INES - Die Internationale Bewertungsskala für nukleare Ereignisse
Die Bewertungsskala INES klassifiziert atomare Störfalle und Unfälle nach sieben Stufen. Der Super-GAU von Tschernobyl fällt unter die Stufe 7, ein katatrophaler Unfall. Nach einigen Kontroversen gilt mittlerweile auch Fukushima als solch ein Unfall. Wer bewertet bei INES? Und wie kommen Einordnungen zustande?
Die Internationale Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES)
Die Internationale Bewertungsskala für nukleare und radiologische Ereignisse (INES = International Nuclear and Radiological Event Scale) dient der Einordnung von Störfällen und Unfällen in kerntechnischen Anlagen. Seit 1945 hat es in kerntechnischen Anlagen immer wieder Unfälle, darunter auch schwere oder katastrophale Unfälle mit Freisetzung von Radioaktivität gegeben. Aber erst 1989 – drei Jahre nach dem Super-GAU im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl im April 1986 - haben sich Experten der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und der Kernenergieagentur der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD/NEA) zusammengesetzt und ein Bewertungssystem entwickelt, mit dem Atomunfälle kategorisiert werden können. Dabei griff man unter anderem auf die Erfahrungen in Frankreich und Japan mit Bewertungsskalen für Atomunfälle zurück.i
Auslegungsstörfall, GAU und Super-GAU
Im Jahr 1990 lag das erste INES-Handbuch vor. Nach einem Atomunfall soll anhand der INES-Skala die Öffentlichkeit möglichst schnell und zuverlässig über die sicherheitstechnische Bedeutung und das Ausmaß möglicher Auswirkungen des Ereignisses informiert und die Kommunikation zwischen Politik, Industrie, Fachwelt, Medien und Öffentlichkeit ermöglicht werden. Wie die Richter-Skala bei Erdbeben sollte die INES-Skala der Öffentlichkeit eine nachvollziehbare Einstufung des Atomunfalls sowie Informationen über die sicherheitstechnische Bedeutung liefern.
INES ist eine logarithmische Bewertungsskala, die ursprünglich sieben Stufen hatte. Jede Stufe bezeichnet ein Ereignis (engl. Event), dessen Auswirkungen zehnmal größer sind als der Störfall bzw. Unfall der darunterliegenden Stufe. Ereignisse der Stufen 1 bis 3 werden als Störfälle (engl. Incident) und der Stufen 4 bis 7 als Unfälle (engl. Accident) bezeichnet. Für Ereignisse ohne sicherheitstechnische Bedeutung wurde später noch die Stufe 0 hinzugefügt.

Das Bewertungssystem wurde ursprünglich für Kernkraftwerke entwickelt, aber umfasst inzwischen alle Bereiche – ausgenommen sind militärische Anlagen -, in denen es zu nuklearen oder radiologischen Unfällen kommen kann. Das sind die zivilen Anlagen der Atomindustrie (Anreicherungsanlagen, Forschungsreaktoren, Kernkraftwerke, Wiederaufarbeitungsanlagen und die Lagerung von Atommüll in speziellen Gebäuden) und der Transport von radioaktiven Materialien und die Anwendung für medizinische Zwecke.
Die Bewertung der Ereignisse nach drei Aspekten:
- Radiologische Auswirkungen außerhalb der Anlage – Auswirkungen auf Mensch und Umwelt
- Radiologische Auswirkungen innerhalb der Anlage – Beeinträchtigung radiologischer Barrieren und Überwachungsmaßnahmen
- Beeinträchtigung der Sicherheitsvorkehrungen der Anlagen – Sicherheitsbarrieren.
i
Becquerel
Stufe 7: "Ein Ereignis, das zu einer Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Umgebung führt, die radiologisch äquivalent ist zu einer Freisetzung von mindestens 50.000 Terabecquerel I-131 in die Atmosphäre". Weiträumige Effekte auf Gesundheit und Umwelt. Evakuierung notwendig, um die Bevölkerung zu schützen. Gesundheitliche Spätschäden können in mehr als einem Land auftreten und langfristige Auswirkungen auf die Umwelt sind wahrscheinlich.
Stufe 6: "Ein Ereignis, das zu einer Freisetzung radioaktiver Stoffe (…) von mindestens 5.000 bis zu 50.000 TBq I-131 in die Atmosphäre (führt)". Voller Einsatz von Katastrophenschutzmaßnahmen erforderlich.
Stufe 5: "Ein Ereignis, das zu einer Freisetzung radioaktiver Stoffe (…) von mindestens 500 bis zu 5.000 TBq I-131 in die Atmosphäre (führt)". Teilweise Zerstörung des Reaktorkerns und Freisetzung großer Mengen von Nukliden in der Anlage. Mehrere Todesfälle durch Strahlenexposition und Einsatz einzelner Katastrophenschutzmaßnahmen.
Stufe 4: "Ein Ereignis, das zu einer Freisetzung radioaktiver Stoffe (…) von mindestens 50 bis zu 500 TBq I-131 in die Atmosphäre (führt)". Freisetzung bedeutender Mengen radioaktiver Stoffe innerhalb der Anlage. Auftreten eines unmittelbaren Todesfalls als Folge einer Strahlenexposition. Schutzmaßnahmen wahrscheinlich nicht notwendig, aber lokal begrenzte Überwachung von Lebensmitteln.
Die Stufen 1 bis 3 betreffen Störungen bzw. Störfälle, bei denen die Exposition die Jahresdosis für beruflich exponierte Personen übersteigt. Bei Stufe 2 übersteigt die Dosisleistung im Anlageninneren 50 mSv/h und für eine Einzelperson außerhalb der Anlage 10 mSv. In der Stufe 3 ist die Strahlenexposition außerhalb der Anlage mehr als das Zehnfache der Jahresdosis für beruflich exponierte Personen und im Anlageninneren mehr als 1 Sv/h.
i
Sievert
Die Teilnahme an INES ist freiwillig und für alle IAEO-Mitgliedsstaaten offen. Inzwischen wurde das System von über 70 Ländern übernommen, die durch ihre nationalen "INES-Officers" repräsentiert werden. Alle zwei Jahre findet ein INES Technical Meeting statt. Ferner werden die Entscheidungen über die Anwendung der Skala diskutiert. Die Ersteinstufung eines Störfalls bzw. Unfalls nach INES erfolgt durch den Betreiber der Anlage. Diese wird zusammen mit der Meldung des Ereignisses an die zuständige Aufsichtsbehörde weitergeleitet. Die Einstufung wird durch den nationalen INES-Officer überprüft. In Deutschland macht das im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) ein Experte der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit mbH (GRS). Ergibt die Überprüfung des INES-Officers eine andere Einstufung, wendet er sich zunächst an den Betreiber. Erfolgt keine Anpassung der INES-Stufe durch den Betreiber, muss der INES-Officer die zuständige Landesbehörde und das BMUB informieren. Ab der INES-Stufe 2 meldet der INES-Officer den Störfall bzw. Unfall unmittelbar an die IAEO in Wien. Die IAEO stellt die Meldungen in einem webbasierten Informationssystem der Öffentlichkeit zur Verfügung.
Der INES-Officer hat neben der Überprüfung der Ersteinstufung noch weitere Aufgaben. Er ist der fachliche Ansprechpartner für Betreiber und beteiligte Behörden. Ferner ist er für den Austausch der international gesammelten Erfahrungen aus der Anwendung von INES zuständig und ist an der Weiterentwicklung des Systems im Rahmen der IAEO sowie an der nationalen Umsetzung von Änderungen beteiligt.
i
Aufgaben des INES-Officers:
- Überprüfung der INES-Einstufung
- Weiterleitung der Ereignisse ab INES-Stufe 2 an die IAEO
- fachlicher Ansprechpartner für Betreiber und Behörden
- Austausch der Erfahrungen im Umgang mit INES
- Weiterentwicklung des Systems im Rahmen der IAEO
Quellen:
- GRS: INES - The International Nuclear and Radiological Event Scale http://www.grs.de/reaktorsicherheit/ines
- IAEA, OECD: INES. The International Nuclear and Radiological Event Scale, Information Series / Division of Public Information 08-26941 / E, https://www.iaea.org/sites/default/files/ines.pdf
- RS-Handbuch: Bekanntmachung über die Anwendung der deutschen Fassung des Handbuchs der Internationalen Nuklearen und Radiologischen Ereignis-Skala (INES) in kerntechnischen Einrichtungen sowie im Strahlenschutz außerhalb der Kerntechnik vom 20. Februar 2015 (BAnz AT 30.03.2015 B1)