Migranten festgeschrieben. Dieses Gesetz basierte auf der Doktrin der nationalen Sicherheit, die darauf abzielte, das Land vor marxistischen Bedrohungen zu schützen. Im Kontext des Kalten Krieges führte dies dazu, dass jeder Einwanderer und jede Einwanderin als verdächtige Person betrachtet wurde. So legte das Gesetz fest, dass "diejenigen, die in irgendeiner Weise Doktrinen propagieren, die darauf abzielen, die soziale Ordnung oder das Regierungssystem gewaltsam zu zerstören oder zu verändern, diejenigen, die einen Ruf als Aufwiegler haben (...) und im Allgemeinen diejenigen, die Handlungen ausführen, die das chilenische Gesetz als Verstoß gegen die äußere Sicherheit, die nationale Souveränität, die innere Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des Landes einstuft" , nicht nach Chile einreisen durften.

Mit der Rückkehr der Demokratie im Jahr 1990 wurde eine Neuerung des Migrationsgesetzes erwartet. Es dauerte jedoch 30 Jahre, bis dies geschah: Im Jahr 2017 sandte Präsidentin Bachelet den Entwurf eines Migrationsgesetzes an den Nationalkongress (das chilenische Parlament), der von der Regierung auch nach Konsultationen von migrantischen Organisationen ausgearbeitet worden war. Der Kongress stoppte das Gesetzesprojekt allerdings, weil die Befürchtung bestand, die Regelung könne zu verstärkter Einwanderung führen. Darüber hinaus unterzeichnete Bachelet sowohl in ihrer ersten (2006-2010) als auch in ihrer zweiten Amtszeit (2014-2018) Erlasse, die die Situation von Migrant/-innen verbesserten und den Grundstein für die Etablierung eines nationalen Migrationssystems legten. Dies hielt sie für unverzichtbar da mit Beginn ihrer zweiten Präsidentschaft die Migrationsgesetzgebung und der institutionelle Rahmen schon 40 Jahre alt waren; für sie beinhaltete diese "Gesetzgebung […] nicht die Logik der Inklusion, die Dimension der Rechte und der Zusammenarbeit". Das System sollte hingegen verschiedene Prinzipien berücksichtigen, darunter vier Schlüsselaspekte:

  1. die Anwendung der Menschenrechtsstandards, die in den von Chile ratifizierten internationalen Abkommen verankert sind;

  2. die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive bei der Gestaltung, Umsetzung und Evaluierung politischer Maßnahmen und öffentlicher Programme;

  3. die Förderung interkultureller Begegnung und

  4. die Bereitstellung von Informationen für die Umsetzung und Evaluierung der nationalen Migrationspolitik.

Vorgesehen war auch die Einrichtung eines Nationalen Beirats für Migration, der die Stimme der Bürger/-innen in der Migrationspolitik sichern sollte.

Mit der zweiten Regierung von Sebastián Piñera, die seit 2018 amtiert, erlitten die zuvor geförderten Initiativen einen Rückschlag. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt im März 2018 rief Piñera eine Initiative mit dem Titel "Neue Migration" (Nueva migración) ins Leben, die eine Reihe von Maßnahmen vorsieht, die sowohl die Migration eindämmen als auch dazu führen sollen, dass Migrant/-innen verstärkt in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Ausweisungen richteten sich dabei vor allem gegen Eingewanderte aus Haiti. Es wurden eigene Flugverbindungen zum Zweck der Rückführung nach Haiti eingerichtet und ein zehnjähriges Wiedereinreiseverbot für die Abgeschobenen verhängt. Zusätzlich zu dieser Initiative legte Piñera im April 2018 dem Kongress einen Entwurf für ein Migrationsgesetz vor, der im Dezember 2020 vom Senat verabschiedet wurde. Das Gesetz zielt darauf ab, eine restriktive Migrationspolitik zu institutionalisieren, die den Leitlinien des skizzierten Ansatzes der "Neuen Migration" folgt und Migration (weiterhin) als Bedrohung betrachtet. Der im Gesetz verankerte Ansatz der "neuen Migration" steht aber wegen seiner Defizite mit Blick auf seine Verfassungsmäßigkeit und seiner mangelnden Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsstandards in der Kritik. Darüber hinaus wird kritisiert, dass der Gesetzentwurf im Kontext einer Interner Link: Pandemie diskutiert wurde, was die Information der Gesellschaft und eine breitere Diskussion unter Einbeziehung verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteure erschwert hatte.

Das Gesetz sieht die Einführung neuer Visakategorien und eines Nationalen Migrationsdienstes vor, der ein zentrales Register einrichten soll, das Informationen über alle in Chile lebenden ausländischen Staatsangehörigen speichert. Auch soll irreguläre Migration wirksamer bekämpft werden. Darüber hinaus erschwert das Gesetz die Erlangung einer Arbeitserlaubnis; so können Personen, die mit einem Touristenvisum eingereist sind, von nun an keine Änderung dieses Visums mehr beantragen, um arbeiten zu dürfen. Stattdessen müssen sie ein Arbeitsvisum beim chilenischen Konsulat in ihrem jeweiligen Herkunftsland beantragen. Bislang war es in Chile möglich, ein Touristenvisum in eine andere Kategorie des temporären Aufenthalts umzuwandeln, unter anderem in ein Visum, das zum Arbeiten berechtigte. Die Gesetzesänderung wird es vielen Menschen erheblich erschweren, ihren Aufenthalt durch die Aufnahme einer Arbeit zu regularisieren. Einer der Schlüsselaspekte, der hervorgehoben werden muss, um das Gesetz und den darin verankerten Ansatz der "Neuen Migration" zu verstehen, ist der in weiten Teilen der chilenischen Bevölkerung verbreitete Interner Link: Rassismus, wonach europäische Migrant/-innen als weiß und begehrenswert darstellt und lateinamerikanische Migrant/-innen ablehnt werden, vor allem dann, wenn sie eine dunkle Hautfarbe haben.

Das Migrationsgesetz ist auch nach seiner Verabschiedung umstritten. Mehr als ein Viertel der Abgeordneten des Parlaments haben Klage beim chilenischen Verfassungsgericht eingereicht, da sie 13 Artikel des Gesetzes als verfassungswidrig betrachten. Das Verfassungsgericht hat die Klage zugelassen.

Übersetzung aus dem Spanischen: Vera Hanewinkel

Fussnoten

Fußnoten

  1. Anmerkung der Übersetzerin: Der Begriff "Mestize"/ "Mestizin" (spanisch: mestizo; von spätlateinisch mixticius "Mischling") stammt aus der Kolonialzeit und bezeichnet die Nachfahren von Europäer/-innen und der indigenen Bevölkerung insbesondere Lateinamerikas.

  2. Norambuena, C. y Bravo, G. (2018): Progresos migratorios en Chile: Una mirada histórica normativa. Academia Nacional de Estudios Políticos y Estratégicos ANEPE, Santiago de Chile.

  3. Stefoni, C. (2011): Ley y política migratoria en Chile. La ambivalencia en la comprensión del migrante. En B. Feldman-Bianco, L. Rivera Sánchez, C. Stefoni y M. Villa Martínez (comp.): La construcción social del sujeto migrante en América Latina, (pp. 79-109), Consejo Latinoamericano de Ciencias Sociales (CLACSO), Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales (FLACSO) y Universidad Alberto Hurtado: Quito.

  4. Cano, M., Soffia, M. und Martínez, J. (2009): Conocer para legislar y hacer política: los desafíos de Chile ante un nuevo escenario migratorio. Santiago de Chile, CEPAL.

  5. Cano, M., Soffia, M. und Martínez, J. (2009): Conocer para legislar y hacer política: los desafíos de Chile ante un nuevo escenario migratorio. Santiago de Chile, CEPAL.

  6. Anmerkung der Übersetzerin: Streitpunkt in diesem Krieg zwischen Chile, Bolivien und Peru waren die am Pazifik gelegenen Regionen Tarapacá und Antofagasta, die reich an Salpeter-Vorkommen waren, dem damals wichtigsten Rohstoff in der Sprengstoff- und Düngemittelproduktion. Chile gewann den Krieg, wodurch Gebiete Boliviens und Perus an Chile fielen. Wie viele Menschen in diesen Gebieten lebten, lässt sich nicht valide beziffern.

  7. Gesicherte Zahlen zum Umfang der Einwanderung aus dem deutschsprachigen Raum gibt es nicht. In der Literatur wird von 4.000 dieser Siedler/-innen gesprochen, die in der ersten Einwanderungsphase nach Chile kamen. Für die zweite Einwanderungsphase finden sich keine Angaben.

  8. Rosenberg, P. (2001): Deutsche Minderheiten in Lateinamerika. Europa Universität Viadrina, Frankfurt (Oder).

  9. Goldschmidt, E. (2008): Huyendo del infierno nazi. La inmigración judíoalemana hacia Chile en los años treinta. Santiago, RIL editores.

  10. Cassigoli, R. (2013): Sobre la presencia nazi en Chile. Acta sociológica, 61, S. 157-177.

  11. Für mehr Informationen siehe Basso, C. (2002): El último secreto de Colonia Dignidad. Editorial Mare Nostrum.

  12. Für bestimmte Länder, die dem MERCOSUR angehören, von dem Chile ein assoziierter Staat ist, gibt es spezielle Mobilitätsgesetze. Derzeit ist das 2009 geschlossene Abkommen über den Aufenthalt von Staatsangehörigen der MERCOSUR-Mitgliedsstaaten, Bolivien und Chile (Acuerdo sobre Residencia para Nacionales de los Estados Parte del MERCOSUR, Bolivia y Chile) in Kraft. Es sieht vor, dass Staatsangehörige der MERCOSUR-Mitgliedsstaaten Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay sowie des assoziierten Mitglieds Bolivien in Chile ein befristetes Visum für ein Jahr erhalten können, ohne einen Arbeitsvertrag vorlegen zu müssen, und dass dieses Visum noch einmal um den gleichen Zeitraum verlängert werden kann. Von diesen Ländern sind es vor allem Argentinien und Bolivien, deren Staatsangehörige von diesem Abkommen in Chile Gebrauch machen.

  13. Instituto Nacional de Estadísticas y Departamento de Extranjería y Migración (INE y DEM) (2020): Estimación de personas extranjeras residentes habituales en Chile al 31 de diciembre de 2019. Santiago de Chile: INE.

  14. Instituto Nacional de Estadísticas [Nationales Statistikinstitut] (2018).

  15. Stefoni, C. (2011).

  16. Stefoni, C. (2011).

  17. Spanischen Originalzitat ins Deutsche übersetzt.

  18. Norambuena, C. und Bravo, G. (2018).

  19. Präsidialanweisung Nr. 5 von 2015, die Richtlinien und Anweisungen für die nationale Migrationspolitik festlegt. Zitat ins Deutsche übersetzt.

  20. Stang, F.; Lara, A. und Andrade, M. (2020): Retórica humanitaria y expulsabilidad: migrantes haitianos y gobernabilidad migratoria en Chile. Si Somos Americanos. Revista de Estudios Transfronterizos, Jg. 20, Nr. 1, S. 176-201.

  21. Calderón, C. (2020): Organizaciones y universidades se articulan para mejorar proyecto de ley de migraciones, 23. Juli, Externer Link: https://www.uchile.cl/noticias/165544/organizaciones-y-universidades-se-articulan-por-la-ley-de-migraciones (Zugriff: 26. Juli 2020).

  22. Tijoux, M. E. (2016): Racismo en Chile. La piel como marca de la inmigración. Editorial Universitaria. Santiago de Chile.

  23. Für weitere Informationen siehe Externer Link: https://plataformacontexto.cl/posts/223 sowie die Website des chilenischen Verfassungsgerichts: Externer Link: https://www.tribunalconstitucional.cl/wp-content/uploads/Comunicado-audiencia-publica-Rol-9930-20_.pdf. Siehe außerdem die Website des Radios der Universidad de Chile zu den Artikeln des Migrationsgesetzes, die angefochten wurden (Externer Link: https://radio.uchile.cl/2021/01/18/ley-de-migraciones-argumentacion-de-organizaciones-pro-migrantes-marca-inicio-del-analisis-en-el-tc/) sowie zu den Ergebnissen der Beratung vor Gericht (Externer Link: https://radio.uchile.cl/2021/01/19/ley-de-migraciones-tc-resuelve-acoger-parcialmente-requerimiento-presentado-por-parlamentarios-de-oposicion/).

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Sandra Leiva ist Soziologin an der Pontificia Universidad Católica de Chile und hat an der Universität Göttingen in Soziologie promoviert. Sie arbeitet am Institut für Internationale Studien (Instituto de Estudios Internacionales, INTE) der Universidad Arturo Prat (Chile) und ist akademische Redakteurin der Zeitschrift Si Somos Americanos. Revista de Estudios Transfronterizos.

Marcela Tapia Ladino ist Lehrerin für Geschichte und Geographie, Master in Geschichte an der Universidad de Concepción in Chile und Promotion in Lateinamerikawissenschaften an der Universidad Complutense de Madrid, Spanien. Derzeit ist sie Direktorin des Instituts für Internationale Studien (Instituto de Estudios Internacionales, INTE) an der Universidad Arturo Prat (Chile) und gibt die an diesem Institut angesiedelten Zeitschrift Si Somos Americanos. Revista de Estudios Transfronterizos heraus.