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Tschernobyl: Facetten eines Erinnerungsortes | Tschernobyl | bpb.de

Tschernobyl Tschernobyl: Facetten eines Erinnerungsortes Das Unsichtbare sichtbar machen? Auswirkungen der Katastrophe von Tschernobyl auf Deutschland INES - Die Internationale Bewertungsskala für nukleare Ereignisse Tschernobyl ist die Zukunft "Gewonnen ist das Ding ja nicht" Perspektiven der Atomkraft Tschernobyl Redaktion

Tschernobyl: Facetten eines Erinnerungsortes

Karena Kalmbach

/ 10 Minuten zu lesen

Was ist Tschernobyl? Der Super-GAU im sowjetischen Atomkraftwerk hat unterschiedliche Erinnerungsorte hervorgebracht. Ist Tschernobyl der zerstörte Reaktor? Die verlassene Sperrzone? Oder doch das politische Argument der Anti-AKW-Bewegung?

Tschernobyl ist für die Anti-Atomkraftbewegung weltweit zum Bezugspunkt geworden - so wie hier bei einem Protest in Paris. (© picture-alliance/dpa)

Das Konzept Erinnerungsort

Laut dem Historiker Pierre Nora spielen Erinnerungsorte eine zentrale Rolle bei der Herausformung kollektiver Identitäten. Bei diesen Erinnerungsorten muss es sich nicht um geographische Orte handeln – vielmehr bezieht sich der Begriff "Ort" auf die Verortung eines Ereignisses, einer Person oder eines Gegenstandes innerhalb des kollektiven Gedächtnisses einer Gruppe. Es geht bei dem Konzept der Erinnerungsorte also um die Rolle, die dieses Ereignis, diese Person oder dieser Gegenstand in der narrativen Konstruktion einer Gruppenidentität spielt. Ein und dasselbe Ereignis kann dabei eine gänzlich unterschiedliche Rolle innerhalb des kollektiven Gedächtnisses verschiedener Gruppen einnehmen. Umso mehr, wenn dieses eine Ereignis ganz unterschiedliche Einzelereignisse für unterschiedliche Gruppen bedeutet.

Tschernobyl als Erinnerungsort in Osteuropa

Tschernobyl ist solch ein Ereignis, das in verschiedenen Gruppen mit ganz eigenen Erinnerungen besetzt ist – und damit auch mit ganz unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen. Da ist zum einen das punktuelle Ereignis der Kernschmelze im 100 km nördlich von Kiew gelegenen Atomkraftwerk Lenin. Dieses Ereignis ist für die damaligen Werksarbeiter und -arbeiterinnen vor Ort sowie für die Feuerwehr- und Rettungskräfte der ersten Tage die Erinnerung an eine lebensbedrohliche Katastrophe, eine Erinnerung an Hitze, Flammen, an schwere körperliche Arbeit und an den Kampf gegen einen mit den eigenen Sinnen nicht wahrnehmbaren Feind: die ionisierende Strahlung. Diese Strahlung war so intensiv, dass sie innerhalb dieser körperlich am direktesten betroffenen Gruppen einigen Menschen direkt das Leben kostete und viele weitere schwer erkranken lies. Und sie blieb über lange Zeit so intensiv, dass für die in den Wochen, Monaten und Jahren folgenden Sicherungs-, Aufräum- und Dekontaminierungsarbeiten über 600.000 Menschen zum Einsatz kamen, um so die Gesamtstrahlendosis auf möglichst viele Individuen zu verteilen. Noch heute sind die tausenden von Arbeiterinnen und Arbeiter in Tschernobyl strikten Zeitplänen unterworfen: Auf den Einsatz in der "Zone" folgen Erholungszeiten außerhalb der stark kontaminierten Region, um die individuelle Gesamtstrahlenbelastung über ein Arbeitsjahr hinweg gering zu halten.

Ebenso wie die Rettungskräfte der ersten Stunden und Tage verbinden auch die etwa 350.000 evakuierten und umgesiedelten Personen mit Tschernobyl ein Ereignis, das ihr Leben für immer verändert hat: in ihrem Fall den Verlust der eigenen Heimat. Für viele geschah dieses Ereignis zeitversetzt zum eigentlichen Unfall: Erst Tage nach der Zerstörung des Reaktors wurde mit der Evakuierung begonnen und den Evakuierten wurde zuerst versprochen, dass sie nach einigen Tagen oder Wochen wieder in ihre Häuser und Wohnungen zurückkehren könnten. Nur ein Koffer mit den notwendigsten Kleidungsstücken und Papieren durfte mitgenommen, Haustiere und sämtliche weiteren Besitztümer mussten zurückgelassen werden. In vielen Fällen wurde dieser Verlust der eigenen Heimat und der eigenen Geschichte in der neuen Post-Tschernobyl-Lebenssituation noch erschwert durch Krankheit, Erkrankung von Angehörigen, Wegbrechen des sozialen Umfeldes, Verlust des Arbeitsplatzes, Ungewissheit über die Strahlenbelastung des eigenen Körpers und nicht zuletzt die schwierige Rolle an den neuen Wohnorten. An diesen wurden die Tschernobyl-Flüchtlinge aus Angst vor ihrer Strahlenbelastung und mitunter auch aus Neid über die Entschädigungszahlungen, die sie erhielten, meist nicht mit offenen Armen empfangen. So wurde Tschernobyl für die Evakuierten zu einer Katastrophe, die individuell oft erst weit nach dem eigentlichen Unfallzeitpunkt fassbar wurde.

Außerhalb der Sperrzone werden neue Wohnsiedlungen errichtet, etwa in der weißrussischen Region Homelskaja, nahe der ukrainischen Grenze. (© picture-alliance / RIA Nowosti)

Mit größerem zeitlichen Abstand wuchs in der Ukraine und in Belarus (dem Land, auf das der meiste radioaktive Fallout niederging) aus den individuellen Erinnerungen an Tschernobyl als einer Katastrophe, die das eigene Leben zerstörte, ein weiterer Bedeutungsgehalt von Tschernobyl heran: Tschernobyl als Symbol der sowjetischen Unterdrückung – durch Desinformation über den Unfall und seine Spätfolgen. In den Unabhängigkeitsbewegungen beider Länder spielte Tschernobyl daher eine zentrale Rolle. In diesem Kontext kommt "Tschernobyl als Erinnerungsort" dem ursprünglichen Konzept von Pierre Nora am nächsten: die Rolle von Erinnerungsorten bei der Herausformung von Nationalstaaten und Nationen-Identitäten. Innerhalb der kollektiven Gedächtnisse der Ukraine und Belarus' hat der Erinnerungsort Tschernobyl somit eine Eigenschaft, die die Ebene der individuellen Erinnerung ergänzt: Tschernobyl als nationaler Erinnerungsort ist hier politisiert, dient als politisches Argument – und das nicht etwa nur in umwelt- oder energiepolitischer Sicht, sondern vor allem in innen- und außenpolitischer Zielrichtung. Das politisierte Argument "Tschernobyl" taucht insbesondere im Kampf zwischen Regierung und Opposition um die Macht im eigenen Land und in Auseinandersetzung über das außenpolitische Verhältnis zu Russland auf.

Tschernobyl als Erinnerungsort in Westeuropa

Interessanterweise gibt es auch in Westeuropa ein Land, in dem Tschernobyl zu einem politischen Kampfplatz geworden ist: Frankreich. Auch in Frankreich wird Tschernobyl als politisches Argument nicht nur in umwelt- oder energiepolitischen Debatten verwendet, sondern als Argument in der Auseinandersetzung über die richtige Form des Regierens. Tschernobyl war in Frankreich wie auch im übrigen Westeuropa in erster Linie ein medialisiertes Ereignis, denn die Menschen erfuhren von dem Unfall nicht unmittelbar durch Arbeitseinsatz oder Evakuierung, sondern durch Zeitungen, Fernsehen, Informationsmaterial und Gespräche. Doch auch in den unterschiedlichen lokalen, regionalen und nationalen Kontexten Westeuropas kamen dem Ereignis Tschernobyl ganz unterschiedliche Bedeutungsebenen zu.

In Frankreich war das Ereignis Tschernobyl in erster Linie die Auseinandersetzung über die Frage, was die richtigen Informationen über den radioaktiven Fallout in Frankreich waren. Diese Debatte begann allerdings erst in der zweiten Maiwoche 1986. Auslöser war die nachdrückliche Betonung offizieller französischer Stellen, dass es keinerlei Anlass zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen in Frankreich geben würde. Diese Aussage wurde aber durch den Blick über die Grenzen nach West-Deutschland, in die Schweiz oder Italien, wo einige offizielle Stellen durchaus ein Gefährdungspotenzial in dem radioaktiven Fallout sahen, bald auch in Frankreich infrage gestellt. So kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen regierungskritischen Journalistinnen und Journalisten sowie Anti-AKW-Aktivistinnen und -Aktivisten auf der einen Seite und der Regierung, den Strahlenschutzbehörden und den staatlichen Atomindustriebetrieben auf der anderen Seite, die öffentlichkeitswirksam ausgetragen wurde: nämlich auf den Titelseiten der großen Tageszeitungen und zur Prime Time der Nachrichtensendungen. "Le mensonge radioactif" ("Die radioaktive Lüge") titelte die linksliberale überregionale Tageszeitung Libération am 12. Mai 1986. Einen Tag zuvor hatte der Umweltminister Alain Carignon den Journalisten von Antenne 2 Rede und Antwort stehen müssen, warum der Leiter der nationalen Strahlenschutzaufsicht die Zahlen zu den radioaktiven Gesamtniederschlägen auf französischen Boden erst zwei Wochen nach dem Unfall dem französischen Fernsehpublikum präsentiert hatte. Man schob den schwarzen Peter namens "Missinformation" hin und her: Die Journalistinnen und Journalisten betonten, sie wären von den verantwortlichen französischen Stellen falsch über die Lage informiert worden. Gleichzeitig betonten ebendiese verantwortlichen französischen Stellen, an den Entwarnungen wäre überhaupt nichts falsch gewesen, da diese radioaktiven Niederschläge keine Gefährdung für die französische Bevölkerung darstellen würden. Die Frage, ob vorsätzlich Informationen über die Tschernobyl-Strahlungsbelastung in Frankreich zurückgehalten wurden, bewegt Frankreich bis heute. Und so ist Tschernobyl im kollektiven Gedächtnis Frankreichs zu einem Erinnerungsort hinsichtlich der Verunsicherung über die Glaubwürdigkeit offizieller Stellen und staatlicher Expertise geworden. Ein Erinnerungsort, an den Kritikerinnen und Kritikern der französischen Elitekulturen in Politik und Verwaltung in ihren Kampagnen gerne anknüpfen und somit gleichzeitig diesen spezifischen französischen Sinngehalt von Tschernobyl wachhalten.

Demonstranten vor der Autorité de sûreté nucléaire (ASN), der französischen Behörde für nukleare Sicherheit in Paris. (© picture-alliance/dpa)

Dass das Ereignis Tschernobyl aber auch innerhalb eines Landes ganz unterschiedliche Ausprägungen annehmen konnte, lässt sich für Westeuropa besonders deutlich am Beispiel Großbritanniens zeigen. Für die Schafzuchtbetriebe im Hochland waren die radioaktiven Niederschläge ein die eigene Lebenswelt ganz direkt betreffendes Ereignis. Viele der Schafe waren, nachdem sie den Frühsommer über auf kontaminierten Weiden gegrast hatten, im Spätsommer den nach Tschernobyl neu eingeführten EG-Richtlinien gemäß zu radioaktiv, um in den Verkauf zu gelangen. Diesem Problem wurde mit einem ausgeklügelten System zur Umplatzierung von Schafen von kontaminierten auf nicht-kontaminierte Weiden, Trockenfutter-Ernährungsplänen, farblichen Markierungen und Entschädigungszahlungen begegnet. Obwohl diese Problematik bis heute anhält und vor allem durch die genaue Kartierung von radioaktiven Hot Spots auf nur noch wenige betroffene Farmen begrenzt werden konnte, hat sich kein spezifischer Bedeutungsgehalt von Tschernobyl im kollektiven Gedächtnis Großbritanniens herausgeformt. Menschen außerhalb der betroffenen Gebiete wissen heute selten noch von der Post-Tschernobyl-Schafs-Problematik.

Gerade im Vergleich zu Frankreich wird deutlich, welche große Rolle die Kontextbedingungen spielten, damit in westeuropäischen Ländern Tschernobyl zu einem bis heute aktiv erinnerten Ereignis wurde: In Großbritannien richtete sich die Anti-Atom-Bewegung traditionell in erster Linie gegen Atomwaffen und nicht wie in Frankreich gegen Atomkraftwerke. Somit war in Frankreich von Beginn an eine weitaus größere Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten daran interessiert, Tschernobyl zu einem politischen Argument zu machen. Die Rahmung des Ereignisses als französisches innenpolitisches, systeminhärentes Problem trug dazu bei, eine breite Selbstbetroffenheit in Frankreich zu erzeugen und damit eine Ebene der individuellen Erinnerung. An diese konnte so die kollektive Erinnerung an Tschernobyl als Glaubwürdigkeitskrise der Zentralregierung anknüpfen. In Großbritannien fand dieses Erleben von Tschernobyl als in den eigenen Lebensraum hineingreifendes Ereignis außerhalb des Kreises der betroffenen Schafzuchtbetriebe nicht statt. Tschernobyl in Großbritannien war und blieb ein wirtschaftliches Problem, dem mit Organisation und Geldzahlungen begegnet werden konnte, kein Glaubwürdigkeitsproblem und schon gar kein Problem, das das britische Atomprogramm betraf.

Tschernobyl als transnationaler Erinnerungsort

Über diese lokalen, regionalen und nationalen Bedeutungszuschreibungen hinaus hat Tschernobyl jedoch auch in transnationaler Perspektive unterschiedliche Formen als Erinnerungsort angenommen. Für Anti-AKW-Gruppen ist der 26. April eines jeden Jahres zu einem Tag des gemeinsamen Erinnerns an die Opfer der zivilen Nutzung der Atomenergie geworden, ein Tag, der gleichzeitig für unterschiedliche Protestaktionen gegen Atomanlagen weltweit genutzt wird. In diesem Kontext verbindet sich mit der Erinnerung an Tschernobyl eine klare politische Botschaft, nämlich die Forderung nach dem Ausstieg aus der Atomkraft. Tschernobyl ist somit für die Aktivistinnen und Aktivisten zu einem transnational verbindenden Bezugspunkt geworden. Wichtig für diesen anti-nuklear-konnotierten transnationalen Erinnerungsort ist nicht nur der Bezug zum Datum des Unfalls, sondern auch zu dem geographischen Ort Tschernobyl. Die "Zone" mit ihren Warnschildern und verlassenen Häusern visualisiert die katastrophalen Auswirkungen, die der Atomtechnik innewohnen.

Auch für die Menschen, die sich im Rahmen der Tschernobyl-Solidaritäts-Bewegung engagieren und zivilgesellschaftlich organisierte humanitäre Hilfe für die besonders belasteten Gebiete in Osteuropa leisten, stellt der 26. April ein wichtiges Datum für Veranstaltungen und zum Sammeln von Spenden dar. Innerhalb dieser Gruppe ist jedoch nicht der anti-nukleare Bedeutungsgehalt von Tschernobyl das verbindende Element – einige Gruppen distanzieren sich sogar ganz explizit von atompolitischen Positionierungen. Vielmehr betont der Erinnerungsort und gemeinsame Bezugspunkt Tschernobyl hier die Dimension der Verbundenheit zwischen Ost- und Westeuropa: persönliche Freundschaften, die durch die Hilfe und Unterstützung geschlossen wurden, das Kennenlernen der jeweils anderen Kultur, das gemeinsame Überwinden der Teilung Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Tschernobyl als transnationaler Erinnerungsort der Solidaritäts-Bewegung knüpft weitaus weniger an den geographischen Ort Tschernobyl als "Zone" an, als es Tschernobyl als transnationaler Erinnerungsort der Anti-AKW-Bewegung tut. Denn der Bezug zur "Zone" ist durch die Evakuierungen und Umsiedlungen durchtrennt worden. Er lebt in der osteuropäischen individuellen Erinnerung weiter, als Trauma des Verlustes der Heimat und der eigenen Geschichte, er ist aber für das kollektive Gedächtnis der Tschernobyl-Solidaritäts-Bewegung nicht verfügbar, da niemand aus dem Westen dieses Schicksal teilt. Tschernobyl als geographischer Bezugsort ist hier nicht die "Zone", sondern die große Region der radioaktiv belasteten Gebiete in Belarus, der Ukraine und Russland. Die Region, in der das Leben mit den physischen und psychischen Auswirkungen von Tschernobyl zum Alltag wurde und in der sich Menschen aus Ost- und Westeuropa im Rahmen der humanitären Hilfe für diese Regionen begegnen.

Was diese physischen und psychischen Auswirkungen von Tschernobyl nun genau sind, inwiefern sie eine direkte Folge der durch den Unfall freigesetzten ionisierenden Strahlung sind und wie viele Menschen davon betroffen sind, ist bis heute ein höchst umstrittenes Thema. Dies zeigt sich besonders an den immens variierenden Opferzahlen, die zu Tschernobyl kursieren. Mit dem Unfall von Fukushima hat dieser Streit um die "wahren Auswirkungen" von Tschernobyl an politischer Brisanz gewonnen, denn je nachdem, welche Auswirkungen man für Tschernobyl konstatiert, trifft man nun auch gleichzeitig eine Aussage über die Auswirkungen von Fukushima – Auswirkungen, für die es zur Zeit eine weitaus breitere öffentliche Aufmerksamkeit gibt, als sie den Tschernobyl-Betroffenen in Osteuropa jemals zukam.

Wo ist Tschernobyl also geographisch zu verorten? Ist Tschernobyl der zerstörte Reaktorblock 4 des Kernkraftwerks Lenin? Die evakuierte Zone? Die für die Evakuierten errichteten Trabantenstädte um Minsk? Das schottische Hochland? Der Sitz der französischen nationalen Strahlenschutzbehörde? Die durch westliche Spenden finanzierten Kindererholungsheime in Osteuropa? Die Grenzziehung der Evakuierungszone um das Kraftwerk Fukushima-Daiichi?

Tschernobyl hat nicht nur viele verschiedene Erinnerungsorte produziert, sondern das Ereignis manifestiert sich auch an vielen verschiedenen Orten. Manche dieser Erinnerungsorte sind an geographische Orte geknüpft, andere nicht. Der Verlust des geographischen Ortes der Zone mit ihrem apokalyptischen Szenario durch eine Rehabilitierung dieses Gebietes, wie sie besonders von atomkraftbefürwortenden Akteuren gefordert wird, würde sicher Tschernobyl als transnationalen Erinnerungsort der Anti-AKW-Bewegung erheblich schwächen. Aber die Zone und das Kraftwerk sind nur ein Ort, an dem Tschernobyl heute erinnert wird und damit auf unsere Gegenwart einwirkt. Neben der Zone gibt es viele weitere geographische Orte – und die Vielzahl dieser geographischen Orte, für die Tschernobyl steht, macht die Dimension dieses Unfalls erst wirklich deutlich.

Literatur

Erinnerungsorte

  • Pierre Nora (Hrsg.): Les Lieux de mémoire, Paris: Gallimard, 1984-1992.

  • Etienne François und Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte, München: C.H. Beck, 2001.

  • Frank Uekötter (Hrsg.): Ökologische Erinnerungsorte, Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht, 2014.

Tschernobyl in Osteuropa

  • Melanie Arndt (Hrsg): Politik und Gesellschaft nach Tschernobyl. (Ost)europäische Perspektiven, Berlin: Ch. Links, 2016.

  • Astrid Sahm, Manfred Sapper, Volker Weichsel (Hrsg.): Tschernobyl. Vermächtnis und Verpflichtung, Osteuropa 4/2006, online verfügbar unter: Externer Link: http://www.osteuropa.dgo-online.org/hefte/2006/4/

  • Adriana Petryna: Life Exposed. Biological Citizens after Chernobyl, Princeton: Princeton University Press, 2013.

Tschernobyl in Westeuropa

  • Karena Kalmbach: Tschernobyl und Frankreich. Die Debatte um die Auswirkungen des Reaktorunfalls im Kontext der französischen Atompolitik und Elitenkultur, Frankfurt am Main: Peter Lang, 2011.

  • Melanie Arndt: Tschernobyl. Auswirkungen des Reaktorunfalls auf die Bundesrepublik und die DDR, Berlin: Bundeszentrale für politische Bildung, 2012.

Tschernobyl als transnationaler Erinnerungsort

Fussnoten

Weitere Inhalte

Dr. phil. Karena Kalmbach, geb. 1982, ist Juniorprofessorin für Technikgeschichte an der Technischen Universität Eindhoven. Sie hat am Europäischen Hochschulinstitut Florenz mit einer Arbeit zu den Debatten über die Auswirkungen von Tschernobyl in Frankreich und Großbritannien und die Transnationalität von Argumenten und Akteuren zwischen Ost- und Westeuropa promoviert.